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aa) Unternehmensnießbrauch mit Unternehmerstellung
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Wird dem Vermächtnisnehmer der echte Unternehmensnießbrauch zugewandt, entstehen zwei Geschäftsbetriebe: der bisherige (ererbte) unterbrochene und der führende Geschäftsbetrieb des Nießbrauchers.[119] Für beide Betriebe sind Bilanzen zu erstellen. Das Vorratsvermögen ist in der Bilanz des Nießbrauchers aufzunehmen, das Anlagevermögen verbleibt in der Bilanz des Erben.[120] Nach außen haftet allein der Nießbraucher.
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Auf die Bestellung des Nießbrauchs finden die §§ 1030–1084 BGB Anwendung.[121] Gemäß dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz muss der Erbe dem Vermächtnisnehmer den Nießbrauch an sämtlichen Gegenständen des Unternehmens gemäß den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen bestellen (an beweglichen Sachen nach § 1032 BGB, Forderungen nach § 1069 BGB, Grundstücke durch Einigung und Grundbucheintragung, § 873 BGB,). Sofern der Nießbraucher noch minderjährig ist, muss für die Nießbrauchsbestellung die familiengerichtliche Genehmigung eingeholt werden, §§ 112, 1822 Nr. 3 BGB. Ein Ergänzungspfleger muss nicht bestellt werden, da die Nießbrauchsbestellung in Erfüllung einer Verbindlichkeit, hier des Vermächtnisses, erfolgt.[122] Dies gilt auch dann, wenn die Eltern Erben (i.e. Verpflichtete des Vermächtnisses) sind.
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Da der Nießbraucher das Handelsgeschäft als Inhaber betreibt, müssen Erbe und Vermächtnisnehmer die Nießbrauchsbestellung zum Handelsregister anmelden.[123] Der Erbe muss allerdings als Unternehmensinhaber voreingetragen werden, selbst wenn das Vermächtnis sehr zeitnah nach dem Ableben des Erblassers erfüllt wird.[124]
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Der Nießbraucher kann gemäß § 22 Abs. 2 HGB die bisherige Firma mit oder ohne einen Nachfolgevermerk fortführen[125] Die Erben sind verpflichtet, ihre Zustimmung zur Firmenfortführung zu erteilen. Der Nießbraucher haftet gemäß § 25 HGB im Außenverhältnis für die Geschäftsschulden des Erblassers. Erbe und Vermächtnisnehmer können den Ausschluss dieser Haftung vereinbaren und gemäß § 25 Abs. 2 HGB im Handelsregister eintragen lassen. Die Erben sind jedoch nicht verpflichtet, an einer solchen Vereinbarung mitzuwirken.[126]
Der Nießbraucher ist nach §§ 1036 Abs. 2, 1037 Abs. 1, 1041 BGB grundsätzlich zum Betrieb des Unternehmens und zum Erhalt in seinem wirtschaftlichen Bestand verpflichtet.[127] Der Nießbraucher darf damit das Unternehmen weder einstellen noch wesentlich umstrukturieren.
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Praxishinweis:
Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge im Unternehmensbereich. Der Vorerbe muss nicht die wirtschaftliche Zweckbestimmung des Unternehmens aufrechterhalten. Er darf folglich den Betrieb einzustellen, um etwa die unbeschränkte Haftung für Geschäftsverbindlichkeiten nach §§ 27 Abs. 2, 25 Abs. 1 HGB abzuwenden.[128]
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Was die Verfügungsbefugnis des Nießbrauchers über die Gegenstände des einzelkaufmännischen Unternehmens betrifft, muss unterschieden werden:
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Das Umlaufvermögen wird Eigentum des Nießbrauchers, § 1067 Abs. 1 S. 1 BGB, da es zu den verbrauchbaren Sachen gemäß § 92 BGB gehört. Als verbrauchbar gelten auch bewegliche Sachen, die zu einem Warenlager oder zu einem Sachinbegriff gehören, dessen bestimmungsgemäßer Gebrauch in der Veräußerung einzelner Sachen besteht.
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Forderungen darf der Nießbraucher grundsätzlich nur einziehen, § 1074 BGB. Zu anderen Verfügungen ist er nicht berechtigt. Diese Vorschrift wird aber bei einem kaufmännischen Unternehmen als nicht anwendbar betrachtet, mit der Folge, dass die Erben verpflichtet sind, die Forderungen auf den Nießbraucher zu übertragen.[129]
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Das Anlagevermögen verbleibt grundsätzlich im Eigentum der Erben.[130] Der Nießbraucher darf jedoch über Inventarstücke in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügen (§ 1048 Abs. 1 S. 1 BGB entsprechend). Er muss dann allerdings Ersatz beschaffen.[131] Im Übrigen kann der Nießbraucher nur unter Mitwirkung des Erben über Anlagevermögen verfügen. Diesen Mangel kann der Erblasser durch Ernennung des Nießbrauchers zum Testamentsvollstrecker beheben (Dispositionsnießbrauch).[132] Der Nießbraucher-Testamentsvollstrecker darf dann über Anlagevermögen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 2216 BGB verfügen. Bei Verfügungen des Vermächtnisnehmers ist folglich zu unterscheiden: Sofern der Vermächtnisnehmer über Umlaufvermögen und Inventar des Anlagevermögens in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügt, handelt er als Nießbraucher, im Übrigen als Testamentsvollstrecker.
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Die Substanz des Einzelunternehmens darf der Nießbraucher nicht angreifen, § 1037 Abs. 1 BGB. Der Erblasser kann den Nießbrauch auch nicht so ausgestalten, dass es dem Vermächtnisnehmer (etwa dem zu versorgenden überlebenden Ehegatten) erlaubt ist, die Substanz des Unternehmens über die Möglichkeiten der Testamentsvollstreckung hinaus anzugreifen. Dem steht der Grundsatz der Erhaltung der Substanz entgegen.[133] Möchte der Erblasser dem Vermächtnisnehmer erlauben, auf die Substanz des Unternehmens zuzugreifen (um etwa eine ausreichende Versorgung des überlebenden Ehegatten sicherzustellen), kann er dies durch ein weiteres Vermächtnis zugunsten des Nießbrauchers erreichen.[134] Zum Schutz der Erben sollte der Erblasser dieses Vermächtnis allerdings so bestimmt wie möglich fassen, insbesondere was den Einsatzzeitpunkt (z.B. notwendiger Mindestbetrag für die Versorgung) und den Höchstbetrag der Entnahmen aus der Substanz betrifft.
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Bei Beendigung des Nießbrauchs muss der Nießbraucher das Anlagevermögen an den Eigentümer herauszugeben. Diese Pflicht zur Rückübertragung bzw. zum Wertersatz von Wirtschaftsgütern hat der Nießbraucher in seiner Bilanz zu passivieren. Was das Umlaufvermögen betrifft, bestimmt § 1067 BGB, dass der Nießbraucher nur den Wert des zu Beginn in sein Eigentum übergegangenen Umlaufvermögens zu ersetzen hat. Hier erscheint es sachgerecht, dass Erblasser festlegt, dass der Erbe die Herausgabe des im Zeitpunkt der Beendigung des Nießbrauchs vorhandenen Umlaufvermögens verlangen kann und nur die Wertdifferenz zum Anfangsvermögen in Geld nicht werden muss.[135]
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Nach der wohl h.M. steht dem Nießbraucher der bilanzmäßig ausgewiesene Reingewinn des Einzelunternehmens zu.[136] Abgestellt wird dabei auf die nach kaufmännischen Grundsätzen, d.h. anerkannten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, aufgestellte jährliche Handelsbilanz. Hier steckt freilich ein erhebliches Streitpotential zwischen Erben und Vermächtnisnehmer. Der Erblasser sollte daher genaue Berechnungsgrundlagen hinsichtlich des entnahmefähigen, dem Nießbraucher zustehenden, bzw. nicht entnahmefähigen Gewinns festlegen. Damit ist zugleich definiert, mit welchen Teilen des Gewinns Nießbraucher und Erbe zur Einkommensteuer heranzuziehen sind. Ferner sollte der Erblasser bestimmen, ob bzw. inwieweit der Erbe und der Vermächtnisnehmer zu Entnahmen zur Begleichung einer anfallenden Einkommensteuer berechtigt sind.[137]
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Ordnet der Erblasser einen echten Unternehmensnießbrauch und Testamentsvollstreckung an (sog. Dispositionsnießbrauch, vgl. Rn. 119), muss Erblasser im Testament klarstellen, in welcher Funktion der Nachfolger das Unternehmen führen soll, als Nießbraucher oder Testamentsvollstrecker. Im Zweifel soll der Bedachte das Unternehmen als Nießbraucher und nicht als Testamentsvollstrecker führen.[138] Die Testamentsvollstreckung gilt dann als normale Verwaltungstestamentsvollstreckung angeordnet. Bezüglich des Unternehmens hat der Testamentsvollstrecker die alleinige Aufgabe, das Nießbrauchsvermächtnis gegenüber sich selbst zu erfüllen.[139] Die Fragen, die es bei einer Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen zu beantworten gilt, stellen sich hier nicht.
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Formulierungsbeispiel:[140]
Meiner Ehefrau … vermache ich auf Lebenszeit den vollen dinglichen Nießbrauch, also nicht nur den Ertragsnießbrauch, an dem von mir unter der Firma … einzelkaufmännisch betriebenen Unternehmen, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts … unter HRA Nr. … Der Nießbrauch endet im Falle ihrer Wiederheirat. Der Nießbrauch ist wie folgt auszugestalten:
Der Nießbrauch ist der Nießbraucherin an dem Betriebsgrundstück in…, derzeit vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts …, Blatt … sowie an allen beweglichen Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens, somit an allen Gegenständen, die steuerlich bei dem Einzelunternehmen aktiviert sind, einzuräumen. Alle Gegenstände des Umlaufvermögens gehen in das Eigentum der Nießbraucherin über. Sie ist verpflichtet, sie nach Beendigung des Nießbrauchs entsprechend in Natur zu erstatten; eine etwaige Wertdifferenz zum Wert des Umlaufvermögens zu Beginn des Nießbrauchs ist in Geld auszugleichen. Alle betrieblichen Forderungen sind an die Nießbraucherin abzutreten. Entsprechend ist die Nießbraucherin verpflichtet, alle zum Zeitpunkt meines Todes bestehenden betriebsbedingten Verbindlichkeiten zu übernehmen bzw. falls die Gläubiger einer befreienden Schuldübernahme nicht zustimmen sollten, die Erben von jeglicher Inanspruchnahme freizustellen. Die Nießbraucherin ist im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft und mit der Verpflichtung zur Ersatzbeschaffung, berechtigt auch über Gegenstände des Anlagevermögens zu verfügen.
Die Vermächtnisnehmerin hat in ihrer Eigenschaft als Nießbraucherin die Firma mit oder ohne Beifügung eines Nachfolgezusatzes im eigenen Namen und unter eigener Haftung fortzuführen.
Diejenigen persönlichen Steuern, die die Erben hinsichtlich des nießbrauchsbelasteten Unternehmens und die Nießbraucherin auf Erträge, die zivilrechtlich nicht ihr, sondern den Erben zustehen, zu zahlen haben, können aus den jährlichen Gewinnen des Unternehmens entnommen werden. Bei der Berechnung der auf solche Erträge entfallenden Einkommensteuer sind diese jeweils als Spitzeneinkünfte anzusehen.
Die Nutzungen der Nießbraucherin errechnen sich wie folgt:
Auszugehen ist vom jährlichen Steuerbilanzgewinn. Davon sind zunächst diejenigen persönlichen Steuern in Abzug zu bringen, die die Erben und die Nießbraucherin auf Grund der obigen Regelung zu entnehmen berechtigt sind. Danach sind etwaige Verluste vergangener Jahre auszugleichen, soweit dies nicht bereits in der Steuerbilanz geschehen ist. Danach ist für die Erben ein Betrag in Höhe von 20% der in der Steuerbilanz vorgenommenen Abschreibungen abzuziehen als Ausgleich für die erhöhten Wiederbeschaffungskosten der Ergänzungsinvestitionen. Der danach verbleibende Rest steht der Nießbraucherin zu 75 % und den Erben zu 25 %, letzteren zur Sicherung des Wachstums des Unternehmens, zu. Die Erben dürfen die ihnen zugerechneten Beträge nicht entnehmen. Verluste trägt die Nießbraucherin nur insoweit, als sie durch die obige Regelung bis zur Beendigung des Nießbrauchs wieder durch Gewinne ausgeglichen werden können.
Ich ernenne meine Ehefrau A zu meiner Testamentsvollstreckerin. Ihr stehen dabei alle Rechte zu, die ihr nach dem Gesetz eingeräumt werden können. Sie ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Eine besondere Vergütung erhält die Testamentsvollstreckerin nicht. Einzige Aufgabe der Testamentsvollstreckerin ist die Erfüllung des vorstehenden Nießbrauchsvermächtnisses.
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Praxishinweis:
Die rechtliche Behandlung des echten Unternehmensnießbrauchs ist in vielen Bereichen noch nicht abschließend geklärt. Der Erblasser sollte daher die Rechtstellung zwischen Nießbraucher und Eigentümer möglichst detailliert festlegen. Will der Erblasser die Unwägbarkeiten eines Nießbrauchs an seinem Einzelunternehmen vermeiden, wäre überlegenswert, das Unternehmen in eine GmbH umzuwandeln. Der Nießbrauch an GmbH-Anteilen ist weitestgehend unproblematisch (vgl. 3. Kap. Rn. 96 ff.).