Читать книгу Die neue Generation der Cosa Nostra - Manuel Magiera - Страница 4
Sizilien
ОглавлениеHeiß brannte die Sonne Italiens auf Michaels Haut, als er aus dem Flugzeug stieg und seinen Eltern zur Zollabfertigung folgte. Das Gepäckband im Gebäude brachte innerhalb weniger Minuten die Koffer der kleinen Familie aus dem Bauch der Maschine wieder zum Vorschein. Als Michael in der Eingangshalle des Flughafens stand, spürte er plötzlich, wie sich zwei dicke Arme um seinen Körper legten. Unzählige feuchte Küsse bedeckten sein Gesicht, so dass er sich nach der ersten Schrecksekunde angewidert aus der Umklammerung löste und erst einmal heftig durchatmen musste. Die Arme gehörten zu einer Frau, welche jetzt in genau derselben Art und Weise seinen Vater abschmatzte, der diese barbarische Behandlung allerdings sichtlich zu genießen schien. Maria Andretti hatte es sich nicht nehmen lassen, ihre Cousine und deren Familie persönlich vom Flughafen in Palermo abzuholen. Maria war begeistert, als sie Michael sah. Ihr Plan müsste aufgehen und sie betete in Gedanken zur Heiligen Jungfrau, dass diese die angestrebte Verbindung segnen möge. Ein Mitarbeiter des Don nahm Werner die Koffer ab und verstaute sie im schwarzen Luxuswagen. Carlotta und Maria lagen sich in den Armen und sprachen so schnell italienisch, dass sich selbst Michael anstrengen musste, um auch nur die Hälfte davon zu verstehen. Werner lachte. Er unterhielt sich mit dem jungen Fahrer, der sich als Tommaso vorstellte und gebrochen deutsch sprach.
Die Fahrt in der klimatisierten Limousine führte an unzähligen Weinbergen vorbei und ließ Michaels Augen vor Verzücken glänzen. Immer weiter schob sich das Auto in langen gewundenen Serpentinen den Berg hinauf, um vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor zu warten. Einen Moment später öffnete es sich wie von Geisterhand und der Junge blickte in eine weitläufige Parkanlage, an dessen Ende sich die in weiß gehaltene Villa seines Onkels erhob. Michael musste unwillkürlich schlucken. Ein kleines Mädchen von ungefähr zwölf Jahren rannte auf sie zu. In der Einfahrt stand ein junger Mann, welcher kurz in Tommasos Richtung nickte. Der Wagen hielt an. Das Mädchen riss stürmisch die Autotür auf und wurde von seiner Mutter schmunzelnd begrüßt. „Carlotta, der Wildfang hier, das ist meine jüngste Tochter, Christina“, lächelte Maria Andretti. Artig gab Christina der Tante und dem Onkel aus Deutschland die Hand. Sie musterte Michael dabei mit abschätzendem Blick, so dass sich dieser erst unangenehm berührt fühlte. „Sprichst du Italienisch?“, fragte sie. „Si, Bella“, antwortete der Junge etwas überheblich und wurde ohne Umschweife von ihr untergehakt.
„Bene, dann stell ich dich jetzt meiner Schwester Elena vor. Sie ist Vierzehn, sieht aber jünger aus und ist nicht ganz so hübsch wie ich!“, meinte sie beiläufig. Der gutaussehende Cousin gefiel Christina und sie spürte etwas wie Neid in sich aufkommen. Wenn es nach ihrer Mutter ging, sollten sich Michael und Elena nämlich näher kennenlernen. Ihr Vater hatte keinen Sohn und somit musste einer der Schwiegersöhne eines Tages das Baugeschäft übernehmen. Die älteste Schwester, Constanza, war mit Alfonso verheiratet. Alfonso und Constanza waren beide Lehrer von Beruf und hatten mit dem Geschäft nichts am Hut. Carmen, ihre sechzehnjährige Schwester, ging mit dem gleichaltrigen Stefano, der eigentlich sehr geeignet für die Nachfolge des Don Tonio, wie alle ihren Papa nannten, schien. Stefanos Vater arbeitete schon seit sie denken konnte für ihren Vater und der Junge wollte gerne nach seinem Abitur in die Firma eintreten. Christina hatte vor einiger Zeit ein merkwürdiges Gespräch ihrer Eltern mit angehört. Sie kam gerade aus ihrem Zimmer, weil sie sich aus der Küche etwas zu trinken holen wollte. Es ging bei dem Gespräch um irgendwelche Geschäfte, von denen Mama Maria nichts wissen sollte. Papa meinte damals, Stefano wäre gut, aber ihm fehle es an Durchsetzungskraft und wenn Carmen mit ihm zusammen bliebe, dann müsste man später sehen, für wen sich Elena und sie, die kleine Christina, entscheiden würden. Mama hatte angestrengt nachgedacht und plötzlich gesagt: „Lass mich nur machen, ich weiß da jemand!“ Papa nahm sie in den Arm und erwiderte: „Schatz, wir feiern unsere Silberhochzeit und nicht unsere Beerdigung. Wir wollen uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Gott hat mir fünf wunderbare Frauen geschenkt und er allein wird wissen, wozu das gut sein sollte!“ Danach war er aufgestanden und hatte die Schlafzimmertür geschlossen. Ein paar Tage später erzählte Mama von ihrer Cousine, Tante Carlotta, die in Hamburg mit einem Deutschen verheiratet wäre und einen Sohn namens Michael hatte. Er war Vierzehn und würde sicher gut zu Elena passen. Die ganze Familie wäre bereits zur Silberhochzeit eingeladen und käme, wenn die Schulferien in Hamburg begännen, nach Sizilien.
Christina hatte ihre Schwester beiseite gezogen und ihr von dem belauschten Gespräch erzählt. Elena tat sofort entrüstet. Die Mutter hätte wohl einen Knall, meinte sie. Sie ließe sich nicht verkuppeln und mit einem Deutschen, den sie noch nie gesehen hat und der vielleicht noch nicht einmal ordentlich Italienisch spricht, schon gar nicht. Und überhaupt, sie würde nur einen Sizilianer heiraten, wie alle anständigen Frauen hier. Als Christina jetzt den fremden Jungen ins Haus führte, stand Elena sprachlos mit offenem Mund am Fenster ihres Zimmers. Sie wusste inzwischen, dass Michael in Palermo geboren und somit Sizilianer war. Beim Anblick des schlanken, durchtrainierten Jugendlichen mit seinen dunkelbraunen Locken wurden dem jungen Mädchen spontan die Knie weich. Ihre Mutter hatte ihr den süßesten Boy Italiens ausgesucht und Elena stand im nächsten Moment völlig verzweifelt vor ihrem Kleiderschrank. Das Wesen, welches sie im Spiegel erblickte, konnte diesem Gast unmöglich gefallen. Sie riss sich rasch die alten verwaschenen Jeans vom Leib und wählte ein paar knallenge gelbe Shorts. Dazu zog sie sich ein weißes T-Shirt an, das ihr etwas zu klein geworden war und deshalb ihre zarten Brüste besonders betonte. Sie setzte sich schnell an den Schminktisch und zauberte ein dezentes Rouge auf die vor Aufregung bereits von selbst glühenden Wangen. Noch etwas Lidschatten über die strahlenden blauen Augen verteilt und die Lippen mit rosa Glos nachgezogen. Die Haare! Oh, wenn sie doch nicht so störrisch gewesen wäre! Nun würde ihr Lover sie in diesem unmöglichen Zustand zu sehen bekommen. Sollte sie sich vielleicht krank melden lassen? Elli zitterte, als sie ihre dunkelblonden langen Haare mit heftigen Bürstenstrichen bearbeitete. Dann stellte sie sich vor den Spiegel, drehte sich einmal herum und atmete tief ein und aus. Doch, es ging! So konnte sie sich sehen lassen, dachte sie erleichtert.
Die Familie stand noch vollzählig in der Eingangshalle und bewunderte den imposanten Bau. Werner war sehr beeindruckt. Tonio besaß ein gutgehendes Bauunternehmen. Da gehörte ein so prachtvolles Anwesen natürlich auch zum Beruf. Michael, der noch immer von Christinas fest gehalten wurde, fühlte sich überwältigt. Doch noch etwas anderes nahm von ihm Besitz. Es war das tiefe Empfinden, hier her zu gehören und ein Teil dieses Hauses zu sein. Der Junge spürte deutliche Heimatgefühle in seinem Inneren. Er drehte sich um und erblickte eine weit ausladende Treppe aus weißem Marmor. Auf den oberen Stufen stand die leuchtende Gestalt einer wunderschönen Fee, welche sich nun anschickte, langsam, grazil und anmutig, diesen Treppenaufgang hinab zu schreiten. Michael wurde augenblicklich rot im Gesicht. Er wusste, was in dem Moment geschehen war, als er das Antlitz der blonden Prinzessin, deren feste Brüste sich prall unter dem T-Shirt abzeichneten und deren lange Beine in viel zu knappen Shorts steckten, erblickt hatte. „Hoffentlich bemerkt niemand die Erektion“, schoss es ihm durch den Kopf. „Oh Gott, wie ist das peinlich, aber diese Braut gibt es kein zweites Mal auf der Welt!“
Elena genoss derweil ihren Auftritt. Sie sah geradewegs in die Augen des jungen Mannes und ihr Blick blieb einen Augenblick auf seiner Hose haften. Zufrieden hob sie den Kopf und setzte ihr schönstes Lächeln auf. Maria atmete erleichtert, als sie ihre Tochter endlich in einem halbwegs vernünftigen Aufzug sah. Zugegeben, die Shorts waren etwas gewagt, aber Maria hatte selbst vor vielen Jahren ihre gesamten weiblichen Reize eingesetzt, um sich Tonio zu angeln. Und das war angesichts der Konkurrenz gar nicht so einfach gewesen. Ihre Eltern besaßen nicht viel Vermögen. Ihr Vater war Fischer und hielt die Familie mit etwas Alkoholschmuggel über Wasser. Von der Fischerei allein konnte die Familie nicht leben. Dann biss Tonio an und auch der Vater brachte es dank Tonios Kontakten zu Wohlstand. „Elena, musst du dich so aufreizend kleiden? Das schickt sich doch nicht für ein anständiges Mädchen aus gutem Hause!“, schalt Maria. „Carlotta, Werner, hier präsentiere ich euch die Zweitjüngste. Elena ist Vierzehn, genau wie euer Michael. Ich hoffe, ihr beiden werdet euch gut verstehen. Am besten, du zeigst unserem Gast gleich mal sein Zimmer, Elli!“ Wohlwollend schmunzelnd ebnete Maria den beiden den Weg. Den Rest müssen sie jetzt selbst erledigen, dachte sie. Der Junge ist intelligent, spricht Italienisch, sieht gut aus und könnte Tonios Erwartungen entsprechen. Maria wandte sich zufrieden ihrer Cousine und deren Mann zu. „Dann wollen wir mal der Jugend ihren Lauf lassen und uns auf die Terrasse begeben. Ihr werdet nach der anstrengenden Reise sicher hungrig und vor allem durstig sein“, erklärte sie und schob die Erwachsenen durch das riesige Wohnzimmer nach draußen, wo Carlotta und Werner der schönste Ausblick empfing, den sie beide je genießen durften. Der Hafen und die Bucht Palermos lagen in ihrer ganzen Pracht und Schönheit vor dem begeisterten Paar aus Deutschland.
Christina bemerkte traurig, wie gekonnt sich ihre ältere Schwester in Szene gesetzt hatte. Schade, dachte sie. Dann ist der neue Cousin wohl vergeben. Aber das macht nichts, ich heirate sowieso nur Luca. Den gleichaltrigen Freund und Sohn eines engen Vertrauten ihres Vaters kannte sie schon aus ihrer Sandkastenzeit. Damals hatten sich ihre Mutter und Lucas Mama darüber unterhalten, dass die beiden Kinder sicher einmal ein hübsches Paar abgeben würden. Luca gehörte seitdem zu Christinas Leben wie Elli und die anderen Schwestern. Sie ließ Michaels Arm los und legte seine Hand auf Elenas. Diese zuckte bei der ersten Berührung zusammen und wollte ihre Finger schon ängstlich zurückziehen, als sie Michaels festen Druck auf ihren Handwurzelknochen spürte. „Ciao! Mi chiamo Michael, du bist sehr hübsch!“ Er sah ihr dabei direkt in ihre schönen Augen. „Grazie, mi chiamo Elena!“ Sie senkte leicht errötend den Kopf. Das werden die besten Ferien meines Lebens, dachte Michael. Whow! Wenn ich mich jetzt auch noch mit Onkel Tonio verstehe, ist mein Glück perfekt. Christina stand grinsend neben den beiden Jungverliebten und tippte ihre apathisch wirkende Schwester an. „Hallo, bist du noch da, Elli? Du sollst unserem Gast sein Zimmer zeigen!“ Elena schrak auf. Mein Gott, ist der süß! , dachte sie zitternd. Ich vergesse mich gleich. „Si, natürlich. Komm! Dein Gepäck ist sicher schon oben. Du hast ein sehr schönes Zimmer und es liegt nicht weit weg von meinen Räumen“, erklärte sie wie selbstverständlich und hielt erneut erschrocken inne. Mein Gott, was sag ich denn da? „Ja, ja, die Macht der Liebe!“, lachte Christina geheimnisvoll. „Ich glaube, ich überlasse euch beiden Turteltauben mal eurem Schicksal.“ Und zu Michael gewandt: „Du wirst es hier sicher nicht schwer haben, dein Italienisch scheint auch ganz gut zu sein. Ich bin dann mal am Pool, wenn mich jemand sucht.“
Elena und Michael waren allein. Er hielt noch immer ihre Hand und ließ auch nicht los, als das Mädchen ihn über die Treppe hinauf nach oben führte. Einen Moment später standen die beiden Jugendlichen auf dem zum Gästezimmer gehörenden Balkon und schauten über die Bucht Palermos. „Gefällt es dir?“ Elena blickte ihren Begleiter verliebt an. „Sehr, allein dieser Ausblick ist fantastisch und dann das hübscheste Mädchen, das es auf der Welt gibt, an der Hand halten zu dürfen! Was kann es Schöneres für einen Mann geben?“ Michael lächelte. Ich bin wirklich ein Glückspilz. Er dachte an seinen Onkel. „Wo ist dein Vater und wie ist er so?“ „Also, erstens, du flirtest schon wie ein richtiger Italiener und zweitens, der arbeitet in seinem Büro. Er ist ganz nett, eben mein Papa!“
Don Tonio hatte seinen Computer herunter gefahren, als er Tommaso mit dem Auto die Einfahrt hinaufkommen sah. Er führte noch einige wichtige Telefonate, stand von seinem Bürostuhl auf, ordnete seine Kleidung und schloss die Tür hinter sich. Sein Weg führte ihn am inzwischen geöffneten Gästezimmer vorbei. Er lächelte wohlwollend, als er die beiden jungen Menschen bereits Hand in Hand auf dem Balkon stehend bemerkte. Der Junge wandte ihm nur den Rücken zu, doch er schien kräftig und sportlich zu sein. Die Art, wie er Elenas Hand hielt, verriet dem erfahrenen Mann, dass sich hinter diesem Charakter Entschlusskraft und Selbstbewusstsein verbargen. Der Junge weiß, was er will, dachte Tonio. Gut, so. Vielleicht hat Maria tatsächlich eine richtige Wahl getroffen. Mal sehen, was er sonst noch kann! „Ganz nett, so, so. Dann kann ich ja dein Pferd gleich wieder verkaufen und deinen Kleiderschrank dazu auch. Ganz nett! Von meiner Lieblingstochter habe ich aber wirklich mehr Begeisterung erwartet!“, entrüstete sich der vierfache Vater schmunzelnd.
Elli und Michael drehten sich um. Einen Augenblick lang lasen Michael und Tonio einander in den Augen. Dann war das Eis gebrochen. Wie selbstverständlich ließ der Junge die Hand des Mädchens los, ging ein paar Schritte auf den Onkel zu und umarmte den Mann, den er noch bis vor wenigen Minuten nur aus den Erzählungen seiner Eltern kannte. Einen Moment lang verharrten die beiden in ihrer Position und ließen ihren Empfindungen freien Lauf. Ein tiefes Gefühl von Seelenverwandtschaft und der Funke einer besonderen Form von Liebe übertrugen sich von dem einen auf den anderen. Tonio drückte seinen vielleicht künftigen Nachfolger und Schwiegersohn fester an sich. Michael sah ihm dabei in die Augen und lächelte. Die Verbindung war hergestellt und würde von nun an auch über den Tod hinaus bestehen. „Oh, Papa, du bist nicht nur ganz nett, sondern natürlich sehr nett und dazu der liebste Papa auf der ganzen Welt. Aber lass das mit der Lieblingstochter nicht Christina hören. Sie ist sowieso schon eifersüchtig auf mich. Ich glaube, sie hätte Michael auch gerne gehabt. Das muss ein ziemlicher Schlag für sie gewesen sein!“, lachte Elli und gab ihrem Vater einen liebevollen Kuss.
„Ciao, Onkel Tonio. Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen. Meine Eltern haben mir schon so viel von dir erzählt. Vor allem Papa brüstet sich immer wieder mit seinem heldenhaften Sprung ins eiskalte Hafenbecken und das er Mama damals das Leben gerettet hat“, erklärte Michael. Tonio hüstelte etwas. „Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, aber die Wassertemperatur betrug zu der Zeit so annähernd 25 Grad und deine Mutter war eine ausgezeichnete Schwimmerin!“ „Ich dachte es mir. Väter übertreiben gerne. Aber, lassen wir ihn in dem Glauben, ein Held zu sein.“ Michael zwinkerte Tonio zu. Ein geheimnisvoller Bund zwischen Onkel und Neffe war geschlossen. „Komm, mein Sohn, lass uns zu deinen Eltern gehen. Es gibt sicher auch gleich Essen. Ich freue mich auf das Wiedersehen!“ Tonio legte zufrieden einen Arm um Michael und nahm seine Tochter an die Hand.