Читать книгу AS PAIN GOES BY - M. Arnoldsson - Страница 10
06 ELLI
ОглавлениеUnfair? Verklag doch das Leben.
Als Fendel ins Büro kam, wurde er sofort zum Chef gerufen. Der saß in seinem Einzelbüro hinter dem großen Schreibtisch und trug handschriftlich etwas in eine Liste ein. Als Fendel eintrat, schaute Reinhard auf, und sofort blieb der Blick auf seinem Sakko hängen. „Morgen. – Wo ist deine Waffe?“
„Morgen. Äh ...“ Fendels Hand tastete unwillkürlich unter dem Jackett nach dem Schulterhalfter. „Scheiße, vergessen!“, stellte er fest und sah seinen Vorgesetzten schuldbewusst an.
„Das sehe ich.“ Reinhards Augenlider zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Wo?, war die Frage.“
„Bei mir im Schlafzimmer“, gab Fendel verlegen Auskunft. Es war nicht das erste Mal, dass er seine Dienstwaffe daheim vergessen hatte, aber dabei aufgefallen war er noch nie.
„Hol sie!“, forderte Reinhard.
„Ja, klar!“, gab Fendel sofort zurück. Dass er bei der Kripo war, schützte seine Wohnung schließlich nicht vor Einbrechern, und wenn die Waffe auf so eine dämliche Art in falsche Hände kam ... Nicht auszudenken! „Ich fahre sofort los.“
„Warte, warte!“ Reinhard suchte in seinen Notizen herum. „Spezialauftrag“, verkündete er. „Nimm dir ‘nen Dienstwagen, aber vergiss nicht, zuerst zu Hause vorbeizufahren.“ Er reichte Fendel einen Zettel, auf dem eine Adresse notiert war.
„Worum geht’s?“ Weitere Informationen standen nicht auf dem Blatt.
„Ach, da nervt so eine Frau Petermann schon seit Wochen damit rum, dass nebenan ein illegaler Puff aufgemacht hat.“ Reinhard hob die Schultern und sah Fendel fast entschuldigend an. „Letzte Nacht sind da wohl Schreie zu hören gewesen, aber angerufen hat sie erst vor ‘ner halben Stunde.“
„Na toll!“, meinte Fendel mit einem leichten Kopfschütteln und sah auf den Zettel. „Warum macht die Sitte das nicht?“
„Keine Zeit. Fahr einfach hin und frag sie mal ab, aber mach dich nicht unbeliebt, ihr Vater sitzt im Stadtrat.“
„Bäh!“, rutschte es Fendel heraus.
Reinhard hob die Schultern ein wenig an. „Geh mal ins Archiv, und lass dir von Elli den Vorgang ausdrucken. Viel ist es nicht.“
„Alles klar!“ Fendel wandte sich ab und verließ den Raum, froh, dass er wegen der Waffe nicht mehr Ärger bekommen hatte.
Das, war Reinhard Archiv nannte, war nicht mehr als ein Schreibtisch an der Fensterseite des Großraumbüros, der von Elli Franke verwaltet wurde. Vor gut einem halben Jahr war sie von der Polizeischule gekommen, und eigentlich hätte sie sich erstmal im Streifendienst bewähren sollen. Da sie die Mindestgröße von einsdreiundsechzig gerade so erreichte und zudem sehr zart gebaut war, wäre das schon schwer genug für sie geworden. Zudem war es aber so, dass ihre ohnehin schon üppigen Brüste gerade in der Ausbildungszeit noch einen Wachtumsschub bekommen hatten, und zwar so stark, dass sie nun einer Verwendung im Außendienst im wahrsten Sinne des Wortes im Wege standen.
Zunächst hatte sie noch versucht, normalen Streifendienst zu machen, aber egal bei welchem Einsatz: Überall war die Frau mit der Kinderfigur und dem Superbusen sofort der Blickfang gewesen, und blöde Sprüche hatte sie auch reichlich zu hören bekommen. – Es ging einfach nicht. So konnte sie unmöglich Streife fahren, das hatte sie schließlich selbst eingesehen. Also hatte sie sich bei erster Gelegenheit einen Platz im Innendienst gesichert. Mittlerweile betreute sie Archiv und Recherche des Betrugsdezernats, als sei sie schon seit Jahren dabei.
Fendel mochte Elli, und sie hatte seinen vollen Respekt. Sie war kompetent, hilfsbereit und immer freundlich, was er ihr hoch anrechnete. Schließlich war es ein offenes Geheimnis, dass mache der männlichen Kollegen meinten, sie hinter ihrem Rücken „Titten–Elli“ nennen zu müssen. Das mochte sie zwar verletzen, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Sie trug ihr – wenn man es so nennen wollte – Schicksal mit Würde und vor allem machte sie nicht den Fehler, auf den andere Frauen mit ähnlich großem Busen verfielen: Sie versuchte nicht ihn zu verstecken, indem sie ständig ein wenig vornübergebeugt stand oder ging. Aufrecht, stolz und selbstbewusst bewegte sie sich im Kreis ihrer Kollegen, wohl wissend, dass sie so einige Wünsche in ihnen weckte, aber das war ihr anscheinend egal. Bislang hatte sie noch jedes Angebot, mal zusammen auszugehen, abgelehnt, und das ganze Dezernat meinte auch, den Grund dafür zu kennen: Die Frau auf der Fotografie, die in Silber gerahmt auf ihrem Schreibtisch stand. Als Mutter zu jung und als Schwester zu unähnlich sah sie Elli den ganzen Tag lang aus dem Rahmen heraus mit ernstem, fast strengem Blick an. Wer das nun wirklich war, gab Elli nicht preis, aber dass es da eine starke persönliche Beziehung geben musste, war sonnenklar. Diese Frau bedeutete Elli etwas, und da die Unbekannte sehr hübsch war, vermuteten bald alle, dass die hellblonde Kollegin mit der Kurzhaarfrisur für die Männerwelt ein für alle Mal verloren war.
„Hallo Elli“, grüßte Fendel, als er an ihren Schreibtisch herantrat. „Druckst du mir mal diesen Vorgang aus?“ Er schob ihr den Zettel zu.
„‘n Morgen“, grüßte Elli zurück und schenkte ihm ein kleines Lächeln, das aber sofort erlosch, als sie die Anschrift auf dem Papier sah. „Machst du das?“, wollte sie wissen. „Das ist doch eher was für die Sitte.“
„Überlastet, wie immer. Ich fahr da gleich mal hin, wieso?“
„Ach, nur so“, meinte Elli betont gleichgültig und gab ein paar Daten in den Computer ein. Als sie mit einem letzten Tastenschlag den Befehl dazu gab, fing der Drucker auf dem Beistelltisch sofort an zu arbeiten. Viel war es wirklich nicht. Schon nach zwei Blättern war Schluss. Mehr Erkenntnisse gab es zu der Sache noch nicht.
Fendel musste an den Bericht denken, den er nach seinem Besuch unweigerlich zu schreiben hatte, und verzog das Gesicht. – Der nächste Ausdruck würde schon wesentlich umfangreicher ausfallen. – Danke, Frau Petermann!
Schnell überflog er die Akte, aber sehr ergiebig war sie nicht. Frau Petermann regte sich auf, weil ihrer Meinung nach im Nebenhaus ein Bordell eröffnet hatte. Fremde gingen dort spätabends ein und aus, und zu manchen Zeiten war die Straße mit Fahrzeugen der gehobenen Preisklasse zugeparkt. Außerdem war die Besitzerin des Hauses erst im letzten Jahr neu zugezogen, was sie in den Augen der Frau zusätzlich verdächtig machte. Es war auch schon mal ein Streifenwagen zu der Adresse geschickt worden, aber da alles ruhig gewesen war, hatten die uniformierten Kollegen keinen Anlass gesehen, einzugreifen. – Nachbarschaftsgezänk vom Feinsten. Fendels Urteil stand jetzt schon so gut wie fest.
In der letzten Nacht wollte die Petermann nun Schreie aus dem Haus gehört haben, aber gemeldet hatte sie das erst am Morgen. – Was für ein Blödsinn! Fendel tat es jetzt schon leid um die vergeudete Zeit, aber Job war Job. Wenn sich in so einem Nobelviertel jemand in seiner Ruhe gestört fühlte, dann musste man wenigstens so tun, als würde man sich darum kümmern, sonst war die Sache schneller in der Zeitung als der Polizei lieb sein konnte – von Blogeinträgen und Postings im www. mal ganz abgesehen.
„Danke, Elli! Dann werde ich der Dame mal auf den Zahn fühlen.“ Fendel drehte die Blätter zu einer dünnen Rolle zusammen, klatschte damit leicht auf den Tisch und wollte aufstehen.
„Du, Fendel?“, stoppte Elli ihn.
„Was ist denn?“ Er sah auf die Armbanduhr.
„Das kommt dir jetzt bestimmt komisch vor“ begann Elli leise. „Ich weiß, dass du mich ganz gut leiden kannst ...“
Fendel wollte etwas antworten, aber Elli stoppte ihn mit einer kleinen Handwewegung. „... und ich mag dich auch ganz gern“, fuhr sie fort. „Du bist nicht so eine Sau, wie die da.“ Mit einem leichten Kopfnicken deutete sie auf drei Kollegen, die an einem der Schreibtische zusammenstanden. Er folgte ihrem Blick, und natürlich waren sie alle von der Titten–Elli–Fraktion. „Und?“, wollte er wissen.
„Ich wollte nur, dass du das weißt und auch nicht vergisst.“
Fendel brauchte ein paar Sekunden, bis er sich neu sortiert hatte. „Wirst du mich irgendwann mal aufklären, was das zu bedeuten hat?“
„Das merkst du schon, wenn es so weit ist“, sagte Elli leise. Kann ich mich auf dich verlassen?“ Ihr Blick glitt von Fendel ab und blieb kurz auf dem Bild ihrer Freundin hängen, als würde sie von dort Hilfe erwarten. „Versprich es mir“, forderte sie leise. „Bitte!“
„Ja! Natürlich! Ist okay!“ Im Moment konnte Fendel mit der Situation überhaupt nichts anfangen. „War’s das? Dann zieh ich jetzt los.“
„Viel Erfolg“, wünschte Elli, gab ihm zum Abschied ein Lächeln mit und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
Fendel stand auf und ging quer durch den Raum in Richtung Ausgang.
„Na?“, flachste einer der herumstehenden Kollegen. „Bisschen geflirtet?“
„Haste ‘n Date?“, wollte ein anderer wissen.
„Lässt sie dich mal anfassen?“, legte der Dritte feixend nach.
Fendel zeigte der blöden Bande kurz den Mittelfinger und machte, dass er aus dem Büro kam.