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Wandern

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Und die Menschen verbessern sich doch: Ich wandere gedankenverloren durch einen örtlichen Wald, erfreue mich an den sanften Klängen der Natur. Neben mir das Wässerchen eines Baches, über mir ein Konzert verschiedener Vögel. Ich wäre gerne ein Ornithologe, dann könnte ich die Vögel benennen und ihre Stimmen mit malerischen Vokabeln umschreiben. Nun kann ich nur sagen, dass es in diesem Moment einfach schön ist. Das muss euch genügen. Der warme Wind ist angenehm wie ein sanfter Fön. Er lässt die Blätter rauschend in das Naturkonzert einstimmen. Nicht zuletzt fügt sich in das biodiverse Geräuschpotpourri des Waldes wortgewaltig eine laut dröhnende Motorsäge ein. Herrlich!

Plötzlich ertönt eine Stimme: »Hey Arschloch! Hast du keine App?«

Ich blicke um mich herum und da sehe ich sie direkt vor mir. Es ist eine andere Person, sie trägt eine Outdoorjacke, eine Outdoorhose, Wanderschuhe und eine Sonnenbrille, die sie gerade abnimmt, um mich wütend anzustarren.

Nach dem sie sich meiner Aufmerksamkeit vergewissert hat, spricht sie weiter: »Ich habe extra diesen lonely Spot zum Wandern gebucht und nun muss ich deine Hackfresse sehen.«

Sie hat recht. Ich dürfte gar nicht hier sein. Wie konnte ich nur so gedankenverloren handeln? Wer wandern will, muss sich anmelden. Eigentlich ist das schon eine ganze Weile so, aber benebelt von Gefühlen aus der Vergangenheit, handle ich, als lebte ich noch in dieser unrühmlichen alten Zeit, in der sich die Menschen rücksichtslos anderen Menschen aufdrängten. Rücksicht ist Pflicht. Das ist doch selbstverständlich. Ich gehe weiter auf den Wanderer zu. Ich hebe meine Arme. Dabei bilden sich Tränen in meinen glasigen Augen. Perplex lässt der Wanderer die Handlung über sich ergehen. Wie ein abgestorbener halbabgebrochener Baum steht er da.

Ich nehme ihn in den Arm, drücke ihn fest an mich. Ich flüstere ihm fast schon erotisch ins Ohr. »Danke! Einfach nur danke, dass du mich angeschnauzt hast. Noch nie hat mich ein Mensch so gerechtfertigt angeschnauzt wie du. Bis heute war es jedes mal bescheuert und krank und du bist der erste Mensch, der Anschnauzen vernünftig an mir angewendet hat. Ich danke dir. Du hast mir die Augen geöffnet. Es gibt so viele von uns.« Ich schluchze, drücke ihn fester an mich »...nun endlich so viele von uns.«

Keine Reaktion meines Gegenübers.

»Beschimpfe mich weiter, bitte...« Als der Wanderer unerwartet die Umarmung doch noch erwidert, blicke ich ihm tränenverschmiert ins Gesicht, welches noch immer verblüfft, aber nun zusätzlich freundlich wirkt. Wir lassen uns los und ich gehe weiter, so als wäre nichts passiert, bin aber nun deutlich besser gelaunt.

Zu Hause angekommen, logge ich mich in die A.I.D. ein und unterbreite einen Verbesserungsvorschlag für lonely Spot: Die A.I.D. möge beschließen, dass lonely Spot den Benutzer deutlich warnt, wenn er einen Bereich betritt, für den er sich nicht angemeldet hat, sollte der Bereich bereits durch eine Buchung vergeben worden sein.

Ich bin nur normal

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