Читать книгу Monster - Manuel Blötz - Страница 10
Universitätsklinik, Kiel 2014
ОглавлениеDie automatischen Türen des Universitätskrankenhauses in Kiel öffneten sich und ich stand wenige Sekunden später in einem riesigen Flur. Seit ich diesen Ort vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte, hat sich rein gar nichts geändert. Nachdem ich von meinem Exkollegen niedergeschossen worden war, wachte ich zwei Stockwerke höher in einem der Krankenbetten wieder auf. In dem Moment, als mich die Kugel traf, dachte ich eigentlich, dass mein Leben vorbei wäre. Aber irgendwie schafften es die Götter in weiß, nicht nur mich ins Leben zurückzuholen, sondern mich auch fast wieder fehlerfrei herzustellen. Nur bei starken Wetterumschwüngen tut die Narbe noch weh, aber damit komme ich klar.
Ich ging auf den Infoschalter zu und bemerkte, dass sich nicht nur der Raum nicht geändert hatte, sondern dass auch die dicke Dame am Empfang immer noch dieselbe war. Sie hatte große Mühe ihren Kopf zu heben, als ich mich demonstrativ über den Tresen lehnte, um sie zu begrüßen.
»Hallo Sonnenschein«, trällerte ich ihr entgegen.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Die Lebensfreude in Person, wie damals.
»Mein Name ist Kommissar Logat, ich suche einen Ihrer Patienten. Sein Name ist Carsten Svensson. Wo kann ich ihn finden?«
»Moment.«, Sie tippte mit ihren kleinen dicken Fingerchen auf der Tastatur herum und fand schließlich, wonach ich suchte. »Er liegt im zweiten Stockwerk, Raum 217. Gehen Sie aber nicht einfach in das Zimmer, sondern melden Sie sich bei den Schwestern vor Ort.«
»Danke.« Ich drehte mich um und ging in Richtung der Fahrstühle. »Und bleiben Sie fröhlich!«
Ich stand im Fahrstuhl und suchte die Knopfleiste ab, um den zweiten Stock zu finden. Die Zahlen waren, wie auf meiner Fernsehfernbedienung, schon sehr ausgeblichen und so brauchte ich einen Moment. Schließlich fand ich ihn aber. Das Ding setzte sich in Bewegung und es knarrte und quietschte aus allen Ecken. Nur der Hinweis, der an der Wand hing, dass der Aufzug regelmäßig geprüft wurde, hielt mich davon ab, den Alarmknopf zu drücken.
Durchgeschüttelt und mit wackeligen Beinen kam ich im zweiten Stockwerk an und ertappte mich dabei, das Boot der Küstenwache, als gar nicht mehr so schlimm zu erachten. Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg die Treppe zu nehmen.
Ich informierte die Damen am Stationspunkt über mein Erscheinen, in dem ich meinen Dienstausweis hochhielt und am Tresen vorbei ging.
»Ich kenn mich aus, hab´ hier mal gewohnt.« Schnurstracks ging ich den Flur hinunter. Die Wände waren in einem beigefarbenen Ton angemalt. Zwischen den Türen waren Bilder aufgehangen worden, die versuchen sollten, den tristen Anblick dieses Ganges ein bisschen aufzulockern. Leider ohne Erfolg. Der Fußboden hatte ein Muster, das selbst, als es in den Fünfzigern verlegt wurde, schon out war. Meine braunen Lederbrogues klackerten auf dem hässlichen Steinboden.
Ich erreichte Zimmer 217, welches erstaunlich nah an meiner ehemaligen Unterkunft gelegen war. Mein Magen krampfte sich zusammen, als die Erinnerungen an die Zeit wieder aufkamen, in der ich hier fast gestorben wäre. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich in meinem weißen Nachthemd den Flur hinunter schleichen. Meine Hände krallten sich dabei an die Stange des Rollwagens, an dem die Kochsalzlösung hing, die täglich in mich reingepumpt wurde. So schwach hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt.
Die Schwester vom Empfang brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff, was gerade geschehen war. Sie eilte um ihren Tresen herum und lief hinter mir her. Sie versuchte mich abzufangen, aber da war ich schon eingetreten.
»Sie können hier nicht so einfach rein!« Sie baute sich hinter mir auf und ich spürte ihren Zorn in meinem Nacken. Mir war aber auch klar, dass sie mich vermutlich nicht aus eigener Kraft aus dem Zimmer zerren könnte, also ignorierte ich sie.
Der Raum sah genauso aus, wie der, in dem ich vor zwei Jahren aus dem künstlichen Koma erwacht war. Weiße Wände mit nichts sagenden Bildern von unbekannten Künstlern, eine hinter Lamellen versteckte Leuchtstoffröhre direkt über dem Bett und eine Menge piepender und surrender Geräte. Dazu kam noch der typische Krankenhausgeruch nach Desinfektionsmitteln.
Es war ein Einzelzimmer und das Bett, in dem Carsten Svensson lag, stand in der Mitte des Raumes. Sein Gesicht sah blass und eingefallen aus und seine Augen, obwohl geöffnet, lagen tief in den Höhlen. Es war nicht mehr viel übrig von dem kantigen und markanten Kerl, welches ich auf dem Ölgemälde an der Wand, in seiner Kajüte auf der Samphire gesehen hatte. Er war erst zweiundvierzig Jahre alt, aber er sah aus, als hätte er gerade die Hundert überschritten.
Der Arzt, der neben seinem Bett stand, guckte gerade in die Krankenakte und hob den Kopf, um zu sehen, wer da unangemeldet in das Zimmer gepoltert war. Als er mich sah, konnte ich ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel erkennen.
»Herr Logat. Wie geht es Ihnen?« Er erkannte mich auf Anhieb, was kein Wunder war, da er mich bei meinem Aufenthalt operiert und anschließend behandelt hatte. Er war ein Studienkollege und sehr guter Freund von Dr. Florian Kontz.
Vor zwei Jahren wütete in Kiel ein Vergewaltiger, wobei das Wort viel zu milde ist für dieses kranke Schwein, der Prostituierte in seinen Keller entführte und diese dann auf grausamste Art und Weise folterte. Er zeichnete alles auf Video auf und verkaufte die Inhalte dann, samt eines Souvenirs, für viel Geld an seine Kunden über das Internet.
Anschließend wurden sie dann getötet und in den Wäldern entsorgt, jedoch nicht vom Täter selbst, sondern von meinem bis dahin sehr geschätzten Exkollegen. Er hatte eine sehr dunkle Seite und wie sich herausstellte, erregte es ihn, die Damen zu erwürgen.
Er bekam für jeden Auftrag knapp fünfundzwanzigtausend Euro. Ich nehme aber an, dass ihm das Geld relativ egal war, da wir den größten Teil davon nach seinem Ableben in seinem Haus sicherstellen konnten.
Er hatte Florian damals unter Druck gesetzt, in dem er ihm drohte seine Familie zu töten und forderte von ihm, dass er die Leichen so präparierte, dass sie keine Spur auf ihn oder seinen Arbeitgeber zurückschließen ließ.
Als Dank für mein Einschreiten wollte er dann, als ich ihm auf die Schliche kam, Florian und seine Familie wirklich umbringen. Ich eilte zu ihrer Rettung und schaffte es gerade noch rechtzeitig, Daniel, meinen Exkollegen, davon abzuhalten seine Tat in die Wirklichkeit umzusetzen. Leider wurde ich dabei selbst niedergeschossen und landete daraufhin in der Uniklinik. Vielleicht hatte ich deshalb einen Stein im Brett bei Dr. Kleinfeld.
»Ist schon in Ordnung Frau Hamann. Ich kenne den Kommissar, er darf bleiben.«
Frau Hamann ging sichtlich genervt und schnaubend nach draußen und warf die Tür ein bisschen zu laut ins Schloss.
»Ich nehme an, sie möchten den Herrn Svensson verhören. Kann ich sie vorher kurz unter vier Augen sprechen?«
Ich nickte. Wir verließen das Zimmer und setzten uns in die Rattansessel am Ende des Ganges. Neben uns befand sich ein großes Fenster mit vergilbten Rahmen. Wahrscheinlich waren sie seit der Zeit, wo es noch erlaubt war in Krankenhäusern zu rauchen, nicht mehr gewechselt oder gar gereinigt worden. Draußen herrschte absolute Finsternis, der Mond war hinter dicken Wolken versteckt und allein das stetige Klopfen der Regentropfen an der Scheibe ließ vermuten, dass es da noch mehr gab als Schwärze.
Dr. Kleinfeld lehnte sich zurück, nahm seine Brille ab und sah mir direkt in die Augen.
»Zunächst mal Herr Logat, ich freue mich sehr, dass es ihnen gut geht.«
»Danke. Sie haben ganze Arbeit geleistet.«
Er nickte.
»Jetzt zu meinem Patienten. Ich wurde über die Zustände auf der Samphire ausreichend informiert und möchte ihnen vorab eine medizinische Beurteilung von Herrn Svensson geben.« Er lehnte sich nach vorne. Fast so, als würde er mir ein Geheimnis verraten wollen. »Bei seinem Sturz hat er sich drei Rippen gebrochen, was jedoch nicht so wild war und vollständig verheilen würde, so wie die Platzwunde an der Stirn. Er hat absolut keine Erinnerung an die Vorkommnisse. Er weiß nichts von den Morden an seinen Kollegen, wobei ich nicht ins Detail gegangen bin, als ich ihn befragte. Er erinnert sich auch nicht daran, dass er die Küstenwache um Hilfe angefunkt hat. Eine Amnesie schließe ich jedoch aus.«
»Wieso? Die Platzwunde an der Stirn würde doch eine Gedächtnislücke erklären.«
»Das stimmt, aber es gibt da diesbezüglich etwas, was mich und meine Kollegen vor ein Rätsel stellt.«
»Und zwar?«
»Wir haben sein Blut natürlich auf Substanzen wie Alkohol oder Drogen überprüft und dabei Rückstände von etwas gefunden, was uns gänzlich unbekannt ist. Es weist entfernte Ähnlichkeiten mit einem Mittel namens Skopolamin auf.«
»Skopolamin? Was ist das?«
»Das ist eine Form von Nervengift. Es wird in geringen Dosierungen gegen Brechreiz bei Reisekrankheiten oder in der Augenheilkunde zur Pupillenerweiterung verwendet. Die Menge, der unbekannten Substanz im Körper von Herrn Svensson war aber deutlich höher. Was ebenso zu einer Apathie führen würde. Skopolamin nennt man in der Szene auch die Zombi-Droge.«
»Was bedeutet?«
»In der richtigen Dosierung können sie jemanden wie eine Marionette steuern. Er ist praktisch willenlos und tut genau das, was sie von ihm verlangen. Sobald die Wirkung nachlässt, hat das Opfer keine Erinnerungen mehr an das, was es getan hat. Ähnlich wie bei Flunitrazepam, besser bekannt als Vergewaltigungsdroge. Nur das man beim Skopolamin wach bleibt. Dadurch ließe sich natürlich die Amnesie erklären. Nur wie gesagt, es ist kein Skopolamin, sondern nur ähnlich.«
»Ich verstehe. Also ist es theoretisch möglich, dass er die Morde an seinen Kollegen begangen hat und sich anschließend die skopolaminähnlichen Pillen reingepfiffen hat, um von sich abzulenken?«
»Ich denke nicht, dass er es sich selbst verabreicht hat. Zum einen wäre es für ihn nicht absehbar gewesen, was er in dieser Zeit anstellt. Er hätte nämlich auch von Bord springen können oder Ähnliches. Und zum Anderen scheint der restliche Anteil des Mittels, welches er im Körper hat, dafür zu sorgen, dass sich seine Muskeln abbauen. Sein Blut verwandelt sich in Wasser, so dass wir mit den Blutkonserven nicht nachkommen.«
»Das heißt er stirbt?«
»Langsam aber sicher. Es sei denn wir erhalten Informationen darüber, was ihn da tötet. Unsere Reserven gehen nämlich langsam zur Neige und je mehr wir in ihn reinpumpen, desto schneller scheint der Prozess zu werden.»
»Ist es ansteckend?«
»Nein. Wie wir festgestellt haben, ist es für Außenstehende ungefährlich.«
»Und sie sagen, es lässt sich keiner bekannten Substanz zuordnen?«
»Richtig. Falls es ein Testlauf für eine Epidemie sein sollte, die wir hier erlebt haben, dann sollten sie zusehen, dass sie den Täter ermitteln und herausbekommen, um was es sich handelt, bevor er es so strukturiert, dass es ansteckend wird und auf größere Bevölkerungsgruppen anwendet.«
»Ok, Danke Doc. Ich werde mich dann mal dem Herrn Svensson …«.
Weiter kam ich nicht. Es wurde auf einmal ganz hektisch. Die Krankenschwestern rannten zum Zimmer, in dem Carsten lag und die rote Lampe über der Tür fing an, wie wild zu blinken. Dr. Kleinfeld sprang auf und mit nur wenigen Schritten schaffte er es, zum Zimmer 217 zu gelangen. Ich hatte Schwierigkeiten mitzuhalten, aber schließlich standen wir im Raum und wir beobachteten eine bizarre Szenerie. Carsten Svensson war aus seinem Bett aufgestanden und stand splitterfasernackt vor uns. Er zeigte auf die Tür und schrie. Er war in einem Rausch. Selbst die beiden Schwestern und der Doktor konnten ihn nicht bändigen. Er riss sich immer wieder los und schlug um sich.
»Das Monster! Das Monster kommt! Haltet es auf. Ich kann es hören!«
Es dauerte nur ein paar Sekunden lang, dann klappte Carsten zusammen wie ein nasser Sack. Ich sah den Arzt an, der nun völlig abgekämpft vor mir stand.
»Er erinnert sich also doch noch.«
Dr. Kleinfeld bückte sich zu Svensson runter und legte seine Finger an seinen Hals.
»Möglich, aber wir werden es wohl nicht mehr erfahren. Er ist tot.«