Читать книгу Cannabis in der Medizin - Manfred Fankhauser - Страница 30
Die Renaissance
ОглавлениеBereits drei Jahre nach der Unterzeichnung des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel gelang es den israelischen Wissenschaftlern Yechiel Gaoni und Raphael Mechoulam, die chemische Struktur des Hauptcannabinoids Tetrahydrocannabinol (THC), aufzuklären. Bereits ein Jahr vorher war Mechoulam das Gleiche mit Cannabidiol (CBD) gelungen (vgl. Expertengespräch Seite 173).
In den folgenden drei Jahrzehnten kamen nur wenige neue Erkenntnisse über die medizinische Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden ans Licht. Gleichzeitig wurde Hanf ab Mitte der 1960er Jahre zur ultimativen Droge der Hippie-Bewegung. Der rekreative Gebrauch von Cannabis («Kiffen») eroberte die Welt und war nicht mehr aufzuhalten. Für die Medizin bedeutete dies allerdings, dass von nun an der Pflanze Cannabis das Stigma einer Droge anhaftete, was dazu beitrug, dass man das medizinische Potenzial von Cannabis vernachlässigte.
Interessanterweise machten ausgerechnet die USA, die das weltweite Verbot maßgeblich mitgeprägt hatten, den Patienten Cannabis und Cannabinoide wieder zugänglich. In den 1980er Jahren wurde das Präparat Marinol® in 27 US-Bundesstaaten zugelassen. Das Medikament wurde zur Appetitstimulierung und zur Verhinderung von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Marinol® enthält synthetisches THC: um das Image als «Drogensubstanz» zu umgehen, bezeichnete man das im Labor künstlich hergestellte THC als Dronabinol. In seltenen Fällen wurde Marinol® auch nach Europa exportiert und unter strengen Auflagen an einzelne Patienten abgegeben.
Ein Meilenstein in der Erforschung der Cannabinoide war die Entdeckung des Endocannabinoidsystems zu Beginn der 1990er Jahre (vgl. Kapitel 4). Nachdem man die beiden Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 als Andockstellen für THC und die körpereigenen Endocannabinoide entdeckt hatte, wurde die Forschung zu Cannabis enorm intensiviert. Seither haben verschiedene Länder Anstrengungen unternommen, Cannabispräparate oder Cannabinoide (THC oder Dronabinol, CBD, Nabilon, Nabiximol usw.) verkehrsfähig zu machen, auch wenn dies je nach Land sehr unterschiedlich gehandhabt wird (siehe Kapitel 6). In den letzten Jahren konnte sich vor allem das Fertigarzneimittel Sativex® (Nabiximols: enthält Cannabisextrakt) nebst den Individualrezepturen (vor allem mit Dronabinol) etablieren.
Weltweit ist die Tendenz zu erkennen, die medizinische Verwendung von Cannabis zu liberalisieren, so auch beispielhaft in Deutschland, wo seit 2017 das Verschreiben von THC-haltigen Hanfblüten möglich ist (vgl. Kapitel 7). Große Hoffnungen werden zudem auf das medizinische Potenzial des nicht berauschenden CBD gesetzt, insbesondere auf dessen antiepileptische Wirkungen. Ein Schritt in diese Richtung war die Zulassung des CBD-haltigen Epilepsiemedikamentes Epidiolex® durch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA im Juni 2018. Es ist davon auszugehen, dass in Kürze auch in Europa eine entsprechende Zulassung angestrebt wird.
«Es scheint sich abzuzeichnen, dass die Renaissance der Arzneipflanze Hanf nicht mehr aufzuhalten ist. Ob Hanf die großen Erwartungen erfüllen kann, wird die Zukunft zeigen. Bereits heute ist Cannabis für viele Patienten ein unverzichtbares Medikament geworden.»