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Prolog

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Macht euch keine Sorgen, die Geschehnisse aus dem zweiten Buch »Ich bin normal nur, ...« sind nicht wirklich so passiert, wie sie dargestellt wurden. Es gibt nämlich eine entscheidende Abweichung: Der Ort, konkreter der Planet des Geschehens, ist ein anderer. Die Sendung, welche die Wendung brachte, die dazu führte, dass große Teile der Bevölkerung sich haben sozionormalisieren lassen, die Sendung, die letztlich so einen Hype verursachte, dass Jugendliche es kaum erwarten konnten, Achtzehn zu werden, damit sie sich endlich das Hirn »gesund brutzeln« lassen können, die zwei psychologischen Klassen von Menschen, die entstanden sein sollen – moderne Sozionormale und rückständige Soziomanen hat es durchaus gegeben, aber ich muss euch beichten: Die geschilderten Ereignisse fanden nicht auf der Erde, sondern auf dem Planeten Autis statt. Bei Autis handelt es sich um meinen eigentlichen Heimatplaneten, von dem aus ich zu euch gereist bin. Nicht einmal die Geschehnisse aus dem ersten Buch »Nur ich bin normal« haben hier auf der Erde stattgefunden. Ihr jetzt bestimmt so: »WAS!? ECHT!? ICH LESE DAS BUCH EINES WASCHECHTEN AUSSERIRDISCHEN?« Ne, aber mal im ernst. Seid ihr wirklich überrascht? Ich wäre auf keinen Fall überrascht, denn es wird ja wohl aufgefallen sein, dass die Dinge, die ich beschrieben habe, auf der Erde nicht so geschehen sein können. Wer sich auf der Erde umsieht, wird merken, es hat sich noch nicht viel in Richtung sozionormale Welt geändert. Die einschneidenden Modifikationen der Gesellschaft hätte man sehr wohl bemerken müssen. Nein, ihr lebt noch sozioman.

Ich gebe zu, es hat lange gedauert, bis ich mir erlaubt habe, euch dieses Geheimnis zu verraten. Bis jetzt war es aber nun mal einfach nicht notwendig. Im Großen und Ganzen hätte alles natürlich so auch auf der Erde passiert sein können, beziehungsweise hätte es in Zukunft so auf der Erde passieren können, weil sich erstaunlicherweise unsere beiden Zivilisationen Menschheit und Autisianer im Ablauf ihrer jeweiligen Geschichte sehr ähneln. Man möchte meinen, es gäbe eine Art Naturgesetz für die Bildung von Gesellschaften aus intelligenten Lebewesen. Da wir uns so sehr ähneln, war es kein Problem, meine wahre Geschichte so umzuschreiben, als wäre sie auf der Erde passiert und als wäre ich einer von euch. Ihr Menschen hattet bisher leider nicht das Glück, dass ein Sozionormaler wie ich auf der Erde geboren wurde und eure Zivilisation aufgewertet hat. Nun war und bin ich bei euch und konnte und kann euch durch ethische Entwicklungshilfe ein langes Überleben sichern. Ich wusste bereits bei meiner Ankunft auf eurem Planeten ganz genau, dass ich nicht von der Erde stamme. Selbst wenn ich es aufgrund von Übertragungsfehlern während meines Transfers nicht gewusst hätte, dann hätte ich es zumindest vermutet, denn ihr seid trotz äußerlich sehr großer Ähnlichkeit charakterlich verdammt anders, zumindest seid ihr das im Moment noch.

Indes kam ich mir zu Beginn, als ich noch auf meinem Heimatplaneten Autis lebte, ebenfalls sehr fremd vor, ähnlich fremd wie jetzt wieder auf eurer Erde. Damals war ich mir sicher, dass ich außerirdisch, genauer gesagt außerautisianisch, sein musste. Ich hatte mir etwas zusammengereimt über Soziophobie und Soziomanie als gegensätzliche Paradigmen in den Hirnen meiner Spezies. Doch in diesem Fall war ich einfach nur außergewöhnlich und dadurch ein auserwählter Autisianer. Ich hatte im Endeffekt mit allem recht, was ich mir über die Soziomanie der anderen dachte. So wie ich hier auf der Erde recht bekommen werde, hatte ich auch auf Autis bereits nachweislich alles richtig eingeschätzt. Genau wie einst die Autisianer, steckt ihr Menschen zur Zeit in einem kollektiven soziomanen Zustand fest. Dass ich mit der Einschätzung der menschlichen Psyche richtig liege, ist in meinen letzten beiden Büchern deutlich geworden. Jede*r Leser*in wird dort erkannt haben, dass beinahe kollektive Soziomanie unter den Menschen herrscht. Als man auf Autis damals mein erstes Buch »Nur ich bin normal« gelesen hatte, kam es dort zu der Entwicklung, die ich euch im zweiten Buch beschrieben habe und im weiteren Verlauf kam es selbstverständlich zu den Ereignissen, die ich in diesem dritten Buch beschreiben werde. Natürlich wird auch das noch nicht auf der Erde geschehen sein, wenn ich das dritte Buch fertig übersetzt habe, aber die Entwicklung auf eurem Planeten ist genau so möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich. Meine Bücher sind eine Dokumentation der Geschehnisse auf Autis beginnend mit meiner Selbsterkenntnis bis zur Entwicklung einer neuen Welt.

Nun bin ich auf eurem Planeten gelandet, habe euch studiert und meine Geschichte fast komplett übersetzt. Dabei habe ich sie verständlicherweise hier und da ein wenig angepasst. Ich wurde von dem weisen Rat von Autis auf die Erde gesandt, um euch meine übersetzte Geschichte in einem Tauschgeschäft zu übergeben. Als Gegenleistung für die großzügige ethische Verbesserung eurer Welt, erwarten wir nur ein kleines Entgegenkommen, und zwar die Integration von ein paar Autisianern in eure Zivilisation. Meinen Büchern ist es zu verdanken, dass die Autisianer so lange auf ihrem Planeten überlebt haben und dabei ein Leben in Glückseligkeit mit ewigem Frieden führen konnten. Hätten wir uns nämlich nicht rechtzeitig in eine sozionormale Gesellschaft transformiert, hätten wir nicht nur nicht unseren jetzigen Stand der Technik erreicht, dann hätten wir nicht nur nicht zu euch reisen können. Schlimmer noch: Wir hätten uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst ausgelöscht, entweder durch irgendeine irreversible Umweltkatastrophe oder durch Kriege mit Massenvernichtungswaffen. Nach unseren Erkenntnissen steht eure Zivilisation nur etwa ein Jahrhundert vor der Selbstauslöschung durch eine dieser Katastrophen. Aber auch ihr könnt eure soziomane Gesellschaft in eine sozionormale Gesellschaft transformieren. Wenn ihr erkennt, was wir erkannt haben, dann erreicht ihr eine Form des Zusammenlebens, die euch und uns gleichermaßen glücklich machen wird. Ihr werdet uns fabelhaft integrieren können. Das, was euch außerhalb eurer aktuellen Soziomanie als Menschen ausmacht, werden wir mit Freude lernen, um dann gemeinsam Geschichte zu schreiben, um dann gemeinsam allen intelligenten, fühlenden Wesen des Universums Glückseligkeit zu bringen.

Unsere Seelen benötigen von euch eine sichere Energieversorgung und etwas Wartung. Dass wir Zuflucht auf eurem Planeten suchen, hat einen astronomischen Grund. Wie die meisten Sterne, dehnte und dehnt sich auch die autisianische Sonne langsam aus. Unser Stern ist allerdings fast eine Milliarde Jahre älter als euer Stern. Er war damit bereits vor vielen Jahrtausenden so stark aufgebläht, dass Leben ohne künstlichen Schutz fast nicht mehr möglich war. Kaum noch konnten wir genügend große Flächen kühlen, um Landwirtschaft zu betreiben. Durch die Abwärme aus den klimatisierten Bereichen, wurde der Rest des Planeten so stark erhitzt, dass immer größere Teile nur noch aus lebloser Ödnis bestanden. Einhunderttausend Jahre bevor wir auf Autis die Grenzen des physikalisch Machbaren Überlebens erreicht hatten, wurde schweren Herzens mit den Planungen zur Umsiedlung der Autisianer begonnen. Es war unklar, wie lang die Reise dauern würde. Deshalb konnten wir nicht sicher sein, dass unsere organischen Hüllen überleben. Aus diesem Grund mussten alle Autisianer ihren Geist, ihr Ich digitalisieren und speichern. Statt in fragilen Körpern sind wir als digitale Geister auf Festplatten geflohen. Wir konnten durch diese Selbstdigitalisierung tatsächlich alle Seelen in unseren Raumschiffen unterbringen, stiegen mit ihnen auf und verfolgten als Computerwesen das Ende des intelligenten Lebens auf Autis. Der Blick zurück auf den ausgedörrten Staubball, der mal unsere Heimat war, schmerzte, aber die Aussicht einen autisähnlichen Planeten wie eure Erde zu erreichen, gab uns genug Hoffnung, um weiter zu forschen, um weiter voranzugehen. Mit unserer Technologie könnten wir die Menschheit locker auslöschen oder versklaven und euren Planeten einfach übernehmen. Wir sind jedoch als sozionormale Spezies friedfertig und wie gesagt am Glück aller intelligenten fühlenden Wesen interessiert; deshalb wollen wir uns lieber bei euch integrieren.

Wir sind nur ein kleines Volk von einer Milliarde Individuen, das von euch ein wenig Energie braucht und einige wenige Millionen von uns wollen wieder in Körpern leben. Sie werden in Androiden zu euch kommen, die euch täuschend ähnlich sehen. So können wir uns vorerst kulturell viel besser austauschen, besser als wenn wir für euch nur digitale Datenansammlungen wären. Seid ihr erst überzeugte Sozionormale, könnt auch ihr digitalisiert werden. Wenn alles nach Plan läuft, benötigen die digitalen Menschen und die digitalen Autisianer am Ende der Entwicklung nur noch wenig Raum und quasi keine Energie. Wir arbeiten sogar an einem Speichermedium, was keinerlei Energie benötigt. Dann können Menschheit und Autisianer gemeinsam bis zum Ende des Universums existieren, aber das ist selbst für uns noch Zukunftsmusik.

Im Moment befindet sich unser Raumschiff im Orbit eurer Erde. Meinen Geist hat man in einem fast einhundert Prozent menschlich aussehenden Androiden zu euch auf die Oberfläche geschickt. Ich hoffe, dass dieses Outing als außerirdischer Autisianer noch mehr Freude und Interesse an meinen Büchern wecken wird. Meine literarischen Ergüsse sind keine sinnlose Unterhaltungsliteratur, sondern ein Sachbuch im Bereich angewandter Gesellschaftswissenschaften inklusive fundierter Prognose zu eurer und unserer Zukunft. Ihr müsst sie lesen, um zu wissen, wie es bei euch weitergehen kann, um zu wissen, was für abgefahrene Geschichten passieren müssen, damit ihr am Ende glücklich durchs Weltall rasen könnt.

Außerdem bin ich auf euer Geld angewiesen, weil ich als politischer Aktivist Opfer der Unterdrückung durch aktuell noch soziomane Staatsorgane auf eurem Planeten geworden bin. Es kam irgendwie nicht besonders gut an, als ich einem irdischen Beamten aufgrund seiner Unverschämtheit gerechtfertigterweise meinen Androidenspeichel ins Gesicht gespuckt habe, weil er mich zwingen wollte, einer sinnlosen, selbstzerstörerischen Erwerbsarbeit nachzugehen. Das Ganze war eine Verschwendung von Körperflüssigkeit. Helft mir dabei, nicht arbeiten zu müssen, und meine Körperflüssigkeiten weiter sinnvoll zu nutzen. Helft mir, indem ihr meine Bücher kauft.

Vielen Dank.

Ich bin nur normal

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