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Freitagabend. Gerade hatte ich bei Meli und Sami geklingelt. Der Summer ging, ich drückte die Tür auf und stieg die Stufen nach oben in den ersten Stock.

»Schön, dass du da bist!«, rief Meli, umarmte mich und drückte mir zwei Küsse auf die Wangen. »Komm rein. Ich bin gleich soweit.«

»Hanne!«, rief Melihas fünfjährige Tochter Nesrin und rannte den Flur entlang direkt auf mich zu.

Lächelnd ging ich in die Hocke und sie warf sich, ohne abzubremsen, in meinen Schoß. »Hey, kleine Maus. Du bist ja schon wieder gewachsen. Du bist ja schon eine große Maus, Nesrin«, sagte ich und wuschelte ihr durch die dunklen Haare.

»Hanne!«, rief eine zweite Kinderstimme. Ein kleiner Junge tapste mir entgegen und warf sich ebenfalls in meinen Schoß. »Uiuiui, und du bist ja auch ganz groß geworden, Oktay.«

»Anne, wir wollen mitkommen«, rief Nesrin ihrer Mutter zu und ich fragte mich, wie Meli diesen großen Kulleraugen jemals einen Wunsch abschlagen konnte. »Anne, bitte!«

»Nichts da, ihr bleibt hier, sonst bin ich viel zu einsam heute Abend!« Das war Sami. Er streckte seinen Kopf aus der Küche in den Flur und winkte. »Servus, Hanne. Ich komme gleich, ich habe nur gerade Milch auf dem Herd.«

»Hallo, Sami! Kommt, Kinder, lasst mich mal in die Küche, damit ich eurem Papa Hallo sagen kann.«

Doch die Kinder hingen an mir wie Kletten. Also nahm ich sie rechts und links auf den Arm und versuchte, vollbepackt in die Küche zu gelangen, um Sami zu begrüßen.

»Baba, wir wollen mit Anne und Hanne gehen!«, rief Nesrin.

Ich grinste. Anne und Hanne, das klang fast wie Hanni und Nanni. Es hatte etwas gedauert, bis ich verstanden hatte, dass »Anne« das türkische Wort für »Mama« war. Bis dahin war es zu einigen komischen Situationen gekommen, weil ich mich im Supermarkt oder im Park immer wieder angesprochen gefühlt hatte, wenn ein Kind nach seiner Mutter gerufen hatte.

Sami fuchtelte mit dem Kochlöffel herum und sagte mit gespieltem Ernst: »Und wer soll dann auf mich aufpassen, Nesrin? Ihr müsst mich doch ins Bett bringen und mir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen.«

»Dann bringe ich dich jetzt ins Bett, Baba!«, rief Nesrin und zerrte an der Hand ihres Vaters.

»Nesrin! Lass den armen Baba!«, rief Meliha dazwischen. Sie hatte sich fertig umgezogen und sah umwerfend aus. Mit Samis Hilfe befreite sie mich von den süßen Kletten. »Ade, ihr Lieben«, sagte sie und gab erst ihren Kindern und dann ihrem Ehemann einen Kuss. »Bis später!«

Wir liefen die Treppe hinab auf die Straße. Von oben aus dem Fenster winkten noch einmal die Kinder. »Anne! Hanne! Hallo! Und tschüss!«, rief Nesrin. »Ich bleibe wach, bis du kommst, Anne, okay?«

»Untersteh dich!«, rief Meli zurück. »Zum Glück schafft sie das nicht«, sagte sie zu mir, während sie auf ihren Wagen zusteuerte, der in einer Nebenstraße parkte. »Eine Milch mit Honig von Sami und in einer Stunde schlummert sie hoffentlich tief und fest.«

»Heute wollten sie dich ja gar nicht gehen lassen«, wunderte ich mich.

»Wahrscheinlich, weil sie letzte Woche krank waren. Und sie haben sich gefreut, dich zu sehen. Sie vergöttern dich.«

»Vielleicht sollte ich mal wieder zum Babysitten kommen?«, überlegte ich.

»Oh ja!« Meli startete den Motor. »Und jetzt?«

»Hm, hast du Lust auf Tapas?« Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen und einen Bärenhunger. »Ich kenne da eine ganz hübsche Tapas-Bar in Nürnberg«, sagte ich.

»Sehr gerne«, erwiderte Meli. »So, jetzt erzähl, was passiert ist … Wenn dir danach ist«, ergänzte sie mit einem kurzen Blick in meine Richtung.

Ich starrte geradeaus auf die dunkle Straße. Die letzten Tage waren hart gewesen. Sven war mir aus dem Weg gegangen und wenn ich versucht hatte, zu fragen, was los war, hatte er sofort mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden abgeblockt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Im Café war es in den letzten Tagen sehr voll gewesen, sodass ich noch nicht mit Meli darüber hatte sprechen können. Aber jetzt waren wir unter uns. Also schüttete ich meiner Freundin mein Herz aus. Sie hörte einfach nur zu, obwohl ich ihr genau ansehen konnte, dass sie den einen oder anderen bissigen Kommentar hinunterschluckte. Nachdem ich Meli alles erzählt hatte, ging es mir ein wenig besser.

Nach einer halben Stunde Fahrt hatten wir unser Ziel erreicht. Meli suchte in einer Seitenstraße einen Parkplatz, schaltete den Motor ab und sah mich erwartungsvoll an. »Hey«, sagte sie und drückte meinen Arm. »Geht’s?« Ich nickte und versuchte es mit einem Lächeln. Meli lächelte zurück und sagte: »Sollen wir dann mal? Ich will ja nicht ungeduldig sein, aber ich habe echt Hunger.«

Wir stiegen aus dem Wagen und gingen Arm in Arm die Straße entlang, bis wir die kleine Tapas-Bar erreichten. Es war voll. Natürlich, es war Freitag und wir hatten nicht reserviert. Aber ab und zu war das Glück wohl auch mit denen, die es dringend brauchen, denn in der hintersten Ecke wurde gerade ein Tisch frei.

»Und, wie soll das jetzt weitergehen?«, fragte Meli, nachdem wir uns etwas bestellt hatten.

»Ach, wenn ich das wüsste, Meli.«

»Ich habe dir das ja schon gesagt. Entschuldige, wenn ich mich wiederhole. Aber du lässt dir von ihm wirklich viel zu viel gefallen. Sven mag irgendwo in seinem Herzen ein lieber Kerl sein, aber es ist nicht in Ordnung, wenn er seine schlechte Laune ständig an dir auslässt.«

»Aber ich liebe ihn«, sagte ich. »Doch gerade verstehe ich ihn wirklich nicht.«

»Wie lange seid ihr jetzt zusammen? Drei, vier Jahre, oder?«

»Hm. Ja.« Ich stocherte etwas lustlos in meinem Essen herum. Eben hatte ich noch so einen Hunger, doch nun war mir der Appetit schon wieder vergangen. Ich schaute auf und sagte leise, was ich bislang nicht auszusprechen gewagt hatte: »Ich glaube, er hat neulich gar nicht mit Joe gesprochen, als er mich so angefahren hat. Das klang viel zu liebevoll. So, als hätte er mit einer anderen Frau geredet.« Ich schluckte. »Aber so etwas würde er doch nie tun. Fremdgehen, meine ich.« Die Möglichkeit, dass Sven etwas mit einer anderen haben könnte, schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Oder zumindest wollte ich es mir nicht vorstellen. Aber es würde einiges erklären. »Ach, Meli, was soll ich denn machen?«

Meli beugte sich über den Tisch, nahm meine Hand und sah mich mit ihren dunklen Augen an. »Gerade kannst du nicht viel machen. Außer, du willst ihn jetzt anrufen und direkt fragen.« Sie setzte sich wieder aufrechter. »Aber das halte ich für keine gute Idee.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er ist mit Joe im Kino, hat er gesagt. Außerdem, wie bescheuert wäre das denn, so was per Telefon zu fragen. Ich muss einfach in Ruhe mit ihm sprechen. Wenn er dann nicht gleich wieder flüchtet …« Ich spießte ein Hackbällchen auf und sagte entschieden: »So, genug. Ich will mit Anschuldigungen und Verdächtigungen nicht unseren Abend kaputt machen! Wie geht es dir? Jetzt bist du dran.«

Meli schlürfte genüsslich an ihrer Johannisbeersaft-Schorle. »Mir geht es gut, Hanne«, sagte sie und lächelte.

Nachdem wir unsere Tapas gegessen, ein zweites Getränk bestellt und Meli ein wenig von ihrem Familienleben und den Kindern erzählt hatte, zahlten wir unsere Rechnung und verließen die Bar. Ich fröstelte, als wir nach draußen auf den Gehweg traten. Es war halt immer noch Februar und der Nordwind war wie angekündigt gekommen. Als wir zum Auto zurückliefen, fing es an zu nieseln. Ich zog meinen Schal fester um den Hals und schaute mich um. »Hier irgendwo wohnen Marcus und Caro, wenn ich mich nicht irre«, sagte ich.

»Das ist euer neuer Fluglehrer, oder?«

»Ja. Wir haben ihn und seine Freundin im Januar mal besucht.« In einer Seitenstraße entdeckte ich ein Pärchen und stupste Meli an. »Da hinten, das könnten sie sogar sein. Die große Blonde und der Mann in der dunklen Jacke.« Die hochgewachsene Frau war eindeutig Caro. Ich hatte sie sofort erkannt. Ihr Begleiter hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, ihn konnte ich auf die Entfernung nicht erkennen. Die beiden gingen eng umschlungen in die entgegengesetzte Richtung und hielten vor einem Haus. Ich hörte Caro lachen.

»Sollen wir kurz Hallo sagen?«

»Muss das sein?«, maulte Meli. »Wir wollen doch tanzen und nicht die beiden Turteltäubchen stören.« Sie zog mich ungeduldig weiter.

»Ja, klar, du hast recht«, gab ich zu. Die Turteltäubchen wollte ich natürlich nicht stören.

Als Meli mich vor meiner Wohnung absetzte, war es zwei Uhr. Eigentlich noch keine Uhrzeit für einen Freitagabend, aber Melis Kinder würden am nächsten Morgen keine Rücksicht nehmen, wenn ihre Mutter müde war. Dafür waren sie zu klein. Oktay war bestimmt wieder um sechs Uhr wach. Er hatte ein Gespür dafür, wenn Wochenende war. Da wurde er nämlich früher wach als unter der Woche, wenn er in den Kindergarten musste. Meli beschwerte sich oft darüber, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Ich schloss die Wohnungstür auf. In der Wohnung war es dunkel. Sven war nicht da. Erst als ich mir die Schuhe abstreifte, sah ich, dass er eine Nachricht geschickt hatte. Er würde über Nacht bei Joe bleiben, weil er zu viel getrunken hätte. War ja klar. Immerhin hatte er sich noch gemeldet. Bevor ich wieder mit Grübeleien anfangen konnte, ging ich ins Bett.

***

Ich wurde wach und tastete im Halbschlaf das Bett ab. Wie erwartet war es leer. Sven war in der Nacht tatsächlich nicht nach Hause gekommen. Ich fröstelte und hätte mich gerne an ihn gekuschelt. Halb acht zeigte mein Wecker an. Seufzend warf ich die Bettdecke zur Seite. Jetzt, wo ich sowieso wach war, konnte ich ebenso gut aufstehen.

Der Regen hatte aufgehört und die Morgensonne tauchte den Himmel in rotes Licht. Eigentlich perfekt für eine Jogging-Runde, dachte ich. Meine Füße waren zwar vom Tanzen noch etwas müde, aber ich beschloss, dass ich keine faulen Ausreden gelten lassen würde und Joggen genau das Richtige war, um den Kopf freizubekommen. Außerdem würde die Stimmung um diese Zeit an der Regnitz besonders schön sein. Also suchte ich meine Jogginghose, ein Shirt und meine Fleecejacke, zog mich an, setzte meine Mütze auf und trabte in meinen ausgelatschten Laufschuhen die Treppe hinunter.

Die Regnitz und die umliegenden Wiesen lagen noch im Nebel. Gemütlich lief ich am Flüsschen entlang, sog die kühle Luft ein und genoss den Anblick. Ich lief nie besonders schnell. Erstens kam ich sonst viel zu schnell aus der Puste und zweitens konnte ich so die Natur um mich herum länger genießen und alles andere ausblenden.

Ich war bereits auf dem Rückweg, als mein Telefon vibrierte. An einer Bank blieb ich stehen und holte mein Handy aus der Tasche. Mein Vater? Was wollte der denn so früh am Morgen? »Guten Morgen, ich habe mich erkältet, könntest du nachher einen Übungsflug für mich übernehmen?«, schrieb er.

Och, nö, dachte ich. Normalerweise hätte man mich nicht zweimal bitten müssen, ins Flugzeug zu steigen, aber heute hatte ich keine Lust. Inzwischen war es fast neun. Vielleicht war Marcus schon wach. Je nachdem, wie kurz seine Nacht gewesen war. Schmunzelnd dachte ich an das Pärchen vom Vorabend. Eine Nachricht konnte ich ihm ja schicken. Sollte er noch schlafen, hatte er sein Telefon hoffentlich nicht neben dem Kopfkissen liegen. Also tippte ich eine Nachricht für Marcus und eine für meinen Vater, um ihm zu sagen, dass ich mich um alles kümmern würde und er sich ausruhen sollte.

Auf der Regnitz schwamm ein Entenpärchen an mir vorbei. Die Entendame war deutlich größer als der Enterich. Ich beobachtete die beiden eine Weile. Blieben Enten nicht ein Leben lang zusammen? Ich hatte mal so etwas gehört. Der Enterich schnatterte herum, aber ob er gut- oder schlechtgelaunt klang, konnte ich nicht sagen. Hatten Enten überhaupt mal schlechte Laune? Stritt sich so ein Entenpärchen auch manchmal? Oder taten das nur wir Menschen?

Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken. Marcus hatte eine Antwort geschickt: »Hallo, Hanne, schon wach? Ich kann leider nicht, bin noch in der Pfalz bei meinen Eltern und komme erst heute Abend oder morgen Früh zurück. Frag mal Werner, der kann bestimmt.«

Marcus war in der Pfalz? Dann waren die beiden am Vorabend doch nicht Caro und Marcus gewesen? Dabei hätte ich schwören können, Caros Stimme erkannt zu haben. Die ging doch wohl nicht fremd, während ihr Freund seinen Eltern einen Besuch abstattete? Nein, so etwas traute ich ihr nicht zu. Sicher hatte ich mich geirrt.

Werner war ebenfalls schon aktiv und antwortete auf meine Nachricht, ehe ich das Telefon wieder in der Tasche verstaut hatte. Er hatte Zeit, würde später sowieso am Flugplatz sein und könnte sich gerne ein wenig durch die Luft kutschieren lassen. Prima.

Langsam ließ ich die Regnitzwiesen hinter mir und lief zurück Richtung Innenstadt. Frischer Brötchenduft wehte mir um die Nase und ließ meinen Magen knurren. Ich hielt an, rieb mir über den Bauch und sagte leise: »Alles klar, ich habe dich schon verstanden, lieber Bauch.«

Die Türglocke klingelte leise, als ich in die warme Backstube trat. Hier drinnen war der Duft noch stärker. »Grüß Gott.«

»Grüß Gott, was hätten’s denn gern?«

Ich begutachtete die Auslage und konnte mich erst gar nicht entscheiden, so lecker sah das alles aus. Schließlich wählte ich zwei Brezen und zwei Hörnchen. Hinter mir klingelte erneut das Türglöckchen.

»Hallo, Hanne!«

Leicht erschrocken drehte ich mich um. Hinter mir stand Jessica, Joes Freundin.

»Oh, grüß dich, Jessi«, sagte ich, noch immer überrascht, eine Bekannte hier am frühen Samstagmorgen anzutreffen. Wir umarmten uns zur Begrüßung. »Habe ich mich erschrocken. Ich habe nicht erwartet, dass mich hier jemand anspricht«, sagte ich lachend.

»Was machst du denn hier in der Gegend?«

»Das gleiche wie du, nehme ich an. Frühstück organisieren. Ich war an der Regnitz laufen und jetzt habe ich Hunger. Wie geht es dir? Tut mir leid, dass ich letztens nicht mit ins Kino kommen konnte.«

»Mir geht es schon wieder viel besser. Ich war total erkältet, weißt du. Deshalb war ich letzte Woche auch nicht dabei. Am Montag hat es dann Joe umgehauen.«

»Ach, herrje.«

Die Bäckerin räusperte sich und fixierte uns ungeduldig. Ich nickte ihr entschuldigend zu und bezahlte meine Brötchen.

»Zwei Brezen und zwei von den Doppelsemmeln, bitte«, gab Jessica ihre Bestellung auf.

Ich wandte mich wieder Jessi zu. »Aber nicht, dass er Sven angesteckt hat!«

»Glaube ich nicht. Letztes Wochenende ging es ihm noch gut und danach haben sie sich ja nicht mehr gesehen.«

Ich zuckte zusammen. Was hatte Jessi da gerade gesagt? »Waren die beiden gestern nicht zusammen im Kino?«, fragte ich vorsichtig nach.

Jessica schüttelte den Kopf. »Nee, du, das wüsste ich«, sagte sie. »Joe ist gestern das erste Mal überhaupt aufgestanden. Der hustet sich die Lunge aus dem Leib. Du, ich muss los. Grüß Sven und sag ihm, Joe meldet sich nächste Woche sicher mal wieder bei ihm. Ciao, Hanne.« Jessica bezahlte, winkte mir noch einmal zu und verließ die Bäckerei. Ich war wie festgewurzelt und sah ihr immer noch verwirrt nach, obwohl sie längst weg war. Erst als die Bäckerin fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob ich etwas vergessen hätte, klappte ich den Mund wieder zu, schüttelte den Kopf und stolperte hinaus auf die Straße.

Das heiße Wasser konnte die Kälte in mir nicht vertreiben. Ich weiß nicht, wie lange ich schon unter der Dusche stand, als ich langsam wieder zu mir kam und bemerkte, dass ich bereits zu Hause war. Das Hungergefühl war weg. Stattdessen hatte sich ein sehr unbehagliches Gefühl in meiner Magengegend breit gemacht. Sven war gar nicht bei Joe. Wo war er dann? Verzweifelt versuchte ich, mich zu konzentrieren, aber mein Kopf konnte keinen klaren Gedanken fassen. Scheiße, dachte ich, er geht tatsächlich fremd! Das durfte einfach nicht wahr sein. Aber eine andere Erklärung fand ich nicht. Zitternd zog ich mich an und kuschelte mich mit einer dicken Wolldecke auf das Sofa. »Beruhige dich, Hanne«, sagte ich zu mir selbst, während ich die letzten Wochen Revue passieren ließ.

»Hallo, Hanne.« Sven war gerade in die Wohnung gekommen und lugte ins Wohnzimmer. Ich saß schon eine ganze Weile in die Decke eingewickelt auf dem Sofa. Diese innere Kälte wollte einfach nicht weichen. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, verschwand Sven schon wieder Richtung Küche. »Oh, du warst beim Bäcker. Hast du noch gar nicht gefrühstückt?«

Ich schluckte. »Keinen Hunger.« Sollte ich ihn direkt mit meinem Verdacht konfrontieren? Ich rief: »Du hast gar nicht erzählt, dass Joe total krank ist.«

Sven kam gerade mit einem Hörnchen in der Hand zurück ins Wohnzimmer und hielt abrupt inne. »Hä? Wieso? Hast du mit Joe gesprochen? Hast du mir nachspioniert oder was?«

»Wieso sollte ich dir nachspionieren? Dazu habe ich doch gar keinen Grund, oder? Ich habe Jessi zufällig in der Bäckerei in der Nürnberger Straße getroffen. Viele Grüße von ihr.« Ich atmete einmal tief durch, bevor ich fortfuhr: »Und Joe war gestern definitiv nicht im Kino. Habe ich da irgendetwas verpasst?«

Es dauerte einen Moment, bis Sven antwortete. »Ja, er fühlte sich nicht gut, da bin ich allein ins Kino. Komm schon, Hanne, was denkst du denn?«

Meine Stimme zitterte leicht, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben. »Was glaubst du denn, was ich denke? Wenn du nachts noch extra schreibst, du bleibst bei Joe und warst da gar nicht. Was soll ich denn da denken?«

»Das ist doch Quatsch!«, rief Sven aus. »Denkst du etwa, ich habe ein Verhältnis oder was?«

»Hast du?«, fragte ich aufgebracht.

»Du spinnst!«, schimpfte Sven und lief aus dem Zimmer. »Ich hinterfrage ja auch nicht, was du gestern gemacht hast!«, rief er zurück. »Ob du wirklich mit Meli unterwegs warst.«

Wie bitte? Was sollte das denn jetzt? Ich stand auf und ging ihm nach. »Ach, ich spinne?«, rief ich lauter, als ich beabsichtigt hatte. Ich senkte die Stimme wieder und fügte hinzu: »Weißt du, ich war wirklich mit Meli unterwegs. Und weißt du, wo wir waren? In der Tapas-Bar, in der wir mal mit Marcus und Caro waren. Und rate mal, wo wir geparkt haben. Da, wo du und ich damals auch geparkt haben – in der Seitenstraße, in der Marcus und Caro wohnen. Und weißt du, wen ich da zufällig gesehen habe?« Es war ein Schuss ins Blaue. Aber ich hatte in den letzten Stunden viel gegrübelt. Und der Gedanke, den ich anfangs noch kopfschüttelnd weggewischt hatte, hatte sich immer wieder in den Vordergrund meiner Grübelei gedrängt. Bis er sich nicht mehr wegwischen ließ.

Sven senkte den Kopf. »Hanne«, sagte er ertappt. Er kam einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück.

»Du und Caro?«

»Hanne, das ist einfach so passiert!«

»Einfach so passiert? Seit wann, Sven?«

»Ach, das ist alles gar nicht so, wie du denkst!« Sven drückte sich an mir vorbei. Er trat die Flucht an. Wenn es unbehaglich für ihn wurde, flüchtete er. Ich lief hinter ihm her und stellte mich ihm in den Weg.

»Seit wann, Sven?«, wiederholte ich meine Frage mit zitternder Stimme. »Hast du dich in der letzten Zeit mir gegenüber deshalb wie ein Arschloch verhalten? Damit mir die Trennung nicht so schwerfällt?«

»Hanne, das ist doch Quatsch!«

Fassungslos starrte ich ihn an. »Das ist Quatsch? Du vögelst mit einer gemeinsamen Bekannten und denkst, danach kannst du mich gemütlich anmotzen?«

»Hanne, jetzt halt mal die Luft an! Wenn ich dich in der letzten Zeit angemotzt habe, dann, weil du mich genervt hast!«

»Und das ist ein Grund, fremdzugehen?« Das wurde ja immer besser.

»Du verdrehst mal wieder alles!«, fauchte Sven.

»Ich verdrehe alles? Ich glaube, du verdrehst! Immer, wenn du schlechte Laune hast, versucht du, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben! Ich bin doch immer schuld!«, schimpfte ich.

»Lass mich durch, Hanne, ich muss raus!« Sven drückte sich an mir vorbei und zog sich seine Jacke über. Er war schon im Treppenhaus, als ich ihm hinterherrief: »Das war ja klar, dass du jetzt abhaust! Weiß Marcus eigentlich Bescheid?«

Sven hielt inne und drehte sich um. »Wehe, du sagst …!« Mehr hörte ich nicht. Mit einem Rumms schlug ich die Wohnungstür hinter Sven zu und sank in mich zusammen.

Und Frösche können fliegen

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