Читать книгу Dein Baby zeigt Dir den Weg - Magda Gerber - Страница 8
ОглавлениеVorbemerkung der Autorin
Ich erinnere mich immer noch an meine erste Reaktion nach der Geburt meiner Tochter. Ich war erstaunt, wie schwer es war, Mutter zu sein. Ich war wütend. Warum hatte mich niemand hierauf vorbereitet? Ich hatte das Gefühl, die einzige zu sein, die nicht weiss, wie sie mit einem Baby umgehen soll, und irgendwie hatte man bei meiner Erziehung vergessen, es mir zu sagen. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Elternsein ist eine äußerst schwierige Aufgabe, auf die man sich nicht wirklich vorbereiten kann. Können wir sie leichter machen? Meine Antwort lautet Ja.
Wie? – indem wir nicht versuchen, das Unmögliche zu tun, und dabei das versäumen, was auf der Hand liegt.
Erfreuen Sie sich mehr an Ihrem Baby, arbeiten Sie weniger
Beim RIE (Abkürzung des Institutsnamens: Resources for Infant Educarers) fordern wir Eltern dazu auf, sich in Ruhe und gelassen ihrem Baby zuzuwenden, ihm zuzuschauen und sich an dem zu freuen, was das Baby gerade tut, und dabei neue Fähigkeiten wahrzunehmen und sich daran zu freuen, wie es sich auf natürliche Weise entwickelt.
Die Aufgabe der Eltern besteht darin, für eine sichere und zuverlässige Umgebung zu sorgen. Sie müssen ein Gespür für die sich verändernden Bedürfnisse ihres Kindes entwickeln; das Kind muss ihre fürsorgliche Präsenz spüren. Aber sie müssen ihm nichts beibringen. Sie brauchen nicht mehr Dinge zu kaufen. Die Eltern und ihr Kind können einfach da sein und sich aneinander freuen, während sich ihre Beziehung entwickelt.
Das Irreführende daran ist, dass es so leicht klingt. Aber das ist es nicht, und zwar weil wir in unserer Gesellschaft mit Botschaften bombardiert werden, die uns dazu auffordern, dieses zu kaufen und den Kindern jenes beizubringen.
Wie beeindruckend eine Philosophie der Kleinkinderziehung klingen mag, sie in Situationen des Alltags anzuwenden ist etwas völlig anderes. Es fällt schwer zu glauben, dass man zu besseren Eltern werden kann, indem man einfach nur dasitzt und schaut. Unser Motto ist jedoch: „Beobachte mehr, tue weniger.“ Wenn wir Eltern dazu auffordern, diese andere Art Eltern zu sein anzunehmen, verlangen wir eine Menge.
Wenn ich Eltern berate, dann beziehe ich Prinzipien ein, die von Frau Dr. Emmi Pikler angewendet wurden, neben solchen, die ich selbst entwickelt habe. Ich gebe Information und Eltern nehmen sie an, wenn sie dazu bereit sind. Ich gebe mein Wissen und meine Erfahrungen in der Hoffnung weiter, dass Sie vielleicht versuchen werden, ein paar dieser Ideen umzusetzen, und dass Sie es auch dann weiter versuchen werden, wenn der neue Ansatz nicht sofort zu wunderbaren Ergebnissen führt (obwohl es das manchmal gibt).
Verstehen, Einsicht, Langzeitlernen
Beim RIE sähen wir gerne Samen. Wir möchten eine Orientierung anbieten, wie Sie durch die vielen sich widersprechenden und verwirrenden Ratschläge, die auf Sie als Eltern zukommen, durchfinden können; wie es ist, mit einem Neugeborenen zu leben; wie Sie ihre räumliche Umgebung vorbereiten können, was Sie kaufen sollten und was Sie nicht unbedingt kaufen sollten. Wir sprechen darüber, was man von einem Neugeborenen und einem Säugling erwarten kann und wie das Unmögliche möglich werden kann: auf die Bedürfnisse eines Neugeborenen einzugehen, ohne dass Sie sich selbst dabei vollkommen verausgaben. Wir schauen darauf, wie man einen Dialog entwickeln kann; wie man auf ein schreiendes Baby eingehen kann, auf Ihre Rolle, die Rolle des Babys usw. Wir helfen Eltern zu verstehen, wie ein Baby lernt zu vertrauen, wie es Fertigkeiten und Kompetenzen entwickelt und wie man die Eigenschaften kennen lernt, die bei jedem Baby einzigartig sind. Wir sprechen darüber, wie Sie Ihrem Baby Ihre Erwartungen mitteilen können, und auch darüber, worin diese Erwartungen, offene und verdeckte, bestehen. Zusammenfassend gesagt, pflanzen wir „Samen dafür, dass Eltern Vertrauen haben“.
Mein Ziel ist, dass Sie wirklich verstehen, was ich meine. Dann können Sie annehmen, was Ihnen gefällt, und ablehnen, was Ihnen nicht gefällt. Aber das ist genau das, was so schwierig ist, das Verstehen.
Es ist leicht, Rat zu geben, aber wenn guter Rat funktionieren würde, dann wären wir alle vollkommen. Ich erwarte nicht, dass Sie oder andere Eltern übermenschlich sind. Ich hoffe einfach, dass die Prinzipien des RIE langsam zu einem Teil Ihres Bewusstseins, Ihres Denkens und Ihres Handelns werden und dass sie Ihnen schließlich, wenn Sie sie sich wirklich zu Eigen gemacht haben, als Ihre eigenen inneren Maßstäbe dienen werden. Diese inneren Maßstäbe können Sie immer dann, wenn Sie in ungeeignete oder alte Verhaltensweisen geraten, sanft daran erinnern, es „noch einmal zu versuchen“, was bedeutet, das nächste Mal mit ein wenig mehr Geduld, Einfühlung und Empfindsamkeit anwesend zu sein.
Was wir zu vermitteln versuchen, ist die Qualität der Erfahrung – eine Art, in Beziehung zu treten, die in allen Altersstufen von Nutzen sein kann. Auf lange Sicht ist es unser Ziel, Eltern dabei zu unterstützen, dass sie lernen, mit ihren Säuglingen und später mit ihren älteren Kindern zu leben und sie leben zu lassen. Eine solche Einsicht kann nicht „gelehrt“ werden. Langzeitlernen ist ein langsamer Prozess. Er muss sich auf eine organische Weise einstellen – es braucht Zeit, in der die Samen unseres Verstehens sprießen, wachsen, blühen und Früchte tragen können.
Und besonders für Eltern, die ein Kind erwarten, möchte ich hinzufügen: Ich bin mir bewusst, dass Sie jetzt mit der Geburt Ihres Babys beschäftigt sind, und alles, was danach kommt, Ihnen vielleicht fern und unerreichbar erscheint. Dies ist jedoch die ideale Zeit, um sich mit einigen grundlegenden Ideen des RIE vertraut zu machen. Wenn Sie Eltern fragen würden, die erst später von dem Ansatz des RIE erfahren haben, dann würden sie Ihnen sagen, wie viel leichter es ist, gute Gewohnheiten von Anfang an zu entwickeln, als später „ungeeignete“ Gewohnheiten aufzulösen und zu verändern.
Kleinkinder mit neuen Augen sehen
Obwohl es viele Organisationen, Kurse und Veröffentlichungen gibt, die die Erziehung von Kleinkindern verbessern wollen, glauben wir, dass sich die Art und Weise, wie wir am RIE das Kind sehen, von ihnen unterscheidet.
Ich hoffe, dass Eltern, die dieses Buch lesen, diese Unterschiede wertschätzen, wenn sie sehen, wie Kinder sich entwickeln und lernen, wenn sie sich ihrem eigenen Rhythmus entsprechend und auf ihre eigene Weise bewegen dürfen. Ich hoffe, dass Eltern den Glauben aufgeben, dass ihre Kinder motorische Fertigkeiten nicht früh genug oder nicht gut genug entwickeln, wenn sie ihnen nicht helfen oder sie sie ihnen nicht beibringen. Ich hoffe, Eltern werden lernen, sich in Ruhe ihrem Baby zuzuwenden und ihm zuzuschauen, und sich daran freuen, wenn sie sehen, wie dauernd neue Wunder geschehen. Ich hoffe Kinder werden mit weniger Angst, mit mehr Selbstvertrauen und in größerer Sicherheit aufwachsen.
Wenn etwas von dieser Angst, der Wut und der Frustration vermieden werden könnte, könnte sich das vielleicht auf unsere von Angst und Aggressivität geprägte Gesellschaft auswirken? Hoffen wir das!