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Cartagena, Kolumbien

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John Jairo Mosquera stand mit dem Rücken gewandt zu den Fenstern des großzügigen Salons seiner Penthousewohnung und meditierte vor sich hin. Er hatte die direkt in der Altstadt von Cartagena liegende Immobilie von seinen Eltern übernommen, die sie wiederum von John Jairos Großeltern geerbt hatten. Die Fenster waren mehr als vierhundert Jahre alt. Sie stammten aus einer Zeit, als das koloniale Cartagena von den Spaniern als Drehkreuz zwischen der alten und neuen Welt benutzt wurde. Ihre Flotte kam zweimal jährlich von Sevilla oder Cadiz hierher, um spanische Waren, wie Waffen, Rüstungen, Werkzeuge, Textilien sowie Pferde zu vermarkten und Gold, Silber, Perlen und Edelsteine zu laden, bevor sie den Weg nach Porto Bello und Santo Domingo fortsetzten. Die gelagerten Schätze, die nach Spanien transportiert werden sollten, und die stetig ankommenden und abfahrenden Schiffe machten die Hafenstadt aber auch sehr schnell zu einem bevorzugten Ziel von Freibeutern und Piraten.


Das durch die Fenster strömende Sonnenlicht warf einen rasterartigen Schatten auf den Fußboden. Die Möbel waren antik und ausgefallen. Es war ein Heim von außergewöhnlichem Wohlstand. Die elegante Erscheinung von John Jairo wirkte wie eine zusätzliche extravagante Ausstattung. Als letzter männlicher Erbe seines Clans stand er an der Spitze des Vermögens, das seine Familie über Jahrzehnte erwirtschaftet hatte. Das letzte Jahrhundert war ihnen besonders gut gesonnen gewesen. Sein Großvater hatte mit Smaragden und Platin gleich zwei lukrative Geschäftszweige hinzugefügt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht, Anteile der entsprechenden Minen in Kolumbien zu erwerben.

Durch die offenen Fenster seines Penthouses erfreute sich John Jairo an einem spektakulären Ausblick. Cartagena war berühmt für seine ganz in hellen Pastellfarben gehaltenen, historischen Bauwerke. Hochglanzpolierte Pferdekutschen waren oftmals das einzige Transportmittel innerhalb der geschichtsträchtigen Altstadt und wurden in bevorzugter Weise von den Touristen genutzt. Allerdings war es noch zu früh für die Touristenherden. Erst Anfang Februar, wenn die ersten Kreuzfahrtschiffe eintrafen, begann die magische Zeit des Jahres für Cartagena. Die Inhaber der vielen kleinen Geschäfte waren noch zuvorkommend und befanden sich in voller Vorfreude auf die zu erwartenden Touristenströme. In wenigen Monaten würde ihr Lächeln eher gezwungen wirken und sich ihre Gutmütigkeit spürbar verändert haben. Gegen Ende der Saison waren dann alle mürrisch und entnervt, froh die Touristen wieder los zu sein. In jedem Fall hatten sie ihr Jahreseinkommen in der Tasche.

Das vergoldete Telefon klingelte.

„Er wird in drei Tagen aufbrechen Jefe“, sagte der Anrufer ohne lange Vorrede.

„Bien. Wie beurteilen Sie seine Chancen?“

„Anscheinend hält man sehr große Stücke auf ihn. Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass er etwas finden wird.“

„Warum sagen Sie so etwas?“, fragte John Jairo, nicht wissend, ob er der soeben vernommenen Schlussfolgerung Glauben schenken sollte.

„Mangels Zeit, Herr Mosquera.“

Die Antwort kam unverzüglich, als ob der Anrufer die Frage bereits erwartet hätte. „Ich habe etwas von zwei Monaten läuten hören. Er gibt sich allerdings die größte Mühe, um seine Ausrüstung und das benötigte Material zusammenzustellen. Das Logistikproblem wird ihm jedoch bei weitem mehr Zeit abverlangen.“

„Und das bedeutet?“

„Nun ja, auf der Landkarte scheint Chachapoyas ein kleiner Ort zu sein. Wenn Sie die Umgebung allerdings zu Fuß auskundschaften möchten, dann handelt es sich um eine riesige, wilde Gegend.“

„Ich verstehe. Wie sieht es mit den eigentlichen Luftaufnahmen aus? Gibt es schon Anzeichen dafür, dass wir entsprechende Kopien bekommen können? Die Fotografien würden uns doch enorm bei unserer eigenen Suche unterstützen!“

„Eher nicht“, sagte der Anrufer bestimmt.

„Ich habe Ihnen bereits vorher erklärt, dass Leon sie niemals aus den Augen lässt. Aus dem Archiv der Minengesellschaft geht hervor, dass nur jeweils ein Set von den Luftaufnahmen angefertigt wurde.“ Er machte eine Pause. „Es tut mir Leid, Herr Mosquera.“

„Schon gut. Glauben Sie das Leon die Fotos an Guerrero aushändigen wird?“

„Ich denke schon. Aber noch hat er sie nicht. Das kann ich mit Bestimmtheit sagen. Leon ist sehr um Sicherheit bemüht, und so wird er die Aufnahmen erst am Tage der Abreise aus seinen Händen geben.“

„Dann müssen wir sie ihm eben in Chachapoyas abnehmen“, flüsterte John Jairo fast mehr zu sich selbst. Er bemerkte, dass er beinahe zu viel gesagt hatte, und änderte umgehend das Gesprächsthema.

„Wird Sharone Rosenbaum mit Guerrero in die Amazonasregion fliegen?“

„Darüber weiß ich noch nichts. Wenn ich etwas Neues herausbekomme, lasse ich es Sie natürlich wissen.“

„Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen müsste?“

„Nichts Konkretes. Außer vielleicht, das mir mein Gespür sagt, dass mehr hinter der Rosenbaum steckt, als wir alle annehmen.“

„Ihr Gespür?“

„Ich werde selbst versuchen, etwas mehr über die Dame in Erfahrung zu bringen. Halten Sie mich auf dem Laufenden, falls sich etwas tut! Wenigstens haben Sie bei der Sache mit der antiken Urne gute Arbeit geleistet.“

Ohne sich zu verabschieden legte er den Hörer auf die Gabel. Das Gespräch mit Umberto Reyes, dem ehemaligen Mitarbeiter der „Newmont Mining Gesellschaft“, war beendet.

Hm ..., sinnierte er vor sich hin. Leon hat also seinen Experten gefunden, der für ihn auf die Suche gehen wird. Dieser Claudio Guerrero hat anscheinend angebissen.

Er konnte sich dessen Aufregung nach dem Erhalt des mysteriösen Päckchens mit dem antiken Gefäß lebhaft vorstellen. Selbstverständlich hätte er die Luftaufnahmen lieber direkt von Umberto Reyes erworben, aber Leon hatte ihn schlicht und einfach überboten. Nun musste er sie sich direkt von Guerrero holen.

Er dachte an seinen verstorbenen Bruder Jaime, der als das schwarze Schaf der Familie bezeichnet wurde, wenn es überhaupt so etwas gab. Jaime war Amateurarchäologe gewesen und hatte unzählige Stunden damit verbracht, abgelegene Landstriche nach alten Hinterlassenschaften zu durchforsten. Er war davon überzeugt, in den Bergen von Chachapoyas Gold zu finden. So gab er jeweils ein Vermögen dafür aus, um in jedem Berg zu graben, der irgendwie interessant aussah. Seine Ausbeute war freilich sehr spärlich gewesen. Meistens waren die Grabstätten schon lange Zeit vor ihm geplündert worden. Frustriert hatte ihm Vater befohlen, mit der Geldverschwendung und dem verrückten Hobby aufzuhören. Von jenem Zeitpunkt an hatte sein Burder jedoch die Anstrengungen sogar noch verdoppelt und gab mehr Geld aus als jemals zu vor. Besonders die noch wenig bekannte Kultur von Chachapoyas hatte es ihm angetan. Er muss sogar etwas gefunden haben. In einem Telegramm erzählte er von verwunschenen Städten mit ungewöhnlich runden Bauten und spitzen Dächern, die irgendwo unter wild wucherndem Urwalddickicht begraben lagen. Wenig später traf noch ein Paket mit außergewöhnlichem Inhalt bei ihm ein. Die stark verkrusteten Bronzeobjekte waren auch gleichzeitig die letzten Lebenszeichen, die von seinem Bruder auftauchten. Danach ward er nie wieder gesehen und galt seitdem als verschollen.

John Jairo hatte das Telegramm immer und immer wieder gelesen und sich dann geschworen, dass er eines Tages nach Chachapoyas gehen würde, um das Werk seines Bruders zu vollenden. Diesen Traum hatte er niemals aufgegeben, aber es sollte Jahre dauern, bis er ihn ausführen konnte. Zu sehr wurde er von seiner Familie und dem Unternehmen beansprucht. Aber nun fühlte er, dass die Zeit dafür gekommen war. Die anstehenden Ausgaben für sein großes Abenteuer bedeuteten ein Nichts im Verhältnis zu dem erwartenden Rum. Sein ganzes Leben hatte er damit verbracht, das zu tun, was man von ihm verlangte. Aber dieses eine Mal wollte er etwas für sich alleine haben. Und die Erfolgsaussichten waren gar nicht mal schlecht. Etliche Galerien und Auktionshäuser auf der ganzen Welt warteten bereits auf neue Ware. Er dachte an die entzückten Augen eines befreundeten Kunsthändlers, als er ihm die fein gesäuberte Bronzefigur seines Bruders zeigte.

Und sollte sich doch kein Erfolg einstellen? John Jairo zuckte mit den Achseln. Einige Buchhalter würden sich dann ihre Köpfe darüber zerbrechen, wohin ein enormer Geldbetrag verschwunden war, aber das war auch schon alles. Er hatte eigentlich nichts zu verlieren. Aber er wusste, er würde dieses Spiel gewinnen. Das, was Leons Luftaufnahmen zeigten, war identisch mit dem, was sein Bruder bereits vor Jahren entdeckt hatte.

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