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6. Szene, Gegenwart

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Hab immer doch in bösen Stunden

mir irgend einen Trost ausgfunden.

Der Kopf des langen Zündholzes flammte kurz auf, doch gleich darauf war er wieder verlöscht. Sie zog erneut die Schachtel auf, wählte ein anderes Streichholz. Dieses Mal klappte es. Ihre Hand zitterte zwar. Fast hatte es den Anschein, als vollführe die dreieckige Narbe auf ihrem Handrücken einen kleinen Tanz. Aber sie konzentrierte sich und schaffte es, den Docht der hellen Kerze auf der kleinen Anrichte zu entzünden. So wie jeden Abend. Die langsam pendelnde Flamme warf schmale Lichtstreifen auf das Bild, das neben der Kerze aufgestellt war. Es zeigte Gesicht und Oberkörper eines jungen Mannes. Er hatte dunkle Augen und ein schmales Lächeln. Einige Monate hatte eine schwarze Schleife die rechte obere Ecke geziert. Doch sie hatte das Band vor wenigen Tagen abgenommen und es gegen ein weißes getauscht. Sie rückte sich den gestreiften Ohrenfauteuil zurecht und nahm Platz. Dann hob sie das Glas mit dem Heidelbeerlikör. Sie hielt es zuprostend in Richtung Anrichte, wartete, bis das Licht der tänzelnden Flamme die lächelnden Augen auf dem Bild erreichten und aufhellten. Dann trank sie. In wohltuend langsamen Schlucken. Sie stellte das Glas wieder ab, lehnte den Kopf nach hinten. Ihre Augen ruhten auf dem Gesicht des jungen Mannes. So würde sie sitzen bleiben und still trauern. Bis in die Morgenstunden. So wie jede Nacht.

Jedermannfluch

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