Читать книгу Cannabis in der Medizin - Manfred Fankhauser - Страница 21
Cannabis indica etabliert sich
ОглавлениеDie erfolgversprechenden Resultate der Pioniere O’Shaughnessy, Aubert-Roche und Moreau de Tours veranlassten viele Ärzte dazu, das neue Heilmittel in der Therapie einzusetzen. Vorerst waren es vor allem Ärzte der Kolonialmächte England und Frankreich, die sich für den therapeutischen Einsatz von Indisch-Hanf-Präparaten zu interessieren begannen. Die dazu nötigen Rohstoffe oder Präparate wurden in beachtlichen Mengen aus den Kolonien (vor allem aus Indien, zum Teil auch aus Ägypten und Algerien) nach Europa importiert (ROBERTSON 1847: 70-72).
Anfänglich übernahmen die Ärzte die von O’Shaughnessy bekannten Anwendungsgebiete, später wurde das Therapiefeld für Cannabispräparate wesentlich erweitert. Eine der Hauptindikationen blieb aber weiterhin der Starrkrampf. Damit befasste sich auch der bulgarische Arzt Basilius Béron, der sich in seiner 1852 erschienenen Dissertation Über den Starrkrampf und den indischen Hanf als wirksames Heilmittel gegen denselben intensiv diesem Thema widmete. Die Schlussfolgerung seiner Arbeit lautete:
«Ich war so glücklich, dass, nachdem wir fast alle bis jetzt bekannten antitetanischen Mitteln fruchtlos angewandt, nach der Anwendung des indischen Hanfes der mir zugetheilte Kranke vom Starrkrampf ganz geheilt wurde […] weswegen der indische Hanf dringend gegen den Starrkrampf zu empfehlen ist» (BERON 1852: 5, 48).
Zwei Jahre nach Béron veröffentlichte Franz von Kobylanski in Würzburg seine Doktorarbeit über Cannabis als Mittel gegen Wehenbeschwerden. Anders als der Engländer Alexander Christison, der sich ebenfalls mit dieser Thematik befasste, kam Kobylanski zum Schluss, dass der Indische Hanf kein sicheres Mittel zur Wehenverstärkung sei und das damals häufig eingesetzte Secale cornutum (Mutterkorn) nicht ersetzen könne (v. KOBYLANSKI 1852: 30). Im Jahr 1856 publizierte der deutsche Arzt Georg Martius seine umfassende Doktorarbeit (Pharmakognostisch-chemische Studien über den Hanf), welche große Beachtung fand. Er schreibt einleitend:
«Nachfolgende kleine Abhandlung ging zunächst aus dem Wunsche hervor, meinem Vater [einem bedeutenden Professor für Pharmakognosie und Pharmazie an der Universität Erlangen] eine Arbeit vorzulegen, deren Gegenstand den Bereich seiner Fachwissenschaft einschließt. Ich dachte hiebei an den Hanf, dessen Naturgeschichte noch manches Dunkle und Irrthümliche darbot, und der in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der ärztlichen Welt in immer steigenderem Grade auf sich zog. In der Ausführung meines Vorhabens wurde ich bestärkt durch reichliches Material, welches sich mir ganz unverhofft darbot: eine wertvolle Sendung frischen Haschisch’s von Herrn Hofapotheker Steele in Bukarest» (MARTIUS 1855).
Abb. 5: Titelblatt der Dissertation von Basilius Béron, 1852.
Abb. 6: Titelblatt der Dissertation von Georg Martius, 1856.
In der allgemeinen Euphorie gab es auch kritische Stimmen, so vom Wiener Medizinprofessor Carl Damian Ritter von Schroff, der die Cannabispräparate nicht für unbedenklich hielt. In seinem Lehrbuch der Pharmakologie (1856) stellt er fest:
«…dass der indische Hanf und alle aus ihm bereiteten Präparate in Bezug auf den Grad und die Art der Wirkung nach Verschiedenheit der Individualität sowohl im gesunden als im krankhaften Zustande die größte Mannigfaltigkeit darbieten, dass sie daher zu den unsicheren Mitteln gehören und den Arzt jedenfalls mit großer Vorsicht sich derselben bedienen soll» (V. SCHROFF 1858: 112).
Seine Vorbehalte gegenüber Cannabis kamen daher, dass ein konkreter Vergiftungsfall mit dem Indisch-Hanf-Präparat «Birmingi» aufgetreten war. Von Schroff wies darauf hin, dass Cannabispräparate auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt eingestellt und damit standardisiert werden müssten, um so derartige Überdosierungen vermeiden zu können.
Praktisch gleichzeitig veröffentlichte der deutsche Naturforscher und Schriftsteller Ernst Freiherr von Bibra sein Standardwerk Die narkotischen Genussmittel und der Mensch, in dem er dem Haschisch eine 30-seitige Abhandlung widmete: Nebst den Erfahrungen anderer beschreibt er ausführlich seinen Selbstversuch mit Haschisch, das er von Georg Martius aus Erlangen (vgl. oben) erhalten hatte. Sein abschließendes Urteil:
«Die neueren Versuche und Erfahrungen, welche man über die medicinische Wirkung der Hanfpflanze und ihrer Präparate gemacht hat, sind sehr zu ihrem Vortheile ausgefallen» (v. BIBRA 1855: 290).
In den folgenden Jahren erschienen viele Arbeiten über die medizinische Verwendung von Cannabis indica. Von Europa aus fand das vielversprechende Heilmittel seinen Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie in Europa waren es auch in den USA zuerst Künstlerkreise, die dem Haschisch zu großer Popularität verhalfen.
Bekannt wurde der Schriftsteller Bayard Taylor, der bereits in den 1850er Jahren Artikel über eigene Haschischexperimente veröffentlichte. Davon beeindruckt, wagte es der junge Literat Fitz Hugh Ludlow, selbst Haschisch zu versuchen, und veröffentlichte 1857, vorerst anonym, sein autobiographisches Werk The Hasheesh Eater (BELL 1857: 33–55).
Angespornt von den Literaten wagte nun auch der in New Hampshire ansässige Arzt John Bell einen wissenschaftlichen Selbstversuch mit einer hohen Dosis «Tilden’s»-Cannabisextrakt. Obschon sich Bell einen veritablen Cannabisrausch einfing, war er beeindruckt von der Kraft dieses Mittels und überzeugt, dass dieses, richtig dosiert, therapeutisch wertvoll sei (BELL 1857). «Tilden’s Extract» war damals in den USA das populärste Cannabismedikament: so erstaunt es nicht, dass Ludlow in seinem Selbstversuch dieses Mittel verwendete, obschon es anscheinend noch potentere Präparate gab, zum Beispiel «Herring’s Alcohol Extract» (MC MEENS 1860: 123).
Im Jahr 1860 verfasste das Medizinische Komitee des Staates Ohio einen detaillierten Bericht über die Verwendung von Cannabispräparaten in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser zeigte, dass Indischer Hanf auch in Amerika rege genutzt wurde. Die Indikationen übernahm man aus Europa: daneben wurde Haschisch auch bei Patienten mit Asthma und Bronchitis eingesetzt (MC MEENS 1860: 117–140).