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Cannabis als Arzneimittel im 20. Jahrhundert 1900–1950

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen vermehrt chemisch orientierte Arbeiten über Cannabis. Man war bestrebt, das Geheimnis des «aktiven Prinzips» dieser Pflanze zu lüften. Weiter war die erwähnte Standardisierungsproblematik der Haschischpräparate Gegenstand vieler Publikationen. Ein ebenfalls nicht neues, aber immer wieder aufgenommenes Thema war die Untersuchung der Wirksamkeit von einheimischem Hanf. Überhaupt begann man nach dem ersten Weltkrieg Faserhanf wieder vermehrt zu untersuchen, weil Indischer Hanf in Europa praktisch nicht mehr erhältlich war.

Es hatte zwar immer Hinweise gegeben, die auf Vergiftungsfälle mit Haschisch aufmerksam machten. Die Gefahr von Abusus sah man jedoch nach wie vor als inexistent oder zumindest als gering an. In den ersten internationalen Vereinbarungen über die Betäubungsmittel, die kurz nach der Jahrhundertwende getroffen worden waren, war Cannabis noch kein Thema (vgl. Kapitel 7). Erst im Laufe der Zeit gab es vereinzelt Stimmen, die sich zur Frage eines eventuellen Missbrauchs äußerten. Noch 1937 hielt die American Medical Association fest:

«Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Missbrauch von Cannabis als medizinische Substanz häufig stattfindet oder dass sein medizinischer Gebrauch zu der Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit führen könnte. Cannabis wird gegenwärtig nur noch in geringem Ausmaß für medizinische Zwecke verwendet, es wäre aber von Wert, seinen Status als therapeutisch beizubehalten. Es besteht die Möglichkeit, dass durch eine Wiederaufnahme der Untersuchungen über die Wirkung von Cannabis möglicherweise andere Vorteile der Substanz entdeckt werden, als bei ihrem gegenwärtigen medizinischen Gebrauch zu sehen sind« (MIKURIYA 1982: 93).

Einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Abhängigkeit und Gefährlichkeit lieferte der US-amerikanische LaGuardia Report (Originaltitel: Mayor LaGuardias’s Comitee on Marihuana, New York: The Marihuana Problem in the City of New York. Sociological, medical, psychological and pharmacological studies) aus dem Jahr 1944. Aufgrund der in Amerika weit verbreiten Meinung, dass der Marihuana-Konsum in einigen Städten der Vereinigten Staaten ein bedrohliches Ausmaß angenommen habe, berief der damalige Bürgermeister von New York, Fiorello LaGuardia, eine Expertenkommission ein, um eine wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen. Mediziner und Soziologen konnten jedoch nicht bestätigen, dass die allgemeinen Vorurteile gegenüber Marihuana berechtigt waren. Nach ungefähr vierjähriger Arbeit stellte die Expertengruppe zusammenfassend fest:

«Personen, die mehrere Jahre lang Haschisch geraucht haben, zeigten keine geistigen oder körperlichen Schäden, die der Droge zugeschrieben werden können» (LEONHARDT 1970: 26).

Obschon seit Beginn des 20. Jahrhunderts laufend neue industriell hergestellte Cannabismedikamente auf den Markt kamen, ging der Gebrauch der Hanfpräparate in einigen Ländern (zum Beispiel in England) bereits wieder zurück (zu den Gründen siehe weiter unten).

Die wissenschaftliche Erforschung des (Indischen) Hanfs hingegen wurde intensiv weitergeführt. Weiterhin waren es vor allem die Franzosen, die sich auf dem Gebiet der Hanfforschung hervortaten. Ein immer wiederkehrendes Thema war die Standardisierung der Hanfmedikamente: man war bemüht, diese sicherer zu machen. Auch in anderen Ländern Europas, beispielsweise Deutschland, blieb die pharmakologische Forschung mit Hanf nicht stehen. Renommierte deutsche Firmen wie Boeringer Ingelheim und insbesondere Merck in Darmstadt interessierten sich sehr für Cannabis. Merck wurde im Laufe der Zeit zum wichtigen Lieferanten für cannabishaltige Halbfabrikate wie Cannabinum tannicum (vgl. Abb. 10), aus welchem die Apotheken gebrauchsfertige Medikamente (zum Beispiel Pillen) herstellten. In der Schweiz nahmen die Basler Platzhirsche Hoffmann-La Roche und die Ciba (später Ciba-Geigy, heute Novartis) eine Pionierrolle ein. Interessant ist, dass sich die dritte große Basler Firma, Sandoz (heute Novartis), damals anscheinend nicht mit Hanf beschäftigte. Aufgrund ihrer damaligen Spezialisierung in Richtung Pflanzenalkaloide ließe sich dies zwar vermuten, aber es finden sich keine Hinweise darauf. Der Entdecker des LSD, Albert Hofmann, der seit 1929 bei Sandoz beschäftigt war, hatte zwar im Laufe der Zeit mit einigen psychotropen Substanzen nebst LSD experimentiert, nie aber mit Cannabis, wie er in einer persönlichen Mitteilung festhielt (briefliche Mitteilung von A. HOFMANN 1994).

Abb. 10: Inserat der Firma Merck, Darmstadt, um 1885.

Abb. 11: Sammlung Tschirch: Exponate von Cannabis indica und Cannabis sativa.

In der Schweiz war es neben Basel vor allem die Hauptstadt Bern, welche sich zur eigentlichen Hochburg der Haschischforschung entwickelte. Unter der Leitung des bekannten Pharmakologen Emil Bürgi erschienen in der Zeit von 1910 bis 1946 circa 30 Dissertationen zum Thema Cannabis. Bei einer Mehrzahl dieser Arbeiten wurde die Kombination eines Arzneistoffes mit Cannabis untersucht. Praktisch immer kamen die Autoren zu einem positiven Ergebnis in dem Sinne, dass eine Wirkungsverstärkung eintrat. Aufgrund dieser Ergebnisse kamen schließlich die hanfhaltigen Medikamente Indonal «Bürgi«, Indothein «Bürgi» und das Schlafmittel Satival auf den Markt.

Aus dieser Zeit stammt die vom bekannten Pharmakognosten und Pharmazieprofessor Alexander Tschirch aufgebaute Drogensammlung in Bern. Die mehrere tausend Exponate umfassende Sammlung enthält auch einige Exemplare von Cannabis beziehungsweise Haschisch (vgl. Abb. 11).

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