Читать книгу Damian - Falsche Hoffnung - Madlen Schaffhauser - Страница 9
5.
ОглавлениеSeit zwei Tagen habe ich ihn nicht mehr gesehen. Scheinbar gehen wir uns beide gezielt aus dem Weg. In den letzten achtundvierzig Stunden habe ich absichtlich die obere Etage gemieden. Sogar Rose habe ich kein einziges Mal besucht, nur um ja nicht in die Gefahr zu geraten, ihm zu begegnen.
So wie ich mich von seinem Stockwerk fernhalte, genauso drückt er sich von den unteren Räumlichkeiten. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber normalerweise lässt er sich jeden Tag bei seinen Mitarbeitern blicken und fragt sie nach ihrem Wohlbefinden, was er in den letzten Tagen nicht gemacht hat. Oder hat er nur mein Büro ausgelassen?
Doch nun ist der Augenblick gekommen, an dem ich mich nicht mehr vor einem Treffen mit meinem Chef drücken kann. Schon seit über einer Stunde schiebe ich es vor mich hin. Mira fragt sich bestimmt schon, warum ich immer wieder zur Tür blicke und nervös mit den Unterlagen spiele, die auf meinem Tisch liegen. Wahrscheinlich hat sie schon in den vergangenen Tagen bemerkt, dass ich etwas neben meiner Spur bin. Aber sie hat mit keiner Silbe meine Laune kommentiert. Sie hat schnell begriffen, wie sie mich behandeln muss, damit wir ohne Probleme miteinander auskommen und dafür bin ich ihr sehr dankbar.
„Nimm deine Sachen und geh endlich nach oben. Du machst mich allmählich ganz irre mit deinem ticken.“
Mir war gar nicht bewusst, dass ich ständig mit den Fingern auf die Holzplatte klopfe. „Tut mir leid.“
„Er wird schon nicht gleich über dich herfallen.“
Wenn sie wüsste, wie treffend ihre Aussage ist. Nur dass ich es bin, die sich wünscht, er würde sich auf mich stürzen, es aber leider nicht geschehen wird. „Ist er überhaupt hier?“
„Ich habe ihn vorhin gesehen.“
Der Gedanke, dass er mich bewusst meidet, rührt etwas in meinem Innersten, was ich nicht richtig verstehen kann, aber es tut weh.
Mira lächelt mir hoffnungsvoll zu, als ich die Papiere in die Hand nehme und trete in den Flur hinaustrete.
Ich umklammere fest die Unterlagen, damit man das Zittern in meinen Händen nicht sieht, während ich auf seine Assistentin zugehe. Umso näher ich seinem Büro komme, umso schwächer fühlt sich mein Körper an.
Rose ist wie immer makellos gekleidet und ihre roten Haare sitzen perfekt. Als sie mich sieht, wandern ihre Mundwinkel nach oben. Doch fast im selben Moment huscht ein fragender Ausdruck über ihr Gesicht. „Hallo Jessica.“ sagt sie fröhlich, aber der kummervolle Unterton in ihrer Stimme entgeht mir nicht.
Was ist passiert? Hat Damian von unserem gemeinsamen Nachmittag erzählt? Nein, das kann es nicht sein. Er ist der, der unser Treffen verschweigen möchte. Allerdings...
„Schön dich wieder einmal zu sehen.“ unterbricht Rose meinen abschweifenden Gedankengang. „Warum hast du dich nicht blicken lassen?“
„Ich kam nicht weg. Tut mir leid.“ Sofort schleicht sich ein schlechtes Gewissen in mein Bewusstsein, weil ich die ältere Dame, die immer herzlich nett zu mir ist, belüge.
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und lächelt mich an. „Ist schon gut. Ich hätte mich ja auch mal unten blicken lassen können. Was kann ich für dich tun?“
Ich habe Mühe den eigentlichen Grund, warum ich Damian aufsuche, vor Augen zu halten. Meine Gedanken schweifen ständig an den vergangenen Sonntagnachmittag zurück, so wie so oft in den letzten Tagen. „Ist Dam..., äh ich meine Mr. Meyer da?“ verlegen sehe ich zu Boden. Beinahe habe ich seinen Vornamen ausgesprochen und sicherlich ist ihr das nicht entgangen.
Sie sieht mich nachdenklich an. Was mag wohl in ihrem Kopf vorgehen? Ich würde sie gerne danach fragen, doch in dem Moment geht eine Tür auf.
„Miss Weber.“ Wie angewurzelt bleibt Damian stehen und betrachtet mich mit seinen braunen Augen, die mich sofort in seinen Bann ziehen. „Was führt Sie hierher.“
Ich mache den Mund auf und wieder zu, ohne ein Wort herausgebracht zu haben. Oh Gott, er spricht mich mit Sie an. Er hat damals das Du angeboten, nicht ich. Warum plötzlich so unpersönlich?
„Mr. Meyer. Ich möchte gerne etwas mit Ihnen besprechen.“ Meine Stimme klingt sehr gefasst, was mich selbst ziemlich überrascht, denn in meinem Inneren zerbröckelt soeben etwas und es hinterlässt einen unwillkommenen Schmerz in meiner Brust. „Haben Sie Zeit für mich?“
„Warum wenden Sie sich nicht an Mr. Baker?“ Er geht zu Rose, die uns genauestens beobachtet, was mir sehr unangenehm ist und legt seine Dokumente auf ihren Tisch.
„Er ist nicht da.“
„Kann es nicht bis morgen warten?“
„Ich denke nicht.“ Ich hole kurz tief Luft. „Aber ich möchte nicht Ihre Zeit verschwenden, Mr. Meyer.“ Meine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen.“ Soll er doch sehen, wo der Pfeffer wächst.
Noch bevor ich mich vollständig umgedreht habe, erklingt sein Bariton klar und kräftig. „Kommen Sie in mein Büro.“
Ich riskiere einen Blick über die Schulter und erschrecke beinahe, als ich in seine gefährlich dunkel funkelnden Augen sehe. Bin ich etwa zu weit gegangen? Mit zittrigen Beinen folge ich ihm in sein Büro. Sobald ich durch die Tür bin, schliesst er sie leise, aber bestimmt hinter sich. Ich kann seine Nähe förmlich spüren und den Duft seines Aftershaves riechen, der mir schwach in die Nase steigt und der meine Erinnerungen an unseren gemeinsamen Nachmittag noch mehr anstachelt.
„Was sollte das?“ fragt er mich in einem beunruhigend sanften Ton, als er sich hinter seinen Schreibtisch begibt.
„Ich...“ aufgewühlt stehe ich ihm gegenüber. Mein Blick schweift in seinem Büro umher, nur nicht zu ihm. Dafür fühle ich mich nicht stark genug. „Ehrlich... Ich...“ Trotzig drehe ich mein Kopf in seine Richtung und sehe ihn unverwandt an. „Ich dachte wir sagen du zueinander.“
„Das machen wir auch.“
„Und warum hast du mich dann eben noch mit Miss Weber angesprochen und nicht mit meinem Vornamen?“
„Ich möchte es nicht vor meinen Angestellten.“ Sein Blick weicht nicht von meinem.
„Wann dann? Mit Rose bist du ebenfalls per du und bei ihr spielt es keine Rolle?“
„Sei nicht albern.“ Ich erkenne seine innere Anspannung. Wie er tief Luft in seine Lunge zieht und eine plausible Erklärung sucht. „Ich kenne Sie schon etliche Jahre. Bei ihr ist es etwas völlig anderes.“
„Ach ja?“
„Niemand schert sich darum, wenn ich sie mit Rose anspreche. Wohingegen bei uns...“ Wenn ich nicht genau hingesehen hätte, wäre mir der traurige Ausdruck, der über sein Gesicht huschte verborgen geblieben.
„Uns würde man sofort eine Affäre nachstellen. Nicht wahr?“
„Ja, so in der Art.“ Betrübt sieht er weg.
„Seit wann scherst du dich darum, was deine Mitarbeiter denken? Du bist ihr Chef. So hast du es mir schliesslich erklärt.“ Nicht nur er, sondern auch ich kämpfe verzweifelt gegen die innere Wut an, die sich immer mehr an die Oberfläche drängt. „Wen willst du mehr beschützen? Mich oder doch vielleicht dich? Und abgesehen von alledem haben wir ja gar nichts miteinander. Es ist nichts vorgefallen und es wird auch nichts geschehen. Ich bin nur eine deiner vielen Angestellten. Aber ich dachte, dass wir uns gut verstehen würden.“
Seine Hände sind zu Fäusten geballt, die Zähne fest zusammengebissen. „Es war also nichts?“ Er kommt um seinen Tisch und bleibt weniger als einen Meter vor mir stehen. Seine Miene ist unerbittlich. „Es wird nichts passieren?“
Unfähig meinen Kopf hin und her zu bewegen, starre ich weiterhin in seine immer noch gefährlich fast schwarz gefärbten Augen. Mein Herz schlägt hart gegen meinen Brustkorb, als er einen weiteren Schritt auf mich zumacht.
„Und du möchtest nicht, dass wir uns nochmals so nahe kommen, wie am See?“ Wieder einen Schritt.
Nur noch wenige Zentimeter trennen mich von ihm. „Ich...“
Meine Worte ersticken in meiner Kehle, als sich seine weichen Lippen auf meine legen. Automatisch erwidere ich seinen sanften Kuss und öffne bereitwillig meinen Mund, um seiner Zunge Einlass zu gewähren. Ein leiser, wohliger Seufzer entweicht mir, als sich unsere Zungen berühren. Damian legt seine Hände um meine Taille und zieht mich sogleich fest an sich. Ich kann seine harten Muskeln unter meinen Fingern spüren, die an seinen Oberarmen Richtung Brust wandern. Er ist gut gebaut. Ziemlich sportlich, was ich sehr anziehend finde.
Seine Hände fahren über meinen Rücken. Sanft, aber mit einem gewissen Begehren. Mir fallen genug Gründen ein, warum ich mich von ihm lösen und das Weite suchen sollte. Aber meine Lust und meine Sehnsucht nach ihm sind stärker, als jedes noch so vernünftige Argument und lassen meine Selbstbeherrschung in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus.
Ich ziehe seinen verführerischen Duft in meine Nase, als er mir mit seinem Mund leichte Küsse auf meinen Hals haucht und neige meinen Kopf etwas zur Seite, damit er besser meine nackte Haut mit seinen Lippen berühren kann. Meine Augen halte ich geschlossen, während ich in seine Arme sinke und mich ihm völlig hingebe. Seine Hände fahren an den Rundungen meiner Brüste vorbei, hinauf zu meinen Schultern, wo sie kurz innehalten, um sich dann wieder vorsichtig meinem Busen zu nähern.
Mein Verlangen nach ihm steigt schier ins Unermessliche. Ich möchte ihn überall berühren, küssen und halten, aber die Angst vor seiner möglichen Reaktion lässt mich zurückhalten. Statt meine Hände in sein Haar zu vergraben und über seine Brust zu fahren, bleiben sie steif auf seinen Oberarmen liegen.
Wieder wandern seine Finger gefährlich nah an meinen Brüsten vorbei, wobei mir ein leises Stöhnen aus dem Mund kommt und die Stille im Büro durchdringt.
Ich sollte das hier sofort beenden, nur arbeitet mein Verstand gegen mich und überlässt mich vollkommen alleine meinem Schicksal. Sein Mund fährt weiter meine nackte Haut hinab und liebkost dabei mit federleichten Küssen mein Schlüsselbein.
„Wenn du mich nicht gleich aufhältst, kann ich für nichts mehr garantieren.“ Seine Stimme ist rauchig und sein Atem geht schwer.
Ich vergrabe meine Fingernägel in seinen muskulösen Oberarmen. „Wenn du das hier so sehr wünschst, wie ich, warum bist du mir dann aus dem Weg gegangen?“ frage ich ihn flüsternd in sein Ohr.
Seine Hände, die gerade noch liebevoll über meine Brüste gestrichen sind, bleiben wie erstarrt auf meiner Taille liegen. Sein Mund hört augenblicklich auf mich mit seinen warmen Küssen zu verwöhnen. Noch bevor er sich wirklich von mir löst, vermisse ich schon seine unwiderstehliche Wärme. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten. Dann würde ich noch immer von ihm gehalten werden und wir würden immer noch Zärtlichkeiten austauschen. Aber ich musste mal wieder alles zerstören.
Damian schiebt mich etwas von sich, lässt aber seine Hände immer noch an meiner Körpermitte liegen. „Ich mag dich, Jessica.“ Er sieht mich entschieden an. In seinen Augen ist nach wie vor ein Funke der Begierde zu erkennen, nur weicht es immer mehr einer Resignation, die mir nicht gefällt, aber richtig erscheinen sollte.
Ich schlucke einen schweren Klumpen der Enttäuschung herunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. „Warum hörst du auf?“
„Oh Mann, Jessica.“ Er atmet tief ein und legt seine Stirn an meine. „Wir dürfen das nicht tun.“ Langsam löst er sich von mir. „Es tut mir leid.“
„Eben gerade hast du gesagt, dass du mich magst.“
„Genau deshalb dürfen wir es nie wieder soweit kommen lassen.“
„Das ergibt keinen Sinn für mich.“ Verwirrt starre ich auf seinen Rücken, während er weiter von mir flieht.
Er bleibt vor seinem Pult stehen und dreht sich zu mir um. Seine Schultern sind angespannt, sowie seine Gesichtszüge. „Ich bin nicht der Richtige für dich.“
Ich habe das Gefühl, als würde ich eben das Gleichgewicht verlieren. Seine Worte treffen mich mehr, als es sollte. Ich blinzle die aufkommenden Tränen weg, aber ich tue ihm nicht den Gefallen, indem ich ihm jetzt eine Szene mache. Ich werde nicht wie eine Furie auf ihn losgehen und ihn auch nicht beschuldigen, er hätte mich verführt oder hätte seinen Spass gehabt. Nein, ich werde nichts dergleichen unternehmen, obwohl ich mich völlig verloren fühle, weil er mich so einfach abserviert. Ich blicke ihn an und sehe meinen Chef. Jedenfalls ist es das, was ich wie ein Mantra in meinem Kopf aufsage und versuche meinen Worten zu glauben. Ich sollte ihn als nichts anderes ansehen, als der Eigentümer dieser Firma. Ein mächtiger Mann Londons. Mein Chef.
„Ich lasse die Unterlagen da. Du kannst sie durchsehen oder auch nicht. Schliesslich handelt es sich um dein Geschäft und du bist der Boss. Ich wollte dich nur über ein paar Unstimmigkeiten in Kenntnis setzen. Über Buchungen, die für mich nicht nachvollziehbar sind.“ Obwohl meine Knie drohen einzuknicken, gehe ich mit festen Schritten auf die Tür zu. Ich muss schleunigst aus diesem Raum, bevor ich noch vor Damian zusammenbreche.
„Jessica.“
Ich drehe mich nicht um, sondern starre auf den verchromten Türgriff, den ich bereits mit meiner Hand umschlossen halte.
„Ist alles in Ordnung zwischen uns?“ Er klingt sanft und einfühlsam, was mein Herz nur noch mehr zerreisst.
„Ja.“ Mehr bringe ich nicht heraus, ohne dass meine Stimme zu beben beginnt und ihm verraten würde, wie ich wirklich empfinde.
„Sieh mich bitte an.“ fordert er mich auf. Doch diesen Gefallen tue ich ihm nicht.
„Es tut mir leid, dass ich dich bei der Arbeit gestört habe.“ Ich öffne die Tür, um gleich darauf fluchtartig aus diesem Raum zu stürmen und bete zu Gott, dass ich nicht auf den Fahrstuhl warten muss.
„Trinkst du noch einen Kaffee mit mir?“
Ich habe schon befürchtet, dass sie sich noch mit mir unterhalten möchte, sobald ich aus Damians Büro trete. Aber ich möchte nicht länger auf diesem Stockwerk bleiben. Ich möchte nicht weiter in seiner Nähe sein und Gefahr laufen, ihm in den nächsten Minuten nochmals unter die Augen zu treten. Ausserdem brauche ich nicht, dass Rose Zeugin meines emotionalen Zusammenbruchs wird. Ich muss hier weg und verfluche den Aufzug, weil er mich im Stich lässt.
„Tut mir leid, Rose. Ein andermal.“ rufe ich ihr über die Schulter zu. „Ich muss dringend nach unten.“
Ich atme tief ein und aus, als ich endlich alleine im kühlen, grauen Kasten stehe und nach unten fahre. Angespannt versuche ich mich von dem Dämpfer zu erholen, der mir Damian soeben verabreicht hat. Wie konnte ich auch nur annehmen, dass ich ihm mehr bedeuten könnte, als die anderen seiner Angestellten? Warum um alles in der Welt musste ich mich in ihn verlieben? Oh Gott. Diese Erkenntnis lässt mein Blut in den Adern gefrieren und halte eine Hand vor meinen Mund, um nicht laut herauszuschreien. Wie konnte mir das nur passieren? Ich hatte mir geschworen, mich nicht mehr auf einen Mann einzulassen. Sicher in nächster Zukunf nicht. Und dann muss ich ausgerechnet eine Schwäche für meinen Chef entwickeln. Genau für den Mann, dem alle Frauen zu Füssen liegen.
Warum muss das mir widerfahren? Ich würde mich gerne ohrfeigen und mir die Haare raufen, wenn ich damit bewirken könnte, mich von meinem jämmerlichen Kummer befreien zu können. Stattdessen schüttle ich schwermütig den Kopf.
Während ich Miras und meinem Büro nähere, weiss ich was ich tun werde. Zwar ist es feige, aber es erscheint mir im Moment als das einzig Richtige.
„Hey Mira. Kannst du mich bei Mr. Baker krank melden?“
Mira hebt verwundert den Kopf von ihren Papieren. „Na klar. Was hast du denn?“
„Nur eine kleine Magenverstimmung. Ich werde mich zu Hause etwas hinlegen. Morgen wird es mir bestimmt wieder besser gehen.“