Читать книгу Ein gutes Verbrechen - Magdalena Jagelke - Страница 10

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Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich an die Hunde. An den Mond, an die Milch, die glühende Sonne und schreiende Blätter, an die Banknoten, die Mutter mir schickte, und an Mutters Lied. Jene Musik in meinem Kopf.

Steckte Mutter früher ihr Haar hoch, war ihre weiche Haut besser sichtbar. In ihrem Gesicht steckten grüne Augen, die Männer starrten sie an, pfiffen ihr hinterher.

Schneite es, zog sie mich zu sich auf den Schoß, und wir hockten am Fenster, vor dem die Flocken tobten. Mutter erzählte von dem Tag meiner Geburt, dass sie unter Schmerzen einen Sturm beobachtete und dass sie mir, als ich schließlich auf ihrer Brust lag, vorsang. Und dass sie an Gott dachte, während sie so sang.


Mutters Mutter besuchte uns manchmal. Sie legte nie ihre Jacke ab. Unter der Jacke versteckte sich ihr Seelentier. Ich fürchtete mich vor diesem Tier.

Großmutter war ein Tier.

Vater ist Soldat, von ihm lernte ich, wie man schlaffe Säcke boxt. Er scheuchte mich durch das Haus. Mach dies, Tara, hol das.

Mutter kochte selten und nahm mich kaum in den Arm. Sie tanzte auf den Illustrierten, die für Hausfrauen gedruckt werden. Erst verließ sie Vater und später mich, sie sagte:

»Du bist alt genug«,

griff nach ihrem Mantel und ging einfach aus der Tür.

Dass dies das Beste gewesen sein soll, was sie mir antun konnte, erfuhr ich erst später. Anfangs war ich wie taub. Ich lief von einer Ecke zur anderen, weinte im Zimmer, mit dem Regen, der vor den Fenstern lärmte, ging wie auf Scherben, zog die Vorhänge auseinander, und der Mond fiel über mich herein mit all seinen dummen Mysterien. Dem Mond beichtete ich meinen Kummer. Zum Trost drückte der Mond mich mit seinem Glanz. Doch konnte ich nicht aufhören zu weinen, wollte nachts nicht schlafen. Tag und Nacht vermischten sich, und ich saß im Zwielicht vor einer Packung Rasierklingen. So stellte ich mir den Tod vor. Etwas, das einen aus dem Vorher in ein Nachher reißt.

Ich sah meine Seele sterben, doch Engel bastelten mir schon eine neue. Erst wenn Engel aufhören zu basteln, geht es mit allem wirklich zu Ende.

Das Geld, das Mutter daließ, teilte ich mir ein. Ein paar Münzen nahm ich jeden Tag mit zur Schule. Ich freute mich auf das Kantinenessen. Im Unterricht schrieb ich mit, als ob nichts wäre, als wartete Mutter im Vorort auf mich. Ich meldete mich, schrieb die Lösung an die Tafel.

Ich hoffte, dass man mir nicht ansah, dass Mutter mich verlassen hatte. Fragte man mich, wie es Mutter gehe, entgegnete ich:

»Gut.«

Ich lud die Mädchen nicht zu mir ein. Wir verabredeten uns zum Lernen in ihren Wohnungen. Ihre Mütter waren fürsorglich, schauten ins Zimmer und brachten Kekse. Das fand ich übertrieben, aufgesetzt und eigenartig.

Die Mütter beharrten darauf, mich nach dem Lernen nach Hause zu fahren, das war der Gipfel. Weit vor meinem Block sagte ich:

»Es ist hier. Stopp, bitte!«

Ohne Danke zu sagen, stieg ich aus dem Wagen.

Ein gutes Verbrechen

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