Читать книгу Lenzendorfs Komfortzone - Marc Rosenberg - Страница 7
Zombies
ОглавлениеAls er die Schule gegen halb acht erreichte, der Unterricht begann um viertel vor acht, war er hellwach, weil er nicht gerade erst aus dem warmen Bett gefallen war ... weil er sich bereits intensiv bewegt hatte ... nicht nur körperlich ... nicht nur deswegen war er den anderen bereits weit voraus und ... überlegen ...
Er war wach.
Nicht so, wie die meisten seiner Kollegen, die müde aus ihren Autos stiegen und träge und mechanisch grüßten, oder wie die meisten Schüler, die mit dem Bus, zu Fuß, ebenfalls mit dem Fahrrad kamen oder von den Eltern mit dem Auto direkt vor die Tür der Schule gebracht wurden und noch halb schliefen, während sie über den Schulhof und durch die Flure schlurften und sich wie ferngesteuert bewegten (weil sie genau das auch waren: ferngesteuert!) und sich mechanisch auswichen, gelegentlich selbst das nicht schafften, weil sie sich nicht wahrnahmen, während sie auf die Displays ihrer Handys, nein ihrer Smartphones! starrten. Ja, telefonieren und simsen, das konnten sie auch im frühmorgendlichen Halbschlaf, ja, das konnten sie anscheinend immer. Und fluchen und beleidigen, das konnten sie auch. Es war ein modernes Neandertal mit modernen, technisch gerüsteten Neandertalern! Nur dass sie ihr Leben nicht instinktiv lebten, sondern sich ihr Leben durch ihre Smartphones vorschreiben ließen ... und nicht mehr auf den Bäumen wohnten. Der einzige Unterschied zwischen Affen und ihnen? Die Banane.
Es war ein Elend.
Aber es war auch nur folgerichtig.
Er stellte sein Fahrrad ab, sicherte es mit einer Kette mit einem Zahlenschloss, betrat das Gebäude durch einen Seiteneingang und ging schnell, aber nicht hastig über den Flur zu dem Klassenraum, in dem er in den ersten beiden Stunden Deutsch unterrichten würde.
Keiner der Schüler, denen er begegnete, grüßte ihn. Sie waren mit sich selbst beschäftigt, noch nicht richtig wach oder folgten den Worten, die auf dem Display erschienen oder hörten auf die Stimmen, die ihnen irgendetwas durch die Ohrstöpsel in ihre Ohren säuselte ... Musik oder ... Anweisungen ...
Wie Zombies!, dachte Lenzendorf. Obwohl Zombies ja keine Anweisungen mehr entgegen nahmen. Diese folgten nur noch einem einzigen niederen Instinkt.
Doch die meisten Menschen in diesem Gebäude bewegten sich so. Meistens. Und waren geistig auch auf dem Niveau von Zombies. Wie die Zombies in dieser Serie. Er schaute nicht sehr viel fern. Aber gelegentlich fand sich im Fernsehprogramm doch das eine oder andere Sehenswerte: Dokumentationen und historische und kulturelle Sendungen und jetzt diese Serie über den Untergang der sozialen menschlichen Gesellschaft und Kultur durch eine Seuche, die die Menschen in Untote verwandelt, in Zombies. Aber wenn er sich morgens so umschaute, dann sah er bereits jetzt und hier, ohne Seuche, ohne Virus, herumstreunende Untote, eben Zombies! Und er, Lenzendorf befand sich unter ihnen und wollte nicht erkannt werden. Sonst würden sie ihn beißen, infizieren und auffressen oder einer von ihnen werden. Nein. Er wollte am Leben bleiben und deswegen durfte er nicht weiter auffallen. Aber nicht deswegen hatte auch er ein Smartphone, nicht deswegen ...
Er bewegte sich vorsichtig und vor allem unauffällig. Er tat so, als gehörte er dazu ... ging unter im Strom der Masse ... er tat so als wäre er einer von ihnen und war doch ein anderer ... Lenzendorf.
Lenzendorf, sagte er sich, das ist ein anderer ...
... und er fragte sich wieder einmal, was wohl geschehen würde, wenn er diesen Zombies alles wegnehmen würde, womit sie sich von sich selbst ablenkten? Computer, Smartphones, Internet, Filme, Chats ... und so weiter ... was würde bleiben?
Eine leere Hülle, dachte Lenzendorf.
Die hatte er ohnehin vor sich, leere Hüllen ...
Er schüttelte den Kopf.
Nichts, dachte er, nichts würde bleiben und das ist noch zu viel.