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IM SANATORIUM

Die Betten wurden jeden Morgen um acht Uhr auf den Balkon geschoben. Um elf kehrten die Kranken in ihre Zimmer zurück. Sonnenstrahlen auf nackter Haut galten als neues Heilmittel gegen Knochentuberkulose, und bei vielen schlug die Therapie tatsächlich an. Kombiniert mit bleiernen Streckverbänden, Liegekuren und orthopädischen Vorrichtungen, die man am Körper trug, ließ sich die schwere Krankheit sogar heilen. Alberto Pincherle, 1907 in Rom geboren und seit seinem zehnten Lebensjahr immer wieder bettlägerig, fühlte sich nach seiner Ankunft im Sanatorium Codivilla in Cortina d’Ampezzo im Frühjahr 1924 schlagartig besser. Seine Schmerzen verschwanden.

Das Codivilla war im ehemaligen Hotel des Alpes untergebracht. Die großzügigen Veranden, Loggien und hölzernen Balkons erinnerten noch an den Hotelbetrieb. Von den Zerstreuungen des mondänen Wintersportortes in den Dolomiten war in dem fortschrittlichen Sanatorium allerdings nichts zu spüren. Es herrschte ein strikter Tagesablauf: Nach dem Sonnenbaden kam Professor Vacchelli zur Visite. Vacchelli eilte den Korridor hinunter, und man hörte seine Stimme schon aus der Ferne, die beflissenen Antworten der Krankenschwestern waren nicht zu verstehen. Der Professor trat an ein Bett, ließ sich die Karteikarte reichen, sagte ein oder zwei Sätze, verschwand wieder. Anschließend gab es Mittagessen. Bis zum Abendessen um zwanzig Uhr blieben die Patienten sich selbst überlassen. Alberto war allein; seine Familie lebte in Rom. Großbürgertum mit einem Haus in der Via Donizetti, unweit der Villa Borghese. Der Vater stammte ursprünglich aus Venedig, ein jüdischer Architekt, arbeitsam, mit unerschütterlichen Gewohnheiten und einer Passion für harmonische Linienführung, aber nervös und leicht reizbar. Er baute Häuser im französischen Stil, eines konnte man aus dem oberen Stockwerk der Via Donizetti sogar sehen, es stand in der Via Salaria. Seine dunkelhaarige Frau kam aus bescheideneren Verhältnissen und war stolz auf ihren sozialen Aufstieg. Allerdings langweilte sie sich oft, denn verheiratete Damen blieben abends zu Hause. Manchmal begleitete der Architekt sie ins Theater oder die Oper. Signora Pincherle entließ jede Woche Personal. Sie beschäftigte Gouvernanten, Dienstmädchen und eine Köchin. Nur ihren Schneiderinnen blieb sie gleichmäßig gewogen; sie gab Unmengen von Geld für ihre Garderobe und Hüte aus. Vormittags trug sie seidene Morgenmäntel mit Spitze, dann half ihr eines der Mädchen beim Ankleiden: lange Gewänder aus Organza mit Puffärmeln, alles nach der neuesten Pariser Mode. Ab und zu richtete sie Abendessen aus und führte ihre Töchter vor. Außerdem kümmerte sie sich natürlich um ihren jüngsten Sohn Gastone, der zur Schule ging. Für regelmäßige Besuche war Cortina zu weit weg.

»Solo col sole« schrieb Alberto eines Tages auf eine staubige Fensterscheibe, »allein mit der Sonne«. Er lag in der ersten Klasse, wo es Einzelzimmer gab, in der dritten Klasse hätte es ihm vermutlich besser gefallen: Die Patienten spielten Karten, unterhielten sich und gaben Lieder aus ihren Heimatorten zum Besten. Alberto las. Die Nachmittage verbrachte er mit Büchern, die ihn aus der florentinischen Leihbibliothek Gabinetto Vieusseux erreichten: Dostojewski, Tolstoi, Rimbaud, Dickens. Eines Tages entschied der Professor, dass der junge Mann Gesellschaft brauche. Er ließ das Bett über den Korridor rollen, und Alberto schloss Freundschaft mit seinem Zimmernachbarn. Ein junger Herr aus Triest mit habsburgischen Manieren, Sohn eines Schneiders, älter als Alberto und voller Lebensgier. Mit seinem angenehmen Äußeren, der ausgesuchten Garderobe und einem Monokel, das er sich lässig in die Augenhöhle klemmte, was Alberto sofort nachahmte, hatte er einen Schlag bei Frauen. Die Krankenschwestern rissen sich um seine Pflege und versorgten ihn zu den Mahlzeiten immer als Ersten. Seine Familie reiste regelmäßig aus Triest an und belagerte den Kranken, sogar die amerikanische Verlobte des Bruders kam mit einem Chauffeur aus Paris; dauernd gab es Abwechslung. Als es den beiden jungen Männern endlich besser ging, Alberto nach Bressanone ins Hotel übersiedelte und nur noch tagsüber zu Behandlungen ins Krankenhaus musste, bestellte der Triestiner eine Droschke und dirigierte sie zu einem, wie es damals hieß, »Haus der Toleranz« am Stadtrand. Auf Krücken humpelten die Freunde in die Villa, und der Ältere suchte für Alberto eine geeignete Frau aus. Die diensthabende Dame wunderte sich, dass ihr Kunde zuerst einen orthopädischen Apparat von der Hüfte schnallen musste, aber dann verlief alles nach Plan. Es dauerte nur ein paar Tage, da schrieb er morgens im Liegen einen Satz auf ein Blatt Papier. Er lautete: »Entrò Carla«, »Carla kam herein«. Es war der Anfang seines Romans Die Gleichgültigen. Drei Jahre später war der junge Mann berühmt. Er nannte sich jetzt Alberto Moravia.

Rom, Träume

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