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I. Einleitung 1. Internationale Ordnung und Globalgeschichte

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Die Welt der Gegenwart zeichnet sich durch ein dichtes Netz von globalen, grenzübergreifenden Aktivitäten aus, zu denen die ungeheure Zahl von über 61.100 internationalen Organisationen ebenso beiträgt wie die Veranstaltung internationaler Konferenzen und Kongresse. Der stolze Hinweis auf die Partizipation an internationalen Organisationen gehört zur Selbstdarstellung moderner Außenministerien, und das politische Potenzial von Nichtregierungsorganisationen in der ganzen Breite zwischen WEF-Gegnerschaft und Olympischen Spielen prägt das heutige Verständnis von Internationalität. Angesichts dieser vielfältigen und weltumspannenden Netzwerke ist die Anzahl der derzeit 193 von der UNO anerkannten souveränen Staaten lächerlich gering – und dennoch gibt es keinen Grund, von einem Ende des Nationalstaates zu sprechen.

In diesem Spannungsfeld zwischen Grenzüberscheitung und nationaler Abgrenzung hat sich ein eigenständiges Forschungsgebiet entwickelt, dessen intellektuelle Brisanz sich im angelsächsischen Sprachraum hinter einem fehlenden Plural versteckt: „international organisation“. Dieses Forschungsgebiet setzt sich auch mit internationalen Organisationen auseinander – weit mehr aber mit den Grundsätzen der internationalen Organisation, der internationalen Ordnung. Von zunehmender Bedeutung sind globale Steuerungsmechanismen, die als Global Governance Globalisierungsprozesse zu verstehen helfen. Als Entwicklung internationaler Ordnungsvorstellungen verstanden, ist Internationale Organisation ein Spezialgebiet des Faches Internationale Beziehungen und damit keine historische, sondern eine politikwissenschaftliche Disziplin. Warum also sollten sich Historiker und Historikerinnen mit internationaler Organisation auseinandersetzen? Welcher Erkenntnisgewinn ist zu erwarten und wie unterscheidet sich eine historische Analyse von der reichhaltigen sozialwissenschaftlichen Literatur?

Zum einen ist eine Geschichte der internationalen Ordnung als mögliches Kernthema einer derzeit diskutierten, zeitgemäßen Globalgeschichte geeignet. Zum anderen bieten Überlegungen zur historischen Entwicklung der internationalen Ordnung einen geeigneten Einstieg zur Frage, wie eine moderne Geschichtswissenschaft Globalisierungsprozesse thematisiert und sich dabei mit ihrer eigenen (nationalen) Vergangenheit auseinandersetzt.

Geschichte der Grenzüberschreitungen

Die vielseitig vernetzte Welt der Gegenwart sucht ihre Herkunft in einer Globalgeschichte, die sich deutlich von einer Weltgeschichte imperialistischer Eroberung und einer eurozentrischen Universalgeschichte unterscheidet. Die Geschichtswissenschaft ist als akademische Disziplin im 19. Jahrhundert entstanden und hat lange die Geschichte der (europäischen) Nationen erzählt, als identitätsbildende Nationalgeschichte ebenso wie als Prognose, dass mit der imperialistischen Expansion der Nationalstaaten das letzte Stadium des Kapitalismus ausgebrochen sei. Kein Historiker wird daran zweifeln, dass die Schaffung des Nationalstaates die Neuzeit prägt – aber zusehends setzt sich die Vorstellung durch, dass die begrenzte Ordnung der Nation schon allein unter dem Druck weltwirtschaftlicher Verflechtung zwangsläufig eine Vervielfältigung von Grenzüberschreitungen nach sich zieht. Christopher Bayly schlägt eine Globalgeschichte vor, die statt der einen, an Europa gemessenen fortschrittgerichteten Erfolgsgeschichte ein polyzentrisches Entwicklungsmodell aufzeigen soll, geprägt von der Gleichzeitigkeit grenzüberschreitender Vernetzung und nationaler Abgrenzung. Andere Historiker und Historikerinnen sind dabei, die Lektion der postkolonialen Debatten zu lernen und verstehen Geschichte als „entangled“ oder „shared histories“, als „histoire croisée“ und „connected history“. In diesen Debatten hat seit dem Ende des Kalten Kriegs ein langer Abschied von der Vorstellung der Universalgeschichte des 19. Jahrhunderts begonnen. Was bleibt, ist eine Geschichtsschreibung, die ihre eigenen Ordnungsvorstellungen kritisch reflektiert und immer wieder die Frage stellt, was denn geschichtlich bedeutsam wird, was verloren und vergessen geht, wie unterschiedliche ‚Geschichtlichkeiten‘ miteinander konkurrieren, welche Geschichten sich Gesellschaften und Kulturen erfinden. Solche Überlegungen mögen abstrakt erscheinen, sind aber die unabdingbare Voraussetzung, um internationale Organisation als historischen Prozess fassen zu können. Der Gegensatz zwischen Weltgeschichte und neuer Globalgeschichte lässt sich am wandelnden Verständnis ihres Kernbegriffs deutlich machen: Die wissenschaftliche Einführung des Begriffs „internationale Organisation“ wird dem schottischen Völkerrechtler James Lorimer (1818–1890) zugeschrieben. Lorimer betonte allerdings mit dieser Begriffsprägung weniger die Kooperation, sondern die Differenz zwischen unabhängigen Staaten. Was zwischen – inter – Nationen passiert, ist in der Vorstellung Lorimers ein durch das Völkerrecht geregelter und durch die Diplomatie formalisierter Spezialfall und im Übrigen ein politisches Feld, das exklusiv von den souveränen Staaten des christlichen Abendlandes zu beanspruchen sei – unter Ausschluss von so genannten ‚unzivilisierten‘ und ‚barbarischen‘ Staaten.

Internationale Organisationen seit 1865.

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