Читать книгу Das Germania-Komplott - Manfred Wolf - Страница 10

Dienstag, 28.7.2009

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Evelyn hatte darauf bestanden, dass ich meinen besten Anzug anziehe. Außer, dass dieser in dem engen Sitz des Flugzeugs einige Knitterfalten abbekam, verlief der Flug völlig ereignislos. Ich erkundigte mich bei der Touristeninformation nach der Fahrtdauer zum Regierungsviertel. Gerd hatte recht knapp gebucht und so nahm ich mir, zerknittert wie ich war, gleich ein Taxi. Kaum hatten wir das Flughafengelände verlassen, steckten wir auch schon fest. In endlosen Kolonnen quälte sich der Verkehr stadteinwärts. Mein Chauffeur versicherte mir aber in breitestem Berlinerisch, dass wir pünktlich sein werden. Ich vergrub mich hinter der „Germania Aktuell“, die es im Flieger gratis gab. „Erneut schwere Anschläge in Palästina“ prangte die Schlagzeile in fetten Lettern auf Seite 1. Ich musste an Nikolaus denken, der jetzt irgendwo im Mittelmeer grollend und schmollend Deck schrubbte. Nur die Schlagzeilen lesend blätterte ich von vorne nach hinten. „Neuinszenierung der Zauberflöte erregt die Gemüter“. „Dortmund schlägt die Bären 2:0“. „Ausverkauf bei Elektro Stanglmayer“.

Das Taxi verschwand in einem Erdloch. Acht breite Spuren verteilten die Fahrzeuge auf acht beschrankte Abfertigungshäuschen. Der Fahrer hielt an der Schranke und kurbelte das Fenster herunter. Ein Wachmann in blauer Uniform trat an das Fenster, ein zweiter stand mit angelegter Maschinenpistole hinter dem Wagen. Grußlos schaute sich der Wachmann im Fahrzeug um. Die Schranke öffnete sich und mit einer herrischen Bewegung seines Kinns in Fahrtrichtung gab er Kommando zum Weiterfahren. Noch etwa zwei Kilometer ging es durch ein unterirdisches Labyrinth. Das Taxi steuerte eine Bucht an. Über einer breiten und hohen, beleuchteten Glasfassade prangten große Lettern: „Tor 028“.

„So Chef, da wären wir. Macht zweiundzwanzig fuffzig.“

Ich schob 25 Mark durch die Lade in der Trennscheibe und verlangte eine Quittung. Dann sah ich dem Mercedes nach, wie er im Tunnel verschwand. 8.35 Uhr. Mehr als pünktlich. Die Glastür öffnete sich automatisch. Ich stand in einem kleinen Vorraum mit einem Schalter wie in einer Bank. Hinter dem Panzerglas saß eine junge Frau in blauer Uniform.

„Passierschein oder Befehl!“, raunzte sie in ein Mikrofon hinter der Scheibe. Ich schob den Befehl durch die Lade. Sie studierte ihn aufmerksam. „Ausweis oder Dienstausweis.“ Ich schob auch diesen durch. Ein Summen erklang und eine Stahltür öffnete sich, die bisher unsichtbar in die Wand integriert war. Zwei bewaffnete SS-Männer erschienen. „Folgen“, war die kurze aber deutliche Aufforderung. Einer der Männer nahm mir meine Reisetasche ab, der andere hatte meine Papiere in der Hand. Es war ein kahler, fensterloser Raum. Die Tasche verschwand unter einem Röntgengerät. Ich wurde abgetastet, musste meine Taschen leeren und durch einen Metalldetektor gehen, während meine Passdaten in einen Elektronenrechner eingegeben wurden. Nach 2 Minuten erhielt ich einen Besucherausweis, mit dem Hinweis, diesen gut sichtbar an der Jacke anzuklipsen. Dazu erhielt ich einen Passierschein, abzuzeichnen von der zu besuchenden Dienststelle.

„Alles verstanden?“, fragte der SS-Mann gelangweilt.

Seinen Dienst in der SS hatte er sich wahrscheinlich auch anders vorgestellt. Ich verkniff mir ein: „Ich bin doch nicht blöd“ und beschränkte mich auf ein knappes „Jawoll“. Ich klippte den Ausweis an. Eine weitere Stahltür öffnete sich. Dahinter befand sich ein Aufzug. Der SS-Mann bedeutete mir einzusteigen und den einzigen Knopf zu drücken.

„Wo ist mein Befehl?“, fragte ich nach.

„Den brauchen Sie jetzt nicht mehr“, war die knappe Antwort.

Dann befand ich mich auf dem Weg nach oben. Vor der Aufzugtür erwartete mich ein junger Mann in der Uniform eines Unterscharführers.

„Hauptkommissar Klar?“

Er hatte kein unfreundliches Erscheinungsbild, wenn auch seine Körpergröße von gut zwei Metern und sein kantiges Gesicht Respekt einflößten.

„Mein Name ist Wieland. Ich bin Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthaltes als persönlicher Fahrer zugeteilt. Es ist üblich, mich beim Vornamen anzusprechen. Ohne Dienstgrad.“

Er nahm meine Tasche und wir verließen die bahnhofsähnliche Halle. Er steuerte eine vor der Tür parkende schwarze Mercedes-Limousine an, verstaute meine Reisetasche im Kofferraum und hielt mir die Beifahrertür auf.

„Sie können gerne auch hinten Platz nehmen. Nur – wenn Sie vorne sitzen, kann ich mich besser mit Ihnen unterhalten. Sind Sie das erste Mal in Germania?“ Ich bejahte und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

„Schätze, dann werden Sie einige Fragen haben.“ Er grinste wissend.

„Als erstes fahren wir jetzt zu Ihrer Verabredung. Sie werden dort schon erwartet. Ihren Passierschein können sie, wenn sie möchten, gerne mir anvertrauen. Ich sorge dafür, dass Sie alle Stempel bekommen und dass das Dokument nicht verloren geht.“

Ich nickte stumm. Ich hatte Bilder und Filme von Germania gesehen, auch vom „neuen“ Regierungsviertel. Das, was ich jetzt vor mir sah, überstieg jedoch völlig meine Vorstellungskraft. Wieland schien das zu merken. Wahrscheinlich ging es den meisten seiner Fahrgäste so. Er steuerte den Wagen aus der Haltebucht hinaus auf die Straße.

„Wir werden vielleicht noch Gelegenheit haben, eine Rundfahrt zu machen. Wenn Sie möchten, erkläre ich Ihnen dann alles Wissenswerte über das Viertel, die Bauwerke und was immer Sie interessiert.“

Das Bild, das sich mir bot, lässt sich nur schwer beschreiben. Der vor uns liegende Boulevard erinnerte mich an die Champs Elysee. Die schnurgerade Straße war geteilt durch eine etwa 150 Meter breite Parkanlage. Ich erkannte gewundene Fußwege, künstlich angelegte Bäche und Seen, Blumengärten in wilder Farbenpracht. Eine Tempelruine und Statuen im römischen Stil. Obwohl ich nur wenige Autos entdecken konnte, verlief die Autostraße in beide Richtungen zweispurig. Der Asphalt war glatt wie eine Eislaufbahn und schimmerte in der Morgensonne. Etwa alle 100 Meter war die Straße unterbrochen durch schachbrettartige Muster und Wieland bremste davor ab, um sie im Schritttempo zu überqueren. Rechts der Autostraße war ein Fuß- und Radweg von beachtlicher Breite. Platanen säumten den Weg und in riesigen Holzkübeln waren in wilder Anordnung Oleander, Agaven und Palmen über den Weg verteilt. Dahinter erhoben sich, meist hinter parkähnlichen Vorgärten die monumentalen Steinfassaden Speer’scher Baukunst. „Ministerium für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ konnte ich im Vorbeifahren lesen. Göbbels höchst persönlich hatte 54 das Propagandaministerium umgetauft, wegen des „negativen Beigeschmacks“, wie er meinte. Nun zierte ein riesiges Standbild von ihm den Rasen. Obwohl ich mir den Gedanken sofort wieder verbot, erinnerte mich das Gebäude an den Stuttgarter Hauptbahnhof. Eine Fassade nach der anderen zog vorbei. Den meisten konnte ich ihre Bestimmung nicht entnehmen, weil sie zu weit von der Straße lagen, oder weil schlicht keine Schilder auf den Inhalt hinwiesen. So sehr ich auch beeindruckt war von dieser monumentalen Kulisse, so empfand ich das hier alles doch als maßloses Protzgehabe mit einem Hauch kitschiger Künstlichkeit. Erstaunt war ich über die Lebendigkeit, die sich auf der Straße abspielte. Menschen schlenderten gelassen durch die Parkanlagen, andere eilten auf dem Gehweg irgendeinem Ziel entgegen. Frauen und Männer in grauen Kitteln schoben Handkarren, beladen mit Aktenkoffern und Behältnissen vor sich her. Ein kleines Pavilloncafé auf dem Mittelstreifen war voll besetzt. Überall patrouillierten Zweiergruppen von SS-Männern, die aussahen als wären sie in einer Fabrik aus einer Form gegossen worden. Radfahrer und kleine, zweisitzige Elektromobile belebten die Straße. Eigentlich sah es hier nicht viel anders aus, als im Verwaltungsviertel einer x-beliebigen Großstadt im Reich. Abgesehen von den Dimensionen, war aber doch noch etwas anders. Es störte und irritierte mich, aber ich wusste noch nicht genau, was es war.

Der Wagen wurde langsamer und bog an einem überdimensionalen steinernen Diskuswerfer vorbei in einen säulenbewehrten Torbogen ein. Dahinter befand sich ein großer Innenhof mit eingezeichneten Parkplätzen, auf denen neben schwarzen Limousinen einige Kleinbusse und Volkswägen parkten, sowie eine Menge Fahrräder und einige Elektromobile, die über Kabel ihre Batterien aufluden. Die inneren Häuserschluchten waren glatt und schmucklos. Wir fuhren an einer riesigen gläsernen Eingangstür vor. Daneben war eine Marmortafel an der Wand angebracht, auf der in goldenen Lettern zu lesen war:


Carl – Diem – Haus

Ministerium für Sport und Volksgesundheit


Das übliche SS-Zweiergespann bewachte die Tür von beiden Seiten.

„Wir sind da“, sagte mein Fahrer. „Brauchen Sie etwas aus Ihrer Reisetasche?“

„Ja“, antwortete ich, „meine Aktenmappe.“

Er holte sie mir.

„Den Rest können Sie dalassen. Ich werde hier auf Sie warten. Sie finden mich im Wagen oder im Fahrercasino.“

Er deutete auf eine Tür in einem der Nebengebäude, grüßte militärisch indem er die Hand an die Mütze führte und ließ mich stehen. Ich betrat das Gebäude durch die automatisch öffnende Glastür und fand mich in einer riesigen Halle wieder. Irgendwie eine Mischung aus Bahnhof und Luxushotel. Etwa 15 Meter über mir befand sich eine große gläserne Kuppel, die den ansonsten fensterlosen Raum mit reichlich Sonnenlicht bedeckte.flutete. An einer Wand waren die olympischen Ringe in überdimensionierter Größe angebracht. Wie ich später erfuhr, stammten diese Ringe vom Berliner Olympiastadion der Spiele von 1936. Sie waren vor britischen Bomben in Sicherheit gebracht, um dann später hier als Wandschmuck neben den üblichen überdimensionalen Hakenkreuzflaggen und einem steinernen Wandrelief eines wie immer düster dreinblickenden Adolf Hitler, zu dienen. Der Raum war locker mit Ledergarnituren und Hydrokulturen möbliert. Rechter Hand lag unübersehbar der Empfangsbereich mit großem Tresen aus edlem Wurzelholz, daneben fanden sich zwei Paternoster, ein Aufzug und eine breite Treppe. Vor dem Empfangstresen lehnte ein älterer Herr mit mächtigem Bauch, schlechtsitzendem braunem Anzug und Hornbrille. Als er mich eintreten sah, steuerte er auf mich zu.

„Hauptkommissar Klar, ich bin Ministerialdirektor von Carlstatt. Bitte folgen Sie mir.“

Er steuerte den Paternoster an und ich trabte hinterher. Ein Stockwerk tiefer stiegen wir aus und gingen durch ein Gewirr kahler Gänge mit dutzenden verschlossenen Türen. Nach etwa 50 Metern bestiegen wir einen Aufzug, den er mittels Schlüsselschaltung in Gang gesetzt hatte. Es ging aufwärts und wir stiegen in einem kahlen und tristen Bürotrakt mit langen Fluren, vielen Türen und vereinzelten Bänken davor aus. Auf einer solchen wies er mich an, Platz zu nehmen. Dann fuhr er mit dem Aufzug wieder nach unten, ohne sich zu verabschieden. „Ministerialdirektor. Hoher Posten für einen schwitzenden Büroboten“, dachte ich bei mir und war mächtig erheitert. Ich sah keine Aschenbecher, zündete mir trotzdem eine Zigarette an und bastelte mir aus Silberpapier einen Müllbehälter.


Nach einer Wartezeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam öffnete sich links von mir eine Tür und eine Stimme ertönte:

„Hauptkommissar Klar?“

„Jaaaa“, brummte ich und erhob mich von der Bank.

In der Tür stand ein Mann in den Enddreißigern in auffallend legerer Kleidung, sportlich, kantig. Ich vermutete, es handele sich um einen der Klone, wie sie hier uniformiert an jeder Türe herumstanden. Innerlich machte sich in mir ein Grinsen breit bei diesem Gedanken. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Es war eine ungemütliche, schmucklose Schreibstube, wie man sie aus muffigen Ämtern kennt. Ein abgenutzter Schreibtisch, davor ein Sessel mit Holzlehnen, dahinter ein Drehstuhl mit Kunstlederbezug. Die üblichen Gegenstände: Hitlerbild, Hakenkreuzfahne, Reichsflagge. Nichts deutete hier auf Arbeit hin. Keine Ordner, keine Akten. Auf einer Ausziehlade war eine Kanne Kaffee bereitgestellt. Ohne zu fragen schenkte er mir eine Tasse ein und schob mir eine Schachtel Roth-Händle zu, zündete sich selbst eine an, beugte sich über den Schreibtisch und begann:

„Ich bin Brigadeführer Aldinger von der Geheimen Staatspolizei. Hatten Sie einen guten Flug?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort.

„Sie werden sich auf dem Weg hierher sicherlich den Kopf darüber zerbrochen haben, was wohl der Sinn Ihrer Reise hier nach Germania ist.“

Ich nickte schweigend und nahm einen kräftigen Schluck aus der Kaffeetasse.

„Interessieren Sie sich für Sport?“

Obwohl er ein hämisches Grinsen aufgesetzt hatte, klang die Frage ernst.

Ich verneinte ehrlich.

„Na ja, macht eigentlich nichts“, griente er. „Sie haben bei Ihrer vorgesetzten Dienststelle um Versetzung gebeten.“ Er war wieder ernst geworden.

„Die Aufgabe die wir für Sie bereithalten, geht weit über die Möglichkeiten und Befugnisse einer normalen Polizeiarbeit hinaus. Es ist daher unvermeidlich, Sie mit sofortiger Wirkung dem Amt 4, Referat N, IV A 4 zu überstellen.“

Mein erschrockener Blick war ihm nicht entgangen.

„Wir brauchen einen Mann mit Erfahrung in der Terrorbekämpfung, loyal, umsichtig, kreativ und führungsstark. Unter mehreren Kandidaten haben wir uns für Sie entschieden.“

Das klang fast schmeichelhaft und ich schlürfte meinen Kaffee aus.

„Moment“, unterbrach er, obwohl ich keine Anstalten gemacht hatte, etwas zu sagen. Er schenkte mir nach.

„Lassen Sie mich fortfahren. Sie wollten in die Administration. Ihr künftiger Aufgabenbereich liegt im Ministerium für Sport und Volksgesundheit, Außenstelle Stuttgart. Wie Sie wissen, finden in knapp 2 Jahren die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Stuttgart statt. Wir werden auf Anweisung des Herrn Innenministers aufgrund der derzeitigen Situation eine eigene Abteilung in Stuttgart einrichten. Ihre Aufgabe wird sein, mit Ihrer Abteilung die Sicherheitsmaßnahmen für Sportler und Ehrengäste zu koordinieren. Ganz grob gesagt.“

Hörte sich gar nicht so übel an.

„Sie werden mit sofortiger Wirkung befördert in den Rang eines Standartenführers der Geheimen Staatspolizei.“

Er schlug ein Dossier auf und entnahm ihm einen Ausweis.

„Darf ich bitte Ihren Dienstausweis haben!“

Ich griff in die Tasche und schob ihm meinen Dienstausweis über den Tisch. Ich war völlig sprachlos und hielt es für besser, erst einmal nichts zu sagen.

„Hier ist Ihr neuer Ausweis. Dieses kleine Büchlein klärt Sie über die kleinen Unterschiede auf, die zwischen uns und Ihrer bisherigen Behörde bestehen.“

Er schob mir ein Taschenbuch über den Tisch. „Standartenführer Klar – persönliche Dienstanweisung“ stand auf dem Deckblatt.

„Diesem Ausweis bitte ich Ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er weist Sie als Sonderbevollmächtigten des Ministeriums aus. Dieser Ausweis gibt Ihnen den Status, ähnlich eines Diplomaten, mit dem Recht, z.B. Sonderkonten des Reichsministeriums zu nutzen, jederzeit Ordnungspolizei, SS, Wehrmacht oder andere Dienststellen anzufordern. Alles Weitere finden Sie in dieser Dienstanweisung. Ihre Aufgaben und Ihre Arbeit sind streng geheim. Sie dürfen mit niemandem darüber sprechen, der nicht zu Ihrer Truppe gehört oder direkter Vorgesetzter ist. Letztendlich habe ich hier noch eine Bankkarte für Sie. Das Sonderkonto läuft auf Ihren Namen und ist ohne jegliche Limitierung durch Sie verfügbar. Alle in Ihrer Abteilung anfallenden Kosten werden ohne Antrag und Reglementierung davon beglichen. Grob gesagt, wenn Sie für Ihre Mitarbeiter Schweizer Uhren brauchen, dann kaufen Sie sie. Keiner wird Sie danach fragen. Das Reich vertraut Ihnen. Dafür erwarten wir Ehrlichkeit und Loyalität. Und wie ich eingangs schon erwähnte, haben wir da keine Zweifel und setzen vollstes Vertrauen in Sie. Ach ja, bevor ich es vergesse: Ihr Passwort für Ihr Sonderkonto ist Olympia. Vergessen Sie es nicht! Es ist nirgendwo verzeichnet.“

Ich war etwas erleichterter. Sonderbevollmächtigter des Ministeriums für Sport und Volksgesundheit – das klang sehr viel freundlicher als Gestapo… Mir war schon in den Kopf geschossen, wie ich es Evelyn erklären sollte…

„Und hier haben Sie noch ein Schriftstück.“

Er schob einen Bogen Papier über den Tisch. Mir fiel sofort die Unterschrift ins Auge, eine Unterschrift die wohl jedes Schulkind kannte. Die Unterschrift des Führers.

„Mit dieser Sondervollmacht halten Sie ein Schriftstück in der Hand, dass Sie zu einem mächtigen Mann macht! Sie können damit den gesamten Schienenverkehr im Reich lahmlegen, Minister verhaften, Kirchen sprengen, was immer Sie wollen. Über jede Nutzung dieser Sondervollmacht müssen Sie dem Führer gegenüber persönlich Rechenschaft ablegen. Niemandem sonst.“

Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee.

„Ihre neue Aufgabe beginnt im Oktober, wenn der Planungsstab der WM gebildet ist und zum ersten Mal zusammentritt. Wir haben Ihnen im Stuttgarter Ministerium eine Büroetage vorbereitet, die Sie sofort beziehen können. Einzelheiten finden Sie in Ihrer Dienstanweisung. Sie werden dort alles Nötige vorfinden. Was fehlt, wird von Ihnen angeschafft. Wir waren so frei, Ihnen einen Stab von Mitarbeitern zusammen zu stellen, die zu den fähigsten ihres Fachgebietes zählen. Diese Mitarbeiter werden Sie bei der anschließenden Besprechung kennenlernen. Bis zum Oktober ist es ja nun noch ein Weilchen hin. Einstweilen werden Sie mit Ihrem Stab Sonderaufgaben in der Terrorbekämpfung wahrnehmen, die ebenfalls strengster Geheimhaltung unterliegen. Wir haben den Zeitpunkt Ihrer Rekrutierung absichtlich so früh gelegt, damit Sie und Ihr Stab zusammenwachsen können.“

Er zündete sich eine neue Zigarette an und lehnte sich nach hinten. Während des ganzen Vortrags hatte ich keine einzige Regung außer einem permanenten Grinsen feststellen können. Ich selbst dagegen war mir bewusst, dass ich die Farbe gewechselt hatte wie ein Chamäleon. Mir war heiß und kalt wie bei einer deftigen Grippe.

„Ach ja, noch etwas“, setzte er nach. „Sie erhalten natürlich ab sofort die vollen Bezüge eines Beamten in Referat N IV im Rang eines Standartenführers. Dazu kommt ein neutraler Dienst-Mercedes der mittleren Klasse, alle Spesen und 3 neue Uniformen für offizielle Anlässe. So, jetzt können Sie einen kleinen Imbiss einnehmen und das Gesagte etwas verdauen. Wenn Sie rechts den Gang hinuntergehen finden Sie linker Hand das Casino. Ich hole Sie in einer knappen Stunde dort ab. Willkommen bei der Gestapo. Heil dem Führer, Herr Standartenführer…“

Er stand auf und grüßte mit ausgestrecktem Arm.

„Bis gleich“, antwortete ich, nicht ganz vorschriftsmäßig.


Mächtig aufgewühlt suchte ich mir den Weg zum Kasino. Standartenführer, das klang noch sehr fremd. Ich betrat einen hell erleuchteten Raum mit einer Masse unschöner, praktischer Kunststoffstühle, so wie die Casinos wohl in allen Behörden aussahen. Am Tresen bestellte ich mir ein ausgiebiges Frühstück. Meine Gedanken fuhren Karussell. Die vielen Eindrücke, die unerwartete Ansprache des jungen Schnösels, der schon Brigadeführer war, wahrscheinlich, weil seine Eltern ihn auf die Akademie schicken konnten… Ich vertiefte mich in die Lektüre der Dienstanweisung, damit ich auf andere Gedanken kam.

„Herr Standartenführer, kommen Sie bitte!“

Aldinger stand neben mir. Ich erhob mich und trottete hinter ihm her. Nachdem wir endlos Gänge passiert hatten, erreichten wir eine Doppeltür. Keine Menschenseele war uns begegnet. Langsam stellten sich Kopfschmerzen ein. Wir betraten einen typischen Sitzungssaal. Die Tische waren rechteckig angeordnet. Mein Begleiter dirigierte mich an das Kopfende und gebot mir, links neben ihm Platz zu nehmen. Rechts daneben erkannte ich von Carlstatt. Er roch nach Schweiß und Bier und mir wurde leicht übel. Im Saal befanden sich einschließlich der Türwachen ein Dutzend Leute, die offensichtlich nur noch auf uns gewartet hatten. Aldinger blieb stehen und tat das, was er wohl am liebsten tat: Reden.

„Guten Morgen meine Damen und Herren. Ich bin Brigadeführer Aldinger von der Geheimen Staatspolizei.“


Ich musste plötzlich fürchterlich gähnen. Die kurze Nacht, die anstrengende Reise, das opulente Frühstück, der Schweißgeruch von nebenan – das alles tat jetzt seine Wirkung. Aldinger missdeutete dies und warf mir einen bitterbösen Blick zu, was mich aber nicht sonderlich interessierte. Vielmehr entlockte sein Blick mir ein breites Grinsen, womit ich mir noch mehr giftige Blicke einhandelte. Ich stellte mir vor, wie er darüber nachdachte, ob er wohl die richtige Entscheidung getroffen habe. Aber wahrscheinlich war es gar nicht seine und er war nichts mehr als ein vorgeschobenes Sprachrohr. Ich gelobte mir Besserung, was zu einem erneuten Grinsen führte.

„Sie alle sind inzwischen von Ministerialdirektor von Carlstatt eingeführt worden“, fuhr Aldinger fort. „Ich darf Ihnen nun Ihren zukünftigen Dienststellenleiter, Standartenführer Klar vorstellen.“

Aldinger machte eine Bewegung mit seiner Hand in meine Richtung.

„Sie werden später noch genug Gelegenheit haben, sich näher kennen zu lernen. Ich schlage vor, Sie stellen sich selbst der Reihe nach vor. Sie beginnen bitte.“ Er deutete auf eine junge Frau rechts außen. Sie stand auf.

„Bornheim, Greta, Polizeihauptwachtmeisterin.“

Sie setzte sich wieder und Aldinger ergänzte: „Frau Bornheim ist 28 Jahre alt und hat an der Polizeiakademie Magdeburg Psychologie studiert.“

Sie hatte eine sympathische Ausstrahlung. Ich lächelte sie an und nickte. Der Nächste erhob sich von seinem Platz.

„Schöttle, Horst, Hauptmann der Wehrmacht, 38 Jahre alt…“

Aldinger unterbrach ihn schroff.

„Schöttle, Sie vergessen, dass Sie kein Hauptmann der Wehrmacht mehr sind!“

„Jawoll, Brigadeführer“, schallte es zurück und die Hacken knallten lautstark aneinander.

„Schöttle, Horst, Zivilist und Hauptmann der Wehrmacht a.D., 38 Jahre alt, Scharfschütze und Spezialist für Sprengstoffe aller Art.“

Er war ein gutaussehender, stattlicher Mann, der sich traute, hier unrasiert und mit kariertem, offenem Hemd aufzukreuzen. Trotzdem machte er auf mich keinen schlechten Eindruck. Den linken Arm hielt er hinter seinem Rücken. Als er sich wieder setzte bemerkte ich, dass die linke Hand eine Prothese war. Jetzt konnte ich mich erinnern. Schöttle hatte bei den Olympischen Spielen in Helsinki 2000 die Goldmedaille im Pistolenschießen gewonnen. Sein Konterfei war damals auf jeder Titelseite zu bewundern und die Frauen im Reich schmachteten bei seinem Anblick dahin. Vor zwei Monaten machte er erneut Schlagzeilen. Seine Entlassung aus der Wehrmacht hatte für einigen Wirbel gesorgt und den Redaktionen der Tageszeitungen körbeweise Leserzuschriften beschert. Er hatte Feldmarschall von Trondheim, zu dessen Afrikacorps er gehörte, schwer beleidigt. Was keinen wohl ernsthaft störte, außer Trondheim selbst. Trotzdem stellte man in dem angestrengten Disziplinarverfahren seine Schuld fest und entließ ihn aus der Wehrmacht. Von Trondheim hatte vor etwa einem halben Jahr nahe dem tunesischen Dorf El Bajran eine Abteilung von 120 Soldaten durch ein Minenfeld gejagt. 60 Männer kamen dabei ums Leben, 12, davon 4 Offiziere, lies er wegen ihrer Weigerung weiter zu stürmen später standrechtlich erschießen. Von Trondheim hatte als Günstling des Führers und miserabler Stratege nicht viele Freunde im Kriegsministerium. So kam es, dass man ihn wegen dieses Vorfalls vor ein Kriegsgericht stellte. Schöttle war als Zeuge und Sachverständiger geladen. Seit Schöttles Auftreten bei Gericht saß der Herr von Trondheim in einem hübschen Büro im Kriegsministerium und verschob Akten auf höchstem Niveau. So viel drang zumindest an die Öffentlichkeit. Ich wollte es genauer wissen:

„Sagen Sie, Zivilist Schöttle, was haben Sie eigentlich dem Herrn Reichsfeldmarschall Bösartiges an den Kopf geworfen, dass die Wehrmacht einem verdienten und hochdekorierten Offizier wie Ihnen einen Tritt in den Hintern versetzt?“

Schöttle erhob sich und nahm Haltung an.

„Im Prozess gegen Herrn Generalfeldmarschall wurde ich gefragt, ob erkennbar gewesen sei, dass das Feld vermint war. Das habe ich bejaht. Ich wurde gefragt, ob ich Kenntnis davon hatte, dass der Herr Generalfeldmarschall über diesen Umstand ebenfalls informiert war. Darauf bin ich etwas aus der Fassung geraten und habe die Behauptung aufgestellt, dieser Sesselfurzer würde eine Tellermine nicht mal erkennen, wenn man ihm sein Abendessen darauf serviert.“

Schallendes Gelächter erfüllte den Raum.

„Ruhe“, schrie Aldinger, „das ist doch hier kein Kabarett. Setzen Sie sich, Schöttle. Der Nächste.“

Ein hünenhafter Mann in SS-Uniform erhob sich. Bevor er irgendetwas sagen konnte, schaute ich Aldinger an.

„Schicken Sie ihn nach Hause!“

Aldinger schaute mich entsetzt an: „Wie bitte?“

„Schicken Sie ihn nach Hause!“, sagte ich, nun etwas energischer.

Aldinger wurde leichenblass.

„Wa-warum?“, stammelte er.

„Erstens, weil ich das sage. Zweitens, weil ich keine SS im Stab dulde.“

„Aber…“

„Kein aber. Basta“, fauchte ich.

Mit so viel couragiertem Eigenleben hatte Aldinger nicht gerechnet. Ich war mir sicher, dass er spätestens jetzt davon überzeugt war, dass ich der falsche Mann für den Posten war. Ich hegte nun einmal keine Sympathien für die Burschen von der SS. Sie führten sich stets auf als wären sie allein auf der Welt, glaubten fest an das Märchen vom Herrenmenschen, terrorisierten ihr Umfeld nach Gutdünken und hatten allzu oft den IQ von einem Salatkopf. Außerdem war es mir zuwider, mit Menschen zusammen zu arbeiten, die auf Befehl ihre Mutter erschossen hätten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Aldinger gab klein bei: „Sturmbannführer Neubert, Sie können wegtreten. Sturmmann Diestel, Sie auch.“

Der zweite SS-Mann, ein blutjunger Bursche, erhob sich. Die beiden grüßten mit zusammengeschlagenen Hacken und ausgerecktem Arm, brüllten ein „Heil dem Führer“ und verließen den Raum. Von Carlstatt keuchte schwer und ich vermutete, dass er nun vorhatte den Weltrekord im Schwitzen zu brechen. Seine Ausdünstungen ließen mich befürchten, bald Schwimmwesten ausgeben zu müssen.

„Fahren wir fort.“ Aldinger war schon wieder gefasst. „Der Nächste.“

Vor mir stand eine junge Frau mit starrem, aber nicht unschönem Gesicht auf. Ihr glatt nach hinten gestriegeltes Haar verlieh ihr eine Härte, die eigentlich nicht zu ihrem Alter passen wollte. Ihre schlanke und zierliche Gestalt steckte in einem Kostüm, zu dem sie eine Krawatte trug. Irgendwie kam mir Frau Elsbeth in den Sinn…

„Maas, Maria, 26 Jahre, Datenbankspezialistin.“

Ich nickte stumm und Aldinger forderte den Nächsten auf.

„Dupont, Roger, 49 Jahre alt, Agent im Dienst der Gestapo im Rang eines Untersturmführers.“

Geheimagent Dupont war ein kleiner, hagerer Kerl mit scharfer Nase, einer Nickelbrille darauf und einem Schnauzer darunter, aus dem er bequem ein Toupet für das fehlende Deckhaar hätte herstellen können. Sein bisschen Körper steckte in einem Anzug, den meine geliebte Evelyn nicht mal mehr als Putzlappen hätte durchgehen lassen.

Aldinger ergänzte: „Herr Dupont stammt aus Südfrankreich und ist seit langen Jahren für uns im Außendienst tätig. Herr Dupont ist Anti-Terror-Spezialist und unterhält beste Verbindungen. Herr Dupont…“

„Nehm ich“, unterbrach ich ihn brummig und erntete dafür weitere giftige Blicke.

Der Letzte erhob sich.

„Möck, Eduard, Kriminalhauptkommissar, 50 Jahre.“

„Herr Möck ist Elektronikingenieur und vertraut mit allen Rechnersystemen, Abhörtechniken und Satellitenüberwachung.“

Ich horchte auf. In der Behörde war einiges gemunkelt worden über die Möglichkeiten einer Satellitenüberwachung. Es schien mir aber stets wie eine Vision aus einem Roman von Jules Verne.

„Willkommen bei der Truppe“, sagte ich.

Er lächelte freundlich und nahm wieder Platz. Plötzlich wurde mir klar, was mir hier seit meinem Eintreffen ein seltsames ungutes Gefühl verursacht hatte: Keiner lächelte. Möck war der erste.

„Es gibt noch jemanden“, sprach Aldinger weiter, mir zugewandt.

„Dr. Dragan Nasevic konnte heute nicht hier erscheinen. Dr. Nasevic ist Arzt und Spezialist für chemische und biologische Kampfstoffe. Dr. Nasevic ist eine Kapazität. Sie werden ihn mögen. Und nun schlage ich vor, wir machen eine kurze Verschnaufpause. Wer eine Zigarette rauchen will, kann das draußen auf dem Flur tun.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Die Luft im Raum war stickig und Carlstatt trug einen nicht unerheblichen Teil dazu bei.


Die rhetorischen Fähigkeiten des Herrn Ministerialdirektors ließen zu wünschen übrig. Schwer schnaufend und mit sonorer Stimme begann er seinen Vortrag. Ein Tageslichtprojektor warf die Karte des Reichs auf die weiße Wand.

„Am 14. dieses Monats, morgens um 6.30 Uhr explodierte hier“, er zeigte mit einem Stock auf eine Stelle im Westerwald, „ein Sprengsatz, der einen leerstehenden, lange aufgegebenen Munitionsbunker in seine Bestandteile zerlegte. Wir fanden in unmittelbarer Nähe die Hülse eine Panzergranate. Darin ein A4- Blatt mit folgendem Inhalt.“

Das Wandbild wechselte und ein handgeschriebenes Schreiben erschien.


Bitte entschuldigen Sie, dass wir unsere kleine Testsprengung hier vorgenommen haben. Es schien uns ein angemessener Ort zu sein, niemandem Schaden zuzufügen. Wir werden uns in Kürze wieder bei Ihnen melden.“


„Unsere Ermittlungsergebnisse, auch die folgenden, finden Sie in den Ermittlungsunterlagen, die wir Ihnen zur Verfügung stellen. Am 16. des Monats, um 1.30 Uhr morgens detonierte ein Sprengsatz, der eine Eisenbahnbrücke an der Bahnstrecke Köln – Siegen zerstörte.“

Er zeigte mit seinem Stock auf eine Stelle, unweit von dem gesprengten Bunker.

„Auch hier fanden wir eine Panzergranate mit einer Nachricht.“


So wie diese Brücke haben wir drei weitere Objekte präpariert. Wir werden nicht zögern, diese zu sprengen, wenn Sie unsere Anweisungen ignorieren. Wir verlangen 20 Millionen Reichsmark in geschliffenen Diamanten. Zeit, Ort und Übergabe werden wir rechtzeitig bekannt geben. Zum Zeichen Ihrer Bereitschaft bitten wir, im Kölner Stadtanzeiger am 18. d.M. folgende Anzeige zu schalten: Lieber Basti, wir wünschen dir zum Jubiläum alles Gute und weiterhin gute Geschäfte. Dein Stammtisch.“


„Wir haben daraufhin in Absprache mit höchster Stelle folgende Anzeige aufgegeben: Lieber Basti, der Chef lässt ausrichten, dass er die Zeche nicht zahlen wird. Dein Stammtisch.

Am 19., um 2.20 Uhr explodierte ein Sprengsatz in einer geheimen Raketenabschussbasis in einem Waldstück im Hunsrück, genannt Fuchsbau. Die Abschussbasis mit 4 Langstreckenraketen wurde völlig zerstört.“

Ich erinnerte mich. In den Vierzigern diente der „Fuchsbau“ als Abschussbasis für die V2. In den Fünfzigern wurde die unterirdische Anlage ausgebaut und mit Nuklearraketen bestückt.

„Um 2.50 Uhr explodierte ein Sprengsatz in einem Salzstock bei Heilbronn, wo das Daimler-Institut im Auftrag des Reichs ein geheimes, unterirdisches Forschungslabor unterhält. Mehrere Explosionen zerstörten den Salzstock dermaßen, dass dieser auf der Länge von 3 Kilometern zusammenbrach. Es war unmöglich an Ort und Stelle zu ermitteln, weil das Stollensystem nicht mehr begehbar ist. Um 4.00 Uhr morgens meldete die Feuerwehr Germania eine Explosion in einem Kühlhaus der Zentralküche Nord hier in Germania. Das Kühlhaus wurde komplett zerstört. Um 6.10 Uhr fand ein Gefreiter des 5. Transportbataillons in Hermeskeil, das ist von der Raketenbasis Fuchsbau etwa 10 Kilometer entfernt am Wachhaus eine Panzergranate mit folgendem Zettel:

Schade, dass Sie Bastis Jubiläum nicht interessiert hat. Mal ehrlich: Wäre es nicht billiger geworden, die kleine Jubiläumsfeier zu zahlen? Die Feuerwerke auf dem Fuchsbau, in Heilbronn und in Germania haben wir wie versprochen gezündet und damit bewiesen, dass wir keine Spaßvögel sind. Also noch einmal: Bis zum Monatsende erhalten Sie neue Anweisungen. Bis dahin werden wir uns einige neue, lohnenswerte Ziele aussuchen. Wir melden uns. In der Zwischenzeit möchten wir die Glückwünsche für unseren lieben Basti bis zum 30. Juni in der Frankfurter Rundschau lesen. Und glauben Sie uns: Wir haben unsere Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft!“

Alle drei Anlagen sind durch undurchdringliche Sicherheitszonen geschützt. Es ist unmöglich, hier auch nur ein Gramm Sprengstoff einzuschmuggeln. Alle bisherigen Ermittlungsdetails befinden sich in ihrem zukünftigen Stuttgarter Büro. Inzwischen hat der Führer erklärt, nicht nur zum Schein auf die Forderungen der Terroristen eingehen zu wollen.“


Ich stellte mir den cholerischen Anfall des Führers vor, als er von den Vorfällen unterrichtet wurde. In dieser Beziehung unterschied sich Miller nicht im Geringsten von seinem Übervater und Vor-Vorgänger Adolf Hitler.


„Der Führer“, fuhr Carlstatt fort, „vermutet hinter dem Ganzen eine Verschwörung der Bolschewiken. Wir wiederum gehen davon aus, dass es sich bei den Erpressern schlicht um kriminelle Subjekte handelt. Ihre Aufgabe wird es sein, dies herauszufinden und die Verbrecher dingfest zu machen. Bitte gehen Sie dabei mit äußerstem Fingerspitzengefühl vor. Der Verlust von 20 Millionen Reichsmark ist dabei gegebenenfalls noch zu verschmerzen. Ein zweiter Fuchsbau dagegen nicht. Vor allem ist es eine Ihrer wichtigsten Aufgaben, die Presse von der Geschichte fernzuhalten. Das war’s fürs erste, meine Damen und Herren. Heil dem Führer.“

Carlstatt nahm seine Jacke unter den Arm und verschwand. Aldinger erhob sich.

„Damit ist die Sitzung beendet. Wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an Ihren Stabsleiter, Standartenführer Klar.“

Der Kerl machte wohl Witze. Ich selbst hatte während Carlstatts Referat seitenweise Fragen auf meinen Notizblock gekritzelt. Aldinger klang allerdings recht endgültig und ich beschloss, mir meinen Fragenkatalog für später aufzuheben.

„Sie werden jetzt von Ihrem Fahrdienst ins Hotel gefahren, wo Sie ein gemeinsames Mittagessen einnehmen. Heil dem Führer.“

Er grüßte zackig und verließ den Raum. Zwei SS-Sturmmänner betraten den Raum und geleiteten uns durch das Gängelabyrinth nach draußen.

Mein Fahrer wartete bereits. Die anderen wurden auf bereitstehende Limousinen verteilt. Ich hatte meinen Kopf geleert, so wie ich es schon viele Male getan hatte, wenn er überzulaufen drohte. Jetzt musste ich erst einmal sortieren, Prioritäten setzen, Lösungsansätze erarbeiten, Mist über Bord werfen…. „Reichskriegsministerium“ – so musste der Palast eines römischen Kaisers ausgesehen haben. Der friedliche Eindruck, den das Gebäude mit seinen vorgelagerten Gärten und Säulengängen machte, täuschte erschreckend darüber hinweg, was hinter diesen Mauern passierte. „Amt für Völkerkunde und Rassenhygiene“. Welch nette Umschreibungen doch immer gefunden werden, für Diskriminierung, Kriminalisierung, Völkermord, Sklaverei. Ein sprachloser Groll schob sich durch meine Eingeweide. Wir kamen zum Hitlerdenkmal. Der Verkehr wurde kreisförmig um den Platz geführt. Diesem österreichischen Gefreiten war die größte Bronze gewidmet, die ich je gesehen hatte. Dem Künstler war es glänzend gelungen, den wilden, paranoiden, zu allem entschlossenen Blick einzufangen. Hitler schien von seinem Sockel herab das ganze Viertel zu kontrollieren. Und allen, die sich darin bewegten, das Lächeln zu rauben.

Wieland war ein aufmerksamer Begleiter. Er überließ mich schweigend meinen Impressionen und Gedankengängen, wohlwissend zu stören, sollte er sich zu Wort melden. Am Baldachin erkannte ich, dass wir beim Hotel vorgefahren waren. Die anderen waren soeben dabei auszusteigen. Ein Dutzend uniformierte Pagen entledigte sie ihres Gepäcks. Mein Fahrer übergab meine Reisetasche und zeigte mir den Fahrerparkplatz, wo ich ihn bei Bedarf finden konnte. An der Rezeption erhielten wir unsere Zimmerschlüssel. Ich bat die künftigen Kollegen darum, in 30 Minuten hier in der Halle zu erscheinen. Das Zimmer war sehr geräumig, hatte ein ordentliches, bequemes Bett, einen Schreibtisch und ein sauberes, helles Bad. Das große Fenster gab den Blick frei auf eine schön angelegte Gartenanlage mit Pavillons, Sitzbänken und Spazierwegen. Ich machte mich frisch und begab mich nach unten, wo ich 10 Minuten zu früh eintraf. Deshalb suchte ich den Garten auf und genoss für einen kurzen Moment die wärmende Mittagssonne. Es war beschaulich still hier. Das Plätschern eines Brunnens, das Zwitschern der Vögel, das Gurren von Tauben, nicht all zu fern. Ich nahm mir vor, wenn möglich einen Teil des Nachmittags hier zu verbringen.


Im Hotel – Restaurant war alles bereits für uns eingedeckt. Am Buffet standen eine Auswahl von Suppen, gedünstetem Gemüse, Getreidefrikadellen, Kartoffelschnee und bunten Salaten zur Verfügung. Seit dem Erscheinen der Biografie Adolf Hitlers im Jahr 1968 war bekannt geworden, dass der Führer sich fleischlos ernährte. Daraufhin sank der Konsum von Fleisch und Wurstwaren rapide. Der Berufsstand der Fleischer schrumpfte auf ein Zehntel, in der Landwirtschaft vollzog sich ein Wandel. Auch die groß angelegte Werbekampagne „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ konnte hieran nicht viel ändern. Die Milchwirtschaft kam in Nachschubschwierigkeiten, die damit verbundenen Fleischüberschüsse wurden exportiert oder endeten als Hundefutter. Inzwischen hatte sich der Markt reguliert. Milch war teuer, Rindfleisch billig, Schweinefleisch eine Rarität, Eier teuer, Hühnchen billig. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich jedoch herausgestellt, dass sich der Deutsche auf diese Weise gesünder ernährt als die europäischen Nachbarn, was der Propaganda, pardon: der Öffentlichkeitsarbeit der Gesundheitsstrategen im Reich sehr entgegen kam.

Ich bestellte mir ein Glas Bordeaux, der vorzüglich schmeckte. Es war eine schweigende Runde und außer einem „Guten Appetit“ war nichts zu vernehmen. Die Tische um uns herum waren ebenfalls gut besetzt und so war es besser, schweigsam zu bleiben. Trotzdem stand ich nach dem Essen auf.

„Kollegen“, begann ich, „Ihnen allen geht es sicherlich wie mir. Müde von der Reise und voller Gedanken über den Weg, der vor uns liegt. Vielleicht tun Sie es mir gleich und nutzen den Nachmittag für etwas Ruhe und Entspannung. Ich werde die Rezeption bitten, für 19.00 Uhr einen Tisch fürs Abendbrot zu reservieren.“

Ich hob mein Glas.

„Erst einmal möchte ich mit Ihnen allen auf eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit trinken. Zum Wohl.“

Es kam ein allgemeines Echo. Ich trank mein Glas aus, begab mich zur Rezeption und dann ins Zimmer. Dort hielt ich ein halbstündiges Nickerchen. Danach suchte ich den Garten auf, die Dienstanweisung in der Hand. Ich fand eine schattige Bank in einem abgeschiedenen Eck, zündete mir eine Zigarette an und blätterte in dem mitgebrachten Buch. Im Grunde stand nicht viel darin, was ich nicht schon wusste, aus dem Gesagten geschlossen oder vermutet hatte. Trotzdem brachte die Lektüre eine grobe Ordnung in meine Gedanken und das tat gut. Ich genoss die erstaunlich gute Luft und die mich umgebende Ruhe. Von den anderen war nichts zu sehen. Ich vermutete, Sie nutzten die vielen Freizeitmöglichkeiten, für die in der Hotelhalle mit großen Fotos geworben wurde, wie den Bäderbereich, den Sportbereich oder das Spieleparadies mit Billardtischen und mehr. Ich ging zurück zur Hotelbar, bestellte mir ein Kännchen englischen schwarzen Tee mit einem Stück Guglhupf, nahm es mit nach draußen und ließ es mir in einem Pavillon schmecken. Nebenher begann ich, mir Notizen zu machen. Einmal geschrieben, prägte es sich ein. Kein Mensch hätte dieses Gekrakel hinterher entziffern können. Der Gedanke daran amüsierte mich.


Die Zeit eilte voran und es war kurz nach 18.30 Uhr geworden. Ich ging auf mein Zimmer, wechselte das Hemd, machte mich frisch und begab mich zum Restaurant. Beinahe jeder Tisch des riesigen Restaurants war belegt. Es gab kalt – warmes Buffet und wir bedienten uns. Es war klar, dass dies der falsche Platz war, über unsere Angelegenheiten zu plaudern und so blieb es still am Tisch. Ich hatte schon in unzähligen Hotels genächtigt und gegessen. In allen Restaurants waren angeregte Gespräche im Gange, da wurde zugeprostet, da wurden die neuesten Vertreterwitze ausgetauscht, da wurde herzhaft gelacht. Hier jedoch herrschte trotz Trubel eine gespenstische Stille. Nur das Klappern und Scharren der Bestecke war zu hören, ab und zu unterbrochen von den sonoren Nachfragen des Bedienungspersonals. Das war mir unheimlich. Dezent winkte ich einen der Ober zu mir.

„Verzeihen Sie. Wir hätten einige vertrauliche Dinge zu besprechen. Gibt es hier einen Raum, in dem wir ungestört sind?“

„Selbstverständlich, mein Herr“, antwortete er mit übertriebener Höflichkeit. „Möchten Sie essen und trinken?“

„Ja, das wäre nicht schlecht.“

„Jetzt gleich?“

Ich schaute in die Runde. Zustimmendes Nicken allerorts.

„Jetzt gleich!“

„Wenn Sie mir dann bitte folgen wollen!“

Er trabte voran und wir folgten ihm im Gänsemarsch. Eine Etage tiefer schloss er uns einen Raum auf, den er uns als Pianobar beschrieb und machte das Licht an. Das passte vortrefflich.

„Ich schicke Ihnen sofort einen Barkellner. Keine Angst, unser Personal ist taub und stumm. Sie können den Raum nutzen, solange Sie möchten. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Abend.“

Wir verteilten uns in die edlen Lederpolster. Der Barkellner kam, grüßte höflich und nahm unsere Getränkebestellungen entgegen.

„Können wir auch etwas zum Essen haben?“, fragte ich.

„Wenn Sie mit einer Käseplatte zufrieden sind, kann ich die Ihnen herrichten lassen.“

„Wunderbar“, bestätigte ich.

Sollten die anderen von mir denken, was Sie wollen. Der Bordeaux war so gut, dass ich mir gleich eine Flasche davon bestellt hatte. Die Platte wurde hereingefahren und ich fragte mich allen Ernstes, wer das alles essen sollte.

Schöttle brach das Schweigen: „Ich weiß nicht, wie es euch geht. Ich habe in meinem Leben schon eine Menge Murks durchgebissen“ – wie zur Bestätigung klopfte er mit seiner Prothese ein paarmal auf die Tischplatte – „aber bei der Sache hier, habe ich ein Scheiß Gefühl.“

„Zivilist Schöttle“, sagte ich in ruhigem und ernsthaftem Ton, „erstens sind Sie hier nicht mehr beim Barras und zweitens nicht mehr im Graben an der Front von Irgendwosonstistan. Ich bitte Sie also, Ihre Ausdrucksweise etwas zu mäßigen!“

Im Grunde war mir seine schnoddrige Art nicht unsympathisch. Ich musste jedoch gleich einen Riegel vorschieben, bevor mir die Dinge aus der Hand glitten. Er sprang auf, legte die Hand an die Schläfe und donnerte mit vollem Mund: „Jawoll, Standartenführer.“ Dann ließ er sich rückwärts in den Sessel fallen und schob sich genüsslich einen Käsewürfel hinterher. Der Rest der Mannschaft grinste.

„Herrschaften“, sagte ich, „die vor uns liegende Aufgabe hat niemand mehr Respekt als ich. Und so leid es mir tut, ich muss auf ein Mindestmaß an Disziplin bestehen. Sonst müssen wir am Tag X dem Führer melden: Außer Spesen nix gewesen. Dann kriegen wir hier alle, und ich bediene mich jetzt gerne mal Ihrer Ausdrucksweise, einen fürchterlichen Tritt in den Arsch.“

Alle schwiegen mehr oder weniger betroffen.

Dupont hob die Hand: „Chef, womit fangen wir an?“

„Wir werden als erstes alle Akten und bisherigen Ermittlungsergebnisse einsehen. Dann werden wir einen anständigen Kaffee trinken und uns an die Arbeit machen. Bis dahin wäre es müßig, sich weitere Gedanken über den Fall zu machen. Jetzt lasst uns mal reinhauen und zusammen einen heben. Prosit.“


Der Rest des Abends verlief in lockeren Gesprächen. Ich hatte mich etwas zurückgezogen und süffelte meinen Bordeaux an der Bar. Schöttle hatte sich den Schlüssel für den Flügel organisiert. Beim Hinsetzen machte er eine theatralische Bewegung, als werfe er den Schwalbenschwanz nach hinten. Alles griente. Dann begann er zu spielen, einfache Volkslieder, Seemannslieder und Operettenmelodien, die er auf eigentümliche Weise interpretierte. Es war erstaunlich, was für Melodien er dem Flügel mit 5 Fingern entlockte. Alle, selbst der tiefgefrorene Barkellner, lauschten bewegt seinem Spiel.

„Es ist bemerkenswert. Der Mann hat sein Spiel komplett umstellen müssen, als er seine Hand verlor.“

Ich wandte mich um. Dupont stand zu meiner Linken an der Bar, ein Glas Pils in der Hand.

„Ja“, sagte ich, „der Junge kann was… Sagen Sie, Dupont, woher stammen Sie? Sie sprechen ein absolut akzentfreies Deutsch!“

„Geboren bin ich in Le Perthus, das liegt an der spanischen Grenze. Meine Eltern stammen aber aus Straßburg. Mein Vater war Zollbeamter und wurde an die spanische Grenze versetzt. Wir haben zuhause fast ausschließlich Deutsch gesprochen. Das war meinen Eltern sehr wichtig. Französisch lernte ich dann auf der Straße. Spanisch, Portugiesisch, Italienisch und Englisch in der Schule.“

„Und wie kamen Sie zur Gestapo?“

Dupont stellte sein Glas auf den Tresen und schob sich einen Barhocker zurecht.

„Das ist eine lange Geschichte, Standartenführer.“

„Erzählen Sie!“, ermunterte ich ihn.

„Gut, ich will versuchen mich kurz zu fassen. Mein Vater hatte dafür gesorgt, dass ich nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Zollverwaltungsakademie in Metz erhielt, was mir den Dienst in der Wehrmacht um ein Jahr verkürzte. Nachdem ich diese abgeschlossen hatte, wurde ich nach Le Perthus versetzt. So konnten wir, mein Vater und ich, den Dienst so einteilen, dass wir abwechselnd meine schwer kranke Mutter pflegen konnten. Ich war, wie alle meine Freunde aus der Stadt, in der Resistance engagiert. Wir waren stolz darauf, kleine Schmuggeleien über die Grenze durchführen zu können. Das war eigentlich alles. Mein Vater wusste nichts davon. Auch wenn er kein Befürworter des Reichs und des Führers war und es lieber gesehen hätte, wenn Frankreich wieder unabhängig geworden wäre, so hätte er mein Engagement doch niemals gebilligt. Eines Tages sollten wir zwei Kisten Sprengstoff im Hafen von Alicante übernehmen und nach Dijon schaffen. Die Jungs charterten einen Laster, nahmen in Alicante den Sprengstoff auf und luden in Valencia 18 Tonnen Orangen zu. Ich sollte dafür sorgen, dass die Grenzabfertigung reibungslos läuft. Das war schon oft gut gelaufen. An diesem Tag aber hatte die Gestapo einen Tipp bekommen, dass ein Transport mit geflohenen Sträflingen aus dem Arbeitslager „Le Canard“ bei Algier in Richtung der spanischen Grenze unterwegs war. Weil mit einem Durchbruch bei La Junquera gerechnet wurde, hatte die SS zahlreiche Stellungen im Grenzbereich eingerichtet. Als unsere Jungs anrollten, entdeckten sie die Sandsackburgen mit den MGs und gerieten in Panik. Sie versuchten den Laster zu wenden. Daraufhin nahm die SS den Laster unter Beschuss. Meine zwei Freunde waren auf der Stelle tot. Tags darauf hielt am Abfertigungsgebäude ein Kleinlaster. Der Fahrer stieg aus und statt in die Schalterhalle zur Abfertigung zu gehen, sprang er in einen Renault, der soeben von Spanien her die Grenze passiert hatte und raste davon. Unglücklicherweise liefen 4 Grenzbeamte von der Kontrolle herüber und eröffneten das Feuer auf den Wagen. In diesem Moment explodierte der Laster. Die Schweine hatten zusätzlich Nägel und Stanzabfälle aus Blech geladen. Neben den vier Kollegen kamen eine Mutter mit ihrem Säugling, vier Lastwagenfahrer, ein Bauarbeiter und eine vierköpfige dänische Touristenfamilie ums Leben. 48 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.“

Dupont schluckte schwer, leerte sein Pils und bestellte sich ein neues.

„Einer der getöteten Beamten war mein Vater.“

Er nahm noch einmal einen großen Schluck von seinem Bier, schob dem Barkellner das halbleere Glas hin und bestellte sich einen doppelten Cognac. Französischen und nicht zu jung. Ich bemerkte, wie er ein Stück zusammengefallen war, was ihn noch kleiner und unscheinbarer machte.

„Ich war damals gerade 25 geworden, meine Mutter war dem Himmel näher als dem Bett indem sie sich vor Schmerzen krümmte und ich hatte meinen Vater und meine beiden Freunde verloren. Ich schwor bittere Rache. Als meine Mutter 2 Monate später meinem Vater folgte“ – er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Cognacschwenker – „sprach ich bei der Gestapo vor. Deutschland hatte einen weiteren Schritt zum sogenannten „Franke-Plan“, einer „Europäischen Friedensordnung“ getan. Frankreich wurde, so wie anderen Ländern auch, ein Beibehalt des Eigendaseins zugestanden, mit einer eigenen politischen Organisation und einer europäischen Schiedsgerichtsbarkeit. Man hoffte, so der Resistance den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Frankreich bekam ein Marionettenparlament und wurde fortan als „Teil des Germanischen Reiches und der Europäischen Eidgenossenschaft“ bezeichnet.“

„Ich erinnere mich. Das war Ende der 70er.“, meinte ich.

„Ja, richtig. Auf jeden Fall gab es genug Potential für eine weiterhin aktive Resistance, die ja nicht einfach aufhören konnte. Ich versah weiter meinen Dienst an der Grenze und lies die Transporte passieren. Dann arrangierte man meinen Steckbrief und ich tauchte mit Hilfe der Resistance unter. In den folgenden Jahren diente ich mich in der Organisation ganz nach oben. Dann bin ich verbrannt und wurde nach Germania abberufen.“

Er trank sein Glas leer und bestellte noch einen. Ich schaute ihn gespannt und erwartungsvoll an.

„Das war’s“, sagte er unerwartet und lächelte.

Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Spitzel aus Rache? Hatte er je seine Rachegefühle befriedigen können? Wir vertieften uns in ein Gespräch über französische Lebensart, französischen Cognac, französischen Käse. Dabei schweifte mein Blick unauffällig über die Mannschaft. Schöttle hatte aufgehört zu spielen. Stattdessen amüsierte er die anderen mit lockeren Sprüchen. Nur die graue Maus, Frau Maas, saß etwas abseits und rührte mit versteifter Miene in ihrem Teeglas. Ich stand auf. „Herrschaften, ich wünsche noch einen vergnüglichen Abend. Wir sehen uns beim Frühstück.“

Damit verließ ich die Bar und begab mich in mein Zimmer. Ich schlief wie ein Toter und die befürchteten Alpträume blieben aus.








Das Germania-Komplott

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