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Die Entdeckung des Selbst

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von Anna Reeling

„Guten Tag und herzlich willkommen zu unserem heutigen Workshop ‘Einfach mal sagen, was man denkt - Neue Wege der Charakterbildung‘. Ich heiße Martin und werde in den kommenden Stunden gemeinsam mit Ihnen daran arbeiten, all die angestaute, unterdrückte Wut auf ihre Mitbürger, mit der Sie sich möglicherweise durch den Alltag schleppen, zu entfesseln und zielgerichtet auf eine andere Person zu fokussieren. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind und schlage vor, dass wir erst einmal eine kleine Vorstellungsrunde machen, damit wir uns alle ein wenig besser kennenlernen können. Wer möchte anfangen? Vielleicht gleich der Sitzriese hier vorn mit dem fleischigen Gesicht und dem ungepflegten Schnurrbart? Wie heißen Sie, mein Freund?“

Ich hatte gleich gewusst, dass dieser Workshop das hinterletzte sein würde, und meine Vermutung bestätigte sich in dem Moment, als dieser Lackaffe von Martin, der sich in den vergangenen 10 Minuten als äußerst unsympathischer, arroganter Moderator dieser Veranstaltung präsentiert hatte, nun tatsächlich die Frechheit besaß, mir nach dieser infamen Beleidigung das Mikro in die Wange zu drücken und mich mit fiesen, stechenden Schweinchenaugen anblinzelte. Von nahem konnte ich ganz deutlich sein aufgesetztes Grinsen betrachten, das sich durch die angestrengt zuckenden Mundwinkel verriet, und die Schweißperlen zählen, die aus allen Poren seines stark geschminkten Gesichts drangen.

„Thorsten“, muffelte ich ins Mikro, fest entschlossen, dem Affen keinen Zucker zu geben, indem ich mich von ihm provozieren ließ, denn ganz eindeutig war das seine Masche. Nein. Ich würde ruhig und gelassen bleiben, so wie immer. Auch wenn meine Frau auf genau diese Eigenschaft angespielt hatte, als sie mir zum Geburtstag die Teilnahme an diesem lächerlichen Seminar geschenkt hatte. Ich spürte bereits, wie ich wieder Kopfschmerzen bekam, wie so oft in letzter Zeit.

„Thorsten“, äffte mich Martin nach und schaute effekthaschend in die Runde. Die anderen Mitglieder des Kurses schauten betreten zu Boden und man konnte die Erleichterung geradezu greifen, die von Ihnen allen ausging, weil er sich mich, und nicht sie, als erstes Opfer ausgesucht hatte. „Nun, Thorsten“, der Lackaffe beugte sich zu mir runter. „Was hat Sie hergeführt? Magengeschwüre? Bluthochdruck? Wann haben Sie für sich entdeckt, dass das Schweigen und Schlucken von gesellschaftlich verpöhnten Erwiderungen sie krank macht?“

„Nun, Martin“, ich legte eine Kunstpause ein und taxierte ihn mit meinem Blick. „Um ehrlich zu sein, war es gar nicht meine Idee, hierher zu kommen. Ich glaub nicht so recht an diesen esoterischen Schnickschnack von wegen ‘emotionaler Ballast wirkt sich auf den Körper aus‘. Aber meine Frau hielt es wohl für angebracht, mich hier anzumelden.“

Das starre Lächeln von Martin verrutsche kurz für einige Millimeter, dann fing er sich wieder und lachte künstlich in sein Mikro. „Hahaha, nun, das war doch wenigstens ehrlich. Wir haben hier immer mal wieder einen Zaungast in den Workshops und ich bin mir ganz sicher, dass auch du, Thorsten, das ein oder andere wirst mitnehmen können.“ Er schluckte schwer. „Machen wir weiter. Wie wäre es mit Ihnen? Ja, die Dame mit der Dauerwelle, die aussieht wie ein Wattestäbchen?“

Das Wattestäbchen riss die Augen auf, stammelte ein paar erschrockene Laute vor sich hin und brach dann in Tränen aus.

„Leute, Leute“, Martin war es nun sichtlich unwohl in seiner Haut. „Versteht ihr denn nicht? Wenn ich euch dumm komme, ist das doch eure Chance, zu üben, das erste zu sagen, was euch in den Sinn kommt. Vergesst mal eure zarten Seelchen, eure Verletzlichkeiten und moralischen Grundeinstellungen. Lasst euren Gedanken freien Lauf und sprecht sie aus!“ Der Lackaffe hatte seine Faust in die Luft gereckt und die letzten Worte einzelnd und marktschreierisch in den Raum gerufen.

„Wissen Sie was, Martin?“ Die Gruppe schaute erschrocken auf, als ich mich erhob und auf den Lackaffen zuging. Ich weiß nicht, wer erstaunter war. Der aufgesetzte Moderator, oder ich, doch nun hatte ich begonnen zu sprechen und ein Teil von mir wappnete sich dafür, niemals wieder mit dem Sprechen aufzuhören.

„Ich frage mich ganz ehrlich, auf welchem Jahrmarkt Sie ihr Diplom geschossen haben. Was ist das hier denn für ne Kack-Veranstaltung. Glauben Sie etwa, sie helfen der armen Frau, indem Sie ihr sagen, was sie vermutlich schon immer befürchtet hat? Na und? Dann sieht sie halt aus wie ein Wattestäbchen, da kann sie doch nix für. Vielleicht sollten Sie mal tief in sich gehen und in ihrer verdorbenen, verkorksten Seele nach einem Funken Empathie suchen, denn das ist es doch, was in unserer Gesellschaft fehlt! Nicht der Mut, sich Gemeinheiten an den Kopf zu schleudern, sondern sich in den anderen hineinzuversetzen und nach Mitgefühl zu suchen. Herrgott, wie Sie mir auf die Nerven gehen mit ihrem aufgesetzten Getue. Ihr starres Lächeln können Sie sich von mir aus sonstwo hinschieben, das macht ihre Beleidigungen nicht weniger schmerzhaft.“ Ich holte tief Luft. „Ich glaube nicht, dass ich von Ihnen irgendetwas lernen kann. Guten Tag“

Mit zitternden Beinen drehte ich mich um und verließ unter verhaltenem Gemurmel und vereinzeltem Applaus den Raum. Der Lackaffe war rot geworden wie Klatschmohn und stand wie vom Donner gerührt zwischen den Teilnehmern. Dämlicher Fatzke. Was für eine Zeitverschwendung dieses Seminar gewesen war. Lustigerweise waren meine Kopfschmerzen schlagartig verschwunden, als ich einen Fuß ins Freie setzte.

Reizworte: Charakterbildung, Wattestäbchen, Sitzriese, Schnick Schnack, Zaungast

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