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Der erste Russe
ОглавлениеAm 3. Mai, es war ein Donnerstag, kommt die Nachricht, daß die Russen in Karbow seien und dort bereits plünderten. Am Nachmittag erscheint dann auch ein russischer Offizier oder Kommissar auf unserem Dorfplatz. Alles ist gespannt, was nun werden würde. Hinter den Fenstergardinen beobachteten die Leute sein Vorhaben.
Er steigt aus und geht dann in eins der Bauernhäuser, kommt wieder allein heraus, hat also niemand mitgenommen. Geht weiter von Haus zu Haus und revidiert nach Waffen oder versteckten Soldaten. Schließlich kommt er auch aufs Schulhaus zu. Ich sehe ihn kommen. Die Frauen mit den Kindern gehen in die hintere Wohnstube, in der Haustür empfange ich ihn, der mit so einem grimmigen Gesicht herankommt, daß ich ihm fast ins Gesicht gelacht hätte wegen seiner Verstellung. Kein Gruß.
Seine erste Frage ist: ‚Deutsch?‘ Ich antwortete: ‚Ja‘. Uhr abgenommen. Leider, meine mir so liebe Uhr, die ich seit meiner Konfirmation getragen habe. Sie war in seiner Tasche verschwunden, nur den Uhrschlüssel hatte ich behalten. Er wird wohl einen anderen gefunden haben. Weiter fragt er nach Waffen. Keine vorhanden.
Dann geht er durch alle Zimmer; ich immer mit und öffne bereitwilligst alle Schränke und Schubladen. Es wird nichts Verdächtiges gefunden. Dann kommen wir in die Stube mit den Frauen und Kindern. Wie wird es ihnen ergehen? Peter Grohmann ist so ehrlich, seine Armbanduhr herbeizuholen und an ihn auszuliefern. Schmucksachen sind längst versteckt, also nicht zu haben. Die Trauringe werden uns gelassen. Dann zieht er seinen Revolver und fragt noch einmal nach Waffen. Es sind keine im Hause.
Bei seinem weiteren Suchen im Zimmer sieht er in der Ecke beim Schreibtisch Willys Schreibmaschine stehen. Er reißt sie aus dem Kasten, schleudert sie auf den Fußboden und zertrampelt sie mit seinen Füßen. Dann ver- langt er meinen Ausweis und fragt mich, ob ich Ingenieur sei.
Auf meine Antwort, daß ich Lehrer bin, was er nicht verstehen konnte, gibt er mir die Papiere zurück und geht dann in die Schulstube, wo er sich den Flüchtlingen zu- wendet, um sich um ihre Uhren und eventuelle Schmucksachen bemüht. Dann verläßt er das Haus und nimmt draußen von den ihn umringenden Polen Ab- schied.
Wir meinten, von der ersten Begegnung mit den gefürchteten Russen noch einmal so glimpflich davon gekommen zu sein. Da wir nach den Gerüchten über die Russen besonders um die Frauen fürchteten, war es eine besondere Beruhigung, daß eines der polnischen Mädchen uns erzählte, daß es seit dem 1. April den Russen verboten sei, deutsche Frauen anzutasten.
Nie ist unser Garten so gut in Ordnung gehalten worden, als in dieser Zeit, die in anderer Weise so sehr auf uns lastete. In der Nacht vom 3. zum 4. Mai konnten wir ungestört schlafen. Auch ab Vormittag des 4. haben wir ruhig im Garten gearbeitet, Bohnen gelegt und auf dem Hof Holz zerkleinert.