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Geburtstag

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Obwohl Lenzendorf etwas außerhalb der kleinen Stadt Bad Langenhagen wohnte, fuhr er die gerade mal sieben Kilometer mit dem Fahrrad zur Schule. Jeden Morgen. Bei fast jedem Wetter. Das große Haus stand am Waldrand, es gehörte zu einem kleinen Hof mit Scheune und einem Stall. Die Strecke nach Bad Langenhagen führte ihn durch den Wald, am See vorbei und ein Stück auf dem Radweg an der Landstraße entlang, bis er in die Stadt kam und die Schule erreichte. Er hatte keine Eile, weil er den Tag immer sehr früh begann. Er fuhr nicht den direkten, kürzesten Weg, sondern den Weg, der am schönsten war. Es war ein Teil seiner Laufstrecke, der Wald und der See. Im Frühling war dieser Weg besonders schön. Zu seiner Lebensphilosophie gehörte: Bewegung. Täglich. Alles andere ergab sich daraus.

Er seufzte.

Ausdauer und Disziplin, Wille und Ruhe, sagte er sich.

Das eigene Auto nutzte Lenzendorf nur zum Einkaufen oder für seine Unternehmungen oder wenn er etwas zu entsorgen hatte an den Wochenenden oder in den Ferien. Viel war es nie, das zu entsorgen war, aber gelegentlich war es doch notwendig. Er hatte einen VW Passat Kombi, obwohl er keine Kinder hatte und Mae-Ying nur gelegentlich mitfuhr. Platz brauchte er trotzdem. Für seine Einkäufe und Unternehmungen.

Lenzendorf unterrichtete Mathematik, Deutsch und Sport an dem einzigen Gymnasium der Stadt, dem Alfred-Winkler-Gymnasium. Er war gern Lehrer. Er war sogar sehr gern Lehrer. Er hatte das Gefühl, den Jugendlichen etwas mitgeben zu können, aber je länger er in diesem Beruf arbeitete, desto größer wurde das Elend um ihn herum. Und das betraf nicht nur die Kinder und Jugendlichen in der Schule und in der Stadt. Ausnahmen gab es natürlich immer. Aber würde das reichen? Würden die Ausnahmen reichen? Würden die Ausnahmen das Elend abwenden können?

Er schüttelte den Kopf.

Das größte Problem war die Bewegung oder besser, die mangelnde Bewegung der Heranwachsenden.

Für die meisten dieser Jugendlichen war Bewegung reduziert auf die Bewegung ihres Daumens, um die Tasten und Apps ihrer Smartphones zu drücken und zu berühren ... oder mit den Fingern drüber zu streichen. Sie hatten vermutlich mehr Gefühl in ihren Daumen als in ihrem Penis oder in ihrer Vagina. Und sie hatten wohl auch ihr Smartphone öfter in der Hand als ihren Schwanz oder ihre Finger an den Display als in ihren Mösen ... wobei sie die ja nicht in die Hand nahmen, sondern berührten oder etwas reinsteckten ... wenn sie es denn auch wirklich taten ... ihre Smartphones vielleicht?!

Lenzendorf lachte.

Er war sehr gern Sportlehrer, aber die Bewegungslosigkeit der Jugendlichen wurde zunehmend zu einem Elend, auch wenn sie meinten, in der Welt zuhause zu sein. Auch wenn sie meinten die Welt in den Händen zu halten. Die große Welt in ihren kleinen Händen.

Und das war nicht ihr Schwanz!

Nein, ihr Schwanz war nicht die Welt. Auch ihre Mösen nicht. Nein, ihre Welt war zu einem leuchtenden Display geschrumpft, auf dem sie sich Schwänze und Mösen anschauten. Das war ihre Realität geworden.

Die meisten Menschen um ihn herum, zumindest der Großteil derer, die die Zukunft waren, also, besonders die Kinder und Jugendlichen, aber auch sehr viele Erwachsene schienen unter einem suggerierten und deswegen permanenten Mangel zu leiden.

Jeder wollte und musste immer und aktuell, cool, hipp, trendy und auf dem neusten Stand der Dinge und der Technik sein. Wer das nicht schaffte, der litt unter Mangel. Alles war im Fluss und in Bewegung, alles ging schnell und es gab keinen Stillstand, kein Durchatmen ... Wer stehen blieb, war out ... und spürte diesen nagenden Mangel ...

Dem Mangel konnte nur durch Konsum entgegengewirkt werden ... Konsumieren bedeutete kaufen und haben müssen, aber auch einzuwerfen und durchzuziehen ... um teilnehmen zu können ... das Konsumieren selbst war zur Droge geworden.

Ich konsumiere, also bin ich ...

Lenzendorf schüttelte sich.

In zwei Tagen, am Freitag, hatte er Geburtstag. Er wurde fünfundvierzig Jahre alt. Und er würde sich selbst das schönste Geschenk machen ... er wusste selbst am besten, was ihm gefiel und was ihm Freude machte. Deswegen die Anspannung.

Lenzendorf lächelte.

Er liebte diese Anspannung vor einem dieser besonderen Tage. Nicht nur, weil er Geburtstag hatte. An diesem Freitag war es wieder einmal soweit ... weil es sein Geburtstag war, einmal im Jahr ...

Er trat fester in die Pedale und genoss die frische Morgenluft des Frühlings. Er atmete tief ein. Und spürte das Leben in sich.

Er liebte das Leben, das er führte, er liebte das Leben so, wie er es sich eingerichtet hatte ... und niemand, niemand und nichts würde ihn daran hindern es so zu leben wie er es wollte ... oder einschränken ... niemand! Niemand würde ihn einschränken oder beschränken ... nichts und niemand ...

Lenzendorfs Komfortzone

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