Читать книгу Der Weg des Vagabunden - Manfred Lafrentz - Страница 7
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ОглавлениеElfen sind im Süden sehr selten anzutreffen. Dementsprechend rufen sie dort großes Interesse hervor. Die Leute halten sie für Wunderwesen, und sie genießen hohes Ansehen. Als ich mein Geschäft noch in den großen Städten des Südens betrieben hatte, war ich sehr neidisch auf einen Kollegen gewesen, dem es gelungen war, eine Partnerschaft mit einem Elfen einzugehen. Egal was dieser Bursche verkaufen wollte, der Elf brauchte nur aufzutreten, ein paar lobende Worte über das Zeug fallen zu lassen, und schon schlugen sich die Leute darum, es kaufen zu dürfen. Leider blieben meine Versuche, den Elfen für mein Geschäft zu gewinnen, erfolglos. In der Folge musste ich die Stadt, in der ich es probiert hatte, verlassen, denn jener Kollege hatte in seinem missgünstigen Wesen meine Abwerbungsversuche ziemlich unfreundlich aufgenommen und mir, Vielverdiener, der er war, einige üble Schläger auf den Hals gehetzt. Nun ja, das Leben auf Wanderschaft hat ja auch seine Vorteile.
Seit ich von der Erdfrau gehört hatte, dass Elfen in der Nähe waren, ging mir die Idee im Kopf herum, einen von ihnen als Geschäftspartner anzuwerben, ihn angemessen zu beteiligen, und selber sehr reich zu werden. Schließlich hatte ich meine Fläschchen und Tiegelchen immer noch dabei. Außerdem war es kein Problem, neue Tinkturen und Säfte herzustellen. Das Geheimrezept war sehr schlicht und sein größter Vorteil die schnelle Mixtur. Nachdem Meister Norwin sich so schmählich aus der Affäre gezogen hatte, fühlte ich mich frei für neue Unternehmungen.
Falls ich dabei irgendwo zufällig auf einen dieser obskuren Ratszauberer treffe, dachte ich, so will ich ihm die Angelegenheit schon aufbürden und dann meiner Wege gehen.
Dem Pfeil des Richtungssteins zu folgen, war zunächst nicht schwierig. Ich durchquerte lichtes Gehölz, wanderte über viele kleine Lichtungen und kam gut voran. Das harte Brot der Erdfrau lag mir schwer im Magen, und meine eigenen Vorräte aus Lord Sylvans Haus waren schon recht erschöpft, aber zumindest hatte mir der Trank gut getan, sodass ich kaum rasten musste. Doch je weiter ich nach Norden vordrang, desto mühsamer wurde es, voranzukommen. Die Bäume standen immer dichter, waren dick mit glitschigem Moos überzogen und teilweise regelrecht von Efeu eingesponnen. Immer öfter musste ich nach Osten und Westen ausweichen, um eine Möglichkeit zu finden, ein Dickicht zu umgehen, was nicht nur beschwerlich, sondern auch verwirrend war. Ohne den Richtungsstein wäre ich verloren gewesen und hätte womöglich nie mehr aus dem Wald herausgefunden. Auch mit ihm war ich skeptisch und überlegte, ob sich die Mühe überhaupt lohnte. Während ich das Für und Wider abwog, bog ich ein dickes Büschel Farne zur Seite und erstarrte. Vor mir standen zwei Gestalten und schauten mich wütend an.
Mit dem kultivierten Elf, den ich aus dem Süden kannte, hatten diese beiden wenig Ähnlichkeit. Sie waren hochgewachsen, und ihre Gesichter waren länglich und starr wie Masken, umweht von langem braunen Haar. Ihre grünweiße Kleidung war schlicht und schien aus dünnem Stoff gesponnen. Der eine hielt einen hölzernen Speer in der Hand und richtete die Spitze auf mich.
„Was willst du hier?“, fragte er in einem singenden Tonfall und so schnell, dass ich die Silben kaum auseinanderhalten konnte. Offenbar war die Benutzung der Mittelsprache ungewohnt für ihn.
Ihr plötzliches Erscheinen hatte mich etwas eingeschüchtert, aber ich versuchte es zu überspielen.
„Ihr Herren“, sagte ich in freundlichstem Ton, „ich suche den Ort, an dem die Elfen leben. Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr mir sagen könnt, wo er sich befindet?“
„Du stehst mitten drin“, antwortete der Speerträger trocken.
Verwirrt schaute ich mich um. Ich sah nur Bäume und Dickicht, wie ich schon seit einer Weile nichts anderes wahrgenommen hatte. Als ich dann jedoch etwas genauer hinsah, entdeckte ich plötzlich ein Paar Beine, das von einem Ast herabbaumelte. Sie gehörten zu einem Elfenkind, wie ich nun, aufmerksamer geworden, erkannte. Um es herum saßen weitere Kinder auf anderen Ästen. Als sie merkten, dass ich sie entdeckt hatte, bewarfen sie mich mit Nüssen und kicherten.
Je mehr mein Blick sich schärfte, desto Erstaunlicheres nahm ich wahr. Zwischen den Ästen der größeren Bäume befanden sich hüttenartige Gebilde aus Laub und Zweigen, die vom Blattwerk kaum zu unterscheiden waren und offenbar auf fest verankerten Plattformen standen. Was ich für Dickicht gehalten hatte, erwies sich als zeltartige, aus Sträuchern und Blättern zusammengefügte Behausungen mit kleinen Fensterlöchern, aus denen mich Elfendamen spöttisch oder hochmütig angrinsten, während männliche Elfen die Fäuste gegen mich schüttelten.
„Du trampelst wie ein Wildschein durch unser Gebiet und schreckst unsere Kinder auf“, sagte der Elf mit dem Speer. „Also, was willst du?“
„Nun“, sagte ich zaghaft, „ich hätte einen Vorschlag zu machen.“ Ich schaute etwas zuversichtlicher in die Runde. „Wenn sich ein Angehöriger Eures ehrenhaften Volkes zu einer Geschäftsbeziehung mit mir entschließen könnte, wären die Aussichten …“
„Deine Geschäfte interessieren uns nicht“, unterbrach mich der Elf barsch. „Mach, dass du wegkommst, Vagabund!“ Feindselig wandten die Alben sich ab.
Da stand ich nun. Einen Anknüpfungspunkt für weitere Gespräche konnte ich nicht erkennen. Als ich mir eingestehen musste, dass mein Plan fehlgeschlagen war, und ich mich gerade auf den Weg machen wollte, zupfte mich jemand am Ärmel. Ich wandte mich um. Vor mir stand eine junge Elfendame, einen Kopf kleiner als ich. Schwarze Locken ringelten sich vor ihren grauen Augen, als sie zu mir hochblickte.
„Ich würde gerne mit dir gehen“, sagte sie und lächelte schüchtern.
Sie war nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte, etwas mickrig und bei Weitem nicht so eindrucksvoll wie der Elf meines Kollegen im Süden, aber nun ja, Elfe blieb Elfe, und wenn man nicht so genau hinsah, mochte sie meine Zwecke erfüllen.
„In Ordnung“, sagte ich. „Du kannst mitkommen.“
„Oh, gut!“, rief sie. „Warte einen Augenblick, ich muss nur noch etwas holen.“ Sie sprang davon und verschwand zwischen den Laubhütten. Kurz danach kam sie mit einer Mandoline in der Hand zurück, die sie sich mit einem Gurt auf den Rücken schnallte. Dabei wurde sie von den Elfenkindern mit Nüssen beworfen.
„Du bist bei deinem Volk wohl genauso beliebt wie ich bei meinem, was?“, fragte ich scherzhaft.
„Nein“, sagte sie traurig. „Die mögen mich nicht.“
Ironie war offensichtlich nicht ihre Stärke.
„Wir gehen nach Osten“, verkündete ich und holte den Richtungsstein hervor.
„Was ist denn das?“, fragte die Elfe neugierig.
Ich lächelte gönnerhaft. „Eine praktische kleine Erfindung, die ich gemacht habe. Damit weiß man jederzeit, in welche Richtung man gehen muss.“
Sie hob die Augenbrauen. „Weißt du das denn nicht auch so?“
„Wie soll man in diesem verdammten Wald überhaupt wissen, wohin man geht, wenn man nicht einmal den Himmel sehen kann?“, knurrte ich ärgerlich und wies in die Richtung, die der Stein als Osten auswies. „Nach da! Aua!“ Noch mehr Nüsse. „Und zwar schnellstens!“
„Aber der gerade Weg ist nicht immer der schnellste“, sagte die Elfe. „Wir kämen besser voran, wenn wir den Windungen folgten, die der Weg machen will, anstatt gegen sie anzukämpfen.“
„Also gut“, seufzte ich. „Dann führe uns.“
Sie ging voran, und ich folgte ihr. Ich musste zugeben, dass wir ziemlich leicht und schnell vorankamen, verglichen mit der Plackerei, die ich auf dem Weg zu den Elfen erduldet hatte. Bald kamen wir auch in lichteres Gehölz und überquerten die eine oder andere sonnenbeschienene Lichtung, eine Wohltat nach den düsteren Hallen des Waldes.
Wir hatten den Weg bislang schweigend zurückgelegt. Die Elfe ging behände voraus, und ihr schmaler Leib schien geradezu über dem Boden zu schweben. Ihr hellgraues, grünlich schimmerndes Gewand sorgte dafür, dass sie manchmal fast vor meinen Augen verschwand, indem es das Grün der Pflanzen reflektierte. Nun, wo Sonnenlichtpunkte auf ihrem Kleid tanzten und die Saiten ihrer Mandoline zum Funkeln brachten, war mir leichter zumute. Ich rückte auf, ging neben ihr her und begann ein Gespräch.
„Wie heißt du?“, fragte ich.
„Eluîna Aguîna Vinuînastochter.“
Ich schwieg beeindruckt.
„Und du?“
„Du kannst mich Vagabund nennen.“
„Oh.“ Es klang ein wenig enttäuscht.
„Alle nennen mich so. Ich kann mich gar nicht mehr an meinen richtigen Namen erinnern.“
„Ist gut“, sagte sie spitz. „Ich möchte dein Gedächtnis nicht überfordern.“
In diesem Moment schien es mir, als könnte diese Partnerschaft ein wenig anstrengend werden.
Wir schwiegen eine Weile.
„Wieso warst du bereit, mit mir zu kommen?“, fragte ich schließlich. „Die anderen waren ziemlich unfreundlich zu mir, vor allem, wenn man bedenkt, dass mein Vorschlag ihnen nur zum Vorteil gereicht hätte.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Sie wollen mit Menschen nichts zu tun haben, deshalb sind sie ihnen gegenüber rau und abweisend. Sie verlassen den Wald niemals. Ich dagegen würde nach all den Jahren dort gern einmal etwas anderes sehen, aber alleine wegzugehen, hab ich mich nie getraut.“
„Nach all den Jahren?“, fragte ich belustigt. „Wie alt bist du denn?“
„Ich bin einhundertdreiundzwanzig Jahre alt“, sagte sie schlicht.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Manche Elfen sind richtige Angeber. Der Elf, dem ich im Süden begegnet war, hatte behauptet, er habe bei der Erschaffung der Welt seine Hände mit im Spiel gehabt. Das hatten natürlich nur die einfältigsten Gemüter geglaubt, von denen es allerdings recht viele gab, immer bereit, alles anzubeten, was ihren Verstand überstieg. Genau dies war auch der Kundenkreis nach dem Händler wie ich Ausschau hielten.
„Einhundertdreiundzwanzig Jahre!“, rief ich grinsend. „Dann bist du ja eine ganz schön alte Dame.“
„Nein, nein, so ist das nicht“, wehrte sie hastig ab. „Bei meinem Volk ist das sehr jung.“
„Klar. Sag mal, hast du vielleicht etwas zu essen dabei?“ Die ständige Wanderei machte hungrig, und meine kargen Vorräte hatte ich am Vormittag erschöpft.
Sie nickte. „Ich habe ein wenig Gebäck mitgenommen.“ Sie holte einige Brösel und Brocken aus einer Tasche ihres Gewandes. Sehr appetitlich sahen sie nicht aus, aber ich wollte nicht unhöflich sein.
„Das schmeckt nach gar nichts“, sagte ich enttäuscht.
Sie schob sich einen Krümel in den Mund. „Aber es ist sehr nahrhaft und leicht zu transportieren. Du solltest nicht so viel davon auf einmal essen.“
Ich hatte sowieso schon genug von dem Zeug und fühlte mich auf einmal pappsatt und durstig. Als wir an einer Quelle vorbeikamen, legte ich mich hin und soff wie ein Pferd. Danach fühlte ich mich regelrecht aufgebläht und ließ einen gewaltigen Wind.
Eluîna lächelte verlegen. „Wie gesagt, nicht so viel auf einmal …“
„Es wäre besser“, ächzte ich, „wenn du solche wissenswerten Einzelheiten beizeiten verkünden würdest, und nicht erst dann, wenn es nichts mehr nützt.“
Ich blieb liegen bis die Blähungen nachließen. „Woraus, zur Hölle, wird das Zeug gemacht?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, wie es hergestellt wird. Bei meinem Volk backen nur die Männer.“
Das fand ich sehr eigenartig, aber ich musste zugeben, dass es eine sehr männliche Nahrung war, wenn sie mich in die Knie zwang.
Schließlich erholte ich mich und kam mühsam auf die Beine, sodass wir unseren Weg fortsetzen konnten. Eher nebenbei bemerkte ich, dass der Wald nun erheblich lichter wurde. Zwischen den weit auseinanderstehenden Bäumen erstreckten sich Grasflächen, in deren weichen Boden ich aufgrund meines schweren Bauches ungebührlich tief einzusinken meinte. Innerlich war ich immer noch mit der vorangegangenen Völlerei beschäftigt, sodass ich verwirrt aufsah, als Eluîna unvermittelt stehen blieb. Ich folgte ihrem erstarrten Blick und entdeckte vor uns drei Elfenfrauen, die uns den Weg versperrten. Alle drei waren sehr hochgewachsen und sehr schön – die rötlichbraunen Haare loderten fast im Sonnenlicht –, aber sie wirkten auch sehr hochmütig. Mich schienen sie kaum wahrzunehmen, aber als die mittlere Elfin Eluîna anredete, bediente sie sich der Mittelsprache.
„Spiel für uns, Singvogel!“ Die beiden anderen brachen in helles Lachen aus, während Eluîna ihre Mandoline hinterm Rücken hervorholte und sich auf einen umgestürzten Baumstamm setzte. Die drei Elfinnen machten spöttische Bemerkungen über ihren Gesichtsausdruck. Tatsächlich machte sie einen angespannten, fast wütenden Eindruck.
Ich setzte mich etwas abseits auf einen Felsen und wartete ab. Eluîna stimmte ihr Instrument und begann zu spielen. Als sie bald darauf anfing zu singen, verstummte das Gekicher der Elfendamen. Die Worte des Liedes entstammten wohl der Elfensprache, denn sie waren mir völlig unbekannt. Die Melodie war ein wenig traurig und verträumt, und je länger das Lied dauerte, desto ernster wurden die Elfinnen. Ich sah, wie der mittleren eine Träne über die Wange rollte, und wunderte mich.
Als Eluîna ihr Lied beendet hatte, erhob sie sich mit grimmigem Gesicht und blieb stehen, als wartete sie auf etwas. Die mittlere Elfin sprach ein paar Worte zu ihr in ihrer Sprache und strich ihr mit der Hand durch die schwarzen Locken. Dann wandte sie sich abrupt ab und lief leichtfüßig mit den beiden anderen davon. Eluîna drehte sich um und marschierte los, und ich beeilte mich, sie einzuholen.
Ich sah sie neugierig an. „Sie behandeln dich ein bisschen von oben herab, was?“
„Hm.“, machte sie einsilbig.
„Warum?“, fragte ich.
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. „Es liegt wohl daran, dass mein Vater ein Mensch war.“
„Tatsächlich?“
„Ich habe ihn nicht gekannt, und er ist natürlich schon lange tot.“
„So um die hundert Jahre, vermutlich“, sagte ich.
„Ja“, sagte sie traurig.
„Hat deine Mutter dir nichts von ihm erzählt?“
„Nein. Ich habe oft gefragt, aber die menschliche Herkunft gilt bei uns als Makel. Sie hat mir schließlich verboten, darüber zu reden.“
„Na so was!“, rief ich empört. „Dabei ist sie es doch gewesen, die sich mit einem Menschen eingelassen hat. Mit Verlaub, aber deine Mutter ist mir nicht sonderlich sympathisch, auch wenn ich sie nicht kenne.“
Eluîna lächelte. „Du hast sie eben gesehen. Die mittlere der drei war meine Mutter.“
„Ach.“ Das nahm mir den Wind aus den Segeln, denn die Erscheinung der drei hatte mich schon ein wenig beeindruckt. „Trotzdem“, beharrte ich. „Sie hätte dir ruhig von deinem Vater erzählen können.“
„Ich wünschte manchmal“, sagte sie sehnsüchtig, „er könnte, für einen Tag nur, oder auch nur für die Dauer eines Liedes, das ich für ihn singen könnte, aus dem Totenreich zurückkehren.“
Das erinnerte mich an etwas, und unbehaglich schweigend stapfte ich neben ihr her.