Читать книгу Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner - Страница 5

Der Zwerg

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Da lag er nun schon seit einigen Stunden. Harter Stein drückte sich gegen seinen verkrampfenden Rücken. Die lodernde Wut hatte er schon vor Ewigkeiten vergessen – so kam es ihm zumindest vor. Mehr als die Riemen, die ihn an diese Steinplatte fesselten, war es sein tiefer Groll, den er gegen sich selbst hegte, der ihn schmerzte. Diese Qual ließ ihn verhärten, sodass er der Platte in nichts nachstand.

Doch etwas war seltsam. Noch darüber verwundert, warum er am Leben war, fragte er sich, warum sie ihm nicht mehr Aufmerk­samkeit schenkten.

Nicht, dass es seine Art war, aber langsam wurde er unruhig. Ohne es zeigen zu wollen, ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten – soweit wie die unnachgiebigen Fesseln es ihm erlauben wollten. Doch außer nackten Wänden und ein paar Ölleuchten konnte er nichts erkennen. Was war eigentlich geschehen? Er konnte sich nur lückenhaft erinnern.

Zu fünft waren sie losgezogen – soviel wusste er noch. Auch dass sie den Wald erkunden wollten, entsann er sich. Er konnte sich an einen heftigen Knall erinnern. Ganz so, als wäre ein hoher Tunnel eingestürzt, nur, dass dieser Lärm von oben kam. Deshalb hatten sie ihre Gänge verlassen. Doch ab dem Moment, da sie den Wald betreten hatten, erschien ihm alles wie ein Traum. Leicht dunstig, und wenn er nach einem Detail greifen wollte, war es, als würde es unter seinen Fingern zu Wasser werden, und verrann bevor er es festhalten konnte. Es war Nacht gewesen, vereinzelte Sterne quälten sich müßig durch das dichte Blätterdach. Aber was war dann passiert?

Er versuchte sich zu beruhigen, um seinen Erinnerungen mehr Raum zu geben. Ein grelles Feuer erschien vor seinem geistigen Auge. Nur schwach drang der Lärm zu ihm durch. Er hörte Schreie. Und Schritte. Hastige, kurze Schritte. Sie liefen, wieder Schreie, dann Stille.

Eine traurige Gewissheit sagte ihm, dass seine Freunde tot waren. Er verfluchte sich, dass er so feige weggelaufen war. Er hätte kämpfen sollen. Besser zu sterben, als nun hier zu liegen und der Ungnade seiner Peiniger ausgeliefert zu sein. Hätten sie ihn doch nur getötet! Denn auch so würde er sterben, nur viel langsamer, dessen war er sich sicher. Aber er würde ihnen nichts verraten – das schwor er sich. Seinen Körper musste er ihnen aus­liefern, aber seinen Willen würden sie nicht brechen. Den wollte er mit in sein wohl schon geöffnetes Grab nehmen. So hoffte er zumindest, denn nun, da er darüber nachdachte – und er hatte viel Zeit zum Nachdenken – sorgte ihn die Vorstellung, sie könnten ihn einfach verbrennen. Diesen Heiden traute er alles zu. Aber er wollte wieder unter die Erde. In den Schoß der geliebten Mutter seines Volkes.

Ob er sie wohl fragen könnte, dass er es selbst ausschaufelte, wenn sie es nicht machten? Er lachte über seinen Gedanken und irgendwie schenkte ihm dieser neuen Mut. Den würde er auch brauchen. Das würde ein langer Tag werden. Der letzte Tag, so hoffte er zumindest, denn er wusste nur zu gut, wie lange ein leidender Körper am Leben gehalten werden konnte. Doch wenn seine Lippen sich öffnen würden, so sollten sie nur Flüche in diesen Steinsarg entlassen. Mit angewidertem Blick betrachtete er die stümperhafte Errichtung dieser Grotte. Mehr als ein Loch war es nicht. Es war nicht zu vergleichen mit den Hallen seines Volkes. Diese Gruft besaß keine Seele. Welch Frevel diese Menschen doch begingen. Dieser Anblick beleidigte ihn fast mehr als die Fesseln, die seinen Körper umschlangen.

Doch immer noch waren seine Peiniger nicht zurückgekehrt. Mit einem staubigen Sack auf dem Kopf hatten sie ihn herunter­getragen. Das war seine erste Erinnerung, die er nach dem Vorfall im Wald besaß. Er versuchte seine Sinne zu schärfen und sich an jedes Detail zu erinnern. Sie legten ihn auf dieser Platte ab, ohne zu bemerken, dass er zu sich gekommen war. Er ließ die Augen geschlossen, als sie ihm den Sack vom Kopf zogen. Erst einmal musste er zu sich finden. Seine Sinne waren trüb und sein Kopf schmerzte. Verwundert spürte er, wie seine Lippen benässt wurden und er musste sich überwinden, nicht zu schlucken und nicht gierig nach mehr zu verlangen. Dabei hatte er irrsinnigen Durst und spürte eine Leere in seinem Magen, als hätte er seit Tagen nichts Festes zu sich genommen. Er überlegte sich, welche Lügen er ihnen verkaufen konnte. Auf keinen Fall durfte er sich in Widersprüche verrennen. Irgendwie musste er sie in die Irre leiten – selbst wenn er nicht hoffen konnte, hier lebend hinaus zu kommen. Aber diese Freude würde er sich nicht nehmen lassen. Er war schließlich ein großer Krieger seines Volkes. Umso mehr schmerzte die Schande, dass er weggelaufen war. Aber gegen einen Magier konnte er nichts ausrichten. Und es waren so viele gewesen. Immer mehr Bilder stiegen in ihm auf. Ganze Reihen von langen Männern, gehüllt in noch längere dunkle Mäntel, waren zwischen den Bäumen aufgetaucht. Wie von einem Donner heraufbeschworen. Gesehen hatten seine Freunde und er diese Gestalten erst, als ein explodierendes Feuer die Nacht zum Tage werden ließ. Grimmige Schatten hatten diese Kreaturen umspielt, so finster, dass nicht einmal die Sterne sie beleuchten wollten. Augenblicklich war klar gewesen, dass sie verloren waren. Die Schreie waren unnötig gewesen, denn der Tod hatte sie allesamt gepackt. Nur mit ihm spielte dieser noch sein grausames Spiel. Als Belohnung für sein schnelles Laufen.

Jene Nacht war zu viel für ihn gewesen. Fast schon war er dankbar dafür, dass die Folterknechte ihn warten ließen. Sie wollten ihn brechen, das wusste er. Die steinigen Wände sollten sich auf ihn stürzen. Ach, diese Narren, er war ein Kind der Mutter Erde und selbst der härteste Stein konnte ihn mit seinem Anmut verzaubern. Auch die harte Platte, auf der er lag, störte ihn wenig. Oft schon hatte er die Nächte auf einem solchen Bett zugebracht, wenn die Eile es ihm verbot seine Zeit damit zuzubringen, ein Lager aufzuschlagen.

Wenn er so darüber nachdachte, so war er doch kein Feigling. Er stellte sich seinem Schicksal, wie man es von einem Zwerg erwarten durfte. Der Tod sah ihm in die Augen und er musste nicht einmal blinzeln.

Ein leichtes Schmunzeln glitt ihm über seine rauen Lippen, so schwach, dass die Leuchten es mit ihren schwachen Licht verborgen hielten.

Aus der Ferne hörte er Schritte und seine Miene wurde so hart, wie die Platte unter ihm. Der Stein der Treppen und die felsigen Wände verrieten den Ankömmling lange bevor dieser in der Nähe der kleinen Kammer angelangt war. Der Fremde kam allein, soviel konnte Almar deutlich heraushören. Zulange hatte er unter der Erde gelebt, um sich von den widerhallenden Geräuschen täuschen zu lassen. Auch schien es ihm, als wirkten die Schritte desjenigen, der nun kommen sollte, etwas unbeholfen. Seine Füße schlürften in unregelmäßiger Folge über den steinernen Boden.

Die Treppe lag hinter ihm, sodass Almar sie nicht erblicken konnte. Allein sein Gehör leistete ihm die Dienste, die er benötigte. Mutter Natur verriet ihm alles, was er nicht sehen konnte. Er verstand die Stimme der Steine so deutlich, als würde er sich in mit jemandem unterhalten. Jeder seines Volkes vermochte dies. Es lag daran, wie sehr sie mit der Erde verbunden waren. Sie respektierten sie und lernten von ihr. Als Lohn verriet sie ihnen all ihre Geheimnisse. Seine Muskeln begannen sich leicht zu verkrampfen, so als wüsste sein Körper von den Schmerzen, die ihm zugefügt würden.

Almar merkte, wie ein schwacher Lichtschein die Schatten auf der vor ihm liegenden Wand verjagen wollte. Der Fremde war da. Er konnte dessen Schritte vernehmen, ohne dass die Wände der Treppe sie noch zu ihm hintragen mussten. Aber dann blieb der Ankömmling stehen. Die Schritte verhallten. Einzig das Licht bewegte sich in dem leichten Luftzug, der es bis in diese Tiefe schaffte.

Schließlich ging der Fremde weiter. Seine Gangart war nun zögerlicher. Das leicht Unbeholfene in seinen Bewegungen war verschwunden. Stattdessen klang es als würde er sich jeden Schritt genau überlegen.

Almar blieb reglos liegen. Seine wachsende Ungeduld wollte er dem Fremden nicht zeigen. Das verbot ihm sein Stolz, und den wollte er sich nicht nehmen lassen, nun, da es um sein Leben bald geschehen sein würde. Der Fremde näherte sich ihm nicht und so konnte er diesen nicht erblicken. Merkwürdiger noch als der Klang der zögernden und doch plump lauten Schritte, war, dass ein Gefühl von Angst den Raum ergriff. Der Zwerg, auch wenn dem Tod nahe, wusste, dass es nicht von ihm stammte.

Zögernd nahm der Ankömmling hinten in einer Ecke Platz. Ein leises Rascheln war zu hören, so als würde ein großes Tuch von etwas heruntergezogen. Wohl die Folterinstrumente, die sorgsam vor dem Staub geschützt waren, dachte der Zwerg. Innig hoffte er, dass der ängstliche Mann sein Handwerk nicht verstand und er so einen schnellen Tod finden konnte. Das war alles, was er noch hoffte. Für viel mehr Hoffnung war in dieser Grotte ohnehin kein Platz und auch seine Riemen, die er straff um seinen Leib trug, wollten ihm nicht viel von diesem flüchtigen Gefühl gestatten.

Nur zu deutlich konnte er hören, wie die Werkzeuge des Mannes über den Tisch gescharrt wurden. Almar verfolgte gebannt die Geräusche. Er wagte es nicht, sich zu rühren und so konnte er nicht sehen, was der Fremde machte, aber er wirkte ordentlicher, als Almar gehofft hatte. Der Mensch bereitete alles vor, und Almar presste vorsichtshalber die Zähne zusammen. Er durfte dem Schmerz nicht erliegen. Er wusste zu viel, was die Menschen niemals in Erfahrung bringen durften. Sein tiefer Groll gegen die Menschen schenkte ihm die nötige Kraft, denn er wusste nur zu gut, was diese Hochgewachsenen seinem Volk angetan hatten. Zumal in letzter Zeit hatten die Grauen zugenommen. Schon seit Jahren wagte sich in manchen Gegenden kein Zwerg mehr an die Oberfläche, wenn es nicht sein musste.

Doch er gehörte zu den Soldaten seines Volkes und als Spion hatte er viel Nützliches zu seiner Königin unter Tage gebracht. Lange würden sich die Zwerge nicht mehr von den Überlangen auf den Kopf treten lassen.

Doch das würde er nicht mehr erleben können. Bald würde er seine Erlösung finden – so wagte er noch zu hoffen. Doch die ungeahnte Sorgfalt des Menschen an diesem untröstlichen Ort, bereitete ihm große Bedenken bezüglich seines baldigen Ablebens. Wenn der Mann ihm doch wenigsten Fragen stellen würde, dann könnte er versuchen, ihn hinters Licht zu führen. Ihm unnützes Wissen an den Kopf werfen, um so den Qualen nur kurz ausgesetzt zu sein. Doch der Mensch schien nicht zu beab­sich­tigen mit ihm zu reden. Nur um seine Werkzeuge kümmerte er sich und ließ diese unentschlossen hin- und hergleiten.

Dann aber wurde es still. Das war fast noch grausamer. Zu viele Gedanken breiteten sich im Kopf des Zwerges aus. Hatte der Mann so viele Foltermittel, dass er sich nicht für eines entschließen konnte? Grausame Vorstellung, und der Zwerg erwischte sich dabei, wie er kräftig schluckte.

Plötzlich ertönte ein Schlag. Ein Splitter flog durch den Raum. Wieder hielt der Mensch inne, als habe der schallende Lärm ihm selbst Angst bereitet. Almar hielt es nicht mehr aus. Was sollte das? Da nur er und der Mann in diesem Raum waren, wagte er es, seinen Kopf leicht anzuheben.

Der Mensch war eine recht dürre Gestalt, fast doppelt so groß wie er selbst. Einem kräftigen Schlag von ihm würde dieser nicht standhalten können, soviel stand fest. Zu dumm, dass er gefesselt war. Der Mann blickte nicht zu ihm hin, sondern betrachtete besorgt ein steinernes Objekt vor sich. Almar musste mit aller Kraft gegen die Fesseln ankämpfen, um sich überhaupt ausreichend erheben zu können, und so war er sich nicht sicher, was er dort sah. War es eine Statur? Zumindest wirkte es so und der Mann strich mit einer Hand über sie hinweg, als würde er einem Kind liebevoll über den Kopf streicheln.

Von Neuem erhob der Mann seinen Meißel und versuchte im schwachen Schein der Leuchten der Büste ein Lächeln aufzu­zwingen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Almars Körper gewöhnte sich an die Anstrengung und so konnte er das Gesicht der Statur ausmachen. Sie war recht gelungen, musste er gestehen und er merkte, dass ihm der Anblick für einen Augenblick sein eigenes trauriges Schicksal vergessen ließ. Es war ein Mädchen, noch jung an Jahren, doch tiefe Trauer lag in ihren Zügen. Obwohl aus Stein, schienen die Augen zu weinen.

Etwas Schweres lag in dem Ausdruck der Büste, etwas das nicht von dem Stein herrührte. Almar versuchte den Mann erneut einzuschätzen. Obwohl er dessen Gesicht nicht erkennen konnte, sah er, dass diesem die gleiche, tiefsitzende Schwere anhaftete. Als habe nicht einzig dessen Alter an dem gekrümmten Rücken gezogen. Almar empfand beinahe Mitleid für diesen Mann. Sollte er es wagen, ihn anzusprechen?

Sei kein Narr, ärgerte er sich im selben Augenblick über seinen irrsinnigen Gedanken. Er musste hart bleiben, nicht für sich, sondern für sein Volk. Eide hatte er geschworen – er, der sich in so vielen Gefechten bewiesen hatte – doch niemals hätte er gedacht, dass er sein Leben so sinnlos hergeben müsste.

Almar ließ sich erschöpft auf die Platte sinken, die Riemen waren doch stärker, als er es war.

Als würde er dem Zwerg sein Ende verkünden, schlug der Mann mit seinem Hammer auf den fein geführten Meißel ein. Nach jedem Schlag hielt der Mann inne, darüber verängstigt, wie viel Lärm er verursachte. Nur sein angespanntes Atmen war dann zu hören.

Armer Mann, dachte der Zwerg. Hier lag er, mit breiten Riemen gefesselt, maß selbst kaum mehr als die Hälfte des Mannes und doch fürchtete sich dieser Mensch vor ihm. Deshalb auch wandte sich Almar von dem Mann ab, leicht mitleidig und nicht minder angewidert. Nur der Stimme des Steines horchte er, ohne aber eine Regung von sich zu geben.

Wieder vergingen Ewigkeiten während einzig die Ausrufe des berstenden Steines die Stille durchbrachen. Wie eine träge Uhr kündete jeder Knall, Schlag um Schlag, von den letzten Stunden des Zwerges. Obschon der Mann hier weilte, bildete sich Almar nicht ein, dass sich auch nur das Geringste an seinem Schicksal ändern würde. Er war dazu verdammt hier unten seine letzte Reise anzutreten, und seine Geheimnisse würde er mitnehmen. Dieser unzerbrechliche letzte Wille versteinerte von Neuem seine Miene. Er war ein Soldat, einer aus der Garde der Königin und allein seine Anwesenheit ließ einen Menschen verängstigt in eine Ecke kriechen. Ha, sollte der Tod nur kommen, er würde ihm mit Würde folgen.

Allmählich begann der Mensch sich von seinem erlittenen Schock zu erholen, oder zumindest bei seiner Arbeit den Zwerg zu vergessen. Seine Schläge wurden schwungvoller und seine Bemühungen diesem Stein seinen Willen einzumeißeln leiden­schaftlicher. Doch da mischten sich fremdartige, leise, aber doch störende Töne in die Musik der Arbeit des Mannes. Erneut waren es verhallende Schritte, die baldiges Eintreffen ankündigten. Der Mann bemerkte es zunächst nicht und ließ nichts von seinem neu erlangten Elan missen. Selbst als sich ein neues Lichtspiel an der Wand breitmachte, sah der Mann nicht von seiner Arbeit auf.

„Wie ich sehe, hast du Gesellschaft gefunden, verehrter Zwerg“, höhnte eine hohe, verächtliche Stimme von der Treppe her und die felsigen Wände waren begierig sie verzerrend zurück­zuwerfen. In einiger Entfernung folgten zwei Soldaten lärmend herab.

Wenigsten waren seine pochenden Kopfschmerzen abge­klung­en, denn diese Stimme war so schon schwer genug zu ertragen.

Der alte Mann hielt erschrocken inne. Der Zwerg aber ließ kein Zucken über sein Gesicht fahren.

Für den Handwerker interessierte sich der Ankömmling jedoch nur geringfügig. Ohne eine Begrüßung ließ er diesen vor dessen Büste unbeholfen und mehr als nur wenig verunsichert verharren.

Der Zwerg spannte seine Muskeln, während er die sich nähern­den Schritte des Störenfrieds vernahm.

„Du wirst sicher nicht mit mir reden wollen?“, fragte der bleiche Ankömmling mit einem beinahe liebevollen Ton, der dem Zwerg das Gefühl gab, er müsse sich übergeben.

„Schade, und dabei bin ich doch froh solch hohen Besuch in dieser schlichten Halle empfangen zu dürfen“, fuhr die hagere Gestalt ihren Monolog fort. „Nicht wahr? Das bist du doch. Herr Almar, Wächter über die Hallen der Herrin der Welt der Regenwürmer.“ Der Mann lachte. Nicht nur dem verängstigten Steinmetz lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Dieses Lachen hatte nichts Menschliches an sich. Nicht, dass einen Zwerg so etwas stören sollte, und dennoch tat es dies. Es drang tiefer als jedes Messer und griff mit kalten Fingern nach dem Herzen. Es ließ ihn erahnen auf welch finsteren Pfaden er seinen Weg ins Totenreich beschreiten würde. Fast schon betete der Zwerg zur Mutter Erde, dass der Handwerker ihn foltern sollte. Denn so wenig er über diesen Neuankömmling wusste, eines war er sich sicher – dieser verstand sein grausames Handwerk.

So leicht, wie er es sich in den letzten Stunden vorgestellt hatte, würde er diesen Mann nicht hinters Licht führen können. Woher wusste dieser das alles? Keiner hatte seinen Namen erwähnt, dessen war er sich sicher. Nur an wortlose Schreie der Wut konnte er sich erinnern. Angst beschlich Almar, nicht wegen der Messer, sondern wegen des Wissens dieses Mannes.

„Du wunderst dich sicher, warum du hier bist“, fuhr der Mann mit einer Gleichgültigkeit fort, die allein schon furchterregend war. „Nun, nenn es Zufall. Einer meiner Schüler wollte meine Gunst gewinnen. Dachte du wärest nützlich – doch da hat er sich geirrt.“

Die dürre Gestalt in ihrem dunkelblauen langen Umhang schritt gemächlich um die steinerne Platte, auf der der Zwerg wie auf einer Totenbarre lag. Mit vorgetäuschtem Interesse fuhr er mit seiner leichenblassen Hand über den muskulösen Körper des Gefesselten. Dieser jedoch gab keine Regung von sich. Er würdigte seinen Peiniger mit keinem Blick. Ein solches Gesicht musste man nicht gesehen haben, soviel stand fest. Jemand, der eine solch unnatürliche Stimme, die seine nannte, konnte nicht von Schönheit gesegnet sein.

„Wie du dir nun sicher einredest, mir nichts zu verraten.“ Der Wortführende zwang sich zu einem mitleidigen Lachen. „Aber alles unnötig. Selbst dein Tod. Nicht einmal einen ehrenhaften Tod wirst du erleiden. Denn ich weiß bereits mehr als selbst du. Aber ...“, er hielt kurz inne, wobei er seine kalten Finger auf der Schulter des Zwerges ruhen ließ. „... ich will kein Unmensch sein.“ Ein markerschütterndes dünnes Lachen ertönte aus seiner Kehle. „Wenn du mich um einen schnellen Tod bittest, so werde ich ihn dir gewähren.“ Er beugte seinen Kopf über jenen des Zwerges um sein Gesicht zu so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln zu verzerren. „Nur ein Wort und du kannst deinem Volk in die Welt der Toten vorausschreiten.“ Er fuhr über die Stirn des Zwerges. „Du wirst nicht lange auf sie warten müssen – dafür werde ich sorgen.“

Kein Zucken verriet, dass der Zwerg überhaupt am Leben war.

Der blasse Mann ließ einige Male seine Hand auf der Brust des Zwerges hüpfen, bevor er sich mit enttäuschtem Kopfschütteln abwandte.

„Schade, ich hätte mich dir gerne gnädig gezeigt“, meinte er mit einem kalten Lachen.

Der Mann ging mit leichten Schritten zur Treppe hin, bevor er abermals innehielt.

„Tibur würde es dir etwas ausmachen mir eine Statur von ihm in Lebensgröße anzufertigen? Ich werde beim Stadthalter auch ein gutes Wort für dich einlegen.“ Er wartete auf keine Antwort und betrat die Treppe. Der Handwerker nickte stumm, verängstigt nun doch vom Magiermeister des Zirkels der Acht wahrgenommen worden zu sein. Es war das dritte Mal, dass er ihm persönlich begegnet und mit keinem dieser Tag verband er angenehme Erinnerungen.

„Bringt beide in das Verlies und besorgt ihm einen ausreichend großen Stein“, meinte er zu den beiden Wachen, die ihn herunter begleitet hatten.

Als diese auf den Zwerg zugingen, hallte eine sich entfernende Stimme die Treppe hinunter.

„Nur weil die Zwerge bald alle Geschichte sind, heißt es ja nicht, dass sich keiner erinnern soll, dass es sie einst gab.“ Während die Schritte leiser wurden, drang ein letztes finsteres Lachen bis zu den übrig Gebliebenen herunter.

Im Schatten der Dämmerung

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