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Kapitel 3 - Schurik erforscht die menschliche Reproduktion
ОглавлениеSchurik brannten die Augen. Müde strich er sich über das Gesicht. Auch diese Versuchsreihe hatte nicht das erhoffte Ergebnis gebracht. Gestern der 384., heute der 385. Und 386. Test und morgen…, morgen war Sonnabend und kein Ende abzusehen. Den Luxus eines freien Wochenendes konnte er sich eigentlich nicht leisten. „Arbeiten, arbeiten, arbeiten“, hatte ihm Walentin Gennadjewitsch gönnerhaft empfohlen, als er in einer Institutssitzung angelegentlich von den Mühen der Ebene zwischen Pipetten, Mikroskopen und Petrischalen berichtet hatte.
„Der wissenschaftliche Erfolg besteht zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration.“ Der Alte war sich wirklich für keinen Spruch zu schade, egal, ob er nun von Lenin oder von Einstein stammte. Als ob er je bei der Arbeit geschwitzt hätte! Transpiration kannte der doch nur als Folge des Beischlafs mit jungen Studentinnen, fauchte Schurik vor sich hin. Voller Neid über die willigen, karrieregeilen Mädchen im Dunstkreis des Direktors, die für ihn, Schurik, unerreichbar blieben. Aber auch über die Leichtigkeit, mit der Walentin Gennadjewitsch Klobow, genannt „der Bulle“, an die Spitze des renommierten Instituts für menschliche Reproduktion gelangt war.
In Festtagsreden verwiesen die Laudatoren gerne auf die „Dynastie“ der Klobows, wo wissenschaftliches Genie von Generation zu Generation weitervererbt worden sei. Von wegen Genie! Schurik spülte verdrossen das Ergebnis seines 385. Fehlversuchs in den Ausguss. Das mochte auf Nikita Maximowitsch Klobow, den Großvater des Bullen, noch zutreffen. Der hatte sich tatsächlich um Genetik, Vererbungslehre, aber auch ganz praktisch um Probleme von Zeugung und Schwangerschaft verdient gemacht. Doch das war lange, sehr lange her. Der alte Klobow hatte schon geforscht, als der Scharlatan Trofim Lyssenko noch sein falsches Spiel trieb. Es war Lyssenko, der Stalin den Vorwand dafür lieferte, die Genetik gewissermaßen in die Verbannung zu schicken. Für Jahrzehnte.
Immerhin, sinnierte Schurik, war der alte Klobow taktisch geschickt gewesen. Mit Rückendeckung einiger hochrangiger Vertreter der Mächtigen wandelte er sein Genetik-Institut, scheinbar dem Zug der Zeit folgend, in eine Einrichtung zur Erforschung der menschlichen Fortpflanzung um. Worte sind geschmeidig, Papier ist geduldig. Das kam gut an, der Diktator brauchte Soldaten. Dass sich Klobow I. in seinem kleinen Privatlabor auch mit Genetik beschäftigte, fiel dabei nicht weiter auf.
Mit zunehmendem Alter muss bei ihm dann wohl die genetische Disposition zum Schutz der eigenen Sippe über den Hang zur Wissenschaft gesiegt haben. In einem Anfall von Schwäche, anders konnte es sich Schurik nicht erklären, bewog Nikita Maximowitsch die Verantwortlichen in Staat und Partei, seinen wissenschaftlich nur mäßig fähigen Sohn Gennadi Nikititsch zu seinem Nachfolger zu ernennen.
Und nun die dritte Generation. Eine totale Katastrophe. Der einzige Beitrag des jetzt herrschenden Bullen bestand in einer weiteren Umbenennung: allrussisches Wissenschafts-Zentrum zur Reproduktionsforschung hieß die Einrichtung jetzt.
Und er, Schurik, gehörte zu den Opfern. Als bester Absolvent seines Jahrgangs hatte ihn der Bulle geholt, um das zu bewerkstelligen, was er selbst nicht konnte, was die Geldgeber in der Regierung aber erwarteten. Er sollte die russischen Frauen fruchtbarer, die Männer zeugungsfähiger machen und das russische Volk vor dem Aussterben bewahren. Den Herren und Damen Politiker schwebte so etwas wie eine Fruchtbarkeitspille für die Frau vor, für die Männer ein russisches Pendent zu Viagra, nur viel besser. Diese Kombination schien ihnen die Lösung für das Bevölkerungsproblem zu sein. Schurik grinste leise. Es war erstaunlich, wie heutzutage Leute in die Politik gelangten, deren Intelligenzquotient kaum über dem eines dressierten Affen lag.
Das alles wäre noch irgendwie zu ertragen gewesen, wenn die Aussichten gestimmt hätten. Man konnte es sich mit den Dotationen aus dem Staatsetat durchaus auf lange Sicht gut gehen lassen. Mangelnde Erfolge ließen sich bestens hinter einer wissenschaftlichen Terminologie verbergen, die die Geldgeber nicht verstanden. Solange man mit ihnen auf gutem Fuße stand, war der Zufluss der Finanzen gesichert.
Doch die Aussicht, eines schönen Tages den Bullen zu beerben und die Leitung des Zentrums zu übernehmen, hatte sich jäh zerschlagen. Schurik stöhnte auf. „Dummes Weib“, grollte er lautstark durch das menschenleere Labor. Ira, die einzige legitime Tochter des Bullen und Garantin für seine, Schuriks Familienanbindung, hatte ihm den Laufpass gegeben.
Seit einer Woche zog sie mit einem Milliardärssohn durch die Moskauer Clubs und Bars, ließ sich von ihm in einem silberfarbenen Mercedes-Jeep durch die Stadt kutschieren. Und da dieser Sergej Smirnow kürzlich, wenn auch mit mäßigem Erfolg, noch ein Medizinstudium absolviert hatte, war nun er der heiße Anwärter auf den Posten des Institutschefs. Ira, Papas Liebling, würde schon dafür sorgen. Wenn Smirnow denn überhaupt wollte, bei der Knete, die sein Vater besaß.
Beim Gedanken an diese Aussichten verschlechterte sich Schuriks ohnehin schlechte Laune schlagartig weiter. Die Pillenforschung, wie er sein Arbeitsgebiet verächtlich nannte, würde sein weiteres Leben bestimmen. Wenn ihm nicht eine Lösung einfiel. „Für heute ist Schluss“, teilte er sich selbst in einem Anfall von Überdruss mit. Sollten die nächsten Versuchsreihen doch bis morgen, besser noch bis Montag warten. Er trug die Tagesergebnisse in die Kladde ein und räumte die Versuchsanordnung zur Seite. An einem Freitagabend hatte auch er das Recht auf Entspannung.
Aber bevor er sich ins Nachtleben stürzte, wollte er noch einen Blick auf sein privates Forschungsprojekt werfen. Der Institutschef ahnte nicht einmal, dass sich sein Untergebener ganz nebenbei abseits der von ihm und dem Ministerium abgesegneten Bahnen bewegte. Wie sollte er auch, kam er doch so gut wie nie in die Niederungen der Alltagsarbeit.
„Na, wie geht’s meinen Babys“, flüsterte Schurik, als er nach den sich teilenden Eizellen schaute. Dass er diese Experimente überhaupt machte, war natürlich nicht ganz legal. Er beruhigte sich damit, dass es nie zu den großen wissenschaftlichen Durchbrüchen gekommen wäre, hätten sich die Forscher immer an die Vorschriften gehalten.
Er schob den Gedanken beiseite, denn was er jetzt sah, ließ eine wahnwitzige Hoffnung keimen. Das sah nach einem möglichen Durchbruch aus. Genaueres würde sich in den kommenden Tagen ergeben. Aber er war optimistisch. Am Ende des Tunnels glomm ein Lichtlein auf!
Beschwingt tänzelte er durch die leeren Gänge des Instituts. Die Sicherheitskräfte warfen sich verständnisinnige Blicke zu.
„Durchgeknallt, dieser Typ. Hat wohl zu viel an seinen Reagenzgläsern geschnüffelt.“
Schurik merkte nichts davon, er überlegte euphorisch, wo und mit wem er den heutigen Abend gestalten würde.