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Freitag, 17.7.2009

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Der Regenmantel triefte vor Nässe, in meinen Schuhen machte sich eine unangenehme Feuchtigkeit breit. Der schmale Flur im Tiefparterre roch nach Moder und Heizöl. Regenwasser rann durch die offene Eingangstür und suchte vergeblich nach einem Abfluss im betonierten Boden. Es war unnötig Kommandos zu geben. Die vier Männer vom Mobilen Einsatzkommando, kurz MEK, in schwarzen Polizei-Einteilern, Kunststoffhelmen und Gesichtsmasken verständigten sich mit Handzeichen, während sie, dicht an die Wand geschmiegt, den Flur entlangschlichen. Mit klammen Händen fingerte ich die Walther unter dem Mantel hervor. Wie ich diesen Beruf inzwischen hasste. Heute noch würde ich ein Gesuch schreiben. Ich hatte es Evelyn versprochen. Mit 52 hatte ich gute Chancen, in den Innendienst versetzt zu werden.

Wir hatten eine Stahltür erreicht. Einer der Beamten heftete lautlos und vorsichtig ein selbstklebendes Paket an das Türblatt, während die anderen mit angelegten Waffen sicherten. Ein dumpfer Knall hallte in dem langen, kahlen Flur wider. Dort wo vorher das Türschloss war, klaffte nun ein tellergroßes Loch. Zwei Beamte sprangen mit vorgehaltenen, kurzläufigen Maschinenpistolen nach vorne. Einer trat gegen die Türe, die innen laut gegen eine Wand krachte. Ich sah eine schwarz gekleidete Gestalt im Innern, schemenhaft wie ein Schatten, sah die Waffe und hörte die Schüsse. Ein stechender Schmerz an meiner Schläfe lies mich taumeln. Ich verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Hinterkopf gegen eine Wand. Bevor ich mich der Dunkelheit ergab, hörte ich von Weitem das rhythmische Bellen der MPs. Ich wollte aufspringen und suchte ein Ziel für meine Waffe. Zwei kräftige Hände packten mich an der Schulter und drückten mich sanft, aber bestimmt zurück.

„Ganz ruhig, ganz ruhig. Bleiben Sie liegen!“

Der Mann war braun gebrannt und kahl wie ein Popo. Über seinem schneeweißen Kittel baumelte ein Stethoskop. Noch immer hielt er mich fest an den Schultern. Schwindelgefühle machten sich in mir breit. Das Heulen der Sirene wurde leiser und die Gestalt, die mich festhielt, verschwamm vor meinen Augen wie ein unscharfes Foto.

„Was ist passiert?“, hörte ich mich selbst fragen.

„Da hat Ihnen wohl jemand einen zweiten Scheitel gezogen. Mehr weiß ich auch nicht.“

Die Antwort drang nicht mehr ganz zu mir durch. Die Infusion entfaltete ihre Wirkung.

Ich schlug die Augen auf. Mein Kopf schmerzte höllisch. Ich begriff sofort, wo ich war. An meinem Arm hing ein Infusionsschlauch. Ich steckte in einem weißen, gestärkten Leinenhemd, das hinten verschnürt war. An meinem Bett saß Evelyn. Sie ließ meine Hand los, die sie bis dahin gehalten hatte und wischte hastig einige Tränen aus ihrem Gesicht. Lächelnd, aber mit traurigen Augen sah sie mich an.

„Nu heul mal nich, Maus. Ich leb ja noch.“

Eigentlich war das eine Frage, denn ich wusste nicht ob überhaupt und wenn ja, wie lange noch oder unter welchen Umständen. Ich hasste es, wenn mein Kopf nicht klar war, auch wenn die Mittelchen meine Schmerzen linderten.

„Du hast mal wieder Schwein gehabt. Zwei Zentimeter rüber und der Holzkopf hätte ein hübsches Astloch.“

Ihr Lächeln war nicht ohne eine gewisse Bitterkeit. Oft genug hatte sie mich darum gebeten, mein Versetzungsgesuch nicht noch länger hinaus zu schieben. Jetzt, da die Kinder aus dem Haus waren, sehnte sie sich nach etwas mehr Zweisamkeit. Die Ruhe im Haus war für sie oft schwer zu ertragen. Und noch schwerer war für sie die immerwährende Angst um mich.

„Ich weiß, Evi. Jetzt ist Schluss. Sobald man mich hier laufen lässt, schreib ich mein Gesuch. Versprochen!“

„Versprich mal lieber nichts, mein Gutster, bevor‘s mal wieder nur ein Versprecher war.“

„Wissen’s die Kinder schon?“

„Nee, besser ich erzähl mal nichts, regen sich nur unnötig auf.“

Es klopfte. Ohne ein „Herein“ abzuwarten ging die Tür auf.

„Arztvisite! Wenn Sie bitte einen Moment draußen warten würden.“

Die Schwester öffnete die Tür ganz, Evelyn ging und ein Schwall von Ärzten und Schwestern füllte das Zimmer. Die Blase stand um mich herum und ein Mensch im weißen Kittel las, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, aus einer mitgebrachten Mappe:

„Klar, Manfred, 52, Unfall in Dienstausübung, Streifschuss linke Schläfe, bla bla bla… Kann morgen früh nach Hause.“

Er wandte sich genauso grußlos um wie er gekommen war und verließ mit seinem Tross den Raum.

Alte Erinnerungen flammten in mir auf und in der Magengrube machte sich ein ekelhaftes Gefühl breit. Ein Gemisch aus Hass, Trauer und Verzweiflung. Wut und Abneigung auf die Götter in Weiß. Das fröhliche Lachen von Marita, unserer Erstgeborenen, erklang wieder und gleich darauf sah ich ihr fahles und eingefallenes Gesicht vor mir, in dem das Leben schon fast erloschen war. „Papa, werd ich ein Engel?“, sagte sie noch im Flüsterton. Dann sank sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nie mehr erwachte.

Die Hospitäler waren völlig überfüllt. Der „Aufstand von Teheran“ hatte unfassbar viele Opfer gefordert. Hunderte starben, Tausende von Verwundeten wurden aus Teheran ausgeflogen. Erst in Lazarette in der Türkei, Griechenland und im Vorderen Orient, dann verteilt auf Kliniken im gesamten Reich. Die persischen Mullahs hatten nach langjährigen geheimen Vorbereitungen zum Jihad aufgerufen. Bestens ausgerüstet mit Waffen sowjetischer Bauart, selbstgebastelten Granaten und Sprengsätzen, ja selbst mit leichter Artillerie schlugen extremistische Muslime am Heiligen Abend 1990 zu. Gut die Hälfte unserer Jungs war auf Heimaturlaub. Die in den persischen Kasernen verbliebenen Soldaten saßen mit Wehmut im Herzen um die provisorischen Weihnachtsbäume in den Casinos, sangen Weihnachtslieder und ließen sich Stollen und Glühwein schmecken. Währenddessen begann eine Blitzoffensive von Männern, Frauen und Halbwüchsigen. Sie schossen und bombten sich in die Palastanlagen, die Botschaften, das Radio Teheran, Fabrikanlagen, Verwaltungsgebäude und Kasernen. Die völlig überraschten Truppenverbände wurden sofort unter schweren Beschuss genommen. Polizisten und Soldaten, die sich im Stadtgebiet aufhielten, wurden auf der Stelle erschossen. Am Morgen war die Situation völlig außer Kontrolle. Allein diese Nacht forderte 1.400 Tote, die Hälfte davon Angehörige der Wehrmacht und verbündeter Streitkräfte. 6.000 Verwundete wurden noch in der Nacht in Lazarette in Damaskus, Bagdad, Kairo und Istanbul ausgeflogen. Etwa 10.000 Mann Stoßtruppen, vorwiegend SS-Verbände und 4.000 Mann türkischer und zyprischer Streitkräfte wurden zur sofortigen Verstärkung geschickt. Ein sinnloses Unterfangen, angesichts der Partisanentaktik, der sie gegenüberstanden. Es folgte ein 2 Jahre dauernder Kampf. Die Stadt Teheran wurde zur Geisterstadt. Der Schah floh ins Exil nach Athen. Eine halbe Millionen Menschen lebte in Zeltstädten rund um die Hauptstadt. Selbst in diesem Elend detonierten fast täglich Sprengsätze, zumeist gezündet von jugendlichen Selbstmordattentätern. Es folgten die üblichen Repressalien: Festnahmen, Folterungen, Geiselerschießungen, rücksichtslose Erstürmung von umkämpften Gebäuden. So wurden zum Beispiel die Gebäude der staatlichen Telefongesellschaft GPP nach zweitägigem erfolglosem Kampf aufgegeben und trotz der Geiseln von Stukas mit Raketen beschossen und dem Erdboden gleichgemacht. Ebenso erging es am gleichen Tag Radio Teheran und der malaysischen Botschaft. Heute, 20 Jahre später, steht die Stadt noch immer unter Kriegsrecht und fordert weiterhin ihre Opfer. Es war der 1. Weihnachtsfeiertag und unser Hausarzt befand sich im Urlaub. Was blieb war die Kinderambulanz im „Olgäle“. Das Olgahospital war vollgestopft mit Verwundeten. Selbst Kieferchirurgen mussten Gliedmaßen amputieren und Kugeln entfernen. Es herrschte eine unglaubliche Hektik und Aufregung. Für mich entschuldigte das nicht, dass es keine ärztliche Hilfe für mein Kind gab, als wir mit ihr dort vorsprachen. Eine Schwester, die sich sehr bemühte, konnte keinen Arzt dazu bringen, nach dem Kind zu sehen. Ich zwang eine zufällig vorbeieilende Ärztin mit gezücktem Polizeiausweis und unter Anwendung körperlicher Gewalt dem kraftlosen Kind ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Ich werde die Gleichgültigkeit und Lustlosigkeit in ihrer Stimme nie vergessen. „Da kann ich nichts machen. Mehr als ein Notbett in der Ambulanz kann ich Ihnen eh nicht anbieten.“ Marita litt unter einer angeborenen Immunschwäche. Das in der Nacht aufgetretene Fieber entpuppte sich im Nachhinein als schwere Lungenentzündung. Sie starb am nächsten Tag in ihrem Notbett auf dem Flur der Kinderambulanz. Ganze zwei Mal schaute ein junger Assistenzarzt vorbei, der hastig Infusionen anordnete und blitzartig verschwand, bevor wir ihm Fragen stellen konnten.

Mir steckte ein riesiger Klos im Hals und Tränen füllten meine Augen, als Evelyn zur Türe herein kam.

„Schatz, was ist los?“, fragte sie mich erschrocken.

Ich druckste und irgendwie schaffte ich es, ihr in verständlichen Tönen zu sagen, sie möge bitte die Schwester holen. Sie eilte hinaus.

Die Infusion war schnell abgenommen. Es blutete, aber das störte mich nicht. Leicht benommen ging ich zum Kleiderspint und fand meine Sachen vollzählig vor. Der Mantel war noch immer nass. Das Halfter hing am Haken, aber die Waffe war weg. Ich zog mich an und ging nach draußen. Evelyn stand völlig aufgelöst vor dem Schwesternzimmer und wartete.

„Komm, lass uns gehen!“, sagte ich und nahm sie bei der Hand.

„Aber du kannst doch nicht…“

„Doch, ich kann!“, fiel ich ihr ins Wort.

„Alter Dickschädel…“, murrte sie und ergab sich.

Es regnete noch immer. Ich zog mir den Mantel über den bandagierten Kopf. Wir steuerten ein Taxi an.

„Reinsburgstraße 106, Dr. Melchinger.“


Veit Jensen war ein Bild von einem Gastwirt. Eigentlich hatte er eine normale Figur. Aber der vom Bier aufgeblasene Bauch verlieh ihm die Optik eines 2-Zentner-Mannes. Sein Gang war behäbig, seine Bewegungen schienen etwas schwerfällig. Sein volles kräftiges Haar reichte bis zu den Schultern und war katzengrau. Der ebenso graue Vollbart war kurz gestutzt, nur der Schnurrbart hatte gezwirbelte Enden. Alles in allem hatte er eine charismatische Ausstrahlung, die durch seine ruhige und besonnene Art noch unterstützt wurde.

Den „Scharnhäuser Hof“ hatte Veit Jensen vor 16 Jahren gekauft. Jensen war der Sohn eines dänischen Vaters und einer deutschen Mutter, wurde jedoch in Lauban in Niederschlesien geboren. Sein Vater war Kapitän zur See und seit der Schlacht von Gibraltar verschollen. Veit war damals zwei Jahre alt. Seine Mutter führte einen kleinen Gasthof und brachte den Jungen mehr schlecht als recht durch. Obwohl er so gar keine Lust hatte, den Betrieb einmal zu übernehmen, lernte er dennoch nach dem Wehrdienst als Koch in einem Hotel auf Rügen. Zwei Monate vor der Gesellenprüfung sperrte man ihn für ein Vierteljahr ein. Er hatte im betrunkenen Zustand ein Kriegerdenkmal angepinkelt. Wie er im Prozess behauptete, hielt er das Ehrenmal für eine Hauswand. Das ersparte ihm jahrelanges Arbeitslager. Während dieser Zeit starb seine Mutter und er übernahm den Betrieb ohne Gesellenbrief.

Am Stammtisch waren noch zwei Gestalten übriggeblieben. Darüber wie viele Viertele die beiden konsumiert hatten, konnte nur noch der Bierfilz Auskunft geben, der von den vielen schwarzen Strichen kunstvoll umrahmt war.

„Wir hätten dem Ivan den Arsch versohlen sollen, als noch Zeit dafür war!“, grunzte der eine vor sich hin.

„Ja, ja, Recht hast.“, grunzte der andere.

Veit stand neben dem Tisch und verzog das Gesicht.

„So, dem Ivan den Arsch versohlen. Wie denn? So wie unser alter Kaiser? Oder Napoleon? Wer hat da wem den Arsch versohlt? Wenn der Führer das wirklich versucht hätte und er seine Generäle nicht davon abgehalten hätte, dann hättet ihr beide euch in Sibirien die Klicker abgefroren. Wollt ihr den Führer für so blöd verkaufen?“

Die beiden schwiegen betroffen. Veit griff nach den Bierfilzen und schrieb in großen Zahlen eine Summe darauf.

„So, Jungs, Zeit nach Muttern zu gehen.“, sagte er laut.

Von der Gegenseite kam wieder nur ein beschwerliches Grunzen. Veit schob den Deckel in seine Gesäßtasche.

„Gustav, Laurenz, auf mit euch. Zahlen könnt ihr morgen.“

Die beiden rotnasigen Männer, beide deutlich über die achtzig, ließen sich widerstandslos einer nach dem anderen an den Armen von der Bank ziehen und zur Tür geleiten. Gustav fing an zu singen:

„Trink ma noch ein Fläschle…“

„Halt die Klappe, Gustav, du weckst ja die Ratten im Kanal auf!“, zischte Veit ihn an.

Er hob die beiden unter, schob sie kurz an und sah ihnen noch ein Weilchen nach, wie sie die Straße hinunterwankten. Dann schloss er die Türe und räumte die Gläser vom Tisch.

„Die alten Dackel, jetzt kriegen sie zu Hause wieder das Wellholz zu spüren.“, lachte er schelmisch.

„Komm Junge, jetzt trinken wir beide noch einen Feierabendschluck.“

Er zapfte zwei große Pils an und versorgte die letzten Gläser. Der Tresen war bereits blitzblank poliert und ein Geschirrtuch schützte ihn vor dem tropfenden Zapfhahn. Veits Kneipe war stets ein Ort, an dem ein Chirurg ohne weiteres seine Schlachtbank hätte aufbauen können. Sein Sinn für Reinlichkeit hatte ihm allerdings nicht nur Freunde eingebracht. Manch einer, der mit seinem liebevoll zubereiteten Essen umging wie mit einem Schweinetrog, der Zigarrenasche auf dem Tisch verteilte oder aber seine dreckigen Schuhe nicht ordentlich dem Fußabtreter anvertraute, sah sich unversehens außerhalb des Lokals. Es war ein Tick und Veit stand dazu. Er zapfte die beiden Biere fertig und stellte sie auf den kleinen Tisch neben dem Tresen, auf dem stets ein ein „Reserviert“ – Schild stand. Dann zauberte er eine fertig gestopfte Pfeife aus einer der Schubladen, setzte sich umständlich und zündete sie an.

„Prost, mein Junge!“, sagte Veit und die beiden Gläser stießen zusammen.

Er nahm einen langen Zug, dem ein gedehntes „Aaaaaah“ folgte und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Schnurrbart, bevor er weiterrauchte. Er genoss es sichtlich.

„War mal wieder ein harter Tag heute.“, stöhnte er leise. „Wird höchste Zeit. Weißt du, Junge, ich werde im Oktober 65. Ich bin müde geworden. Hab mir ein paar Mark auf die Seite geschafft. Vielleicht, wenn ich den Schuppen hier gut los werde, setz ich mich bald zur Ruhe.“

Johannes rollte mit den Augen.

„Erzähl‘s ja nicht weiter“, lachte er. „Ich hab mich vor 4 Jahren in der Schweiz eingekauft. War da für 2 Wochen in den Bergen, weil ich keinen Menschen mehr sehen konnte und meine Ruhe haben wollte. War da auf einer Alm mit Fremdenzimmern und einer Senne. Hab mich sauwohl gefühlt. Als ich im nächsten Jahr wiederkam, war die Wirtin in Trauer. Der Mann war kurz vorher an Krebs gestorben. Auf der Alm waren Schulden und der Bub ging noch zur Schule. Die Frau war verzweifelt. Wir haben lange geredet und dann war sie damit einverstanden, dass ich die Schulden ablöse und dafür einen Anteil von einem Drittel am Hof bekomme. Ich habe dann nach und nach die Zimmer richten und neu möblieren lassen, die Stube auf Vordermann gebracht und zwei Maschinen für die Käserei angeschafft. Im letzten Jahr haben wir dann einen kleinen Hofladen eingerichtet. Ich hab dem Bub jeden Monat 200 Mark geschickt, damit er in Zürich studieren kann. Inzwischen gehören mir 50 Prozent des Hofes. Zwar noch als Kreditbrief, weil ich als Deutscher nicht in der Schweiz investieren darf. Aber bald werden wir heiraten und dann hat das Reich mich gesehen. Dann werd ich Senner und Zimmervermieter.“

Genüsslich trank er sein Glas leer.

„Auch noch eins?“, fragte er.

Ohne die Antwort abzuwarten, schenkte er zwei frische Gläser ein.

„Nein“, sagte er etwas traurig, „Anna und ich, das ist nicht die große Liebe. Ich habe den Tod meiner Doris nie überwunden.“

Die Erinnerungen kamen in ihm hoch und Tränen der Wut und Trauer standen in seinen Augen.

„Anna ist lieb und nett“, fuhr er fort, „mit ihren 48 noch ein junger Hüpfer und nicht übel anzuschauen. Aber heiraten werden wir nur der Sache wegen. Denke, damit sind wir ganz glücklich und zufrieden.“

Johannes lachte still.

„Glaub mir, Junge, ich werde einen verdammten Rosenkranz beten, wenn ich aus dem Land hier verschwinden kann. Du bist wirklich der Einzige in dem Laden hier, dem ich vertrauen kann, der keine Scheiße redet und dumm an mich ranquatscht.“

Johannes lachte in sich hinein. Wie oft hatte er Veit so reden hören. Veit war gebildet und belesen. Schiller zitierte er ebenso wie Schopenhauer und doch verstand er sich vortrefflich darauf, seine Rede stets mit einem Tupfer Fäkalsprache zu garnieren. Veit besaß die Weisheit eines querdenkenden Menschen, der, geprägt von der Einsamkeit, die Welt aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten wusste, um daraus dann seinen eigenen Zick-Zack-Kurs zu bestimmen. Niemals würde dieser Mensch einer Direktive folgen, niemals mit der Herde laufen, niemals nach einem Dogma leben. Das machte ihm Veit so sympathisch. Oft hatte er gelauscht, wenn Veit ihm vom Buddhismus erzählte, wohlwissend, aus welcher Familie Johannes stammte. Veit bezeichnete sich selbst als Atheist, hätte aber jedem Pfaffen in Sachen Bibelfestigkeit den Schneid abgekauft. „Ich kann nicht nein zu etwas sagen, von dem ich keine Ahnung habe.“, pflegte er stets zu sagen.

Über seiner Rede war die alte Wut über das Reich und sein Fußvolk wieder hereingebrochen. Er nahm tief Luft, trank einen Schluck und rauchte schweigend weiter. Dann ergoss er sich in Schwärmereien über die Schönheit der Schweizer Berge, die Qualität seines Käses und die Freundlichkeit der Schweizer. Es war Mitternacht, als er hinter Johannes die Tür schloss. Er würde am Sonntag die Messe besuchen, nahm er sich vor. Nicht etwa um zu beten. Nur um dem Orgelspiel von Johannes zu lauschen, dass ihn so oft dieser Welt hatte entrücken lassen.






Das Germania-Komplott

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