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Immer noch zitternd schloss ich die Seitentür des Flugzeughangars auf. Wie hatte er mir das antun können? Was hatte ich gemacht, was ihm Anlass zum Fremdgehen gegeben hatte? Wir waren doch eigentlich ein tolles Paar. Wir hatten ein gemeinsames Hobby. Und guten Sex hatten wir auch. Zumindest früher. In der letzten Zeit war der tatsächlich nicht mehr so stürmisch gewesen. Aber das lag nicht an mir. Jedenfalls nicht nur. Oder doch? Den ganzen Weg zum Flugplatz hatte ich geweint. So ein Arschloch, fluchte ich immer wieder, während ich mir einen Weg zu meinem Flugzeug bahnte. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Dann begann ich, die restliche Bespannung von den Flügeln zu entfernen.

»Hanne? Hallo, wie geht es dir? Was machst du denn hier? Hast du keine gemütlichere Beschäftigung für einen Samstagnachmittag gefunden?« Das war Werner.

Ich lugte hinter meinem Flugzeug hervor. Von der Vorderseite des Hangars schien Licht herein, sodass man den Staub tanzen sah. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand hereingekommen war. »Oh, Werner. Grüß dich. Geht deine Flugstunde schon los?« Ich verbarg mein Gesicht, so gut es ging. Werner musste ja nicht gerade mitbekommen, wie verheult ich war. Zum Glück blieb er mit einigem Abstand stehen.

»Ja, gleich. Ich wollte etwas früher kommen und schon mal tanken. Ich habe dein Mofa gesehen, da dachte ich mir, dass du hier bist. Alles klar bei dir?«

»Hmja, ich musste ein bisschen arbeiten.«

»Ein bisschen?« Werner grinste und ließ seinen Blick über den Fußboden schweifen. Er zeigte auf die Fetzen. »Was sagt denn dein Mann dazu, dass du ihn an so einem schönen Wochenende allein zu Hause sitzen lässt? Oder hat er dich etwa versetzt?«, fragte er lachend.

Autsch, das saß. Werner, du hast ein Taktgefühl wie eine Dampfwalze, dachte ich. Ich schluckte und spürte die aufkommenden Tränen. »So in der Art«, presste ich mühsam hervor.

»Werner? Hallo? Bist du schon da?«, rief jemand vom Vorfeld in den Hangar hinein. Der andere Pilot war gekommen. Werner drehte sich um, rief ihm einen Gruß zu, murmelte etwas zum Abschied und ging nach draußen.

Ich ließ mich zurück auf den Boden sinken. Etwas zu schnell. Aber als ich es bemerkte, war es schon zu spät. Mit einem heftigen Klong schlug mein Kopf auf den Beton. »Verfluchte Scheiße!«, schimpfte ich und rieb mir den Hinterkopf. Das tat weh. Aber es half mir, mich etwas zu beruhigen. Als Werner weg war, krabbelte ich unter dem Flieger hervor. Vorsichtig tastete ich meinen Hinterkopf ab. Die Beule spürte ich jetzt schon. Die zweite innerhalb einer Woche. Ich bückte mich, um die Bespannungsreste aufzusammeln und in einen Müllsack zu stopfen.

Erst, als es dunkel war und der Flugplatz schon geschlossen hatte, trat ich auf das Vorfeld hinaus. Ich schloss die Tür zum Hangar ab und ließ meinen Blick über die Landebahn schweifen. Vom Flugplatzcafé drang leises Gelächter herüber. Maria und Carlo, die das Restaurant betrieben, machten gerade Feierabend und ich sah, wie die beiden die Tür abschlossen und dann Arm in Arm Richtung Parkplatz gingen. Ansonsten war niemand mehr zu sehen. Ich sog die kühle Luft tief ein und machte mich auf den Weg zum Büro der Flugschule. Es lag nicht weit vom Hangar entfernt in einem Nebengebäude.

Das Neonlicht ließ mich blinzeln und es dauerte etwas, bis ich mich an das grelle Licht gewöhnt hatte. Ich legte meine Tasche auf einen der Tische und mein Blick fiel auf die Luftaufnahmen an den Wänden. Einige hatte ich mit Sven gemacht, letzten Sommer während einer Tour nach Dänemark. Mit vier Maschinen waren wir mit Flugschülern, Freunden und Charterkunden eine Woche lang unterwegs gewesen.

Langsam bemerkte ich, dass ich nicht nur komplett durchgefroren war, sondern außerdem den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Appetit hatte ich nicht, aber mir war inzwischen etwas flau in der Magengegend. Kein Wunder. Ich war heute Morgen sogar laufen. Und die Brezen lagen wahrscheinlich immer noch auf dem Küchentisch, wenn Sven nicht zurückgekommen war und sie aufgegessen hatte. In einer Ecke des Raumes war eine kleine Teeküche eingerichtet. Dort fand ich in einem der Schränke noch ein paar Tütchen mit Fertigsuppen. Lustlos füllte ich Wasser in den Wasserkocher und wartete, dass es kochte.

Mit Suppe und Tee hockte ich mich auf einen der Stühle und schob die Luftfahrtkarten beiseite, die auf dem Tisch lagen. Ich hatte schon eine ganze Weile in der Suppe herumgerührt, ohne einen Löffel davon gegessen zu haben, als mein Telefon vibrierte. Ich fischte es aus der Jackentasche und starrte auf das Display. Insgesamt 15 Nachrichten, davon 13 von Sven. Eine Nachricht war von Meli, die sich erkundigte, ob ich gut geschlafen hatte. Ich fragte zurück, ob sie die nächste Woche ohne mich zurechtkämen, ich würde mich nicht gut fühlen und es später erklären. Die letzte Nachricht war von Marcus. Er fragte, wann genau die Teambesprechung morgen bei Rudi stattfinden würde. Die Teambesprechung … Die hatte ich ganz vergessen. Ich würde sie absagen müssen. Das Letzte, was ich jetzt wollte, war eine Besprechung mit Werner, Rudi und Marcus. Der Arme. Anscheinend wusste er noch nicht Bescheid. Ob Sven bei Caro war und mit ihr diskutierte, ob und wie sie das alles Marcus erklären wollten?

Ich drückte auf »Sven« und löschte seine Nachrichten, bevor ich sie gelesen hatte. Es war mir egal, was er geschrieben hatte. Ich wollte nichts von ihm hören, lesen oder wissen und schaltete das Handy aus.

Müde rollte ich mir nach dem Essen Schlafsack und Isomatte in unserem kleinen Büro neben dem Vorbereitungsraum aus. Bevor ich von zu Hause losgefahren war, hatte ich sie zusammen mit ein paar Klamotten, meiner Zahnbürste und meinem Laptop eingepackt. Natürlich hätte ich auch bei Meli oder meinem Vater pennen können, aber ich hatte weder Lust auf Familientrubel noch auf Erklärungen, die ich Rudi hätte geben müssen. Außerdem war er ja krank und hatte somit eigene Sorgen. Kaum hatte ich mich in meinen Schlafsack gelegt, fiel ich auch schon in einen unruhigen Schlaf.

***

»Hanne? Was machst du denn hier?«

Ich blinzelte. Es war bereits hell, aber wie spät war es? Und wo war ich? Ach ja, im Büro der Flugschule. »Marcus? Wie spät ist es? Ich dachte, du bist bei deinen Eltern?«

»Das war ich auch, bis …« Er schaute auf seine Armbanduhr. »… bis vor drei Stunden. Wieso schläfst du hier? Mannomann, siehst du fertig aus. Hast du mal wieder zu lange an deinem Flieger gebastelt und wolltest Sven nicht wecken?«

Er wusste es noch nicht. »Warst du noch nicht zu Hause?«, fragte ich vorsichtig.

»Nee. Ich wollte erst noch was holen wegen unserer Besprechung nachher.«

Ach, verdammt. Ich hatte doch noch vergessen, das Treffen abzusagen. »Oje, die wollte ich absagen und habe es vergessen. Bist du extra deshalb früher gekommen?«

»Nein, nicht nur deshalb. Caro und ich haben heute unser Fünfjähriges und ich wollte noch mit ihr essen gehen. Soll eine Überraschung werden.«

Ich schluckte. »Du, Rudi ist total erkältet. Und ich fühle mich auch nicht gut. Lass uns das Treffen verschieben, ja? Kannst du noch Werner Bescheid geben? Bitte?«

»Klar, wenn es dir nicht gut geht. Was ist denn los? Du siehst wirklich nicht gut aus. Und wieso schläfst du hier?«, wiederholte er seine Frage.

Ich starrte ihn einfach nur an, spürte, wie die Tränen sich schon wieder ihren Weg bahnten und konnte nicht anders. Ich heulte einfach los. Marcus sah mich bestürzt an, ging in die Hocke und nahm mich in den Arm. Irgendwann richtete ich mich auf. »Oh, entschuldige. Ich habe dein ganzes Hemd vollgesabbert.«

Marcus schaute an sich hinunter und lächelte. »Halb so wild. Hey, was ist denn passiert? Ähm, wenn du darüber reden möchtest.« Er stand ebenfalls wieder auf und schaute mich mitfühlend an. Was sollte ich jetzt machen? Halbe Wahrheit? Die ganze Wahrheit konnte ich ihm doch nicht antun.

»Sven …«, brachte ich nur hervor. Da war ein dicker Kloß in meinem Hals, der mich am Weiterreden hinderte.

»Du musst nicht mit mir darüber reden. Soll ich dich lieber erst einmal allein lassen? Dann schreibe ich den anderen, dass wir das Treffen verschieben und mache mir bis dahin einfach selbst noch ein paar Gedanken, wie wir die Bekanntheit der Flugschule steigern können. Okay? Ich mache mich dann mal auf den Weg zu Caro. Sie hat heute Vormittag wieder hier in Erlangen Dienst. In der neuen Filiale vom Fitness-Studio.«

Ich sagte nichts. Sah ihn einfach nur an. Marcus nickte, drückte meinen Arm und ging aus dem Büro. Ich stand da wie festgewachsen. Hatte er Fitness-Studio gesagt? Caro arbeitete in der neuen Filiale, in der Sven seit Neustem immerzu abhing? Ich riss mich aus meiner Lethargie und rannte aus dem Büro. »Marcus?« Aber er war schon weg.

»Hanne!«

Erschrocken drehte ich mich um. Meli stand vor dem Büro und klopfte gegen die Fensterscheibe. Sie winkte. Ich deutete ihr an, zur Tür zu kommen und stand auf. Inzwischen war es um die Mittagszeit.

»Hanne, hier steckst du!«, rief sie, als sie mir gegenüberstand.

»Woher weißt du, dass ich hier bin?«, fragte ich müde.

»Hanne, ich habe deine Nachricht bekommen, dass du Vertretung brauchst, aber ich konnte dich nicht mehr erreichen. Und bei dir zu Hause war auch niemand. Wo könntest du dann wohl sein?« Meli drängte sich an mir vorbei. »Hast du einen Tee für mich? Mir ist echt kalt.« Ich nickte und schlurfte zur Teeküche, um Wasser aufzusetzen. Meli folgte mir und sagte: »Komm mal her, du.« Als ich mich zu ihr umgedreht hatte, nahm sie mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich spürte neue Tränen in mir aufsteigen, aber noch konnte ich sie unterdrücken. In den letzten Stunden hatte ich mehr als genug geweint. Als der Wasserkocher aussprang, löste ich mich aus der Umarmung, holte eine Packung mit Teebeuteln und zwei Tassen aus dem Schrank über der Spüle und goss das kochende Wasser auf.

Meli saß schon am Tisch, als ich mit dem dampfenden Tee aus der Teeküche kam und sah mich erwartungsvoll an. »Danke. Ich weiß ja gar nicht, was seit Freitag passiert ist. Hast du mit Sven gesprochen? Magst du reden?«

Ich nickte, setzte mich auf einen Stuhl neben meine Freundin und zog ein Bein hoch, um mein Kinn auf dem Knie abzustützen.

»Und? Muss ich dir jetzt jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?« Meli stupste mich an. Also erzählte ich. Meli hörte einfach nur zu. Als ich an dem Punkt angekommen war, an dem ich meine Sachen gepackt und zum Flugplatz gefahren war, nahm sie mich in den Arm.

»Willst du eine Weile zu uns ziehen?«, fragte sie vorsichtig.

»Nein, das ist lieb von dir, aber ich hätte lieber etwas mehr Ruhe. Bitte entschuldige.«

»Hey, du musst dich nicht entschuldigen! Das verstehe ich doch. Und jetzt? Hat Sven sich schon gemeldet?«

»Ich habe seine Nachrichten gelöscht. Keine Ahnung, was er geschrieben hat. Du, ich fühle mich total elend.«

»Na, das ist ja auch kein Wunder!«, schimpfte Meli. »Was ist denn in den Kerl gefahren, dass er dich betrügt! Und dann auch noch mit der Freundin eures Fluglehrers!«

»Marcus war vorhin hier und er wusste das noch gar nicht. Und ich habe ihm nichts erzählt.« Ich machte mir inzwischen wirklich Vorwürfe, dass ich zu feige gewesen war, ihm etwas zu sagen.

»Hanne, das ist auch nicht deine Aufgabe. Das muss Caro tun.«

»Aber er tut mir so leid. Er hatte eine Überraschung für sie geplant«, rief ich und schluchzte doch wieder los.

»Das macht es natürlich nicht einfacher. Aber mach dich doch deshalb nicht fertig.« Meli stand auf. »Hast du überhaupt schon etwas gegessen?«

»Keinen Hunger.«

»Nix da, du isst jetzt etwas. Ich hole uns was vom Restaurant nebenan, in Ordnung?«

»Meli, danke, aber musst du nicht ins Café?«

»Mach dir keine Gedanken. Meine Schwiegermutter ist da. Ihre Schwester ist gestern aus München gekommen und passt auf die Kinder auf. Bin gleich wieder da.«

Ehe ich noch etwas erwidern konnte, war Meli schon weg. Keine halbe Stunde später kam sie mit zwei Tellern Pizza zurück und stellte einen vor mich auf den Tisch.

»Danke, Meli.« Ich nahm ein Stück von der Pizza und biss vorsichtig ab. Eigentlich hatte ich wirklich Hunger. Und die Pizza hier war gut. Unter normalen Umständen hätte sie mir sicher bestens geschmeckt. Heute aber schmeckte sie fad, trotz Artischocken und Champignons.

»So«, sagte Meli kauend. Ihr schmeckte ihre Quattro Formaggi anscheinend sehr gut. »Wie geht es jetzt weiter?«

»Wenn ich das wüsste«, sagte ich mit einem Seufzen.

Ich kaute lustlos an meinem letzten Pizzastück herum, als Sven den Kopf durch die Tür steckte. Was wollte der denn jetzt hier?

»Hey, Hanne, hier steckst du. Hallo, Meli.« Sven nickte ihr kurz zu, während Meli ihn böse anfunkelte. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Hanne, kann ich bitte mit dir reden, du gehst nicht an dein Telefon.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich will aber nicht mit dir reden.«

»Wir müssen aber reden!«

»Ach, jetzt auf einmal müssen wir reden?«

Meli schaute zwischen uns hin und her. »Soll ich mal lieber gehen, Hanne?« Sie stand auf, aber ich hielt sie zurück.

»Nein, bleib.« Dann wandte ich mich an Sven. »Du solltest jetzt besser gehen!«, sagte ich.

»Hanne!«, rief Sven. »Das ist doch albern.«

»Albern? Du findest es albern, dass ich gekränkt bin, weil du was mit Caro hast?«

»Ich wollte nicht so mit dir Schluss machen, Hanne!«

»Wie denn dann? Erstmal gucken, ob das gut passt mit euch beiden? Weißt du, wie ich mich fühle?!«, schrie ich aufgebracht.

Sven senkte den Kopf. »Wir wollten es euch sagen. Bald.« Er schwieg kurz. Dann fuhr er fort: »Und du musst doch einsehen, dass es mit dir und mir nicht mehr lange gutgegangen wäre.«

Meli stand nun doch auf. »Hanne, ich lasse euch lieber mal in Ruhe reden, in Ordnung?«

Sie nahm ihren leeren Teller, um ihn zurück zum Flugplatzcafé zu bringen und griff nach meinem Teller. Gerade noch rechtzeitig, denn ich hatte plötzlich das Bedürfnis verspürt, Sven etwas an den Kopf zu werfen und den Teller erspäht. Alles, was meine Hand nun zu greifen bekam, war ein Kugelschreiber. Den schmiss ich mit voller Wucht nach Sven. Der wehrte ab und schimpfte: »Spinnst du? Du bist ja verrückt geworden!«

Meli ging mit den Tellern in der Hand zu Sven und schob ihn aus der Tür. Er wollte protestieren, ging dann aber mit ihr nach draußen. Ich hörte noch, wie die beiden vor dem Gebäude diskutierten. Dann wurde es ruhig. Draußen jedenfalls. Ich war alles andere als ruhig. Ich bebte und fühlte mich so gedemütigt. Wie lange lief das zwischen den beiden schon? Wie oft hatten sie sich getroffen? Ich wusste es nicht und ich wollte es auch nicht wissen. Oder doch? Damit ich mich noch schlechter fühlen konnte? Jetzt kamen sie schon wieder, die Tränen. Ich löschte das Licht, ging zu meiner Isomatte und verkroch mich in meinen Schlafsack.

Und Frösche können fliegen

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