Читать книгу PERSEUS Achat-Seele - Manfred Rehor - Страница 10
Оглавление7. Kapitel
Die neue Werft im Orbit um Gaia war etwas Besonderes. In ihr gab es zum Beispiel keine Bereiche mit künstlicher Schwerkraft. Selbst die hohen Offiziere, die in einer Gruppe zur Inspektion kamen, mussten daher auf die üblichen Annehmlichkeiten verzichten. In Raumanzügen schwebten sie aus ihrem Shuttle heraus zu einer Schleuse, um dann eingelassen zu werden.
Lydia Vendaar kam damit problemlos zurecht. Sie hielt sich häufig im Weltraum auf. Aber so mancher Commodore und Vizeadmiral machte keine gute Figur. Selbstverständlich verkniff sich Lydia das Lachen und jeden Kommentar. Sie half ihren Vorgesetzten mit dem einen oder anderen kleinen Schubs, um deren Richtung zu korrigieren. An der Schleuse angekommen ließ sie allen anderen den Vortritt. Schon um sicherzustellen, dass unterwegs keiner verloren ging.
Selbstverständlich gab es genügend Adjutanten, die für das Wohl der Führungskräfte zu sorgen hatten. Aber auch die verfügten über kaum mehr Raumerfahrung, als es die Mindestanforderungen der Militärakademie vorschrieben.
Insgesamt umfasste die Gruppe fünfundzwanzig Personen, die sich schließlich in einem Gruppenraum der Werft versammelten. Die Raumanzüge behielten sie an, nur die Helme klappten sie zurück. Denn nach einer kurzen Begrüßung und Einführung würden sie wieder hinaus müssen in den freien Raum.
Lydia beobachtete die Reaktion der Offiziere, während der Leiter der Werft, Arthur Terker, das Projekt erläuterte: „Es ist uns gelungen, der Bedrohung durch die H'Ruun mit der Entwicklung der Terranova etwas entgegenzusetzen, das Waffengleichheit herstellt.“
Ein Bild des riesigen Flaggschiffs erschien dreidimensional mitten im Raum. Es hatte die Form eines langen Zylinders und war im Wesentlichen eine Ansammlung von Railguns, um die herum man eine Hülle konstruiert hatte.
„Bau und Entwicklung der Terranova haben Milliarden verschlungen. Wir können es uns wirtschaftlich kaum leisten, eine ganze Flotte dieser Schiffsklasse zu produzieren“, fuhr Terker fort.
Die meisten Offiziere im Raum stimmten durch Kopfnicken oder kurze Bemerkungen zu. Einige, die mit der Schwerelosigkeit gut zurechtkamen, schwebten nach oben und umkreisten das 3D-Abbild des Riesenschiffs, um sich die Details anzusehen.
Nachdem sie ihre Neugier befriedigt hatten, erklärte Terker: „Ausgehend von diesen Erfahrungen haben wir begonnen, einen ganz neuen Schiffstyp zu entwickeln. Die Skeleton-Klasse ähnelt vom Aufbau her eher den filigranen Orbitalstationen, wie sie sich auch zahlreich in der Umlaufbahn von Gaia befinden. Nur das Knochengerüst eines Raumschiffes existiert noch. In dieses Gerüst eingefügt sind Fusionsreaktoren und Triebwerke höchster Leistung. Die Bewaffnung kann je nach Aufgabenstellung modular ergänzt werden.“
Das Abbild der Terranova löste sich auf, ein neues Bild entstand. Es zeigte eine kugelförmige Struktur, die nur aus dünnen Metallverbindungen bestand. In ihrem Mittelpunkt sowie in der ganzen Kugel verteilt waren Gebilde montiert, die Lydia nicht genauer erkennen konnte.
Diejenigen unter den Anwesenden, denen dieses Konzept neu war, stießen verblüffte Rufe aus. Das verstärkte sich noch, als die Maße des Raumschiffs eingeblendet wurden: eineinhalb Kilometer im Durchmesser.
Terker wartete, bis der Lärm abebbte, dann sprach er weiter: „Trotz seiner Größe hat ein Skeleton-Schiff eine geringere Masse als die Terranova. Im Zentrum befindet sich der Sprungantrieb, verbunden mit den Bordcomputern und leistungsfähigen Fusionsreaktoren. Dieser Bereich ist besonders geschützt. Alle anderen Reaktoren sowie die normalen Triebwerke verteilen sich über die gesamte Struktur.“
„Wo ist die Bewaffnung?“, fragte jemand.
„Wir können sie, wie schon gesagt, modular hinzufügen. Hier sehen Sie einen Entwurf mit vier Railguns.“
Durch das Kugelgebilde zogen sich nun vier Linien, die deutlich darüber hinausstanden.
„Diese Railguns sind zwei Kilometer lang. Wir haben noch nie etwas Vergleichbares gebaut. Weitere Waffenmodule können Strahlwaffen und kleinere Plasmawerfer für die Nahverteidigung sein. Außerdem besteht die gesamte Struktur aus einem neuen Material, das nicht nur leicht und stabil ist, sondern sich auch als Antenne für Hyperfunk eignet. Damit sind wir in der Lage, viele Formen von Energie abzustrahlen. Anwendungen dafür befinden sich jedoch noch im frühesten Entwicklungsstadium.“
Lydia achtete genau auf Terkers Gesichtsausdruck, während er das sagte. Wusste der Leiter der Werft, was er da tatsächlich baute? Offenbar nicht. Es gab vermutlich nur vier oder fünf Personen hier im Raum, die über diese Hintergrundinformation verfügten. Die Skeleton-Klasse war eine ziemlich sinnfreie Konstruktion, wenn man sie nur als Waffenträger betrachtete. Denn zwei Kilometer lange Railguns mochten ihre Projektile auf noch größere Geschwindigkeit beschleunigen können als die sechshundert Meter langen der Terranova. Doch das spielte keine Rolle, die Geräte waren sowieso völlig überdimensioniert.
Jeder Offizier der Raumstreitkräfte, der etwas von seinem Beruf verstand, hätte eigentlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen müssen angesichts dieses Prototypen. Doch der Befehl, die Skeletons zu entwickeln und zu bauen, war von weit oben gekommen. Und niemand, der beim Militär Karriere machen wollte, wagte es, die Weisheit von Politikern offen anzuzweifeln.
Wie allerdings die Politiker ihrerseits auf diese Idee verfallen waren, das wusste niemand. Die Regierung hatte mit großer Mehrheit das Projekt Skeleton beschlossen, bevor es zu den Ereignissen im System der Sonne Hendra gekommen war. Dort hatten sich elektromagnetische Phänomene dem Planeten Wolkental genähert, der sie abwehrte, indem er das Magnetfeld und den Sonnenwind manipulierte. Seitdem war klar, dass es eine gute Idee sein könnte, etwas zu entwickeln, das diese Wirkung hatte. Aber die Politiker wussten das scheinbar mindestens ein Jahr früher als alle anderen. Oder sie hatten es sich einreden lassen.
Terker fuhr fort, die Vorzüge des neuen Raumschiffstyps anzupreisen, bis ihn eine Frage unterbrach: „Wo ist eigentlich die Besatzung untergebracht?“
Nach einer theatralischen Pause sagte Terker: „Zu diesem Punkt wäre ich am Schluss gekommen, aber ich kann ihn auch vorziehen. Es gibt keine Besatzung! Die Schiffe der Skeleton-Klasse werden nur von einer künstlichen Intelligenz gesteuert. Einer neuen Art von eigenständig agierender KI, wie sie derzeit auf einigen ausgewählten Raumschiffen getestet wird.“
Das verursachte einen ziemlichen Aufruhr und viele Zwischenfragen, die Terker beantwortete, indem er hinzufügte: „Selbstverständlich werden die Computer so programmiert, dass sie sich an die Einsatzbefehle halten. Und man kann jederzeit über Hyperfunk der KI neue Anweisungen erteilen. Der Verzicht auf eine Besatzung macht die Schiffe um vieles leichter und sie können unter Bedingungen eingesetzt werden, unter denen Menschen hochgradig gefährdet wären.“
Auch darüber diskutierten diejenigen Offiziere, die bisher keine Informationen über das Projekt gehabt hatten, laut und lange.
Schließlich bat Terker um Ruhe. „Wie Sie alle wissen, sind Sie nicht nur hier, um mehr über unsere Arbeit zu erfahren. Sie haben auch die Aufgabe, die Sicherheitsstandards zu überprüfen. Der Bau der Skeleton-Schiffe unterliegt der Geheimhaltung. Trotzdem sind einige Informationen nach außen gelangt. Das ist unverzeihlich und rechtfertigt es, eine Prüfungskommission wie die Ihre hier einzusetzen.“ Der Tonfall des Mannes bewies, dass er das in Wirklichkeit ganz und gar nicht glaubte. Aber er hatte keine Möglichkeit, sich dieser Kontrolle zu widersetzen. Militärische Geheimnisse mussten nun einmal gewahrt bleiben, selbst wenn es sich nur um die Größe der Schrauben handelte, mit denen man ein belangloses Bauteil irgendwo befestigte.
Zwanzig Minuten später machten sich die Offiziere in Gruppen zu je fünf auf den Weg, um verschiedene Bereiche der Werft zu inspizieren. Niemand erwartete, dass sie etwas darüber herausfinden würden, wie Geheimnisse nach außen gelangt waren. Dazu standen sie viel zu hoch in der militärischen Hierarchie und hatten zu wenig Hintergrundwissen über die Arbeitsabläufe auf einer Werft. Aber sie fühlten sich wichtig und in das Projekt eingebunden.
Auch Lydia Vendaar brauchte keinen Gedanken zu verschwenden an die Möglichkeiten, Werksspionage aufzudecken. Denn sie selbst hatte einige geheime Informationen in Umlauf gesetzt. Und zwar mit dem Ziel, als Teil dieser Kommission in die Werft hineinzugelangen. Ursprünglich war nur ihr Vorgesetzter, Commodore Smith, aufgefordert worden, teilzunehmen. Aber es war klar, dass der jemanden mitnehmen würde, der für ihn die Arbeit machte. Da Lydia sein Vertrauen besaß, war die Wahl wie selbstverständlich auf sie gefallen.
Sie hatte also ihr erstes Ziel erreicht und schwebte durch die Werft, zu der ihr sonst der Zugang verwehrt worden wäre. Jetzt ging es darum, die übrigen Offiziere ihrer kleinen Inspektionsgruppe loszuwerden, damit sie unbeobachtet ein paar Nachforschungen anstellen konnte.
Ein Techniker führte die Gruppe in einen Bereich, in dem die Elemente für die tragende Konstruktion der Skeleton-Schiffe getestet wurden. Es handelte sich um Träger aus Schaummetall, das bei geringer Masse über eine hohe Festigkeit verfügte. Die Offiziere schwebten in ihren Raumanzügen um die Bauteile herum, als hätten sie so etwas noch nie gesehen. Was vielleicht sogar bei manchen zutraf.
Während der Techniker begann, die Apparaturen und Messgeräte zu erklären, sah sich Lydia um. Sie befanden sich in einer riesigen, luftleeren Kuppel, die nur durch eine Folie von anderen Bereichen abgetrennt war. Diese Folie verhinderte, dass man von außen in die Werft hereinsehen konnte.
„Was ist dort drüben?“, fragte sie und zeigte auf eine Anlage aus mehreren Metallcontainern, in denen offenbar Wissenschaftler Experimente durchführten. Man konnte durch einige Fenster hineinsehen. Auch dort herrschte keine Schwerkraft, weshalb sich die Forscher vermutlich nur stundenweise in den Containern aufhielten. Vielleicht, um Experimente vorzubereiten, die dann automatisch abliefen.
„Das ist das Labor, in dem man Ideen für neue Waffenmodule entwickelt. Einzelheiten darüber kann ich Ihnen nicht sagen, weil auch ich keinen Zutritt zu diesem Bereich habe.“ Der Techniker schwebte höher und zeigte in die entgegengesetzte Richtung. „Dort drüben sehen Sie eine Aufhängung für die einzelnen modularen Systeme. Bitte folgen Sie mir.“
Während alle anderen in die angegebene Richtung sahen, griff Lydia nach einem Werkzeug, das magnetisch an einem Träger befestigt war. Sie wusste nicht, um was es sich dabei handelte, aber es war fast so lang wie sie und schmal. Für ihre Zwecke eignete es sich gut.
Als sich die Offiziere wieder um den Techniker versammelt hatten, suchte Lydia festen Halt. In der Schwerelosigkeit konnte sie sonst nichts mit Schwung werfen. Nachdem sie eine sichere Position in einer schlecht beleuchteten Ecke gefunden hatte, schleuderte sie in einem unbeobachteten Moment die lange Stange nach oben. Die segelte langsam rotierend auf die Folie zu, die diesen Teil der Werft umspannte. Als sie aufprallte, riss sie ein großes Loch hinein.
Im Vakuum war davon natürlich nichts zu hören. Aber schon einen Moment später kamen Warnmeldungen über die Innenlautsprecher der Raumanzüge. Offenbar hielten die Messgeräte das neu entstandene Loch für die Folge eines Meteoritentreffers. Alle Personen in der Werft wurden aufgefordert, geschützte Bereiche aufzusuchen.
„Ich fliege dort hinüber!“, rief Lydia in ihr Mikrofon. Sie zeigte aber nicht, welche Richtung sie meinte.
Die anderen in der Gruppe redeten über Funk durcheinander, so dass vermutlich sowieso niemand mitbekam, was sie sagte. Es kam jedenfalls keine Aufforderung, nicht „dort hinüber“ zu fliegen. Darauf konnte sich Lydia berufen, falls man sie für den Ausflug zur Rechenschaft zog.
Sie drückte sich ab, schwebte nach oben und nutzte die kleinen Düsen, mit denen man die Bewegung des Raumanzugs steuerte. Sie konnte gut damit umgehen und kam wenige Sekunden später vor den Containern des Forschungslabors an.
Es gab dort eine Schleuse, die von außen durch einen einfachen Ringgriff geöffnet werden konnte. Als sie hineinschwebte, erhielt sie von hinten einen leichten Stoß. Sie drehte sich um und sah, dass ihr jemand aus der Gruppe gefolgt war: ihr Vorgesetzter, Commodore Smith!
Er sagte nichts, sondern drängte sich neben ihr in den Schleusenraum. Erst, nachdem die Luft hereingeströmt war und sie die Helme aufklappen konnten, wandte er sich an sie: „Nicht ohne mich, Vendaar! Sie stellen zu viel Unsinn an, wenn man Sie alleine agieren lässt. So, und nun öffnen Sie das Innenschott. Sehen wir uns mal an, was hier vor sich geht.“
Lydia ließ sich ihr Verärgerung über ihren Vorgesetzten nicht anmerken. Sie hatte erwartet, von grimmigen Wachen oder irritierten Wissenschaftlern begrüßt zu werden. Doch der Mann, der ihnen entgegen schwebte, lächelte sie strahlend an.
„Willkommen in unserer kleinen Hütte!“, rief er. „Dieser Meteoritenalarm bringt wieder einmal alles durcheinander. Aber keine Sorge, unsere Container sind besonders geschützt. Es war eine gute Idee von Ihnen, hier hereinzukommen.“
Er stellte sich als Dr. Meyerbeer vor und forderte seine Besucher auf, ihre Raumanzüge abzulegen. „Hier drinnen sind Sie sicher und diese Dinger behindern Sie nur. Außerdem könnte es sein, dass Sie durch eine ungeschickte Bewegung eine Versuchsanordnung durcheinanderbringen. Diese Anzüge sind ja so etwas von klobig. Man sollte wirklich glauben, wir seien in der heutigen Zeit schon weiter, was solche Alltagstechnologien angeht. Dies sind meine Assistenten.“
Zwei Frauen und ein Mann winkten den Besuchern zu. Alle drei wirkten bei weitem nicht so enthusiastisch wie ihr Chef.
„Gehören Sie zu der Kontrollkommission?“, fragte der Wissenschaftler und antwortete gleich selbst: „Natürlich, andere Fremde haben keinen Zutritt zur Werft. Sehen Sie sich um, wir haben hier nichts vor Ihnen zu verbergen.“
Nachdem sie ihre Raumanzüge in entsprechenden Spinden neben der Schleuse deponiert hatten, ließen sich Lydia und der Commodore von Dr. Meyerbeer die Forschungseinrichtung erklären.
„Strahlung lautet das Zauberwort!“, sagte der Wissenschaftler, zögerte dann aber einen Moment, bevor er weitersprach. „Sie gehören zu der Inspektionsgruppe, nicht wahr? Also darf ich Ihnen gegenüber offen reden. Sie kennen den Aufbau der Skeleton-Schiffe? Wunderbar! Eine geniale Konstruktion. Man kann sie auch als Sender benutzen oder wissenschaftlicher ausgedrückt, das gesamte Gerüst eines solchen Schiffes kann Strahlung emittieren, und zwar sowohl im elektromagnetischen Bereich als auch im Hyperwellenbereich.“
Zwanzig Minuten lang begeisterte sich Meyerbeer über die wunderbaren Möglichkeiten, die so riesige, fliegende Abstrahlvorrichtungen boten. Dann wurde es dem Commodore zu viel und er unterbrach ihn.
„Das ist ja alles schön und gut!“, sagte Smith überlaut. „Aber uns interessiert viel mehr, wie der Stand Ihrer Forschungen ist und ob jemand außerhalb der Werft davon weiß.“
Meyerbeer sah ihn verdutzt an. „Es gibt nur wenige Geheimnisträger, und die sind verschwiegen. Sonst hätte man sie nicht ausgewählt. Außerdem bin ich sicher, dass es auch eine Spionageabwehr und so weiter gibt, die dafür sorgt, dass niemand etwas verrät. Ich bin nicht der Mann, der sich um solche Dinge kümmert, muss ich Ihnen ehrlich gestehen. Ich bin Wissenschaftler. Mich reizt die Herausforderung, die Aufgabenstellung.“
„Und wie weit sind Sie bisher gekommen?“
„Sie kennen unsere Projektbeschreibung?“
„Gehen Sie einfach einmal davon aus“, sagte Smith.
Dr. Meyerbeer nahm das für ein Ja. „Das mit den weit ausgreifenden Magnetfeldern haben wir bereits ganz gut hinbekommen. Die schiere Größe der Skeleton-Schiffe hilft da ja schon. Was wir nicht beherrschen, ist das Modulieren von energetischen Strömungen. Die Vorgaben, die wir in den Berichten von der Erde finden, sind zu vage. Man weiß dort auch nicht so genau, wie das eigentlich gehen soll. Aber die Messwerte dieses Phänomens beim Planeten Wolkental haben uns einige neue Ideen beschert, die wir derzeit ausarbeiten.“
Lydia war zusammengezuckt, als der Mann über Berichte von der Erde sprach. Zur Erde gab es seit fünfzig Jahren keinen Kontakt mehr. Seit die H’Ruun das Wurmloch in den Orion-Arm der Milchstraße zerstört hatten. Aber Dr. Meyerbeer sprach von der Erde in der Gegenwartsform, als verfüge er über aktuelle Informationen von dort.
Falls das auch Commodore Smith aufgefallen war, so ließ er sich das nicht anmerken. „Wolkental hat für uns alle ein paar Überraschungen parat gehabt“, sagte er. „Was haben Sie hier noch?“
Bevor Meyerbeer weiter von seinen Geräte schwärmen konnte, fragte Lydia: „Also haben die Messergebnisse von Wolkental mehr gebracht als die neuesten Daten von der Erde?“
„Und ob!“, versicherte der Wissenschaftler.
Lydia bemerkte, wie der Kopf einer der Assistentinnen herumruckte. Die Frau starrte sie unverhohlen an. Aber Lydia war gut darin, unbeteiligt auszusehen. „Die Raumflotte wird weiterhin ein Beobachtungsschiff im Hendrasystem haben“, sagte sie. „Es hat hochwertige Messgeräte an Bord. Vielleicht tut sich noch einmal etwas auf Wolkental, auch wenn die H'Ruun nun nicht mehr dort sind.“
„Ich möchte sofort davon erfahren, wenn Sie etwas herausfinden“, sagte Meyerbeer. Dann schwebte er voraus in einen anderen Bereich der Forschungseinrichtung und begann, ausführlich über die Methoden der Energieverteilung innerhalb der Skeleton-Schiffe zu referieren.
Wegen des angeblichen Meteoritentreffers war längst über Funk Entwarnung gegeben worden, doch der Wissenschaftler ließ sich in seinem Mitteilungsdrang nicht bremsen. Noch eine Stunde lang berichtete er von verschiedenen Versuchsaufbauten und ihren Ergebnissen.
Commodore Smith tat interessiert, gab aber auch deutlich zu erkennen, dass er keine wissenschaftliche Ausbildung hatte und deshalb mit den Informationen wenig anfangen konnte. Lydia hielt sich im Hintergrund, schließlich hatte sie einen niedrigeren Rang. Aber sie achtete genau auf jedes Wort des Wissenschaftlers. Doch der sagte nichts mehr über die Erde oder andere interessante Themen. Lydia wagte es nicht, ihn noch einmal darauf anzusprechen.
Eines jedenfalls war ihr klar: Dr. Meyerbeer war ein Enthusiast, der ganz in seiner Aufgabe aufging. Vermutlich hatte man ihm die Assistenten nicht nur als Helfer zur Seite gestellt, sondern auch, um auf ihn aufzupassen. Sollte Meyerbeer einmal an den Falschen geraten, so würde er ähnlich unbedarft Geheimnisse ausplaudern, wie er es jetzt gegenüber Smith und ihr tat.
Schließlich versiegte aber dessen Redefluss und er geleitete seine beiden Besucher zurück zur Schleuse. Lydia hatte den Eindruck, dass es ihrem Vorgesetzten nicht gut ging, doch das konnte daran liegen, dass für ihn der lange Aufenthalt in der Schwerelosigkeit ungewohnt war.
Sie legten die Raumanzüge wieder an, winkten Dr. Meyerbeer noch einmal zu und schwebten in die Schleusenkammer. Bevor sie ihre Helme schlossen, sagte Commodore Smith: „Einiges von dem, was uns erzählt wurde, hätten Sie nie erfahren dürfen, Vendaar. Kommen Sie morgen früh in mein Büro, wir müssen da etwas besprechen.“
Lydia nahm das gelassen hin. Bis dahin hatte sie genügend Zeit, sich ein paar gute Ausreden einfallen zu lassen.
Nachdem der Druckausgleich hergestellt war, schwebten sie hinaus in die Werft. Lydia schaltete den Sprechfunk ein, um zu melden, dass sie zu ihrer Gruppe zurückkehren würden. Doch das Funkgerät reagierte nicht. Smith schien eine ähnliche Erfahrung zu machen, denn er gestikulierte wild mit den Armen.
Lydia, die sich schon ein Dutzend Meter von ihm entfernt hatte, nutzte die Druckdüsen, um zu ihm zu fliegen. Erst, als sie neben ihm war und er sich an ihr festzukrallen versuchte, merkte sie, dass er gestikulierte, weil er Hilfe benötigte.
Sie drückte ihren Helm gegen seinen, um so mit ihm sprechen zu können. Aber er reagierte nicht auf ihre Rufe. Seine Bewegungen erstarben. Erschrocken packte Lydia ihn und steuerte zurück auf die Schleuse des Forschungskomplexes zu. Es war die nächstgelegene Möglichkeit, in normale Atmosphäre zu gelangen.
Sie merkte, dass sie immer schwerer Luft bekam, und schaltete die entsprechenden Anzeigen auf das Helmdisplay. Alles war im grünen Bereich. Trotzdem wurde ihr schwindelig, sie hatte Erstickungsanfälle.
Jemand hat unsere Raumanzüge manipuliert, während Meyerbeer uns abgelenkt hat, dachte sie, bevor sie das Bewusstsein verlor.