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Montag, 27.7.2009

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Marga war nicht da und der junge milchgesichtige Beamte sah mich grinsend an.

„Salam aleikum“, begrüßte er mich.

Ich schaute ihn erbost an. Mein Dienstausweis machte dann doch einigen Eindruck auf ihn.

„Tschuldigung, Herr Hauptkommissar. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Rufen Sie bitte Hausruf 232 und geben Sie mir den Hörer.“

Er befolgte meine Anweisungen.

„Guten Morgen, Herr Dr. Jauch, Pforte Wachtmeister Jankovic, kleinen Moment, ich reiche Sie weiter.“

„Hallo Gerd, passt es dir, wenn ich gleich mal raufkomme? Sehr gut, bis gleich.“

Ich sah, wie dem jungen Wachtmeister der letzte Rest Spott aus dem Gesicht fiel, gab ihm den Hörer zurück und überließ ihn seiner Verzweiflung.

Frau Elsbeth strahlte mich an, als ich das Vorzimmer betrat.

„Guten Morgen, Herr Hauptkommissar, Kaffee gefällig?“ feixte sie.

„Ja“, erwiderte ich bissig, „eine ganze Kanne.“

Ich stieß die angelehnte Tür auf. Wir tauschten die üblichen Floskeln und mir schien, als wolle Gerd das ewig hinausziehen.

„Wegen deinem Versetzungsgesuch…“, hob er an und machte eine gewichtige Pause, indem er erst einmal eine Runde Kaffee und Zigaretten spendierte.

„Also, wegen deinem Versetzungsgesuch, das ist nicht so einfach wie ich das dachte. Ich hab dich deswegen gleich herbestellt. Da wollen wohl ein paar Herrschaften in Berlin…“ Er stockte.

„Verflixt, ich werd mich wohl nie daran gewöhnen, also …in Germania, ein Wörtchen mitreden. Hier ist ein Flugschein für morgen früh 6.20 Uhr. Nimm ne Zahnbürste mit. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich dir sagen, dass solche Termine selten an einem Tag vorbei sind. Alle Anweisungen findest du in diesem Befehl.“

Er schob mir ein Kuvert über den Schreibtisch. Gerd hatte, so wie es der offizielle Dienstweg für Beamte meines Ranges vorschrieb, mein Gesuch, zusammen mit einer befürwortenden Stellungnahme an das Reichssicherheitshauptamt weitergeleitet. Daraufhin meldete sich ein Sekretariat aus dem RSHA telefonisch und erteilte Anweisung, in dieser Angelegenheit weiteren fernschriftlichen Befehl abzuwarten.

„Und frag mich bitte nicht. Ich habe versucht heraus zu bekommen, wo der Hase langläuft. Die hätten mir nicht mal ne Uhrzeit gesagt, wenn ich sie danach gefragt hätte. Und Poschenrieder meinte nur knapp, er wisse von nichts.“

Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Eckstein.

„Tja, bevor wir nicht wissen wie’s mit dir weitergeht, gibt’s hier nichts mehr für dich zu tun. Frau Elsbeth hat dir eine Anweisung fertig gemacht. Denke, 500 Mark reichen. Kannst du dir gleich an der Zahlstelle abholen. Und dann kannst du nach Hause gehen und packen. Ach ja, und deine Dienstwaffe lässt du mal schön hier – darfst du eh nicht mit in den Flieger nehmen.“

Er lächelte sanft. Ich nahm den Umschlag mit dem Befehl an mich. Es war sinnlos, mir jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Trotzdem wühlte es in mir. Berlin, Germania. Was hatten die vor? Um jemanden auf einen Schreibtischplatz zu schieben, zitiert man ihn nicht gleich in die göttlichen Hallen. Irgendwas lag in der Luft und mein Traum vom Schreibtischposten rückte in Gedanken unendlich weit weg. „Aus jetzt!“, befahl ich mir.

Gerd hatte die unterste Schreibtischlade geöffnet und eine wohlgeformte Flasche mit einem in goldenen Lettern aufgedruckten XO kam zum Vorschein.

„Danke, ich glaub den hab ich jetzt nötig“, seufzte ich und zwei Schwenker stießen klangvoll zusammen. Der Cognac war alt und edel. Langsam wurde ich etwas ruhiger. Ich versprach Gerd, ihn auf dem Laufenden zu halten und begab mich zum Zahlmeister.


Evelyn war die Ruhe selbst.

„Die werden dir jetzt den Verwundetenorden an die Brust heften, ein paar nette Worte sprechen und dich dann bis zur Pension Akten sortieren lassen.“

Sie war so überzeugt von dieser Theorie, dass ich sie letztlich selber glaubte. Der Dienstbefehl enthielt keinerlei Angaben zu Sinn und Zweck der Reise. Zu melden um 9.00 Uhr, Tor G 028. Das war’s.

Eine rote Glühbirne leuchtete über der Tür der alten Kegelbahn auf und lies die fünf jungen Männer zusammenzucken. Schnell wurden ein paar Handgriffe getätigt und aus Elvis „Heartbreak Hotel“ wurde ein flotter Landler. Die Tür ging auf und Veit trat ein.

„Keine Sorge, Jungs, ich bin’s bloß. Die Katrin kommt gerade allein zurecht. Dachte, ich bring euch mal was zum Futtern.“

Er trug ein großes Küchentablett vor sich her und stellte es auf dem Tisch ab. Darauf lagen mehrere grob geschnittene Scheiben dunkles Bauernbrot und ein großes Rad Schweizer Käse. Die Jungs stellten ihre Instrumente ab und begaben sich neugierig an den Tisch. Veit nahm ein großes Messer und schnitt den Käse in der Mitte an, drehte ihn um und wiederholte die Prozedur. Dann packte er ihn an den Seiten und zog die beiden Hälften vorsichtig auseinander. Dabei grinste er so breit, dass seine Schnurrbartspitzen die Ohren zu berühren schienen.

„Das wird ein Festtagsschmaus“, sagte er, während die Umstehenden etwas verwirrt auf sein Tun schauten. Wer sollte auch schon einen ganzen Käse futtern? In der Mitte kam eine Folie zum Vorschein. Eine Hälfte des Käses war entfernt und sie steckte in der anderen Hälfte. Vorsichtig zog Veit daran. „Das ist eine ganz besondere Sorte“, strahlte er. „Konnte es gar nicht erwarten, bis die 3 Monate Reifezeit vorüber waren.“

Er löste die Klebebänder von der Folie und zog 2 Schallplatten heraus.

„Da schau mal einer her, was in einem Schweizer Käse außer Löchern so alles drin ist.“

Die Jungen waren sprachlos und verwirrt.

„Ja was ist, Jungs, wo bleibt die Plärrkiste?“ Oder soll ich mit dem Fingernagel drüberkratzen?“

Er lachte laut und schallend, während Alfons Schmittberger den Plattenspieler aus dem Schrank holte und anschloss.

„Meine Herren, ich präsentiere Ihnen einen der verbotensten Künstler im Deutschen Reich, den amerikanischen Sänger Billy Joel.“

Er reichte eine der Platten an Johannes. Der nahm sie vorsichtig an den Seiten und las: Billy Joel – Piano Man – The very best. Dann legte er die Scheibe auf den Plattenspieler.

„Für Elvis Presley gibt’s 2 Jahre Arbeitslager. Für diesen Herrn hätte ich mindestens 15 gekriegt, wenn die Zöllner an der Schweizer Grenze plötzlich Appetit auf Käse bekommen hätten.“

Er prustete vor Lachen.

„Herr Joel ist nämlich kein gewöhnlicher Jude, müsst ihr wissen. Seinem Großvater, dem alten Herrn Joel gehörte vor dem Krieg die ehrenwerte Wäschefabrik Joel in Berlin und Würzburg. So lange, bis die Arisierung kam und er dachte, es wäre wohl besser, wenn er und seine Familie mit einer kleinen Änderungsschneiderei in Amerika ihr Dasein fristen, als sich durch einen deutschen Schornstein in Rauch aufzulösen. Das ärgerte zwar die Nazis, freute aber ihn und einen gewissen Herrn Neckermann, der für völlig umsonst zwei weitere nette Geschäftsadressen und eine Villa in Berlin bekam, die er auch sofort bezog. Neckermann macht‘s möglich. Und während der eine in Amerika Knöpfe an getragene Hosen festnähte, durfte der andere sie auf schmucke Uniformen nähen, von denen er genau wusste, dass die meisten davon bald mehr Löcher haben würden als Knöpfe. Egal. Was dieser direkte Nachkomme eines jüdischen Schneiders auf die schwarzen Scheiben presst, ist einfach genial. Los Johannes, lass mal hören!“

Johannes setzte vorsichtig den Tonarm auf. Veit schnitt ein dickes Stück vom Käse ab und würfelte ihn. Die jungen Männer hatten um den runden Tisch Platz genommen, jeder eine Flasche eiskaltes Bier vor sich. Gebannt lauschten sie den Klängen von „Piano Man“, „Pleasure“, „The longest time“. Gerhard Bauer zog ein Taschentuch aus seiner Jacke und schnäuzte laut. Dabei wischte er sich heimlich ein paar Tränen von der Wange. Ohne diese beiden Scheiben hatten sie schon zwölf Schallplatten. Acht davon von Elvis Presley und je eine von einem schwarzen Sänger namens B.B.King und einem namens Hank Williams. Eine Platte von einem religiös inspirierten Sänger namens Pat Boone und eine von einer Gruppe mit dem seltsamen Namen Creedence Clearwater Revival. Alle, besonders die Melodien von Elvis Presley hatten sie oft tief ergriffen. Es war stets wie eine Botschaft aus einer anderen Welt. Aber keiner hatte es bisher geschafft, den Jungs die Tränen in die Augen zu treiben. Der schwergewichtige Hans Kästner kaute und bemerkte mit vollem Mund:

„Mensch Veit, du hast einfach einen exzellenten Geschmack.“

„Tja, kannste mal sehen, Hungerlappen.“, gab er lachend zurück.

„Jedes Mal, wenn ich in Zürich bin, gehe ich in den Plattenladen und höre mir ein paar Scheiben an. Ihr würdet es nicht glauben, was es da alles gibt. Da gibt es Schwarze, die machen Musik, da zuckts dir in den Beinen. Da gibt es Kapellen, da färben sich die Jungs die Haare in allen Regenbogenfarben, sind tätowiert von oben bis unten und tragen verrückte Klamotten. Ist schon eine verrückte Welt, da drüben in Amerika.“

Ihn trafen ungläubige und gleichzeitig faszinierte Blicke.

„Erzähl uns mehr!“ Hans Kästner hatte aufgehört sich vollzustopfen und war völlig aufgeregt.

Veit erzählte weiter. Von sägenden und klirrenden Gitarren, von herrlichen Gospelgesängen, von amerikanischer Volksmusik, die die große Freiheit besingt…. Die Platte war längst zu Ende und die jungen Männer lauschten mit weit aufgerissenen Augen und Mündern wie Kinder dem Märchenonkel Veit.

„Was aufgeschnitten ist, kommt mir aber noch weg!“, meinte er plötzlich und zeigte in die Mitte des Tisches.

„Kein Problem“, grunzte Hans Kästner vergnüglich.

Dann stand Veit auf, packte die beiden Käsehälften und verließ den Keller. Johannes drehte die Platte um und das soeben eingesetzte Stimmengewirr verstummte wieder.







Das Germania-Komplott

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