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Jericho, Westjordanland

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Ihre Morgengebete waren längst erloschen, aber der Sonnenaufgang lag noch mehr als eine Stunde entfernt. Noch schmückte ein voller Mond den unendlichen Sternenhimmel über dem Westjordanland. Eine ungemütliche Feuchtigkeit lag in der Luft und zwang die anwesenden Mönche des altertümlichen Klosters ihre schweren Kutten aus reiner Schafwolle überzuziehen. Mit ihren Füßen in schäbigen Ledersandalen fröstelten sie bei aufgehender Sonne, bereit, das Frühstücksmahl an dem langen Tisch in ihrem trostlosen Gemeinschaftsraum einzunehmen.

Fast wie in die Wand des 348 Meter hohen, kahlen Felskegels geklebt, überragte das Kloster Qarantana die Wüste Juda und bot eine spektakuläre Aussicht bis hin zum Ölberg von Jerusalem. Bereits seit dem zwölften Jahrhundert trug der Fels den Namen: „Berg der Versuchung“ und die Erbauer des Klosters hatten vor 1895 bei der Planung anscheinend in erster Linie seine hervorragende Verteidigungsposition im Auge. Seitdem erfreute sich die Abtei einer ständigen Belegung, die bis in das heutige Zeitalter anhält. Vor deren Entstehung fanden die Glaubensbrüder in den unzähligen Höhlen und Tunnelsystemen des Berges Djebel Schutz.

Die Mönche saßen an einem breiten, verschalten Tisch, der bereits vor Hunderten von Jahren von anderen namenlosen Glaubensbrüdern eines anderen Klosters gebaut wurde. Unterschiedliche Stühle wurden über Dekaden von gelernten oder weniger gelernten Fachkräften angefertigt und dem Orden zur Verfügung gestellt. Ihre Mahlzeit war mehr als einfach. Es gab ungesäuertes Brot, das in Scheiben geschnitten und in eine Art Eintopf mit Erbsen, Linsen und Pfeffer getaucht wurde. Dazu tranken sie alle einen starken, schwarzen Kaffee aus eigenem Anbau.

Es war die Zeit des Frühstücks, die ihnen private Unterhaltungen erlaubte. Danach bestimmten Gesang und Gebete ihren Alltag. Das Alter der Männer rangierte zwischen Anfang zwanzig bis fast einhundert Jahren. Die Aufgabe der Mönche und des klösterlichen Systems bestand nicht in der Verbreitung des Evangeliums oder der Rekrutierung neuer Mitglieder. Die Berufungen eines Mönches lagen im Gebet und der Sühne für die Erlösung anderer. Es war die schwierigste aller nur erdenklichen Aufgaben, da er niemals erfuhr, ob er wirklich das Leben der Mitmenschen mit seiner Arbeit berührte.

Auch der Abt Joshua hatte sein Leben ganz in den Dienst der Kirche gestellt. An sein genaues Alter konnte er sich nicht mehr erinnern und selbst sein Name - alle riefen ihn nur Bruder Josh - musste nicht automatisch mit dem seiner Eltern übereinstimmen. Seit mehr als sieben Jahrzehnten lebte er hinter den Mauern des Klosters und im Gegensatz zu den vielen anderen, die er im Laufe der Jahre kommen und gehen sah, hatte sein Glaube nichts von der ursprünglichen Kraft verloren. Mit einer Bibel unter dem Arm trottete er an diesem Morgen in Richtung Aufenthaltsraum, um sich das Frühstück mit seinen Brüdern zu teilen.


Am Abend zuvor waren überraschenderweise Sharone Rosenbaum und Abraham mit zwei ihm unbekannten Männern erschienen. Man hatte den Ankömmlingen ein einfaches Lager gewährt. Normalerweise war es Frauen nicht erlaubt, in dem Kloster zu übernachten. Bei Sharone, die ebenfalls dem geheimen Bund angehörte, war das natürlich eine andere Sache. Plötzlich kam ihm etwas in den Sinn und er hielt in seinem Gang inne. Dann wirbelte er ganz plötzlich herum, sodass sich die lange Robe fast in seinen nackten Beinen verfing, und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Diesmal allerdings mit wesentlich schnelleren und gezielter wirkenden Schritten.

Eine kleine, unscheinbare Holztür des Seitenschiffes führte ihn auf den alten Friedhof des Klosters. Die meisten hier begraben liegenden Glaubensbrüder hatte er noch persönlich gekannt. Ein schmaler Pfad brachte ihn hinauf bis unterhalb des Gipfels des kargen Felsens. Dort lag seitlich zwischen mehreren Felsbrocken und vor direkter Einsicht ausreichend geschützt der Eingang einer tiefen Höhle aus natürlichem Sandstein. Vor langer Zeit wurde diese wahrscheinlich als Rastplatz von vorbeiziehenden Hirten genutzt. Davor von primitiven Steinzeitmenschen, die an den Wänden gezeichnete Darstellungen ihrer Jagdszenen hinterlassen hatten. Joshua hatte die Höhle lange Zeit beobachtet, um sicher zu gehen, dass diese nicht einem anderen Bruder als Schlupfwinkel diente. Ihm war nicht bekannt, wie viele Mönche bereits seine Höhle in der Vergangenheit für einen persönlichen Zufluchtsort benutzt hatten.


Die Lichtverhältnisse in der Höhle waren schummrig aber durchaus nützlich für sein Vorhaben. Außerdem hatte er zwei kleine Wachskerzen mitgebracht sowie etwas Proviant und Wasser. Sein Herz hämmerte voller Erwartung und sein Magen fühlte eine Anspannung, wie schon unzählige Male zuvor, wenn er nach dem vergilbten Ledereinband mit den antiken Schriften gegriffen hatte. Die Nachricht an sich war alt, sehr alt sogar und in hebräischer Schrift auf feinem Pergament verfasst worden. Ein sterbender Vorgänger hatte den noch jugendlichen Bruder Joshua in die Geheimnisse des Klosters eingeweiht und ihm das Versteck der wertvollen Aufzeichnungen verraten. Zu weiteren Erklärungen hatte es jedoch nicht mehr gereicht. Nur das Versprechen, diese Schriftrollen ebenfalls wieder seinem Nachfolger zu übergeben – wenn Joshuas Stunde gekommen war, hatte ihm der sterbende Abt noch abringen können. Absolutes Stillschweigen über ihre Vereinbarung setzte er wie selbstverständlich voraus. Seitdem versteckt Joshua den zerschundenen Ledereinband in seiner Höhle und wann immer er Zeit fand, beschäftigte er sich mit dem, was sein Volk ihm als Testament über Jahrtausende hinweg hinterlassen hatte. Zusätzlich hatte er unzählige Stunden in dem feuchtkalten Kellerarchiv des Klosters über alten Büchern gesessen. Das meiste davon waren Chroniken der Spanier über ihre Ankunft in Südamerika, beziehungsweise Übersetzungen alter Schriften aus der Vorgeschichte Israels. Dann hatte er eines Tages zum ersten Mal von Chachapoyas gehört.

Chachapoyas? Was ist denn das?

Es war ein weitentfernter Ort, den er nicht kannte. Die in seiner Höhle versteckten Pergamentrollen sprachen allerdings von einer großen Naturkatastrophe, dem gewaltigen Königreich des Osiris jenseits des großen Weltmeeres und einer neuen Heimat für alle Jünger des Landes Kanaan. Er wusste von Besuchen des babylonischen Königs Sargon in weit entfernten Ländern sowie dessen intensiven Handelsbeziehungen – wo aber genau dieser sagenumwobene Ort liegen sollte, wußte er nicht.


Wie aus dem nichts waren dann eines Tages Sharone und Abraham aufgetaucht und hatten ihn direkt auf die hebräischen Schriften angesprochen. Sie behaupteten, Abgesandte der Jünger Kanaans zu sein und direkt von den damaligen Auswanderern abzustammen. Als Beweis zeigten sie ihm Tätowierungen in Form eines Jerusalemer Kreuzes, mit vier kleinen Kreuzen innerhalb eines Großen. Darüber hatte er bereits in den heiligen Schriften gelesen. Dazu erzählten sie ihm von einer geheimen Mission und das sie auf der Suche nach dem goldenen Land ihrer Vorfahren seien und beabsichtigten dort die Jünger Kanaans wieder anzusiedeln. Ganz so, wie es das Vermächtnis ihrer Vorfahren für sie vorhergesehen hatte. Schon bald präsentierten sie neue Erkenntnisse über die Lage einer versunkenen Stadt im Urwald von Peru und vermochten den Standort in etwa einzugrenzen. So gewannen sie am Ende die Unterstützung des Ordens für ihr Anliegen und schon bald wurde der Geheimbund mit dem Namen „Die Jünger Kanaans“ ins Leben gerufen. Und seine Mitglieder waren von sofort an unter Todesstrafe zur Verschwiegenheit verpflichtet.


Seine Augen ruhten auf den handgeschriebenen Pergamenten innerhalb ihrer Ummantelung. Seine Hände begannen zu zittern und die Texte wären fast seiner Umklammerung entglitten. Die Vorhersehung würde bald eintreffen, er vermochte es ganz deutlich zu spüren und verstand nun endgültig die Reaktionen seines vor langer Zeit verstorbenen Vorgesetzten.

Weitgehend unbekannt in der westlichen Welt, datierten Joshuas Pergamentschriften die meisten angesehenen christlichen Schriftstücke um etliche Hundert Jahre vor. Sie bestätigten aus jenen weit entfernten Tagen die Söhne Kanaans als direkte Nachkommen von Noah, Abraham und Moses, den auserwählten Kindern Gottes. Als gläubiger Christ basierte Joshuas Glauben auf der Lehre Jesus und seinen Aposteln. Dennoch stammten seine Überzeugungen aus der viel älteren Religion der Juden. Sie galten als die ersten Gläubigen an den einen, allmächtigen Gott auch ohne Christus direkt als seinen Sohn anzusehen. Joshua kannte sich bestens aus mit den frühen Geisteswissenschaften, die sich streng nach dem alten Testament richteten. Wie genau die antiken Schriften in den Besitz des Klosters gekommen waren, hatte Joshua jedoch niemals in Erfahrung bringen können.

Die schwache Flamme seiner Kerze warf bizarre Schatten auf die raue Felswand im Inneren der Höhle. Er spürte, wie ein Frösteln an seinem Rückgrat hinunterlief und wandte seinen starren Blick von dem morschen Ledereinband. Es war Zeit für ihn zurückzugehen. Vorsichtig legte er die lederne Ummantelung mit den kostbaren Pergamentschriften wieder zurück in sein Versteck, einer nur ihm bekannten Felsnische im hinteren Teil der Höhle. Dann schlurfte er auf dem gleichen Pfad wieder hinab zu dem eigentlichen Klostergelände.


Die Nacht brach bereits herein, aber die dem Kloster am nahesten liegende Energiequelle befand sich außerhalb von Jericho. Daher erfolgte sämtliche Beleuchtung nach Einbruch der Dunkelheit mittels Kerzen oder Öllampen. Beides war verhältnismäßig teuer und nicht so leicht zu beschaffen. Daher wurden selbst diese Leuchtmittel bis auf Ausnahme der Mitternachtsmesse nur spärlich eingesetzt. Dementsprechend wurde das Leben in dem Kloster vom Sonnenaufgang beziehungsweise Untergang bestimmt. Außer bei den Gebeten spät in der Nacht war es eher ungewöhnlich einen Mönch in der Dunkelheit umhergehen zu sehen.

Mit dem weiteren Fortschreiten der Nacht zündete Sharone eine zweite Kerze mithilfe der Glut der vorherigen an und erfüllte so den kleinen, schäbigen Raum mit frischem Licht. Der Mond lugte durch die Wolken, sodass sich der Lichtkegel nicht mehr nur auf den wackeligen Holztisch beschränkte, sondern nun auf dem über ihrem Bett befindlichen Kruzifix ruhte. Sie starrte auf das Abbild Jesu und glaubte eine innere Befreiung zu spüren. Durch das winzige Fenster mit den eisernen Gitterstäben hatte sie vorher beobachten können, wie der Abt von der Felsspitze zurückgekehrt war. Sie maß ihrer Beobachtung allerdings keine weitere Bedeutung bei. Warum sollten Mönche nicht auch einmal einen Spaziergang unternehmen. Immerhin hatte man sich ihrer erneuten Forderung gegenüber wohlgesonnen gezeigt. Somit war ein längerer Aufenthalt hinter diesen Klostermauern gar nicht mehr notwendig. Vielmehr war ihre Anwesenheit in Peru nun umso dringender erforderlich. Immerhin besaß Sie jetzt eindeutig bessere Argumente, um Leon für ihre Ziele einspannen, und eine Expedition nach Chachapoyas realisieren zu können.

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