Читать книгу Das Germania-Komplott - Manfred Wolf - Страница 11
Mittwoch, 29.7.2009
ОглавлениеAls ich am nächsten Morgen zum Frühstück kam, fand ich niemanden von meinem Stab. Ich fragte an der Rezeption nach und erfuhr, dass die Herrschaften bereits abgereist waren. So gönnte ich mir ein reichhaltiges Frühstück und beschloss, Herrn von Carlstatt einen Besuch abzustatten. Mein Flugzeug ging um 19.40 Uhr. So hatte ich den ganzen Tag Zeit. Ich fand Wieland, meinen Fahrer, beim Frühstück in dem kleinen Fahrercasino beim Hotelparkplatz. Er beeilte sich und ich dirigierte ihn zum Sportministerium. Dort angekommen steuerte ich gleich den Empfangstresen an.
„Guten Tag, Standartenführer Klar. Bitte melden Sie mich bei Herrn Ministerialdirektor von Carlstatt.“
Der ältliche Herr mit schlechtsitzender blauer Uniform und wirrem Haarschopf musterte mich kurz und gab dann einige Daten in den Rechner ein.
„Wie schreibt sich Carlstatt? Mit K oder C, mit Doppel-t oder dt?“
Ich buchstabierte ihm den Namen.
„Tut mir leid, hier gibt es niemanden mit diesem Namen.“
„Dann melden Sie mich bitte bei Brigadeführer Aldinger von der Gestapo.“
„Tut mir leid, dann müssen Sie zum Reichssicherheitshauptamt. Wir haben hier keinen Zugang zu den Datenbanken des RSHA.“ Und mit versteinerter Miene fügte er hinzu: „Und schon für die Telefonnummer brauchen Sie eine Sondervollmacht.“
Ich zückte meine Vollmacht und hielt sie ihm vor die Nase. Er erstarrte vor Ehrfurcht.
„Ich benötige Ihren Dienstausweis, Standartenführer.“
Ich schob ihn über den Tresen. Er gab umständlich einige Daten ein und schrieb eine Telefonnummer auf ein Blatt Papier.
Ich schaute mir die Telefonnummer an. „Wo zum Teufel ist das?“, fragte ich ihn.
„Zagreb“, sagte er kurz.
„Gut. Gibt es andere Datenbanken, auf die Normalsterbliche keinen Zugriff haben?“
Jawohl, die Datenbank vom Führungsstab, vom Führerhauptquartier, von der Wehrmacht, der SS…“
„Versuchen Sie’s beim Führungsstab. Von Carlstatt.“
Er schaute mich an, als wolle ich ihn gleich verhaften und tippte fleißig schier endlose Daten ein.
„Von Carlstatt. Der Herr ist Ministerialdirektor im Ministerium des Innern und Herrn Minister Kleins persönlicher Adjutant.“
Wie bitte? Dieses keuchende, schwitzende Walross ist Adjutant des Reichsinnenministers. Ich war völlig baff. Nun gut.
„Soll ich versuchen eine Verbindung zu erhalten?“
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden“, raunzte ich leicht genervt.
Er telefonierte. „Tut mir leid, Standartenführer, Ministerialdirektor von Carlstatt ist gestern Abend nach München zu einer Konferenz abgereist.“
Es hatte keinen Sinn, den armen Mann noch länger in Anspruch zu nehmen. Ich bedankte mich und fand meinen Fahrer im Fahrercasino, wo er gerade versuchte, seinen entgangenen Kaffee nachzuholen. Ohne mit der Wimper zu zucken stellte er seinen Kaffee ab, setzte seine Mütze auf und ging mit mir zum Wagen. Ich ließ ihn zum Innenministerium fahren. Ein weiterer monumentaler Bau mit einer weiteren riesigen Eingangshalle und einem weiteren Empfangstresen. Sieht irgendwie alles gleich aus hier, dachte ich bei mir. Diesmal wedelte ich gleich am Tresen mit meinem Dienstausweis und meiner Vollmacht.
„Zu Ministerialdirektor von Carlstatt.“
Ich staunte über mich selbst. Das hörte sich schon richtig nach Gestapo an.
„Einen Moment, Standartenführer“, flötete die junge Frau in der blauen Uniform. Sie telefonierte kurz.
„Tut mir leid, der Herr Ministerialdirektor befindet sich derzeit nicht im Haus.“
„Das weiß ich“, polterte ich. „Ich möchte mit jemandem von seinem Büro sprechen.“
„Moment bitte.“ Ihr Ausdruck war steif und unbewegt. Sie telefonierte kurz.
„Nehmen Sie bitte Platz, Standartenführer.“
Ich setzte mich in eine der schweren Ledergarnituren und zündete mir eine Zigarette an. Nach einigen Minuten wurde ich angesprochen.
„Standartenführer Klar?“
Eine gutaussehende Dame stand vor mir, um die 30, in einem grauen Nadelstreifenkostüm. Ihre Figur war perfekt, der blonde Pagenschnitt streng mit Pomade an den Kopf gekämmt. Mit ihrer Erscheinung erinnerte sie mich arg an Evi. Ich stand auf und schüttelte die dargereichte Hand.
„Mein Name ist Bettina Wagner. Ich bin die Sekretärin von Ministerialdirektor von Carlstatt. Was kann ich für Sie tun?“
Sie klang freundlich. Ich bedeutete ihr Platz zu nehmen.
„Eigentlich hatte ich gehofft, Herrn Ministerialdirektor persönlich hier anzutreffen. Ich hätte da einige Fragen an ihn.“
„Herr von Carlstatt ist außer Haus.“
„Schade“, sagte ich. „Wann kann ich ihn wieder erreichen?“
„Ich denke, er ist übermorgen wieder zurück.“
„Tja, da kann ich jetzt auch nichts machen. Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie sich herbemüht haben.“
Ich lächelte sie freundlich an und verabschiedete mich mit einem Händeschütteln. Mit Absicht hatte ich vermieden, näher auf das Thema einzugehen. Mein Polizeiinstinkt hatte einige Warnleuchten angehen lassen. Ich ließ sie einigermaßen verdutzt zurück.
Mein Fahrer bot sich an, eine Rundfahrt mit mir zu machen. Ich lehnte dankend ab. Die anfängliche Faszination war einem bedrückenden Gefühl gewichen und ich würde froh sein, diese Mauern hinter mir lassen zu können. Nichts desto trotz konnte Wieland es sich nicht verkneifen, mich mit einigen einstudierten Fakten zu füttern:
„Das Regierungsviertel wurde in seiner jetzigen Form 1972 fertiggestellt. Die Bauarbeiten dauerten von der Grundsteinlegung bis zur feierlichen Einweihung 12 Jahre. Wie Sie wissen ist die Form des Viertels als Hakenkreuz gestaltet, was unter anderem strategische Vorteile hat und das Viertel zu einer uneinnehmbaren Festung macht. Das Kreuz ist umgeben von einem ringförmigen Wassergraben mit einer Breite von 200 Metern. Die umgebenden Mauern sind etwa 30 Meter hoch, trapezförmig und am Sockel 30 Meter tief. Die Außenmauern sind torlos, mit Abwehrsystemen aller Art bestückt und von 600 Mann der SS bewacht. Das Gebiet zwischen dem Wassergraben und der Mauer ist absolutes Sperrgebiet. Die Außenmauern sind so konstruiert, dass sie die Druckwelle einer nuklearen Bombe unbeschadet absorbieren können. Die gesamte Logistik erfolgt unterirdisch. Personentransport, Warentransport, Warenlager. Im Notfall können sämtliche Büros innerhalb von wenigen Minuten auf unterirdischen Betrieb umgestellt und die Mitarbeiter evakuiert werden. Das Viertel beherbergt 14 Ministerien, 8 Botschaften und Konsulate, 8 Verbände und Institutionen, das Führerhauptquartier 2, das OKW, das RSHA, 3 Hotels, 2 unterirdische Bahnhöfe, 1 Krankenhaus und einiges mehr. Eine Achse ist exakt 5 Kilometer lang und 1 Kilometer breit.“
Wir waren beim Hotel. Nach einem guten Mittagessen gönnte ich mir ein Schläfchen und verbrachte den Rest des Nachmittags mit Lesen und Notizen machen im Hotelgarten. Um 17.00 Uhr wurde ich von meinem Fahrer abgeholt.
Der Flug war holprig und in Stuttgart tobte ein heftiges Gewitter. Ich freute mich auf Evi und meine eigenen vier Wände. Evelyn – seit wir uns kannten gingen wir offen und ehrlich miteinander um. Eben dies war die Basis für ihr Verständnis und ihre Geduld. Sie hatte viele Ängste durchstehen müssen. Aber sie stand immer hinter mir. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, ihr nicht die volle Wahrheit sagen zu können. Der Regen prasselte auf mein Taxi und die Fahrt schien unendlich zu dauern.
Evelyn war ganz aufgeregt.
„Zeig mal deinen Orden!“, forderte sie mich auf.
Ich ging erst mal zum Kühlschrank. Dort hatte ich für besondere Gelegenheiten zwei Flaschen elsässischen Cremant kaltgestellt.
„Hol mal zwei Gläser!“, rief ich ihr zu.
Im Wohnzimmer schenkte ich ein und wir stießen an. Der Cremant war köstlich. Dann schob ich ihr meinen neuen Dienstausweis hin.
„Das ist mein Orden.“
„Die haben dich befördert?“, fragte sie erstaunt.
„Ja. Ich habe nicht nur einen neuen Wirkungskreis, sondern auch einen neuen Rang.“
Ihre Augen strahlten. Ich erzählte ihr von meiner zukünftigen Aufgabe, von meinem neuen Stab und von dem, was ich glaubte, ihr von den Ereignissen in Germania erzählen zu können. So ganz war mir aber nicht wohl dabei.
„Mach dir ja keine zu großen Hoffnungen, mein Liebling“, versuchte ich ihre Freude etwas zu dämpfen. „Am Anfang wird es noch relativ hart werden. Die Vorbereitungen auf meine neue Aufgabe, Lehrgänge, Schulungen. Das gibt eine Menge Überstunden. Und die meisten Sportveranstaltungen finden an den Wochenenden und in den Abendstunden statt.“
„Das ist alles nicht so schlimm, Schatz. Mir ist viel wichtiger, dass ich weiß, dir pfeifen keine Kugeln mehr um die Ohren.“
Ich nahm sie in den Arm.
„Nein, Schatzi, das wird wohl nicht mehr der Fall sein. Und noch etwas: der nächste Urlaub geht ans Mittelmeer. Ich bekomme nämlich ab sofort die Bezüge eines Standartenführers. Das sind, soweit ich das richtig in Erinnerung habe, über 1.800 Reichsmark im Monat. Da können wir mächtig was auf die hohe Kante legen.“
Ihre Augen strahlten noch mehr. Das war das Dreifache ihres Gehalts als Lehrerin an einer Internatsschule. Wir stießen auch darauf an.