Читать книгу Der Weg des Vagabunden - Manfred Lafrentz - Страница 3
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ОглавлениеEin Erdklumpen kam geflogen, und ich duckte mich.
„Das werdet ihr noch bereuen!“, schrie ich.
Weitere Geschosse der gleichen Art folgten, daneben Obst und Gemüse in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Daher zog ich es vor, die Auseinandersetzung abzubrechen und mich davonzumachen.
Undankbares Gesindel!, dachte ich verbittert.
Nachdem ich wochenlang versucht hatte, diese Bauern auf den neuesten Stand medizinischer Kenntnisse zu bringen, indem ich meine unfehlbaren Elixiere und Tinkturen für einen Spottpreis geradezu verschenkt hatte, jagten mich diese Hinterwäldler mit empörender Grobheit aus ihrem hässlichen Dorf! Wenn der eine oder andere meiner Kunden sich in tumber Einfalt nicht an die Einnahmevorschriften hielt und dann mit Haarausfall oder Pusteln gestraft wurde – was konnte ich dafür?
„Lass dich nie wieder in dieser Gegend blicken, du Halunke!“, hatte der Dorfbüttel gesagt und tatenlos zugesehen, als der Mob auf gemeinste Weise das Gastrecht mit Füßen trat. „Such dir woanders ein paar Dummköpfe, denen du dein Giftzeug verkaufen kannst.“
Ein Rat, den ich gerne befolgt hätte, nur leider wurden die Dörfer, in denen ich nicht schon auf ähnliche Weise verabschiedet worden war, allmählich knapp. In den größeren Städten des Südens konnte ich mich schon gar nicht mehr sehen lassen, nachdem Missverständnisse und infame Verleumdungen dazu geführt hatten, dass ich an nahezu jeder Straßenecke einen Aushang fand, auf dem sich unfreundliche Worte zu einem unvorteilhaften Porträt von mir gesellten.
Immer weiter nach Norden hatte mich daher der Drang, den Menschen meine Wohltaten zu erweisen, getrieben, und jetzt befand ich mich schon am Rand von dem, was man gemeinhin für die zivilisierte Welt hielt.
„Ach was!“, sagte ich mir. „Alles Vorurteile! Auch außerhalb der belebten Regionen gibt es sicherlich freundliche Leute, die meiner Hilfe bedürfen, und wenn sie ein bisschen argloser und vertrauensvoller sind als dieses abgebrühte Pack im Süden, dann umso besser!“
Also beschloss ich, mich weiter nach Norden zu wenden, zum großen Grenzwald, in dessen Nähe ich mich ohnehin schon befand. Ich hatte eine vage Idee, dass sich hinter dem Wald eine große Ebene erstreckte, aber Genaueres war mir nicht bekannt. Visionen von endlosem Grasland waren nicht sehr verlockend, aber wenn man keine Wahl hat, leuchtet auch der einzige Weg, der einem offen steht, recht hell.
Ein Bauer, den ich noch nie gesehen hatte, nahm mich ein Stück auf seinem Pferdekarren mit. Ein Angebot, ihm mein bewährtes, alle Arten von Gicht, Hexenschuss und ähnlichen Beschwerden vertreibendes Generalelixir zu verkaufen – denn seine gebeugte Haltung und seine mühsam wirkenden Bewegungen hatte ich sachkundig zur Kenntnis genommen –, verlief allerdings ergebnislos. Also war anscheinend zumindest ich ihm nicht völlig unbekannt. Ein engstirniger Menschenschlag, wie schon erwähnt, daher genoss ich einfach den Sonnenschein und den sommerlichen Duft nach Heu in diesen letzten Tagen des siebten Mondes und ließ mich in der warmen Luft zwischen Feldern und Obstbäumen in meine ungewisse Zukunft fahren, bis ich absteigen und ihr von da an zu Fuß entgegentreten musste.
Den Wald hatte ich bald erreicht, doch trat ich etwas zögerlich zwischen die Baumstämme seines äußeren Randes. Ein bisschen arg düster und undurchdringlich kam er mir vor, aber schon bald hatte ich mich an die Umgebung gewöhnt und schritt beherzt zwischen bemoosten Stämmen dahin, ließ mich von Farnen streicheln und lauschte entzückt dem Gezwitscher und Geschnatter der Fauna.
So sehr genoss ich meine Wanderung durch diese kühlen grünen Hallen, dass mich regelrecht Verachtung ergriff für das verweichlichte und verdorbene Geschmeiß in den Städten, mit dem ich mich so lange hatte abplagen müssen und von dem meine empfindliche und leicht verletzliche Seele so viele schändliche Grausamkeiten zu erdulden gehabt hatte. Nein, dies hier, diese unverstellte Präsenz der natürlichen Ordnung des Lebens war es, der man sich stellen musste, und nur hier konnte man eins sein mit ihr, wie es das Ziel alles menschlichen Daseins sein sollte, dachte ich aufgewühlt und den Tränen nahe.
Trotzdem war ich froh, als ich die dunkelsten Stellen hinter mir gelassen hatte und sich die Baumreihen allmählich wieder lichteten. Hier und da war mir die Präsenz der natürlichen Ordnung etwas aufdringlich erschienen, vor allem, wenn sie mit einem bedrohlichen Knurren oder verstohlenem Geraschel verbunden gewesen war. Ich hatte nicht vor, mein Streben nach Einssein mit der Natur so weit zu treiben, dass ich es im Wanst eines Untieres verwirklichen wollte.
So begrüßte ich die sonnendurchfluteten Ausläufer des Waldes, die schon in die Grasebene übergingen, mit der entspannten Freudigkeit, die mit der Verlangsamung vormals rasenden Herzklopfens und dem Trocknen von Angstschweiß auf der Stirn einhergehen.
Neben einem Baum sah ich einen Mann stehen, mit einem langen Hut auf dem Kopf und einem Stab, auf den er sich stützte. Ich hatte solche Männer früher schon gesehen und nahm an, dass es sich um einen Zauberer handelte. Sie waren leicht zu erkennen, da sie immer wichtigtuerisch mit ihren Stäben herumfuchtelten und ihre Augenbrauen grotesk in die Höhe bürsteten. Dieser hier schien völlig in eine Beschwörung versunken, denn er regte sich nicht. Es empfiehlt sich nicht, einen Zauberer bei der Arbeit zu stören. Das mögen sie nicht, und sie haben auch keine Skrupel, dem Störer entstellende und demütigende Verwandlungen anzuhexen, sodass man womöglich als Frosch mit Vogelbeinen oder als Eichhörnchen mit Krötenkopf durchs weitere Leben watscheln muss. Also trat ich sehr behutsam an ihn heran. Immerhin war ich neugierig, was er in dieser verlassenen Gegend trieb.
Als ich mich ihm näherte, merkte ich, dass er einfach nur schlief. Der Wind bewegte sacht seinen grauen Kittel und seine ebenso grauen Haare, die aus dem nicht mehr so spitzen Spitzhut herabhingen. Leise und friedlich schnarchte er vor sich hin. Die Regeln für das Wecken von Zauberern waren mir nicht bekannt, also räusperte ich mich vorsichtig. Als nichts geschah, räusperte ich mich etwas heftiger. Der Zauberer zuckte zusammen und öffnete blinzelnd die Augen.
„Hm …? Was gibt´s?“
„Seid gegrüßt, Meister!“, sagte ich respektvoll und zog meinen Hut. „Ich sah Euch hier so einsam stehen und wollte nicht unhöflicherweise an Euch vorübergehen, ohne Euch meiner Ehrerbietung zu versichern.“
Der Zauberer kratzte sich unter seinem langen Bart. „Das ist sehr freundlich von Euch. Ihr scheint ein wohlerzogener Wandersmann zu sein.“ Er sah sich um und streckte sich. „Ich wollte eigentlich nur einen Augenblick ausruhen, aber in meinem Alter schläft man leicht ein, wenn man erst mal steht.“
Während er ausgiebig gähnte, wies ich auf meine Schultertasche.
„Ich habe Eure gebeugte Haltung bemerkt. Ihr habt nicht zufällig Verwendung für ein äußerst wirksames Rückenbalsam, das ich Euch gegen ein geringes Entgelt überlassen könnte?“
„Nein, nein, mein Freund. Sehr zuvorkommend von Euch, aber nicht notwendig.“
„So ein Zaubermeister wie Ihr“, sagte ich verdrossen, „hat sicher viele Möglichkeiten, mit allerlei Zipperlein fertig zu werden …“
Er packte seinen Holzstab fester und hielt ihn hoch. „Ganz recht, ganz recht, Freund! Mit der Kunst, die ich beherrsche, ist man allen anderen immer einen Schritt voraus.“
Was für ein Angeber, dachte ich, nickte aber beifällig und fragte ihn, wohin sein Weg wohl führen mochte.
„Nun“, sagte er, „ich bin unterwegs zum Haus von Lord Sylvan. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich gern begleiten. Allzu weit kann es nicht mehr sein.“
Ich fragte mich, wo in dieser Einöde das Haus eines Lords sein sollte, aber ich hatte sowieso kein rechtes Ziel, und vielleicht erwies sich die Bekanntschaft mit einem hohen Herrn als gewinnbringend. Also folgte ich dem Zauberer.
Bald hatten wir den Wald endgültig verlassen, und nur noch einzelne kleine Baumgruppen unterbrachen die Eintönigkeit der Grasebene, die sich bis zum Horizont erstreckte.
„Ihr seid wohl ein guter Bekannter des Lords, wie hieß er gleich?“, fragte ich neugierig.
„Keineswegs.“ Der Zauberer runzelte die Stirn. „Ich kenne Lord Sylvan gar nicht. Aber es gibt Gerüchte, die von seltsamen Dingen berichten, die in seinem Haus vorgehen sollen, deshalb will ich dort nach dem Rechten sehen.“
„Seltsame Dinge?“, fragte ich beunruhigt. „Welcher Art?“
Der Zauberer zupfte an seinem Hut. „Nun, diejenigen, die dorthin gehen, kommen nicht mehr zurück.“
Ich blieb stehen. „Sie kommen nicht mehr zurück? Dann geh ich gar nicht erst dahin.“ Ich drehte mich um und stapfte davon, aber der Zauberer hielt mich fest.
„Nun wartet mal, Freund!“, rief er beschwichtigend. „Kein Grund, davonzulaufen. Schließlich habt Ihr in mir einen Begleiter, der Eure Sicherheit garantiert. Ein Meister der Magie, wie ich es bin, wird spielend leicht mit jeder Situation fertig, in die wir dort hineingeraten könnten.“
Ich war nicht überzeugt, wollte andererseits aber auch nicht die Gunst eines Meisters verlieren, die ich vielleicht noch zu meinen Vorteil ausnutzen konnte.
„Ihr seid sicher, dass Ihr gegen alles gewappnet seid?“
„Natürlich, Freund, vertraut mir!“, sagte er, und sein Lächeln war in der Tat beruhigend und Vertrauen erweckend.
Wir gingen weiter in die Richtung, in der das Haus von Lord Sylvan liegen sollte. Ich war immer noch verunsichert. Schließlich wusste ich nicht mit Bestimmtheit, ob es sich bei dem Burschen wirklich um einen Zauberer handelte oder ob er nur so tat.
„Vielleicht könntet Ihr mir eine kleine Probe Eurer Kunst vorführen? Nur damit ich weiß, dass Ihr wirklich ein Zauberer seid. Versteht mich nicht falsch, ich glaube Euch natürlich alles, was Ihr sagt.“ Ich machte ein bekümmertes Gesicht, in dessen Ausdruck ich allen Schmerz legte, den ich durch die Gemeinheit der Welt erfahren hatte. „Aber das Leben hat mich misstrauisch gemacht, versteht Ihr?“
Er sah mich fragend an. „An was denkt Ihr?“
Ich überlegte und wies dann auf einen niedrigen Busch. „Verwandelt doch einen dieser Zweige in eine blühende Blume. So ein kleines Kunststückchen dürfte Euch nicht schwerfallen, oder?“
Der Zauberer wirkte nicht erfreut. „So was ist schwieriger als Ihr denkt. Es erfordert höchste Konzentration, und ich will meine Kräfte nicht vergeuden. Wer weiß, was wir …“
„Nun macht schon!“, rief ich ungeduldig dazwischen. „So eine kleine Sache kann doch nicht so schwer sein. Und ich wäre ruhiger, wenn Ihr mir Eure Fähigkeiten beweisen könntet.“
Er kniff ärgerlich die Augen zusammen. „Also gut, also gut!“
Er hob seinen Holzstab, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Richtung des Busches und murmelte unverständliches Zeug. Die Luft schien ein wenig zu flimmern, und als ich danach auf den Busch sah, trug dieser tatsächlich anstelle eines Zweiges einen Stängel mit leuchtend roten Blüten. Es sah auf komische Weise unpassend aus.
„Alle Wetter!“, rief ich lachend. „Das ist ja großartig!“
Der Zauberer strahlte. „Seht Ihr? Seht Ihr?“, rief er triumphierend. „Es hat funktioniert! Ich hielt den Stab hoch, so, und sagte einen Zauberspruch, und schon geschah´s. Na also, haha!“
„Ihr scheint ein wenig überrascht“, sagte ich verwundert. „Als würdet Ihr das Gelingen Eurer Zauberei eher selten erleben.“
„Was soll das heißen?“, fragte er grimmig und hob den Stab gegen mich. „Wollt Ihr meine Meisterschaft bezweifeln?“
„Keineswegs, keineswegs“, versicherte ich eilig. „Ihr habt sie eindeutig bewiesen, und ich gehe jetzt zuversichtlicher mit Euch mit.“
Wir gingen weiter, er etwas mürrisch, ich eher verwirrt. Eine Weile sagten wir beide kein Wort, sodass ich begann, mich unbehaglich zu fühlen. So wie es aussah, konnte ich allerdings keinen Rückzieher mehr machen. Er wäre vermutlich beleidigt gewesen, wenn er es nicht schon war, und mit beleidigten Zauberern ist nicht zu spaßen. Ein Eichhörnchen mit Froschbeinen ist keine schöne Existenz.
Schließlich brach ich zaghaft das Schweigen. „Woher wisst Ihr eigentlich, in welche Richtung Ihr gehen müsst?“ Ich konnte auf der Grasebene nichts erkennen, was als Orientierungspunkt hätte dienen können.
„Gute Zauberer wissen das“, knurrte er unwirsch. Aber dann wurde seine Miene etwas freundlicher. Er holte einen Gegenstand aus einer Tasche seines ausgebeulten Gewandes.
„Seht Ihr? Das ist ein Richtungsstein“, sagte er und zeigte mir ein flaches rundes Ding aus grauem Stein, in dessen Mitte sich eine Vertiefung befand, worin ein zitterndes Stäbchen aus Metall immer in die gleiche Richtung wies.
„Das Stäbchen zeigt nach Norden“, sagte der Zauberer und drehte den Stein bis das Zeichen für Norden am Rand des Steins in die selbe Richtung wie das Stäbchen wies. „Von der Stelle aus gesehen, wo wir uns trafen, liegt das Haus von Lord Sylvan nordwestlich, so viel weiß ich. Unsere Richtung stimmt also, und wir müssten bald da sein.“
„Wenn Ihr das sagt.“ Eigentlich hatte ich es nicht so eilig, diesen verrufenen Ort zu erreichen. Stattdessen hatte ich Hunger. „Ihr habt nicht zufällig etwas Nahrhaftes dabei, das uns erquicken und für den Rest des Weges stärken könnte?“, fragte ich hoffnungsvoll.
Er seufzte. „Also gut, lasst uns kurz rasten und etwas essen.“
Während wir uns aufs Gras setzten, holte er aus einer weiteren verborgenen Tasche seines interessanten Gewandes einen Beutel hervor und reichte mir etwas von seinem Inhalt. Bröckelige Teigfladen und getrocknete Früchte, wie ich verdrossen feststellte.
„Ihr habt wohl exquisitere Leckereien erwartet?“, fragte er, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. „Wenn Ihr etwas Schmackhafteres zum Mahl beisteuern könnt, dann nur heraus damit!“
„Es ist äußerst wohlschmeckend“, versicherte ich eilig. „Und es ist sehr großzügig von Euch, dies mit mir zu teilen.“ Ich kaute begeistert, um meine Worte zu unterstreichen, und schluckte das trockene Zeug herunter. Viel zu kauen gab es aber nicht, daher brachen wir bald wieder auf.
Wir waren noch nicht lange unterwegs, als mich der Zauberer am Arm packte und mit der anderen Hand zum Horizont wies.
„Ich glaube, das ist es“, sagte er.
Ich konnte nur eine Bauminsel erkennen, nicht anders als andere, die immer mal wieder die Grasebene unterbrachen. Aber nachdem wir eine Weile weitermarschiert waren, sah ich, dass mein Begleiter recht hatte. Umstanden von einigen hohen Laubbäumen, befand sich mitten in der Ebene ein Haus, dessen weiße Wände unter dem Grün der Blätter hervorleuchteten.