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08 HANNA PETERMANN

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Bin ich nichts und will was sein, so bin ich halt dagegen.

Sie gucken mich an, als sei ich bescheuert!“ Ganz offensichtlich war Frau Petermann mit Fendels Ermittlungseifer überhaupt nicht zufrieden, und gerade war sie kurz davor, die Nerven zu verlieren.

Nachdem er seine Dienstwaffe von zu Hause geholt hatte, war Fendel zu der angegebenen Adresse gefahren und hatte bei der Beschwerdeführerin geklingelt.

Hanna Petermann wohnte allein im ersten Stock eines großzügig angelegten Zweifamilienhauses. Zunächst hatte sie ihn begeistert empfangen, ihn in ihr Wohnzimmer geführt und ihm Kaffe angeboten. Fendel hatte dankend abgelehnt, also hatte sie sich ihm gegenübergesetzt, die Nase zwei Fingerbreit höher gehoben, als es normal gewesen wäre und von sich aus das Gespräch eröffnet: „Schön, dass sich endlich mal jemand um die Sache kümmert. Das geht schließlich schon seit Wochen so.“

„Das Beste wird sein, wenn Sie von Anfang an erzählen“, meinte Fendel mäßig interessiert, und sofort legte sie los:

Unaufgefordert begann sie, Fendel zu erklären, dass es seit einiger Zeit mit dem Wohnviertel hier ständig bergab gehe. Knapp zehn Minuten später hatte sie so ziemlich jeden ihrer Nachbarn bei Fendel angeschwärzt. Da kläffte ein Hund – der von dem Single mit der viel zu jungen Freundin – zu nachtschlafender Zeit, Nachbarins Katzen – von der, die immer nackt auf dem Balkon liegt – räumten im Frühling die Vogelnester aus, und der – wahrscheinlich selbst schwule – Hausbesitzer gegenüber hatte sich sogar erdreistet seine Einliegerwohnung an ein schwules Paar zu vermieten, das mit einem viel zu lauten Auto immer wieder die halbe Straße ...

Als Kriminalhauptkommissar im Betrugsdezernat war Fendel daran gewöhnt, mit Belastungszeugen umzugehen, die sich nicht auf die Sache beschränken konnten, sondern die Gelegenheit gleich für einen Rundumschlag gegen alle und jeden nutzen wollten. Manchmal ließen sich aus solchen Hasstiraden sogar ganz interessante Erkenntnisse gewinnen, also ließ Fendel die Frau reden, obwohl er eigentlich gehofft hatte, der Job könne mit ein paar beruhigenden Worten zu erledigen sein. Da hatte er sich allerdings gründlich getäuscht, das machte Frau Petermann ihm Satz für Satz klar.

Zwar hatte Fendel schon des Öfteren die Erfahrung machen müssen, dass der äußere Schein trog, und dass man von einem modernen Äußeren nicht automatisch auf ebensolche Ansichten schließen konnte. Oftmals verbarg sich hinter so einer Fassade eine Gedankenwelt von erschreckender Hässlichkeit, und der Geist vergangener Jahrhunderte wehte mit jedem einzelnen Satz durch den Raum. Das hier war auch wieder so ein Fall. Was ihm aus dem Mund dieser durchaus attraktiven jungen Frau an Verklemmtheit und Verdächtigungen mit überwiegend sexueller Konnotation entgegenschlug, war schon beachtlich. Er begann sich zu langweilen. Auf dem Tisch vor ihm lagen ein Block, auf dem die Petermann sich einige Notizen gemacht hatte, und ein Kugelschreiber. Er beugte sich vor und richtete beides im exakt rechten Winkel zur Tischkante aus.

Als die Petermann endlich zum Punkt kam, stellte sich heraus, dass im Nachbarhaus junge Frauen ein und aus gingen, die von der Kleidung und der Figur her nicht in diese Gegend passten, dass manchmal teure Limousinen und Sportwagen in der Einfahrt parkten, und dass oft Männer zu Besuch kamen – gutaussehende Männer, und einmal sogar welche mit Sonnenbrillen. Auch war außer dem Gärtner niemals jemand im Garten zu sehen. Frau Petermann fand das alles sehr verdächtig, und Fendel kam immer mehr zu der Überzeugung, dass sie ganz einfach ein bisschen zu oft an gutaussehende Männer mit Sportwagen dachte. – Da drüben war nichts, aber auch gar nichts los, das den Rahmen des Üblichen sprengte.

Endlich kam sie zum Ende, aber es war ihr natürlich nicht verborgen geblieben, dass sie Fendel nicht hatte überzeugen können. Ihrer Meinung nach hätte er wohl gleich Verstärkung anfordern sollen, um das verhasste Nachbarhaus umgehend stürmen zu lassen. „Ich habe auch Beweise!“, kartete sie deshalb mit süffisantem Lächeln nach. „Wollen Sie die sehen, oder interessiert sie das auch nicht?“

„Was sind das für Beweise?“ Fendel war nicht bereit, sich von dieser frustrierten Zicke provozieren zu lassen.

„Fotos!“, trumpfte sie auf, und ihr Gesicht verzog sich zu etwas, das ein Siegerlächeln sein sollte. „Ich habe Bilder! Bilder von jeder Person und von jedem Wagen. Da staunen Sie, was?“

Das tat Fendel allerdings, und er fragte sich, wie weit diese Frau den Wahnsinn noch zu treiben gedachte. Parkende Fahrzeuge hinter dem Vorhang hervor zu fotografieren war schließlich eher das Hobby grenzdebiler Rentner. Ihr, dieser gutaussehenden sportlichen Frau in modischer Jeans und schicker Hemdbluse hätte er das niemals zugetraut. – Man lernt eben nie aus. „Fotos? Kann ich die mal sehen?“

„Natürlich! Dafür habe ich sie ja schließlich gemacht.“ Die Frau nahm ein Tablet vom Tisch und schaltete es an. Ein paar Sekunden lang tippte und wischte sie auf dem Bildschirm herum, stand auf, kam um den Tisch herum und setzte sich dicht neben ihn.

Selten war Fendel die Nähe eines menschlichen Wesens so widerwärtig gewesen. Mochte sie auch noch so hübsch und gepflegt sein: Für ihn war sie innerlich tot und im Zustand fortgeschrittener Verwesung. Irgendwann war aus dem netten kleinen Mädchen, das sie vielleicht mal gewesen war, eine lebende Leiche geworden, die nur noch davon aufrecht gehalten wurde, dass sie anderen Menschen Schwierigkeiten machen konnte.

Sie hielt ihm das Tablet vor die Nase und tippte auf das Display. Dabei war es nicht zu verhindern, dass sie ihn an der Schulter berührte. Das erste Bild erschien und er beugte sich etwas vor. Der Druck an seiner Schulter schwächte sich kurz ab, aber verstärkte sich auch gleich wieder. – Sie kam ihm nach.

„Darf ich mal?“ Er nahm ihr das Gerät einfach aus der Hand und rutschte ein Stück weit zur Seite.

„Also erlauben sie mal!“, kam es in gekränktem Ton von Frau Petermann. Fendel reagierte nicht darauf und sah sich das erste Foto an, das einen Geländewagen am Straßenrand zeigte. „Also ein Benehmen haben Sie!“, empörte sie sich.

„Oh, Entschuldigung.“ Er sah nur kurz zur Seite und rief das nächste Bild auf.

„Gerade von einem Beamten könnte man ja wohl mehr erwarten!“ Sie rückte ein Stück weit von ihm ab.

Zufrieden damit, dass der Körperkontakt unterbrochen war, wischte Fendel völlig ungerührt über das Display und sah sich die Bilder an, ohne auf das langsam verebbende Gezeter zu achten: 7er–BMW – Mann – Porsche Cayenne – Mann – Toyota – Frau – Männer mit Sonnenbrillen – Mercedes S–Klasse – Suzuki Swift – Frau ... Fendel stockte, legte zwei Finger auf das Display und spreizte sie. Das Bild der Frau vergrößerte sich, und plötzlich wurde ihm Einiges klar. Mit einem raschen Blick versicherte er sich, dass seine Gastgeberin mit verkniffenem Gesicht neben ihm saß und starr geradeaus blickte. – Beleidigt! Mitgekriegt hatte sie nichts. Gut so!

„Hören Sie“, begann er. „Können Sie mir die Bilder bitte per Mail zuschicken?“

„Pü!“, kam es spitz zurück. „Ich schicke Ihnen höchstens den Link zu meiner Cloud. Wie rückständig sind Sie eigentlich? Kein Wunder, dass Sie so gut wie nichts aufgeklärt kriegen!“

„Bitte.“ Fendel gab ihr das Tablet zurück. Sie riss es ihm förmlich aus der Hand. „Adresse?“

Fendel gab ihr die Adresse seines Dienst–Accounts und Sekunden später war der Link schon unterwegs. – Segen der Langeweile. Hatte man reichlich Zeit dafür, lernte man wenigstens mit Computern umzugehen.

Plötzlich drehte Frau Petermann Fendel das Gesicht zu. „Sie gucken mich an, als sei ich bescheuert!“, stellte sie mit lauerndem Unterton fest. Ihre Augen wirkten hart und tot wie graugrüne Kiesel, die Sehnen am Hals zeichneten sich unter der Haut deutlich ab, und ihre Unterlippe vibrierte leicht. Da stand eine ganz üble Explosion unmittelbar bevor. – Höchste Zeit zu gehen.

„Jaa, dann möchte ich mich bei Ihnen bedanken, Frau Petermann.“ Fendel erhob sich. „Sie haben uns wirklich sehr geholfen, und wir werden uns weiter um die Sache kümmern.“

„Dann tun Sie das auch“, kam es schnippisch von der Couch zurück. So schnell war Hanna Petermann nicht zu besänftigen. Fendel konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken. Den Weg zur Tür fand er alleine.

Im Vorgarten stand ein älterer Mann im Blumenbeet, der mit einer langstieligen Hacke lustlos in der schwarzen Erde herumkratzte. – Vermutlich der Stadtrat. Als er Fendel kommen hörte, richtete er sich auf. „Alles in Ordnung?“, fragte er.

Fendel blieb stehen. „Warum nicht?“

„Sie waren bei meiner Tochter“, sagte der Alte, als sei das Antwort genug.

Fendel nickte.

„Sie ist krank“, fuhr der Alte fort. „Die Nerven.“

„Ich weiß“, sagte Fendel und wollte weitergehen, aber gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass der Alte so eine ruppige Behandlung nicht verdient hatte. Vermutlich konnte er ja nichts dafür, dass seine Tochter so geworden war. „Das tut mir leid“, schob er deswegen schnell nach.

Der Alte warf Fendel einen traurigen Blick zu und hob in einer Geste der Ratlosigkeit die Schultern.

„Auf Wiedersehen.“ Fendel wandte sich endgültig ab. Als der leise Gruß des Alten ihn erreichte hob er im Gehen kurz die Hand. – Er hatte seit einigen Minuten ein ziemlich schlechtes Gefühl bei der Sache. Auch wenn der Besuch ein Flop gewesen war, hatte Fendel doch mehr erfahren, als er eigentlich hatte wissen wollen. – Was für ein elender Scheiß! Erstens gab es eindeutig zu viele Verrückte auf der Welt, und zweitens war er gar nicht sicher, dass er die Teile des Puzzles auch zusammensetzen wollte, das er gerade erkannt hatte.

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