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Der magische Berg

Das Ringgebirge hatte ich hier im Norden schon einmal überquert. Ich kannte die Gefahren durch die Monster und die Kälte, die einem hier auflauerten. Aber ich war nicht auf die Überraschung vorbereitet, die uns hier erwartete.

Wir bildeten eine lange Reihe, bestehend aus fünf Reitern und fünf Packpferden. In der Mitte rollte Borrans Kutsche, gezogen von einem kräftigen Pferd mit wollartigem Haar. Diese Rasse war ausdauernd und unempfindlich gegen Kälte, aber nicht schnell.

An der Spitze des Zuges ritt Wottack, das Ende bildeten im Wechsel Pia Tenga und ich. Auf Weisung unseres Anführers mussten wir uns alle paar Minuten umdrehen, um sicherzustellen, dass uns niemand auf dem Pfad folgte. Wen er da im Verdacht hatte, sagte er jedoch nicht.

Zunächst blieben wir zwei Tage lang auf einem gewundenen, leicht ansteigenden Weg entlang der Flanken der ersten Berge. Die Abhänge waren bewaldet und vermittelten noch nicht das Gefühl, mitten im Gebirge zu sein. Nur gelegentlich hatten wir freien Blick nach unten und sahen, wie tief die Täler bereits unter uns lagen.

Für die Nacht fanden wir immer einen Platz, der groß genug war für uns und unsere Pferde. Das sprach für Wottack: Er kannte die Strecke gut genug, um die Etappen passend einzuteilen.

Am dritten Tag lag morgens Nebel über der Landschaft. Trotzdem ritten wir los, allerdings langsamer als bisher. Die Feuchtigkeit machten den Boden rutschig, der aus einem Gemenge aus Erde und Steinen bestand. Wir durften nicht riskieren, dass eines der Pferde strauchelte und sich ein Bein brach.

Gegen Mittag, als die Sonne durch den Schleier des Nebels drang, glaubte ich, einen dunklen Schatten hinter uns zu entdecken. Ich hatte mich entsprechend den Weisungen unseres Anführers wieder einmal umgedreht. Nun hielt ich mein Pferd an und sah genauer hin. Da bewegte sich tatsächlich etwas, das nun aber auch stehenblieb. Es hatte mich also bemerkt.

„Wir werden verfolgt“, sagte ich zu Pia, die ein paar Schritte vor mir ritt. „Gib das an Wottack weiter.“

Kurz darauf war der kleine Mann mit seinem Pferd neben mir. Der dunkle Schatten hinter uns, gerade noch erkennbar, hatte sich nicht mehr bewegt, seit ich angehalten hatte.

„Man könnte glauben, es sei ein Strauch am Rand des Wegs“, sagte ich leise. „Aber ich habe gesehen, wie es uns gefolgt ist.“

„Sie bleiben hier, ich reite hin“, sagte er.

„Das kann gefährlich sein“, warnte ich ihn. „Ich komme mit.“

„Nein! Sie wissen nicht, wer und was sich hier so alles herumtreibt“, sagte er. „Ich bin dafür verantwortlich, dass Sie lebend in den Ringlanden ankommen. Also bleiben Sie hier. Das ist ein Befehl!“

Ich wollte widersprechen, denn er hatte mir nichts zu befehlen. Aber ein Blick von Pia hielt mich zurück. Als Wottack langsam auf den dunklen Schatten zuritt, kam sie neben mich.

„Lass ihn“, sagte sie. „Er scheint zu wissen, was er tut. Es ist viele Jahre her, seit wir dieses Gebirge überquert haben. Erinnerst du dich an all die Gefahren, die es hier gibt?“

„Die schlimmsten Monster existieren nicht mehr, weil der verrückte Magier Zarkos tot ist“, entgegnete ich. „Mit allem anderen sind wir damals fertig geworden und werden das auch heute.“

„Was ist mit den neuen Kreaturen, von denen Wottack meinte, sie seien aus anderen Gegenden hierher eingewandert?“

„Woher sollten die kommen?“, fragte ich zurück. „Und warum sollten sie gefährlicher sein als das, was wir schon kennen?“

Wottack musste nun nahe genug an dem schwarzen Schatten sein, um erkennen zu können, was das war. Er hielt aber nicht an, sondern ritt weiter darauf zu. Er fürchtete sich also nicht davor. Dann, als er den Verfolger erreicht haben musste und für uns auch nur noch ein dunkler Schemen war, stieg er ab.

Ich hatte den Eindruck, als würde er sich mit jemandem unterhalten. Jedenfalls kam es nicht zu einem Kampf, es drang allerdings auch kein Geräusch bis zu uns durch, nicht einmal ein entferntes Murmeln. Vielleicht flüsterten die beiden.

„Ein Mensch“, vermutete ich. „Vielleicht ein Schmuggler, der diese geheime Passstraße nutzt.“

Inzwischen waren wir alle abgestiegen, standen in einer Gruppe beisammen und warteten darauf, dass Wottack zurückkam.

Es dauerte eine Viertelstunde, dann stieg er auf sein Pferd. Als er uns erreichte, hörte er nicht auf unsere Fragen, sondern sagte überlaut: „Was steht ihr hier herum? Wer achtete auf den Weg vor uns? Habt ihr den Verstand verloren, alle derselben Richtung den Rücken zuzukehren?“

Er galoppierte an uns vorbei, zurück an seinen Platz an der Spitze unseres Zuges. Er hatte Recht, deshalb nahmen wir schleunigst unsere alten Positionen wieder ein. Borran hatte seine Kutsche nicht verlassen, er hatte alles von dort aus beobachtet und gab nun seinem Zugtier auch das Signal, dass es weiterging.

Wir legten nur einige hundert Schritte zurück, dann verbreiterte sich der Weg und Wottack hielt an. Er rief, dass wir hier Rast machen würden. Nachdem wir unsere Tiere versorgt hatten, sammelten wir uns um ihn. Vorher jedoch wies er Serron an, den Weg vor uns im Auge zu behalten, und Pia musste nach hinten sichern. Aber sie blieben beide nahe genug, um zu hören, was wir besprachen.

„Wer oder was war der Schatten hinter uns, mit dem Sie geredet haben?“, fragte ich.

„Ein Wächter“, sagte er, als erkläre das alles.

„Was bewacht er, wer sind diese Wächter und warum haben Sie uns nicht vorher gesagt, dass hier noch andere Menschen sind?“, fragte Fürst Borran ungeduldig.

„Sie bewachen diese Passstraße. Sollten Kurrether die Straße entdecken, so werden die Wächter sie töten. Ich bin aber davon ausgegangen, dass ihr Kontrollgebiet weit im Süden liegt, wo die Straße in die Ringlande mündet. Es gab jedoch Vorkommnisse, die dazu geführt haben, dass man nun die gesamte Strecke von Wächtern kontrollieren lässt. Warum ich Ihnen nicht gesagt habe, dass andere Menschen hier sind? Nun, es sind keine Menschen.“

„Was wäre geschehen, wenn Sie nicht bei uns gewesen wären?“, wollte Magi Achain wissen.

„Dann wäre Sie jetzt vermutlich tot“, sagte Wottack.

„Wir alle?“, fragte ich.

„Nein, nur der Magi. Die Wächter behelligen Reisende nicht, die aus Skjargard kommen. Aber sie haben gespürt, dass ein Magier dabei ist. Magier sollen sie keinesfalls passieren lassen, so lautet ihr Befehl. Ich musste sie davon überzeugen, dass wir keine Gegner sind.“

„Wie haben Sie das gemacht?“, fragte Pia. „Nur für den Fall, dass wir den Wächtern noch einmal begegnen und Sie nicht in der Nähe sind.“

„Ich habe ihnen gesagt, dass ein Wottack niemals Kurrether oder deren Unterstützer durch das Gebirge führt“, lautete die Antwort. „Sie sind also alle sicher, solange Sie bei mir sind. Entfernen Sie sich nicht zu weit von unserer Gruppe. Besonders Sie nicht, Magi!“

„Und was ist das für ein Wesen, wenn es kein Mensch ist?“, fragte ich nach. „Es war zu groß für einen Zwerg und zu klein für einen Troll. Sonst weiß ich von keinen intelligenten Bewohnern der Berge.“

„Sie wissen wenig“, wies er mich zurecht. „Und dabei soll es bleiben. Ich bringen Sie alle sicher auf die andere Seite, und dann werden Sie nie wieder in Ihrem Leben das Ringgebirge betreten. So jedenfalls hat man es mir gesagt. Also warum soll ich Sie mit unnötigem Wissen belasten?“

„Wie war das?“, fragte nun Pia dazwischen. „Wir werden nie wieder hierher zurückkehren? Das mag ja stimmen, aber wer hat Ihnen das erzählt - ohne vorher mit uns darüber zu sprechen?“

Es stimmte nicht ganz, was sie sagte. An Bord des askajdanischen Schiffes hatte man uns angeboten, gemeinsam mit den neuen Aussiedlern, die man rekrutieren wollte, die Ringlande für immer zu verlassen. Dass das nicht über die normalen Passstraßen geschehen konnte, war klar, denn die wurden von den Kurrethern blockiert. Und viele tausend Menschen über die geheime Straße zu führen, auf der wir uns befanden, war ebenfalls unmöglich. Schon gar nicht, wenn es unbemerkt geschehen sollte. Dass dieser kleine Mann, ein Bergführer aus Skjargard, darüber Bescheid wusste, überraschte mich. Das war nicht ungefährlich. Was hatte man ihm sonst noch alles erzählt? Und nicht zuletzt: Wer hatte es ihm erzählt?

„Hören Sie auf mit der Fragerei“, sagte Wottack nun. „Erholen Sie sich, essen Sie etwas, dann reiten wir weiter, bis die Sonne untergeht. Wir gelangen nun in eine Region, in der auch zu dieser Jahreszeit schon Schnee liegen kann. Der anstrengende Teil der Reise beginnt.“

Er wandte sich ab, ging zu seinem Pferd und nahm etwas aus den Satteltaschen. Dann setzte er sich abseits hin, um zu essen. Das tat er immer. Er schien eine Abneigung dagegen zu haben, mit uns gemeinsam die Mahlzeiten einzunehmen. Ein weiterer seltsamer Zug an einem seltsamen Mann, der vielleicht zu lange alleine in der Bergwelt unterwegs gewesen war, um sich noch in eine Gruppe einzupassen.

Eine halbe Stunde später waren wir wieder unterwegs, Wottack vorneweg, wir in einer langen Reihe hinter ihm, mit dem schmalen Wagen des Fürsten in der Mitte. Serron sicherte nach hinten. Es ging steiler als bisher nach oben, auf einer Serpentinenstraße am Abhang eines Berges, der nicht so hoch war wie die anderen um uns herum. Er wirkte, als habe etwas seine Spitze gekappt. Ich schätzte, dass wir das Plateau genau bei Sonnenuntergang erreichen würden. Sicherlich war das ein guter Lagerplatz, und ich musste erneut eingestehen, dass unser Führer sich hier auskannte.

Doch diesmal irrte ich mich. Wottack gab das Zeichen zum Anhalten, als wir noch etwa dreißig Schritt unterhalb des Bergplateaus waren. Die Straße, die nur noch ein vergleichsweise schmaler Weg war, weitete sich vor uns zu einem Platz.

„Warum hier?“, fragte ich und deutete in die Höhe. „Auf diesem Tafelberg müsste doch eine Ebene sein, auf der es sich wunderbar lagern lässt. Wir hätten Aussicht in alle Richtungen.“

„Unser Weg führt von hier aus wieder nach unten“, antwortete Wottack.

„Aber die Straße, der wir folgen, führt nach oben“, sagte Pia, die neben uns stand.

„Wir verlassen sie. Dort vorne, wo die großen Felsbrocken sind, beginnt eine Abzweigung.“

Das kam mir seltsam vor, deshalb sagte ich kurzentschlossen: „Ich will mir den Berg ansehen. Wenn ich den Hang nach oben klettere, statt der Serpentinenstraße zu folgen, müsste ich das Plateau erreichen, bevor die Sonne ganz untergegangen ist.“

„Das werden Sie nicht tun!“, herrschte Wottack mich an. „Ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich. Also bleiben Sie hier.“

„Das werde ich nicht tun“, echote ich. „Wenn Sie uns nicht nach oben führen, gehe ich alleine.“

„Und ich gehe mit“, sagte Pia.

„Ich werde ...“, begann Magi Achain.

„Sie nicht!“, brüllte Wottack. „Habe ich nicht klar genug gesagt, dass Sie nur in meiner Nähe sicher sind? Und das gilt für alle von Ihnen!“

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, machte ich mich auf den Weg. Es war ein steiler Hang voller Geröll, zwischen dem aber dürre Büsche wuchsen. Außerdem gab es auch große Steine, also genügend Stellen, an denen ich mich abstützen konnte.

Pia kletterte neben mir und an schwierigen Stellen halfen wir uns gegenseitig.

Schließlich erreichte ich den Übergang auf das Plateau und wollte mich hochschwingen. Im letzten Moment bemerkte ich, dass dort gar keine Ebene war. Es war nur ein schmaler Gesteinsgrat sichtbar, der kaum eine Handbreit maß. Hinter dem war eine graue Fläche, wie undurchdringlicher Nebel.

Mit einem Ruf warnte ich Pia, die ihren Schwung rechtzeitig abbremsen konnte. Nebeneinander schoben wir uns langsam höher, bis wir über den Rand sehen konnten. Vor uns war nur das graue Nichts. Es war, als habe jemand die flache Ebene auf diesem Tafelberg vor uns verborgen.

„Magie?“, fragte ich.

„Oder eine Laune der Natur“, antwortete sie und warf einen Stein in den Nebel. Er prallte auf etwas und rollte ein Stück. Also musste dort etwas sein.

Ich zog mich hoch bis über die Kante und tastete mit der Hand in das Grau hinein. Ich konnte nicht einmal mehr meine Finger sehen, sie verschwanden in diesem Phänomen. Aber ich spürte eine feste Oberfläche aus Stein und Dreck, wie ich sie auf der ebenen Kuppe dieses Berges erwartet hatte. Ich schob mich weiter, bis ich mit dem Oberkörper fast über dem Rand hing, und suchte mit beiden Händen alles ab, was ich erreichen konnte.

„Das Plateau scheint zu existieren, aber praktisch unsichtbar zu sein“, sagte ich zu Pia. Sie hatte sich nicht so weit vorgewagt und war bereit, mich festzuhalten, falls ich kopfüber kippen sollte.

„Nimm deinen Degen“, sagte sie.

Ich zog die Waffe und nutzte sie, um mit der Spitze verschiedene Stellen abzuklopfen. Auch das ergab nichts Besonderes.

„Gib mir deine Hand“, sagte ich schließlich zu Pia. „Ich klettere hinüber.“

Sie hielt mich fest und ich schob mich weiter voran, bis ich auf der nicht sichtbaren Oberfläche kniete. Wieder nutzte ich den Degen, um den weiteren Umkreis abzutasten. Es war fester, ebener Boden mit Steinen. Nachdem ich Pia losgelassen war, rutschte ich weiter. Aufzustehen und zu gehen, wagte ich nicht. Etwa drei Schritt weit kam ich, dann stieß die Spitze meines ausgestreckten Degens gegen etwas vor mir. Ich rutschte näher an das Hindernis heran. Es war Gestein, wie es überall am Berghang zu finden war, schräg ansteigend nach oben. Ich tastete mich hoch und stand schließlich auf, um herauszufinden, wie hoch diese Barriere war. Ich konnte auf Zehenspitzen mit der hochgestreckten Degenklinge nicht das obere Ende finden.

Also sank ich wieder auf die Knie und untersuchte den Boden nach links und rechts.

„Was ist?“, hörte ich Pias ungeduldige Stimme.

„Moment noch, ich habe einen Verdacht“, sagte ich. Ein paar Minuten später war ich mir sicher und ich kroch zurück zu der Kante, über die ich gekommen war. Gleich darauf war ich wieder neben Pia.

„Du wirst es mir nicht glauben“, begann ich, „aber da oben geht die Serpentinenstraße weiter, der wir bisher gefolgt sind. Dahinter steigt der Hang des Berges weiter an.“

„Das heißt?“

„Wir hatten den Eindruck, dem Berg würde der Gipfel fehlen. Aber es ist alles da, nur nicht sichtbar. Tagsüber sieht man die Illusion des hellen Himmels über dem angeblichen Tafelberg, nachts tiefe Dunkelheit. Kommt man näher heran, wird alles zu einem undurchsichtigen, grauen Nebel. Es gibt eine magische Tarnung, die den oberen Teil des Berges verbirgt.“

„Und du bist sicher, dass die Serpentine dort weiterführt?“

„Ziemlich. Wottack will nicht, dass wir ihr folgen, er möchte sie weiter vorne verlassen.“

„Aber warum? Warum ist dieser Berg verhüllt und warum will Wottack nicht, dass wir das wissen?“

„Fragen wir ihn“, sagte ich.

„Nein, wir sprechen zunächst mit Magi Achain“, schlug sie vor. „Wenn es eine magische Tarnung ist, kann er sie vielleicht aufheben. Er wird uns sagen können, um was es sich handelt. Und ob es gute oder böse Magie ist.“

Wir kehrten zurück zu unseren Begleitern, die inzwischen ein Feuer entfacht und alles für die Nacht vorbereitet hatten.

„Was habt ihr gefunden?“, wollte Fürst Borran wissen.

„Dichten Nebel und viel Schmutz“, sagte ich. „Meine Jacke und meine Hose sehen aus, als hätte ich mich im Dreck gesuhlt.“

Alle lachten, auch Wottack, der uns gespannt angesehen hatte und nun beruhigt schien. Ich setzte mich zum Fürsten und Pia neben den Magi. Ich wartete, bis unser Anführer etwas zu Serron sagte und mich nicht beachteten. Dann flüsterte ich Borran rasch zu, er solle Wottack ablenken.

Er fragte nicht, warum, sondern bat ein paar Minuten später den kleinen Mann, mit ihm beiseite zu gehen, er wolle noch einiges über den weiteren Weg wissen.

Kaum waren sie die paar Schritte zu Borrans Wagen gegangen, wo sie sich halblaut unterhielten, flüsterte Pia etwas ins Ohr von Magi Achain. Dessen Augen wurden groß, er nickte, und schloss sie dann, um sich zu konzentrieren.

Borran und Wottack kamen zurück.

„Ich habe gefragt, ob wir die geheimnisvollen Wächter auf dieser Straße auch anderswo in den Ringlanden einsetzen können“, sagte der Fürst. „Wenn sie in der Lage sind, Kurrether zu erkennen und zu töten, sogar wenn die verkleidet unterwegs sind, wären das hilfreiche Verbündete. Leider hat Wottack das verneint, ohne mir zu sagen, warum es nicht geht.“

„Weil es nun einmal nicht möglich ist“, sagte der kleine Mann. Er schien erbost zu sein. „Und nun lasst mich in Ruhe mit der Fragerei. Wir sind hier, um zu rasten. Pia Tenga ist für die erste Wache eingeteilt, alle anderen halten jetzt den Mund und legen sich schlafen.“

„Noch nicht!“, sagte Magi Achain. Er stand auf und deutete mit ausgestreckten Arm schräg nach oben. „Das bedarf noch einer Erklärung. Und zwar einer guten, Wottack!“

„Was meinen Sie?“

„Ich kann eine schwache magische Ausstrahlung feststellen. So schwach, dass ich erst nach einem Hinweis und mit höchster Konzentration in der Lage war, sie zu erspüren. Was aussieht, wie ein Tafelberg, dem der Gipfel fehlt, ist in Wirklichkeit ein ganz normaler Berg, dessen obere Hälfte getarnt ist. Warum? Und wer in den Kaltlanden ist mächtig genug, um so einen Zauber zu bewirken?“

„Sie reden Unsinn!“, behauptete unser Führer. Aber zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, wirkte er unruhig und in die Enge getrieben.

„Wir werden feststellen, ob es Unsinn ist“, sagte ich, um ihn weiter unter Druck zu setzen. „Morgen früh folgen wir der Serpentinenstraße nach oben, anstatt sie dort hinten zu verlassen, wie Sie es vorhaben. Wir gehen dorthin, wo der obere Teil des Berges sein muss.“

„Das werden Sie nicht tun!“, sagte er drohend.

„Wer sollte uns daran hindern?“, fragte ich.

„Ich werde Sie verlassen. Hier mitten im Ringgebirge. Der Weg von hier aus weiter nach Süden wird von Meile zu Meile schwieriger und ist an manchen Stellen nicht einmal als solcher zu erkennen. Sie werden ohne mich niemals die Ringlande erreichen. Alles, was Ihnen dann bleibt, ist die Rückkehr nach Skjargard. Falls die Wächter Sie nicht unterwegs töten.“

„Vielleicht kehren wir wirklich um. Aber zumindest wissen wir dann, was man hier vor uns verbergen will. Womöglich ist dies ein geheimer Stützpunkt der Kurrether und Sie arbeiten für die andere Seite.“

„Unsinn!“, brüllte er.

„Morgen wissen wir mehr“, half mir Magi Achain.

Und Fürst Borran sagte mit leiser, aber befehlsgewohnter Stimme: „Ruhe jetzt! Pia übernimmt die erste Wache, wir anderen legen uns schlafen.“

Am folgenden Morgen war Wottack nicht mehr da. Er war für die Wache nach Mitternacht eingeteilt gewesen und hatte vermutlich zu dieser Zeit sein Pferd gesattelt. Nun war er auf und davon. Wir fanden keine Spuren, die verrieten, ob er dem von ihm vorgeschlagenen Pfad oder der Serpentinenstraße gefolgt war.

„Er hat ein schlechtes Gewissen“, folgerte Pia Tenga. „Jetzt können wir sicher sein, dass der Gipfel des Berges ein Geheimnis verhüllt, das zugunsten der Kurrether wirkt.“

„Was aber bedeutet, dass es für uns gefährlich ist, es zu erkunden“, sagte ich.

Wir alle starrten nach oben. Über der Kante, die ich am Abend vorher kriechend überwunden hatte, war strahlend blauer Morgenhimmel zu sehen. Die Sonne stand im Osten, ein Adler flog hoch oben. Es sah wirklich so aus, als existiere nichts oberhalb der Abbruchkante.

Magi Achain konzentrierte sich wieder, schüttelte dann aber den Kopf. „Zu schwach“, sagte er. „Was auch immer es ist und wer auch immer diese Illusion geschaffen hat, es ist eine mächtigere Magie, als wir sie in den Ringlanden kennen.“

„Heißt das, wir sollten Wottacks Anweisung befolgen und den Gipfel des Berges nicht erkunden?“, wollte Pia wissen.

„Nein, im Gegenteil. Wenn etwas so Mächtiges hier im Ringgebirge existiert, müssen wir herausfinden, was es ist und wer dahinter steckt.“

„Bei mächtiger Magie fallen mir nur die Elfen ein“, sagte Serron, der sich bisher kaum an unseren Gesprächen beteiligt hatte. „Aber die leben nicht im Gebirge.“

„So ist es“, bestätigte ich. „Trolle dagegen könnten hier zu finden sein, aber sie haben nur eine schwache magische Begabung. Riesen und Zwerge gibt es auch noch, aber beide Rassen sind nicht gerade für ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet bekannt. Was also bleibt?“

„Wir werden es herausfinden“, sagte Fürst Borran. „Sattelt eure Pferde, wir folgen der Straße.“

Wir ritten bis zur nächsten Schleife der Serpentinenstraße. Von dort führte sie weiter den Abhang nach oben. Zwanzig Minuten später konnten wir auf unseren Pferden sitzend über die Kante blicken. Das graue Nichts, das ich aus nächster Nähe gesehen hatte, war aus dieser Entfernung nicht vorhanden. Wir sahen staunend eine weite, steinige Ebene. Die Illusion war perfekt.

„Glaubt nicht, was ihr seht“, sagte ich. „Gestern Abend konnte ich durch Tasten die Fortsetzung der Straße und dahinter den Berghang ausmachen.“

„Willst du absteigen und noch einmal hochklettern?“, fragte Pia.

„Nein, wir folgen der Straße. Dort vorne ist die nächste Kurve, dann scheint sie auf die Ebene zu führen. Dort werden wir herausfinden, was Tatsache ist.“

Wir erreichten die Stelle und es war ein erschreckender Moment, sowohl für uns als auch für unsere Reittiere. Denn die Passstraße schien tatsächlich in die Ebene einzumünden - während die Hufe der Pferde weiter einem nicht sichtbaren Weg folgten, der in die Luft hinein nach oben führte. Prompt scheuten die Tiere. Ich wurde beinahe aus dem Sattel geworfen und konnte das Durchgehen des Gauls nur verhindern, indem ich mit einem gewagten Satz absprang, mich neben seinen Kopf stellte und den mit dem Zaumzeug fest an mich zog.

Ich sah zu Boden. Um meine Stiefel war ein graues Wabern, aber sie schienen ebenso in der leeren Luft zu stehen wie die Hufen des Pferdes.

„Zurück!“, hörte ich Pia rufen. „Auf die normale Straße, damit sich die Tiere beruhigen. Dann gehen wir zu Fuß weiter.“

Es gelang uns, die verschreckten Pferde wieder auf sichtbaren Boden zu führen. Dort kümmerten sich Serron und der Fürst um sie.

Ich folgte mit Pia und Magi Achain dem Weg, den wir nur unter unseren Füßen spürten. Er führte mit einer schwachen Steigung nach oben, in die scheinbar leere Luft hinein. Es war ein erschreckendes Gefühl, so mitten im Nichts zu stehen, unter uns rechts der Abhang des Berges und links die Hochebene. Ich ging voran. Meine Angst wurde nur dadurch gemildert, dass ich das Gefühl hatte, mich bei akuter Gefahr mit einem Sprung retten zu können. Als ich mich nach Pia und dem Magi umdrehte, sah ich ihnen an, dass es ihnen nicht besser ging.

Wir waren etwa eine Mannshöhe über dem sichtbaren Untergrund, da begann die Sicht nach links auf die Ebene hin undeutlich zu werden. Als steige dort grauer Nebel auf. Noch einen Schritt weiter, und die Ebene verschwand. Die Straße unter meinen Füßen wurde erkennbar, ebenso der Berghang links von mir, an dem sie entlang führte. Beides war aber vorerst nur undeutlich und verschwommen.

„Ich habe es geschafft!“, rief ich nach hinten und ging weiter, schneller als bisher.

Die Straße lag nun ganz normal vor mir, im Schatten des mächtigen Berggipfels, der die Morgensonne davon abhielt, diese Stelle zu erreichen. Wir befanden uns auf der Flanke eines Berges, der sich nicht von denen unterschied, die um uns herum zu sehen waren.

Nachdem Pia und Magi Achain neben mir standen, blickten wir hinunter auf Serron und den Fürsten. Sie waren bei den Pferden und der Kutsche und starrten mit großen Augen zu uns herauf.

„Wir haben die Grenze der Illusion überschritten!“, rief ich ihnen zu.

„Wir sehen euch mitten im Himmel stehen“, rief Serron zurück. „Man könnte glauben, ihr fliegt. Schlagt mit den Armen, als seien es Flügel, und ihr könnt in dieser Richtung in einer Stunde die Ringlande erreichen.“ Er deutete nach Süden.

Ich lachte und rief ihm zu: „Das werde ich nicht versuchen. Aber wir folgen jetzt der Straße weiter nach oben. Ich glaube nicht, dass ihr uns folgen könnt. Die Pferde werden das keinesfalls mitmachen. Beobachtet uns weiter.“

Die Bergflanke sah nicht anders aus als in den tieferen Regionen: Erde und Steine, dazwischen größere Felsbrocken und ein paar dürre Sträucher, die sich an freien Stellen im Boden festkrallten.

Magi Achain bat mich, stehenzubleiben. Er konzentrierte sich, schloss die Augen und blieb einige Minuten so. Dann sagte er: „Ich spüre dasselbe wie vorher. Gehen wir weiter. Wie hoch reicht diese Serpentinenstraße eigentlich?“

„Sie ändert dort oben die Richtung und zieht sich um die Bergflanke herum“, sagte ich. „Irgendwo auf der anderen Seite muss sie wieder nach unten führen, auf einen der Hochpässe zwischen den Bergen im Süden zu.“

„Dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bis wir sehen, wohin sie tatsächlich geht“, meinte der Magi.

Wir hatten nach Süden gesehen, nun rief aber Pia: „Was ist das dort?“ Dabei deutete sie in nördlicher Richtung nach oben.

„Etwas Dunkles zwischen den Felsbrocken“, sagte ich. „Sollen wir es uns ansehen?“

„Ich bin dafür“, antwortete sie. „Es ist das erste Auffällige an dieser Bergflanke.“

„Gibt es einen Weg dort hoch?“, fragte der Magi.

„Um das zu sehen, müssten wir näher herangehen.“

Ein paar Minuten später sahen wir einen schmalen Trampelpfad, der von der Straße weg auf eine Holzhütte zu führte. Sie befand sich so versteckt zwischen zwei großen Felsblöcken, dass man sie von unten nur von der Stelle aus entdecken konnte, an der Pia zufällig gestanden hatte.

„Wer lebt dort - Mensch oder Tier oder Monster?“, fragte ich. „Wir suchen nach Spuren, bevor wir in näher herangehen.“

Tatsächlich fanden wir Stiefelabdrücke. Ob die frisch oder alt waren, war allerdings nicht zu erkennen. Es wuchsen keine Pflanzen, an denen man ablesen konnte, wann sie ungefähr niedergetreten worden waren.

„Also Menschen“, sagte der Magi. „Wenn die Hütte bewohnt ist, müssen die Leute gehört haben, wie wir uns vorhin mit Serron und dem Fürsten verständigten. Laut genug gerufen haben wir ja.“

„Wir gehen hinein“, entschied ich. „Ich klopfe an. Falls niemand öffnet, breche ich die Tür auf. Magi, Sie bleiben hinter mir. Nur für den Fall, dass dort drinnen der Magier lebt, der diesem Berg eine Tarnung verpasst hat. Pia, du wartest vor dem Eingang und hältst uns den Rücken frei.“

Ich sah Pia an, dass sie nicht begeistert war, aber sie widersprach nicht, sondern zog ihren Säbel.

Wir gingen den Pfad hoch bis zur Hütte und ich klopfte an. Keine Reaktion. Also drückte ich gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Langsam ging sie auf. Drinnen waren keine Möbel oder andere Hinweise darauf, dass hier jemand lebte. Der Boden und die Rückwand bestanden aus nacktem Felsgestein, sie war also direkt an die Bergflanke herangebaut worden.

„Keine Hinweise auf Bewohner“, sagte ich leise. „Vielleicht soll dieser Verschlag nur Reisenden bei schlechtem Wetter als Schutzhütte dienen. Schade! Den Weg hätten wir uns sparen können.“

Magi Achain stand neben mir und ich bemerkte, dass er wieder die Augen geschlossen hatte und sich konzentriert.

Ich wartete ab, bis er sie öffnete, und fragte: „Etwas Neues?“

„Nur ein neuer Gedanke: Wer einen ganzen Berggipfel tarnen kann, der kann auch einen Höhleneingang tarnen. Da diese Hütte hinten an den Fels angebaut ist ...“

„Was?“, fragte ich.

„Existiert die Rückwand vielleicht gar nicht. Womöglich ist sie auch nur eine Illusion.“

„Das lässt sich herausfinden“, sagte ich und ging voran.

Ich streckte zunächst nur den Arm aus, um das Felsgestein abzutasten. Es existierte nicht! Meine Hand verschwand in der scheinbaren Wand vor mir.

„Tatsächlich, eine Tarnung“, sagte ich zu Magi Achain, der hinter mir stand und zusah. „Ich taste mich jetzt langsam voran. Diese Scheinwand könnte auch eine Fallgrube verbergen.“

Als mein halber Arm in der Illusion war, spürte ich einen Ruck. Jemand packte mich und zog mich nach vorne. Hinter mir hörte ich einen überraschten Ausruf von Magi Achain. Ich stolperte und stand im nächsten Moment in einer weiten Halle. Das war zunächst das Einzige, was ich sah, denn mehrere Gestalten warfen sich auf mich. Ich stürzte und sie drückten mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden.

Gleich darauf hörte ich einen dumpfen Schlag und jemand lag neben mir. Das konnte nur der Magi sein. Anschließend waren grollende Rufe zu hören, bei denen ich nicht einmal sicher war, ob es sich um Worte in einer fremden Sprache oder um Tierlaute handelte. Es war mir nicht möglich, mich darauf zu konzentrieren, weil ich Mühe hatte, Luft zu bekommen.

Plötzlich war ich frei und konnte mich herumdrehen. Ich starrte in die Gesichter mehrerer seltsam aussehender Männer. Einer von ihnen streckte mir seine Hand entgegen und half mir auf. Dabei bemerkte ich, dass man mir den Degen und den Dolch abgenommen hatte. Gegenwehr war also nicht möglich.

Ich sah mir unsere Gegner an - wenn sich um Gegner handelte. Sie waren kleiner als ich, kräftig gebaut, und trugen alle dieselbe sandfarbene Bekleidung, bestehend aus einer ärmellosen Weste und einer Hose mit viel zu weiten Beinen. Ihre breiten Gesichter wirkten fett, die Augenbrauen und Wangen sahen aus wie Wülste. Dazu kamen kurze Hälse, Stiernacken und bei allen derselbe, kurze Haarschnitt, der ihre Köpfe wie Bürsten wirken ließ.

Aber es waren eindeutig Menschen und ich hatte sogar eine Vermutung, woher sie stammten, denn ihre Augen waren schmal wie Schlitze zwischen den Fettwülsten. Solche Augen hatte die Besatzung des Schiffes aus Askajdar gehabt, das uns aus den Ringlanden an die Küste von Thorgard brachte.

Magi Achain lag am Boden. Er hatte sich noch nicht von dem Schlag erholt. Einer der Fremden griff nach ihm, krallte sich in den Rücken seiner Jacke und zog ihn hoch, als wiege er nichts. Er stellte ihn aufrecht hin und hielt ihn fest.

„Wer sind Sie?“, fragte ich die Männer. Da ich größer war als sie, konnte ich über ihre Köpfe hinweg sehen und schätzen, dass mehr als ein Dutzend um uns herumstanden. Wir befanden uns in einer weiten, domartigen Höhle, die durch einen senkrecht stehenden, mannshohen Zylinder in ihrer Mitte hell erleuchtet wurde. Mehrere Öffnungen in den Wänden führte in Gänge. Dies war also so etwas wie die Eingangshalle zu einem ganzen Höhlensystem.

Einer der Männer, der sich im Äußeren nicht von den anderen unterschied, antwortete auf meine Frage in harschem Tonfall. Das war eindeutig ein Anführer. Allerdings verwendete er eine unverständliche Sprache. Und die glich nicht dem Askajdanisch, das auf dem Schiff gesprochen worden war. Wer waren diese Leute?

Nun kam von hinten ein weiterer Mann heran. Er war deutlich älter als die anderen, ging gebeugt und stützte sich auf einen Stab. Bei ihm hingen die Fettwulste im Gesicht schlaff nach unten, wie die Hautfalten bei manchen Hunderassen. Man machte ihm Platz und er musterte den Magi und mich, ohne etwas zu sagen. Dann hob er den Stab und hielt ihn mir entgegen, als wolle er ihn mir geben.

Ich griff nicht danach, weil man das als feindselig hätte verstehen können. Auch so ein Stab konnte eine Waffe sein, und ich wollte den Fremden keinen Vorwand liefern, mich noch einmal niederzuschlagen.

Einen Moment später zog der Alte den Stab wieder zurück und ich sah aus den Augenwinkeln, wie Magi Achain zusammenbrach. Ich wollte mich nach ihm umdrehen, aber da packten mich einige der umstehenden Männer und brachten mich weg.

„Was ist mit ihm?“, rief ich. „Helft ihm auf ...“

Ich sprach nicht weiter, weil unerwartet Pia Tenga neben mir stand. Auch sie wurde von zwei der Fremden festgehalten.

„Was sind das für Leute?“, fragte sie mich.

„Weiß ich nicht. Sie können oder wollen unsere Sprache nicht sprechen. Der Alte dort drüben scheint ihr Anführer zu sein. Ich vermute mal, er ist Magier und auch für die Tarnung des Berges verantwortlich.“

Wir konnten uns unterhalten, weil man uns nicht wegführte, sondern beisammen stehen ließ.

Den Grund erfuhr ich, als man ein paar Minuten später nicht nur Magi Achain zu uns brachte, der einen benommenen Eindruck machte. Auch Serron und Fürst Borran, die unten bei unseren Pferden gewartet hatten, führte man herein. Ich sagte den Neuankömmlingen, dass wir uns nicht mit den Fremden unterhalten konnten und deshalb nicht wussten, wer sie waren.

Nun brachte man uns gemeinsam in den hinteren Bereich der Eingangshalle. Ich erwartete, durch einen der Gänge in eine Gefängniszelle oder etwas Ähnliches geführt zu werden, aber dem war nicht so.

Wieder standen wir eine Weile herum und warteten, immer festgehalten von den Fremden. Ich musste zugeben, dass Geduld zu den Tugenden dieser Leute zählte. Denn sie ließen sich nicht nur bei allem reichlich Zeit, sie unterhielten sich auch kaum untereinander und machten allgemein den Eindruck, als wüssten sie vor Langeweile nicht, was tun.

Schließlich, meiner Schätzung nach eine halbe Stunde später, führte man uns zurück in die Nähe des Eingangs, durch den wir gekommen waren.

„Ob sie uns jetzt einfach gehen lassen?“, fragte Fürst Borran.

„Unwahrscheinlich“, sagte ich. „Warten wir ab.“

Erneut dauerte es eine Weile, in der wir warteten, den eisernen Griff der Fremden an unseren Armen.

Dann kam ein Mann durch den Eingang in die große Höhle: Wottack!

Er sagte etwas in der Sprache der Fremden, und sie ließen uns los.

Mit grimmiger Miene wandte er sich an uns: „Ich hätte mir denken können, dass Leute wie ihr nicht einfach an einem Geheimnis vorbeigehen können, ohne ihre Nasen hineinzustecken. Was sollen wir jetzt mit euch tun?“

„Uns erklären, was hier vor sich geht, wer diese Menschen sind und warum das ein Geheimnis ist“, sagte Fürst Borran. „Wir alle sind verschwiegen, und wir besitzen das Vertrauen der Ostraianer und der Askajdaner. Sie haben nur etwas vor uns zu verheimlichen, wenn Sie für die Kurrether arbeiten.“

„Dann wären Sie längst tot. Also gut, ich spreche mit dem Schamanen. Nur, wenn er zustimmt, werden Sie mehr erfahren.“

Wottack ging durch die Halle auf das andere Ende zu, wo der alte Mann mit dem Stock stand. Leise unterhielt er sich mit ihm.

„Warum sind Sie vorhin umgekippt?“, fragte ich in der Zwischenzeit Magi Achain.

„Der Alte hat mir für einen Moment alle Kraft geraubt“, sagte er. „Nicht nur die körperliche und seelische, sondern auch die magische. Es war, als würde all meine Energie zu ihm überfließen. Dann kehrte sie zu mir zurück. Ein mächtiger Zauber, den ich bisher nicht kannte. Ich vermute, er konnte so überprüfen, was ich denke und fühle und kann. Hätte er mich als feindselig eingeschätzt, wäre meine Energie bei ihm geblieben, oder in seinem Stock, und ich wäre an völliger Erschöpfung gestorben.“

„Ein mächtiger Magier also“, sagte Pia. „Beziehungsweise ein Schamane. Wo ist der Unterschied?“

„Schamanen nutzen die verfügbaren Kräfte der Natur. Sie bündeln sie oder schwächen sie ab.“ Magi Achain überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Es ist die Art von Magie, die auch die Elfen beherrschen. Nur ist sie hier roher in der Anwendung, weniger ausgearbeitet. Die Elfen gleichen in dem, was sie können, den Vögeln und Tieren und Bäumen im Wald, dieser Schamane eher den Gewalten des Gebirges und des Wetters. Wir Menschen in den Ringlanden haben wenig Vergleichbares, uns fehlen die Maßstäbe und Worte für diese Art der Magie.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Wottack und der Alte ihre Unterhaltung beendeten. Unser Bergführer kam zu uns.

„Wir kehren zurück zu den Pferden“, sagte er. „Unterwegs erzähle ich euch alles, was ihr erfahren dürft.“

„Vorher möchten wir uns hier weiter umsehen“, sagte ich. „Wohin führen die Höhleneingänge in der Rückwand der Halle?“

„Sie kommen mit mir!“, befahl Wottack. „Entweder freiwillig oder unter magischem Zwang, wie Puppen ohne eigenen Willen. Was ist Ihnen lieber?“

Magi Achain, der die Macht des Schamanen bereits am eigenen Leib erfahren hatte, antwortete für uns: „Wir folgen Ihnen!“

Ich gab nach und wir alle kehrten zurück nach draußen, wo wir scheinbar aus der Felswand kommend die Hütte betraten. Danach erlebten wir noch einmal das seltsame Gefühl, durch die Luft zu gehen. Wir sahen den Abgrund der Bergflanke unter uns, während wir doch unter unseren Stiefeln normalen Boden spürten.

Erst, als wir bei den Pferden und der Kutsche ankamen, war Wottack bereit, über die Fremden zu sprechen.

„Das sind Männer aus dem Volk der Burdajlahs. Ihre Heimat sind die Hochebenen im Zentralgebirge von Askajdar. Sie alle sind magisch begabt und können ihre Kräfte auf einen mächtigen Schamanen konzentrieren, der dadurch fast unmögliche Zauber wirken kann, insbesondere auf die unbelebte Natur.“

„Warum sind sie hier?“, wollte Fürst Borran wissen.

„Um ihre besonderen Fähigkeiten einzusetzen, was sonst?“, lautete die patzige Antwort.

„Wir befinden uns hier mitten auf der geheimen Passstraße“, sagte ich. „Weit weg von allem, was für die Kurrether interessant sein könnte. Trotzdem verstecken diese Leute sich in der Höhle oben im Berg und tarnen diese so, dass man meint, sein Gipfel fehle. Also wiederhole ich die Frage des Fürsten: Warum sind diese Burdajlahs ausgerechnet hier?“

„Weil wir für ihre Verhältnisse gar nicht so weit von der normalen Passstraße entfernt sind“, sagte Wottack. „Es sind Bergbewohner, und es sind Magier. Deutlicher möchte ich hier nicht werden. Außerdem sind sie nicht nur an diesem Ort. Stützpunkte der Burdajlahs gibt es in Reichweite aller Pässe, die durch das Ringgebirge führen. Übrigens gefällt es ihnen ganz und gar nicht, dass man sie in Höhlen untergebracht hat. Sie lieben offene Hochebenen. Deshalb haben sie sich für diese besondere Art der Tarnung entschieden. So sieht der Berg aus der Ferne zumindest für ihre Augen schön aus. Um Menschen zu täuschen, hätte die falsche Holzhütte ausgereicht.“

„Wenn Gruppen von ihnen bei allen Passstraßen sind, sollen sie entweder helfen, sie für weitere Auswanderer zu öffnen, oder sie vollständig zu verschließen“, sagte Magi Achain.

„Sie bereiten nur etwas vor“, wich Wottack einer Antwort aus. „Es war eine Idee der Askajdaner.“

„Und dafür bringt man heimlich Gruppen solcher Magier zu jedem der sechs Pässe und zu den verborgenen Wegen durch das Gebirge, die es außerdem gibt? Was für ein enormer Aufwand!“ Pia sah uns der Reihe nach an, bevor sie fortfuhr: „Mir scheint, da ist etwas im Gange, von dem niemand unter uns auch nur Gerüchte gehört hat. Oder wissen Sie mehr, Fürst?“

„Es ist einmal ein Plan besprochen worden, ganz allgemein. Ich muss nachdenken, es ist lange her.“

Mir schien, dass Borran nun unerwartet die Seite wechselte und wie Wottack versuchte, uns etwas zu verheimlichen.

„Seit wann sind die Burdajlahs hier?“, fragte ich.

„Seit einem guten Jahr“, antwortete Wottack. „Sie waren fleißig und freuen sich darauf, in wenigen Monaten in ihre Heimat zurückzukehren. Auf die endlos weiten, windgepeitschten Hochebenen Askajdars, wo ... Aber das interessiert Sie vermutlich nicht. Wir rasten hier bis morgen früh, dann reiten wir weiter.“

Von da an war er nicht mehr bereit, etwas über die Fremden und ihren Auftrag zu sagen. Auch Borran blieb schweigsam und schien den ganzen Abend in Nachdenken versunken. Vielleicht hatten die Monate im kurrethischen Kerker sein Gedächtnis getrübt.

Das Verhalten der beiden änderte sich während der restlichen Reise nicht, die noch eine Woche dauerte. Das war länger als erwartet, denn es gab erste Schneefälle auf der Südseite des Ringgebirges, also in den Ringlanden. Außerdem kamen wir in einer so unwirtlichen Gegend in der Provinz Malbraan heraus, dass uns Wottack noch den Weg zum nächstgelegenen Dorf zeigen musste. Es war zwanzig Meilen vom Gebirgsrand entfernt und bestand nur aus einer Handvoll Hütten, in denen Holzfäller lebten.

Wir gaben uns dort als Reisende aus der malbraanischen Hauptstadt Andalach aus, die sich auf dem Weg zum Ort Lotheron verirrt hatten. Man glaubte uns das, wir kauften ein paar Vorräte und ließen uns erklären, wie wir weiterreiten mussten.

Unterwegs wichen wir an passender Stelle Richtung Osten von der Straße ab und überquerten bei eisigem Wetter die Grenze zur Provinz Krayhan.

Eine neue Welt

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