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EIN
STEIN
DER
HOFFNUNG KAPITEL 3

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Wir sollten jetzt endlich Howlin’ Wolf auf die Bühne holen«, verlangt ein grinsender Brian Jones und macht den Weg frei. Wir sehen eine Folge der amerikanischen Musiksendung Shindig aus dem Jahr 1964. Ein paar Augenblicke später tritt Howlin’ Wolf ins Rampenlicht, der hochgewachsene Bluessänger mit der einzigartigen Reibeisenstimme. Der Vierundfünfzigjährige war nicht gerade einer der typischen Gäste dieser TV-Sendung für Teenager, doch die Rolling Stones, die ältere afroamerikanische Bluesmusiker wie Howlin’ Wolf und Muddy Waters einem breiten Publikum bekannt gemacht hatten, fungierten auch in diesem Umfeld wie Mäzene, die jede sich bietende Gelegenheit wahrnahmen, den jungen Leuten die Musiker vorzustellen, die sie zu ihrem eigenen Sound inspiriert hatten. Die Beweggründe dafür hatten weniger mit dem Vergnügen daran, gönnerhaft aufzutreten, zu tun, als mit der nach wie vor großen Leidenschaft für den Blues. Sie waren Fans, keine Aktivisten, doch bei ihrem ersten Besuch in den USA bekamen sie schnell mit, wie viele Ungerechtigkeiten und Demütigungen ihre Helden seit jeher erdulden mussten – und zwar nicht nur in musikalischer und professioneller Hinsicht. Wenn sie noch einer zusätzlichen Motivation bedurft hätten, so war diese Erfahrung gewiss ein weiterer starker Impuls, um die Sounds aus dem Süden und den Straßen von Chicago ihren Fans nahezubringen. Die Stones hatten darauf bestanden, dass Howlin’ Wolf in die Sendung kommen durfte, und bei seinem Auftritt saßen sie geradezu ehrfürchtig zu seinen Füßen, während er in die Kamera sang.


© CBS Photo Archive/Getty Images

Mit Ed Sullivan in New York, 1966.

Schon bevor sie zum ersten Mal nach Übersee kamen, hatten die Stones die wichtigsten afroamerikanischen Musiker, die sie beeinflusst hatten, kennengelernt und mit ihnen gespielt. So waren sie beispielsweise mit dem Chess-Records-Star Bo Diddley auf Tour gegangen; aus Respekt vor ihm hatten sie zu diesem Anlass sogar rund ein halbes Dutzend Diddley-Coverversionen von ihrer Setlist gestrichen. Die Band fuhr voll ab auf den typischen Diddley-Beat, der einer der Eckpfeiler ihres frühen Sounds war. Außerdem waren die Stones mit Little Richard und den Everly Brothers auf Tour gewesen, Stars der 50er- und frühen 60er-Jahre, die bei den Jugendlichen inzwischen keine hysterischen Begeisterungsausbrüche mehr auslösten. 1964 befanden sich die Stones daher in einem sonderbaren Dilemma: Wie konnten sie mit dem überraschenden Erfolg ihrer so stark von anderen beeinflussten Musik umgehen, ohne ihre großen Idole zu verraten? »Es war das erste Mal, dass wir die Typen trafen, deren Musik wir die ganze Zeit spielten«, so Keith. Die Gefahr war groß, eine Peinlichkeit nach der anderen zu begehen. Die USA, die die Stones im Frühjahr 1964 zum ersten Mal besuchten, waren – um es mit den Worten Martin Luther Kings zu sagen – ein »Berg der Verzweiflung«. Der Civil Rights Act, der die augenfälligsten Formen der Rassen- und Geschlechterdiskriminierung für illegal erklärte und das allgemeine Wahlrecht für alle garantierte, sollte erst im kommenden Juli verabschiedet werden; in vielen Teilen des Landes änderte sich allerdings auch danach nicht viel. Schilder mit der Aufschrift »Nur für Weiße« hingen noch immer an Restaurants, Springbrunnen und öffentlichen Toiletten. Es gab weiterhin Lynchmorde und Kreuzverbrennungen. Ein Schwarzer riskierte immer noch sein Leben, wenn er einem Weißen direkt in die Augen sah oder ihm in irgendeiner Weise Kontra gab. Protestaktionen wie Demonstrationsmärsche und Streiks nahmen zu. Afroamerikaner – viele davon im selben Alter wie die jungen Stones-Fans – trotzten tapfer den Polizeihunden, die auf sie gehetzt, und den Wasserwerfern, die auf sie gerichtet wurden. Doch im Grunde war es immer noch eine Welt der Weißen; die Idee der Gleichberechtigung wurde nur sehr langsam gelebte Realität. Es stellte sich für die Stones die Frage, wie sie in Amerika Erfolg haben konnten, ohne selbst zu einem Teil des Problems zu werden und die schwierige Lage der Musiker, die sie verehrten, noch zu verschärfen?

Wie die Beatles zuvor im Februar, landeten die Rolling Stones im Juni 1964 auf dem John F. Kennedy Airport, wo sie von rund fünfhundert kreischenden Fans empfangen wurden. Wie die Beatles gaben auch sie direkt im Anschluss daran eine Pressekonferenz, bei der sie Fragen über ihre langen Haare (»Tragt ihr Jungs Perücken?«), ihren Einfluss auf die amerikanische Jugend und die Beatles, die Beatles und noch mal die Beatles (»Spielt ihr dieselbe Art von Musik?«) über sich ergehen lassen mussten. Und wie bei den Beatles verschaffte sich DJ Murray the K, der selbsternannte »fünfte Beatle«, Zugang zu ihrem engen Kreis. Als sie nach Manhattan kamen, mussten sie feststellen, dass das Astor Hotel am Times Square, wo Zimmer für sie gebucht waren, von etwa zweihundert kreischenden Fans belagert wurde. Am Abend feierte sie die New Yorker High Society. Die Stones tanzten in der Peppermint Lounge und schauten auf einer Party von Society-Lady und Warhol-Star »Baby« Jane Holzer vorbei. Die ganze Geschichte mit Holzer und den Stones dokumentierte der zunächst als Journalist gefeierte spätere Erfolgsautor Tom Wolfe in seiner Reportage »Girl of the Year«. Wolfe arbeitete wunderbar heraus, dass Mick Jagger damals nicht nur für die Rolling Stones zum Aushängeschild geworden war, sondern auch für schnellen, frechen und harten Sixties generell. »Warte, bis du die Stones gesehen hast«, wird Holzer zitiert. »Sie sind so sexy! Purer Sex. Sie sind göttlich! Die Beatles, na ja, du weißt schon, Paul McCartney – der süße Paul McCartney. Du weißt, was ich meine. Er ist so ein netter Kerl. Aber die Stones sind einfach hart. Sie kommen alle aus der Arbeiterschicht. Vom East End. Mick Jagger – nun, er ist einfach Mick. Weißt du, was man über seine Lippen sagt? Man sagt, seine Lippen seien teuflisch. Das stand in irgendeinem Magazin.«

Micks »teuflische« Lippen konnten die US-amerikanischen Fernsehzuschauer zum ersten Mal in der Les Crane Show bewundern. Die Sendung wurde allerdings ziemlich spät ausgestrahlt und der Auftritt konnte kaum mit dem der Beatles in der Ed Sullivan Show konkurrieren. In den darauffolgenden Wochen wurde den Stones erst richtig bewusst, wie riesig die Staaten waren und wie schwer sie sich erobern ließen. Auf die zunächst beschwingte Stimmung folgte rasch eine ziemlich bescheidene Erwartungshaltung. Zunächst flog die Band nach Los Angeles, wo sie – was die kulturellen Gegebenheiten anbelangte – ebenfalls weich landete. Auch LA war eine Showbusiness-Stadt, weit entfernt vom tiefen Süden. Doch ein Haufen weißer Kids, die versuchten, »schwarze Musik« zu spielen, war der alten Showbiz-Garde nicht gerade einfach zu verkaufen. Die Stones hatten das Pech, genau in jener Folge von Hollywood Palace aufzutreten – eine einstündige Unterhaltungssendung, die verschiedene Moderatoren im Wechsel präsentierten –, die Dean Martin moderierte. Wie seinem Freund Frank Sinatra waren auch Dean Martin die British-Invasion-Bands mit ihrem rüpelhaften Benehmen und den langen Haaren anfangs höchst suspekt. Anstatt sie als Botschafter des amerikanischen Entertainments willkommen zu heißen, macht sich der alternde und sich sichtlich herausgefordert fühlende Superstar in übler Rat-Pack-Manier (und manche sagen auch angetrunken) über sie lustig. »Ihre Haare sind gar nicht lang«, witzelte er, bevor er sie vorstellte. »Jetzt kommt was für die jungen Leute. Fünf Sängerknaben aus England, die eine Menge Albiums, äh, Alben verkauft haben.« Aus dem Publikum ist ein nervöses Lachen zu hören. Die Stones müssen hinter der Bühne ebenfalls lachen: über Dean Martins pomadisiertes Haar und seinen Smoking. In ihren Augen wirkte das Ganze ungemein surreal. »Sie nennen sich The Rolling Stones. Mich hat man auch schon gerollt, als ich stoned war. Hier sind sie nun.« Mick gibt mächtig Gas, als er »I Just Wanna Make Love to You« singt, während sich Brian an der Mundharmonika verausgabt und Keith mit mürrischem Blick umherstolziert und ziemlich wild auf seine Gitarre eindrischt.

»Die Rolling Stones! Sind sie nicht großartig?«, sagt Dean Martin am Ende des Songs, während er applaudiert. Gleichzeitig verdreht er die Augen und zeigt dem Publikum deutlich, wie genervt er ist. Die letzten sechzig Sekunden waren offenbar ganz und gar nicht nach seinem Geschmack. Die Stones setzen zu einer Verbeugung an, entscheiden sich dann aber dagegen. »Fick dich, Dean Martin«, scheinen ihre Blicke zu sagen. »Ich erkläre Ihnen jetzt mal, was es mit den Bands von heute auf sich hat«, fährt Dean Martin fort. »Sie haben lange Haare, meinen Sie? Das ist nicht wahr. Es ist eine optische Täuschung. Das liegt daran, dass ihre Stirn so niedrig ist und die Augenbrauen so weit oben sitzen.«

Für die Stones kam es kurz darauf sogar noch schlimmer. Die Shows in San Antonio, Detroit, Minneapolis, Omaha und West Virgina waren gerade mal zur Hälfte ausverkauft und der Band drohten wegen ihrer langen Haare und ihrer lauten, triebhaften »Negermusik« unentwegt Scherereien.

Erst während der zweitätigen Aufnahmesession bei Chess in Chicago stellte sich bei der Band wieder das Gefühl ein, dass ihre Träume gerade wahr wurden. Doch trotz aller Vorfreude kam es auch hier zu ein paar unangenehmen Begebenheiten. Obschon Chess Records den beiden jüdischen Brüdern Leonard und Philip Chess gehörte, zählten die Stones mit zu den ersten weißen Musikern, die dort Aufnahmen machten. »Wir arbeiteten eigentlich nicht mit Leuten zusammen, die bei anderen Plattenfirmen unter Vertrag standen«, erinnert sich Marshall Chess. »Das war eine absolute Ausnahme. Man musste bei Chess sein, um da aufnehmen zu können. Wir hatten unsere eigenen Tontechniker und wir nahmen nur unsere eigenen Leute auf.« Den Stones wurde dennoch Einlass gewährt in das Studio, in dem schon ihre großen Vorbilder Songs eingespielt hatten, und sie nahmen dort Tracks auf, die sie für authentische Chicagoer R’n’B-Nummern hielten. Zu den dort aufgenommen Songs gehört neben dem flotten Instrumentalstück »2120 South Michigan Avenue«, der Late-Night-Boogie-Woogie-Piano-Blues »Stewed and Keef« (eingespielt von Ian Stewart und Keith Richards), ein halllastiges »Reelin’ and Rockin’«, eine Country-Blues-Version von Muddy Waters’ »I Can’t Be Satisfied« und das wenig später als Hit einschlagende »Time Is on My Side«, eine Coverversion des Songs von Norman Meade, die auch auf einige Elemente der kurz zuvor von Irma Thomas gesungenen Version zurückgreift. Die ganze Zeit über verfolgten Chess-Angestellte, Musiker und andere Leuten interessiert, was die Jungs so trieben. »Sie waren Weiße, sie waren jung und sie sahen seltsam aus«, so Marshall Chess. »Sie tranken Whiskey aus der Flasche. So etwas hatte es zuvor im Studio noch nicht gegeben. Bluesmusiker tranken immer aus dem Glas.« Während ihrer Stippvisite bei Chess lernten die Stones Buddy Guy, Willie Dixon und Chuck Berry kennen. Von Letzterem stammte »Come On«, der Song von ihrer Debütsingle. Berry begegnete ihnen wohlwollend, war jedoch kurz angebunden und wirkte etwas distanziert; er ermunterte sie »weiterzuswingen«.

Muddy Waters habe bei Chess gerade die Decken gestrichen, als die Stones ihn dort trafen, berichtete Keith. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist umstritten, jedoch lässt sich nicht bestreiten, dass bedeutende Musiker wie Muddy Waters nebenbei auch niedere Arbeiten verrichten mussten, um finanziell irgendwie über die Runden zu kommen, weil sie eben nicht dieselben Möglichkeiten hatten wie weiße Rock’n’Roller. Das Idol für einen jungen Fan zu sein war für Schwarze damals eine Sache, der Kampf, den sie nicht nur finanziell auszutragen hatten, sondern auch auf künstlerischer Ebene – etwa um sich so viel Anerkennung zu verdienen, dass sie durch Europa touren konnten –, eine ganz andere. Dank ihrer frühen Lehrjahre im Ealing Club und in der Edith-Grove-WG konnten sich die Stones wenigstens vorstellen, was es bedeutete, hungrig zu sein, um der Musik willen Verzicht leisten zu müssen, und aufgrund der Begeisterung für den vermeintlich geistlosen Rock’n’Roll mit Geringschätzung bestraft zu werden. In den Straßen von Chicago wurden sie allein aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung beurteilt. »Bei Chess hatte noch nie jemand Kerle mit langen Haaren gesehen, und in der Stadt kannten das wohl auch nur die Allerwenigsten«, sagte Chess. »Am Abend nach der Session chauffierte ich Brian Jones ins Hotel zurück und die Leute auf der Straße schrien hinter uns her: ›Hey, Schwulis!‹ Weil er so lange Haare hatte, dachten sie, wir seien ein Paar.« Vor dem Hintergrund jahrzehntelang institutionalisierter und im Amerika des Jahres 1964 nur langsam zurückgehender Diskriminierung war das freilich kaum mehr als eine Bagatelle.

Gegen Ende ihrer zweiten Amerika-Tour im Herbst desselben Jahres mussten sich die Stones ihrer in dieser Hinsicht womöglich größten moralischen Herausforderung stellen: Wie sollten sie reagieren, wenn durch das, was einem ihrer Idole widerfuhr, das Thema Gleichberechtigung als ganz persönliche Angelegenheit aufs Tapet kommen sollte?

Ort der Handlung war wieder einmal das südliche Kalifornien: das Santa Monica Civic Center, eine direkt am Meer gelegene dreitausend Zuschauer fassende Mehrzweckhalle. Der Anlass: die Aufzeichnung der T.A.M.I. ( Teen Awards Music International) Show; am Ende sollte ein Konzertfilm mit verschiedenen Interpreten stehen, ähnlich dem Dokumentarfilm Jazz on a Summer’s Day, den die Stones so liebten. Das Idol war, wie konnte es anders sein, James Brown. Noch nannte man ihn nicht »Godfather of Soul« oder »Hardest Working Man in Show Business«, doch unter Schwarzen war er schon ein ebenso großer Star wie es die Stones für weiße Teenager waren. Zusammen mit den Stones war Brown der Hauptact einer beachtlichen Veranstaltung mit etlichen Stars, schwarzen wie weißen, die Rock-, Pop- und Soulmusik machten. Für Mick sollte es nicht das letzte Mal sein, dass er sich in Anbetracht der Musik, die er liebte, mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen musste. Auch fünfundzwanzig Jahre später, 1989, waren noch alle Blicke auf ihn gerichtet, als es wieder einmal hoch herging, aber hier wurde er als junger Kerl von einundzwanzig Jahren erstmals dazu genötigt, öffentlich zu der Frage Stellung zu beziehen, ob ein Schwarzer und ein Weißer tatsächlich gleichberechtigt miteinander konkurrieren können. Denn sollten die Stones wirklich der Meinung sein, dass James Brown keine andere Behandlung verdiene als sie selbst oder eine andere Band gleich welcher Herkunft, dann mussten sie sich voll und ganz darauf konzentrieren »Mr. Star Time« an die Wand zu spielen – zum Wohle der Menschheit.


© William Lovelace/Hulton Archive/Getty Images

Die Stones touren 1964 zum ersten Mal durch die USA. In den Straßen von New York hält ein Polizist neugierige Passanten auf Abstand. V. l. n. r.: Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Charlie Watts und Bill Wyman.

Es gab keine speziellen Garderoben im Backstagebereich des Civic Centers, nur einen großen Gemeinschaftsraum. Mick saß auf einem Klappstuhl und starrte auf seine Schuhe. Dumpf klang die Stimme irgendeines Roadies herüber, der einem Kollegen etwas zurief. Dies und die disharmonischen Klänge einer Big Band, die gerade ihre Instrumente stimmte, zerrten ungeheuer an Micks ohnehin schon angespannten Nerven. Es klopfte an der Tür. Mick zuckte zusammen. Er öffnete und war völlig verdattert, als er erkannte, dass Marvin Gaye ihm gegenüberstand. Der etwa fünf Jahre ältere Sänger sah blendend aus in seinem dunklen Anzug. Wie alle anderen Motown-Stars, die an der Veranstaltung teilnahmen – darunter die Supremes und Smokey Robinson – begrüßte er die Band herzlich. Alle brachten zum Ausdruck, dass ihnen das Auftreten und der Sound der Stones gefielen. Die Engländer wiederum konnten die Komplimente, die ihnen gemacht wurden, nur erwidern und ließen alle wissen, dass sie während ihrer US-Tour fast ausschließlich Mowtown-Songs hörten, die zu jener Zeit ohnehin von allen Radiosendern rauf- und runtergespielt wurden. »Macht euch keine Gedanken wegen James Brown«, sagte Gaye, während er sich bückte, um Mick Mut zuzusprechen. »Die Leute lieben euch für das, was ihr auf der Bühne macht.« Auch Gaye war damals noch nicht die Ikone der amerikanischen Soulmusik, als die er heute angesehen wird. Wie Diana Ross, Smokey Robinson und eben auch die Stones stand er gerade erst am Anfang seiner Karriere und konnte auf kaum mehr als eine Handvoll Hits zurückblicken. Doch was er sagte, bedeutete der Band viel. Auch seine Songs hatten sie gecovert, etwa »Hitch Hike« und »Can I Get a Witness«. Den meisten Weißen sagte der Name James Brown damals noch nicht viel, aber die Stones wussten, was es bedeutet, nach ihm auf die Bühne zu gehen. Zu Beginn ihrer US-Tour hatten sie ihn live gesehen. Ronnie Bennet, mit der die Stones bereits in England aufgetreten waren und die später als Ronnie Spector von den Ronettes bekannt wurde, hatte für die jungen Briten die Gastgeberin gespielt. Keith und Ronnie waren heimlich liiert, und Mick erfreute sich an der Gesellschaft von Ronnies Cousine und Ronette-Partnerin Estelle. »Sie waren so weit weg von zu Hause, ich glaube, sie brauchten manchmal einfach so was wie eine Familie um sich herum«, schrieb Ronnie Spector in ihrer Autobiografie Be My Baby. Mick und Keith bekamen ein frisch zubereitetes amerikanisches Frühstück serviert, hörten Platten und sahen fern. Eines Abends während ihres kurzen Aufenthalts in New York zeigte Ronnie Mick und Keith das legendäre Apollo Theater in Harlem; James Brown war an diesem Abend der Headliner. »Mick Jagger war der größte James-Brown-Fan überhaupt«, erinnert sich Spector. »Als wir durch England tourten, fragte er uns zum Thema James Brown die halbe Nacht lang Löcher in den Bauch. Wie er privat war? Wo er das Tanzen gelernt hatte? Wie viel er übte? Schließlich musste ich ihn bremsen: ›Hör auf, das reicht. Ich kenne James Brown überhaupt nicht. Ich bin eine Ronette, erinnerst du dich?‹«

Mick und Keith trafen Brown backstage nach seinem frenetisch bejubelten Konzert im Apollo Theater und Ronnie stellte die drei einander kurz vor. »Ich glaube, James Brown hatte keine Ahnung, wer diese seltsamen Typen aus England waren, aber Mick und Keith waren völlig aus dem Häuschen.«

Je näher die Stunde ihres Auftritts in Santa Monica rückte, desto schwieriger wurde es, sich wegen James Brown nicht verrückt zu machen. Abgesehen von Chuck Berry, der als Erster auf die Bühne ging, war alles, was die T.A.M.I. Show zu bieten hatte, neu. Die Technik – ein Kamerasystem namens »Electrono-vision« – war neu. Die Sounds waren neu: Surf Rock (die Beach Boys), Girl Groups (die bereits erwähnten Supremes), Pop Soul (Marvin Gaye, Smokey Robinson and the Miracles), Teenie-Pop (Lesley Gore), British Invasion (Billy J. Kramer and the Dakotas, Gerry and the Peacemakers) und der amerikanische Garage Rock, der von Letzterem inspiriert wurde (die Barbarians). Schwarze und Weiße, Amerikaner und Briten, alle spielten auf derselben Bühne vor demselben Publikum. Falls sich die Welt tatsächlich geändert hatte, dann lag es an Mick, das zu beweisen. Im Hinblick auf ihre weitere Karriere war der Auftritt, der vor ihnen lag, kein unbedeutender für die Stones. Sie hatten auch in Amerika schon ein paar Hits gelandet, doch sie spielten noch lange nicht in derselben Liga wie die Beatles. Der Film über die T.A.M.I. Show sollte landesweit in mehr als tausend Kinos gezeigt werden, wodurch ihr Bekanntheitsgrad enorm zunehmen würde.

Als Brown zum Civic Center kam, erfuhr er sofort, was die Stones schon lange wussten. »Ich erinnere mich wie James zu mir kam und sagte: ›Ich bin doch gewiss der Headliner der Veranstaltung‹«, so Steve Binder, der Regisseur der T.A.M.I. Show. »Darauf erklärte ich ihm: ›Nein, die Rolling Stones kommen noch nach dir.‹ James sah mich an, grinste und sagte: ›Niemand kommt nach James Brown.‹«


© 2269 Productions, Inc./Courtesy NFAgallery.com

Backstage mit seinem Konkurrenten und Vorbild James Brown während der Aufzeichnung der T.A.M.I. Show, 1964.

Rein optisch hatten die Stones alles, was nötig war, um die Show zu einem Erfolg zu machen. Wie nur wenige der British-Invasion-Bands wirkten sie vor der Kamera außerordentlich faszinierend. Ihre Ausstrahlung übertraf sogar die der Beatles; das ließ sich eher mit Elvis vergleichen. Die Kamera schien jede Regung einzufangen und jede noch so subtile Doppeldeutigkeit direkt ins Unterbewusstsein der Zuschauer zu transportieren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Stones bereits alte Hasen in Sachen Fernsehaufnahmen: Ihren ersten TV-Auftritt hatten sie 1963 in der britischen Musiksendung Ready, Steady, Go, und zuletzt waren sie den Spuren der Beatles ins New Yorker Ed Sullivan Theater nachgefolgt. Falls ihnen ihre Nerven keinen Strich durch die Rechnung machten, hatten sie hier eine echte Chance, den irrsinnigen Hype zu rechtfertigen, den Wochenschaubeiträge mit in Ohnmacht fallenden Teenagern und eilig bestiegenen Limousinen um sie herum initiiert hatten.

Weil die einzelnen Künstler bei den Aufnahmen zur T.A.M.I. Show keine separaten Garderoben hatten, war der große Gemeinschaftsraum der Ort, an dem man fachsimpelte, Freundschaften schloss, seine Bewunderung zum Ausdruck brachte, Zigaretten schnorrte etc. Wenn eine Band probte, beobachteten die anderen sie von den Bühnenaufgängen aus. Nur James Brown war nirgends zu sehen. Seine Abwesenheit fiel auf.

»The Rolling Stones from Liverpool are gonna be there – the fab-looking guys with the moppy long hair«, lautete eine Zeile des Titelsongs zur T.A.M.I. Show, »The T.A.M.I. Show Theme«, gesungen vom Surfmusik-Duo Jan and Dean, das die Veranstaltung moderierte. Diese gut gemeinten Worte belegen, wie schwer es 1964 war, sich von den Beatles abzugrenzen. Jede Band, die mit britischem Akzent sang, schien für die Amerikaner zwangsläufig aus Liverpool zu kommen.

Nach der Eröffnung mit dem Titelsong kündeten die beiden Moderatoren Chuck Berry an, der sich im Duckwalk durch »Maybelline« spielte, bevor Gerry and the Peacemakers zu ihm auf die Bühne kamen. Nach einem kurzen Gemeinschaftsauftritt trugen diese ihre Ballade »Don’t Let the Sun Catch You Crying« vor. Ihnen folgten Smokey Robinson and the Miracles mit »You Really Got a Hold on Me« und »Mickey’s Monkey«; der Bandleader klang zwar ein bisschen heiser, doch seine Tanzeinlagen waren mitreißend wie eh und je. Der elegante Marvin Gaye stand mit »Hitch Hike« auf der Bühne. Lesley Gore unterhielt das Publikum mit »You Don’t Own Me«, einem lupenreinen Teenager-Drama. Dann kehrten Jan and Dean mit ihrer Skateboard-Ode »Sidewalk Surfin’« ins Rampenlicht zurück.

Die Beach Boys, eine der Hauptattraktionen der Veranstaltung, gaben ihr Standardprogramm zum Besten und stellten als Highlight ihre neue Single »I Get Around« vor. Nach all den endlosen Tourneen und Rechtsstreitigkeiten kann man sich heute kaum noch vorstellen, dass die Beach Boys damals genauso große Teenie-Idole waren wie die Beatles und die Rolling Stones. Bei ihrem T.A.M.I. Show-Auftritt präsentierte sich Mike Love als selbstsicherer, aber nicht wirklich mitreißender Frontman; dem stets lächelnden Brian Wilson stand sein Nervenzusammenbruch noch bevor. Nach den Beach Boys traten Billy J. Kramer and the Dakotas auf, dann kamen die Supremes und schließlich die Barbarians, eine unbedeutende, aber unterhaltsame Garage-Rock-Band. Mit dem Song »Are You a Boy or Are You a Girl«, der auf dem geradezu monumentalen Nuggets-Sampler erschienen war, hatten die Barbarians ihren einzigen großen Hit gelandet. Schon kurze Zeit nach ihrem Auftritt bei dieser Show waren sie Geschichte.

Dean sagte den nächsten Künstler an: »Meine Damen und Herren, James Brown«. Unterdessen blickten hinter der Bühne fünf Rolling Stones – abgekämpft vom endlosen Touren und Tausende Meilen fern der Heimat – aus der Wäsche wie ertappte Verbrecher, die auf ihr Exekutionskommando warten. Schweigend tauschten sie ein paar Blicke und beschlossen dann, sich der Herausforderung zu stellen: geschlossen zum Bühnenaufgang zu gehen und ihrem Schicksal in die Augen zu sehen.

»Wir waren ein bisschen nervös, als wir da raus gingen, weil wir glaubten, dass das Publikum nicht wirklich wusste, wer wir waren, aber als wir ›Out of Sight‹ anstimmten, sprangen sie förmlich von ihren Sitzen auf«, schreibt Brown in seiner Autobiografie James Brown. Godfather of Soul. »Wie immer spielten wir eine Handvoll Songs hintereinander weg. Ich glaube, ich habe mein Lebtag nicht so wild getanzt wie dort, und ich glaube, sie hatten noch nie einen Menschen gesehen, der sich so schnell bewegt.« Brown wusste, dass die Stones ihn vom Bühnenaufgang aus beobachteten. Jeder sah sich das an; alle Augen ruhten auf ihm. Während er in seinen Lackschuhen über die Bühne glitt, seinen beringten kleinen Finger auf die Hüfte legte, in seinem karierten Jackett und der passenden Weste auf die Knie fiel und in Nullkommanichts wieder auf die Füße sprang. Trotz all dieser körperlichen Anstrengung, hörte man ihn nicht ein einziges Mal hecheln oder schnaufen. Es schien, als verbrenne er Sauerstoff und atme durch gut getarnte Kiemen. Brown bot eine ungeheuer dramatische Version von »Prisoner of Love«, wobei er wilde Grimassen schnitt und auf sein Mikrofon zusteuerte, als sei es ein Rettungsanker irgendwo im sturmgepeitschten Pazifik. Anschließend scheuchte er seine Band durch eine unglaublich temporeiche, fast schon punkige Version von »Night Train«, wobei er die Zielorte »Miami, Florida! Raleigh, North Carolina!« in fast derselben Weise intonierte, wie Dee Dee Ramone Jahre später die einzelnen Ramones-Songs mit einem schnellen »1-2- 3-4« einzählte. Danach atmete er endlich aus, ließ sich auf das Schlagzeugpodest fallen und holte demonstrativ Luft, als wolle er sagten: »Mann oh Mann, wie fandet ihr das?«

Aber er war noch nicht fertig. Er stand wieder auf, tänzelte in seinem Shuffle-Schritt zum Mikrofon zurück und brach dort angekommen bühnenreif zusammen. Es war das Zeichen für seine Crew, die ihm nun aufhalf und versuchte, ihn von der Bühne zu tragen. Natürlich war alles nur Show. Trotzig riss Brown sich los, rannte abermals zum Mikrofon und kostete den Beifall der Menge aus, die noch lauter schrie als zuvor. Wieder zog die Band ihn fort, und wieder lief er zum Mikrofon zurück. »Als ich fertig war, verlangte die Menge fortwährend nach Zugaben. Es war einer dieser Auftritte, bei denen man überhaupt nicht merkt, das man was tut«, schreibt Brown. »Irgendwann während der Zugaben setzte ich mich unter einen Monitor und ließ kurz den Kopf baumeln, dann blickte ich wieder auf und lächelte. Eine Sekunde lang wusste ich tatsächlich nicht mehr, wo ich war.«

Nur etwa fünf Meter entfernt stand Mick Jagger, ebenso schweißgebadet wie Brown, obwohl er noch nicht einmal angefangen hatte zu singen. Er spürte, wie ihm seine Beine fast wegsackten, er fühlte sich leicht benommen. »Die Stones standen zwischen den ganzen Absperrungen«, erinnert sich Brown. »Jedes Mal, wenn sie sich bereit machten, um auf die Bühne zu gehen, rief das Publikum wieder nach uns. Sie kamen einfach nicht raus – es war zu heiß da draußen.«

»Nach James’ Auftritt hatten die Techniker gerade genug Zeit, eine zu rauchen oder kurz zu verschnaufen, die Mikros umzuarrangieren und die Instrumente raufzubringen. Zwanzig Minuten,« so der Regisseur Steve Binder. Zwanzig Minuten … nach so einem Auftritt.

Jagger zündete sich eine letzte Zigarette an und ölte seine Stimme mit einem Schluck Jack Daniels, während die Techniker die Bühne für die Stones vorbereiteten. Das Gekreische der Fans, die die Band sehen wollten, verschlimmerte nur seine Nervosität, die aufgrund der großen Herausforderung ohnehin schon enorm war: Wie um alles in der Welt konnte er das, was er soeben gesehen hatte, noch toppen?

Jan und Dean gingen wieder auf die Bühne und hießen sie willkommen, »diese netten Jungs aus England, die Rolling Stones«. Nervös und schicksalsergeben nahmen diese mutigen Jungs aus Südlondon ihre Rolle als Headliner an. Und sie zogen ihr Ding durch. Den Rolling Stones gelang das Unmögliche: Sie ließen die Zuschauer Browns epochalen Auftritt vergessen. Sie machten etwas völlig anderes, und doch war es ein ironisches Spiel mit demselben Beat. Nach einem halben Dutzend TV-Auftritten waren sie erfahren genug, um sich ganz in ihrem Sinne zu präsentieren und den Zuschauern einen unvergleichlichen, spektakulären Auftritt zu bieten. Mit jeder Menge Überraschungsmomenten und einer gehörigen Prise Erotik schafften sie es, James Brown ebenbürtig zu sein. Das soll nicht heißen, dass der später Mr. Sex Machine genannte Sänger keine heiße Show abgezogen hätte. Doch so fantastisch er auch gewesen sein mag, sein Auftritt war eingebettet in einen Kontext, er stand in einer Reihe ähnlich famoser Shows, wohingegen die etwas linkischen und eingeschüchterten Stones etwas noch nie Dagewesenes auf die Bühne gebracht hatten. Eine Mischung aus männlich und weiblich, vertraut und fremd; sie sprachen das Publikum direkt an, sie ließen niemandem Zeit nachzudenken, man konnte sich dem nur völlig hingeben. Patti Smith, die für das Creem-Magazin als Gastautorin schrieb, erinnerte sich in einem dort veröffentlichten Beitrag Jahre später an das Ereignis:

»Der Sänger zeigte seine zweite Haut, und das war mehr als ein Milchbubi zu bieten hat. Ich konnte mit einer Röntgenbrille in seine Hose blicken. Da war eine Menge hartes Fleisch. Da war jemand läufig. Fünf weiße Jungs, so sexy wie es nur Schwarze sein können. Ihre Nerven lagen blank und ihr drittes Bein richtete sich auf. Sechs Minuten und fünf Sekunden dieses betörenden Anblicks bescherten mir mein erstes feuchtes Jungfrauenhöschen … die abgöttische Liebe zu meinem Vater war das Erste, was ich Mick Jagger opferte … Männlichkeit wurde nun nicht mehr auf dem Football-Feld gemessen.« Patti Smith war damals noch ein junger rebellischer Teenager aus New Jersey, ein braves katholisches Mädel. Der Auftritt der Stones in der T.A.M.I. Show öffnete ihr die Augen für Neues.

Technisch gesehen konnte sich die Performance der Stones natürlich nicht mit Browns unglaublicher Akrobatik messen. Als Erstes spielten sie »Around and Around«; der hagere Mick trug ein dunkles Jackett und schlug im Takt gegen das Mikrofon. Er wirkte amüsiert angesichts des völligen Tumults, der um ihn herum ausgebrochen war. Schon bald zeigte er wieder das typisch süffisante Lächeln, als wolle er sagen: »Das war doch gar nicht so schlecht.« Brian wirkte eher unterkühlt. Keith sah aus wie ein Freak. Charlie und Bill wirkten wie zwei Wasserspeier in der Ausbildung. Die Stones drosselten das Tempo für »Time Is on My Side«, eine Nummer, die sie während der vorangegangenen Tour aufgenommen und mit der sie jetzt einen Hit gelandet hatten. Es folgte »It’s All Over Now«. Mick, der nun richtig in Fahrt gekommen war und seinen Spaß hatte, sang statt »She hurt my eyes open« »She hurt my nose open«. Seine Angst und seine Nervosität wirkten sich in ganz ungewohnter Weise auf seinen Körper aus. Immer wieder sprang er in die Luft und funktionierte seinen Mikroständer dabei gewissermaßen in einen Sprungstab um. Er tanzte mehr als üblich; man kann sehen, wie er mit seinem Körper experimentiert. Vielleicht war genau dies die Geburtsstunde des Mick Jagger, wie ihn alle kennen. In dieser Konkurrenzsituation schaffte er es, mit James Brown mitzuhalten, indem er selbst zu James Brown wurde. Er war nicht perfekt. »Mick machte sich zu einem James-Klon, mit all der Tanzerei und Springerei«, meint auch Steve Binder. Zum Schluss stimmten die Stones »It’s Alright« von Bo Diddley an, eine nicht ganz perfekte Coverversion, bei der Mick ein paar Rumbakugeln schwingt. Und bei »Let’s Get Together«, dem großen Finale der Show, kamen alle Stars zusammen mit den Tänzern zu ihnen auf die Bühne. Schwarze und Weiße, junge und nicht ganz so junge – es hatte eine enorme symbolische Wirkung. James Brown allerdings glänzte wieder einmal durch Abwesenheit. In seiner Autobiografie gibt sich der Godfather of Soul jedoch großmütig, geradezu brüderlich zollt er den Stones Respekt und gesteht freimütig, dass er in ihnen »die Zukunft« gesehen habe.

Paradoxerweise war es Mike Love, der nie darüber hinwegkam, an diesem Tag vor den Stones auf der Bühne gestanden zu haben. Fünfundzwanzig Jahre später, als sowohl die Stones als auch die Beach Boys in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden, pöbelte Love sichtlich angetrunken auf dem Podium: »Ich hätte gerne gesehen, wie Mick Jagger es heute hier auf der Bühne mit ›Jumpin’ Jack Flash‹ gegen ›I Get Around‹ aufnehmen muss. Ich weiß, dass Mick Jagger heute Abend nicht hier sein kann, weil er in England sein muss. Aber ich hätte mir gut vorstellen können, dass wir im Coliseum auftreten und er im Wembley Stadion, weil er immer eine Scheißangst davor gehabt hat, mit den Beach Boys auf einer Bühne zu stehen.« Jedoch hatten sich die Stones diesem Duell schon längst gestellt, 1964 im Santa Monica Civic Auditorium.

Sobald die letzten Töne von »Let’s Get Together« verklungen waren, kehrten die einzelnen Gruppen wieder dahin zurück, von wo sie gekommen waren. Die Aufhebung der Rassentrennung ging weiter ihren gewohnt unerträglich langsamen Gang. Sogar die T.A.M.I. Show traf auf ein gespaltenes Publikum. In den vorwiegend schwarzen Vierteln flippten die Leute aus, als James Brown auf die Bühne kam, er war hier der Star, ganz gleich wer nach ihm spielte. In Gebieten mit vorwiegend weißer Bevölkerung, waren die Stones die großen Abräumer. Doch die strikten Abgrenzungen begannen allmählich zu verschwimmen, und so landete James Brown 1965 mit »Papa’s Got a Brand New Bag« seinen ersten Top-Ten-Hit. Ein zweiter folgte noch im selben Jahr mit »I Got You (I Feel Good)«. Brown präsentierte den Song an der Seite des Teenie-Idols Frankie Avalon in dem Film Ski Party. Und auch die Stones konnten langsam die Früchte ihrer hart erkämpften Anerkennung unter den Schwarzen ernten. Und das alles, ohne dass ein Tropfen Blut hatte fließen müssen.

Mick Jagger

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