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6Ein Prophet für die Araber

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O Gott, wenn ich wüsste, wie du verehrt werden willst, würde ich dich verehren. Doch ich weiß es nicht.

Salamanes Hermeias Sozomenos

Etwa ab dem Jahr 300 waren die polytheistischen arabischen Stämme zunehmend ‚umzingelt‘ von monotheistischen Großmächten, während die monotheistischen Religionen selbst innerhalb Arabiens immer mehr Anhänger gewannen. Der Monotheismus war freilich kein neues Phänomen. Die Araber in Mesopotamien waren mit den Persern vertraut, die seit Jahrhunderten eine Art Monotheismus kannten: den Zoroastrismus mit dem Hauptgott Ahura Mazdao (auch wenn der nicht allmächtig war, denn neben ihm gab es den bösen Ahriman). Außerdem waren die Araber schon seit Jahrhunderten mit dem Judentum in Mesopotamien, Syrien und Palästina in Berührung gekommen. Ab dem 2. Jahrhundert kamen die Christen hinzu und, nachdem das Christentum in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts innerhalb des Römischen Reiches anerkannt worden war, setzte sich dieser Glaube in verstärktem Maße durch. Im Römischen Reich wurden die alten Götter schon bald abgeschafft; bereits um das Jahr 400 lagen die einst so prächtigen und reichen Tempel verlassen da. Syrien, Palästina und Ägypten wurden in wenigen Jahrzehnten vollständig christianisiert. Eine ähnliche Transformation fand in Mesopotamien statt, das teilweise unter persischer Herrschaft stand. Diese Gegend wurde zum Zufluchtsort für die ‚ketzerischen‘ nestorianischen Christen und sie verwandelte sich – unter persischer Herrschaft – in ziemlich kurzer Zeit in eine überwiegend christliche Region, wenn auch mit einer jüdischen Minderheit. Doch dabei blieb es nicht. Das Christentum breitete sich auffallend schnell aus. So zogen Mönche in den heidnischen Nordwesten Europas, um dort Klöster zu gründen. Nestorianische Prediger machten sich auf den Weg nach Indien, Zentralasien und China, um dort ihre Sicht des christlichen Glaubens zu verbreiten. Syrische Mönche versuchten die Araber zu bekehren, und Prediger aus Ägypten reisten in die Königreiche des Südens, Aksum und Himyar. Mit unerwarteten Folgen. Zunächst zeigten sich beide Reiche empfänglich für diesen neuen, kraftvollen Glauben, doch nachdem die Aksumiten sich zum Christentum bekehrt hatten, entschieden sich ihre Erzfeinde, die Himyariten, auf der anderen Seite des Bab al-Mandab nun gerade für das Judentum.

Die Bekehrung des Himyariten zum Judentum hatte weltweite Folgen. Die regionale Fehde zwischen Aksum und Himyar wurde damit zu einem Teil des weltweiten Konflikts zwischen Judentum und Christentum. Bei den Arabern warf diese Entscheidung zweifellos Fragen auf. Wahrscheinlich waren arabische Stämme schon eher zum Judentum übergetreten, doch Himyar war ein mächtiges Königreich. Viele hielten es sogar für das Herkunftsland der Araber.

Um das Jahr 520 wurde aus dem jüdischen Königreich Himyar ein christliches Königreich. Mit ihrer Entscheidung für das Judentum hatten die Himyariten sich nämlich die Feindschaft der Byzantiner eingehandelt. Es folgte eine byzantinische Invasion und der neue – christliche – Führer, General Abraha, unternahm 550 (zusammen mit den Byzantinern) einen allerdings vergeblichen Versuch, Südarabien zu erobern. Kurze Zeit später starb er. Da sahen die Perser ihre Chance und machten Himyar zu einem persischen Vasallenstaat, direkt gegenüber Aksum und unweit der byzantinischen Provinz Ägypten.

Der Kampf um Himyar muss den Arabern das Gefühl gegeben haben, den beiden Großmächten ausgeliefert zu sein. Dieses Gefühl wurde wahrscheinlich noch stärker, nachdem die Byzantiner um das Jahr 590 den Ghassaniden ihre Unterstützung entzogen. Kurze Zeit darauf beendeten die Perser ihrerseits ihren Vertrag mit ihren arabischen Vasallen, den Lakhmiden. Denn beide Mächte sahen jetzt keinen Nutzen mehr darin, diese semiunabhängigen arabischen Pufferstaaten zu unterstützen. Sie schickten sich zu einer neuen Konfrontation an. Im Jahr 602 überfiel der persische König Chosrau II. das Byzantinische Reich mit dem festen Vorsatz, seinen Erzfeind für immer von der Landkarte zu fegen.

Die Vorstellung, dass Arabien ‚eingekreist wurde‘ und immer mehr eingeschlossen war vom Monotheismus, mit anderen Worten: von Gott, klingt auch im Koran an. Gott erinnert seine Zuhörer daran, dass ihre Welt immer kleiner wird. In der 13. Sure ruft er die Ungläubigen dazu auf, sich einmal gut umzuschauen:

„Sahen sie denn nicht, dass wir zum Land hinkommen und es von seinen Grenzen her verkleinern?“

(Sure 13,41)

In Sure 21 enthüllt Gott dem Propheten:

„[…] diesen hier und ihren Vätern gewährten wir Lebensgenuss, bis in ihr hohes Alter. Sehen sie denn nicht, dass wir das Land heimsuchen und es von seinen Grenzen her verringern? Sind denn sie die Sieger?“

(Sure 21,44)

Die traditionelle Erklärung sieht in Sure 21,44 eine späte Offenbarung aus der Zeit, als die Anhänger Mohammeds die Stadt Mekka eingeschlossen hatten. Doch das ist falsch. Mohammed hat diese Stadt nie umzingelt und Sure 21 gilt als eine ‚frühe‘ Sure, das heißt, in Mohammeds mekkanischer Zeit offenbart.

Das Ausbrechen des byzantinisch-persischen Krieges schwächte die Position der Araber noch mehr. Der Sieger würde demnächst mühelos ganz Arabien schlucken. Es sei denn, sie würden eine mächtige Koalition der Stämme bilden, stark genug, die triumphierende Großmacht aufzuhalten. Diese Koalition sollte tatsächlich und gerade noch rechtzeitig kommen, kurz nachdem die Byzantiner die Perser endgültig geschlagen hatten. Und sie wurde von einem eigenen arabischen Monotheismus inspiriert, der den Arabern von einem arabischen Propheten offenbart wurde: Mohammed.

Die Suche nach dieser eigenen Form des Monotheismus hatte lange gedauert. Auswahl gab es genug – aber die Araber wollten keine ‚fremde‘ Religion übernehmen. Der semimonotheistische Zoroastrismus der Perser war nie attraktiv für sie gewesen. Der war und blieb die Religion der persischen Elite. Und die Lehre des Propheten Mani, der im 2. Jahrhundert eine Art allumfassenden Monotheismus aus christlichen, jüdischen und buddhistischen Elementen schaffen wollte, war im 6. Jahrhundert zwar noch nicht vergessen, hatte aber nur wenige Anhänger. Stattdessen fühlten viele Araber sich durchaus vom Judentum angezogen.

In Mesopotamien lebten viele Tausend Juden, außerdem in Syrien/Palästina, und dann gab es zudem das jüdische Königreich Himyar im äußersten Süden. Aber eine Bekehrung hatte schwerwiegende Folgen. Wer Jude wurde, war damit im Prinzip auch Mitglied des jüdischen Volkes. Und die Vorschriften, an die sich echte Juden halten mussten, waren alles andere als einfach. Das größte Problem, vor dem jüdische Bekehrte standen, war jedoch nicht das Judentum selbst, sondern die gesellschaftliche Position der Juden. Sie wurden von den Christen gehasst und regelmäßig verfolgt. Viele Juden hatten sich im Persischen Reich und in Arabien in Sicherheit gebracht. Doch gegen Ende des 6. Jahrhunderts war auch Persien für sie nicht mehr sicher: Die persischen Könige gaben ihre alte Politik der religiösen Neutralität auf und verliehen den zoroastrischen Priestern immer mehr Rechte. Die machten den Juden und Christen das Leben schwer. Und in Arabien wurden jüdische Flüchtlinge als Eindringlinge angesehen.

Daneben gab es das Christentum. Das war die monotheistische Religion, die anscheinend im Begriff stand, die Welt zu erobern. Um das Jahr 600 hatten viele Stämme, vor allem im Osten und Norden Arabiens, sich zum Christentum bekehrt. Nicht zum offiziellen ‚kaiserlichen‘ Christentum, dem Diophysitismus, denn das war doch vor allem der Glaube der griechisch sprechenden Regierungselite. Wenn die Araber sich dafür entschieden, würden sie ‚Christen des Kaisers‘ werden (wie die Diophysiten auch genannt wurden), und das wollten sie nicht. Nein, der größte Teil der Araber entschied sich für das ‚ketzerische‘ monophysitistische Christentum. Im Laufe des 6. Jahrhunderts warfen die ghassanidischen Herrscher sich zum Beschützer der monophysitischen Kirche und zu ihrem internen Schiedsrichter auf. Wahrscheinlich strebten sie zielbewusst nach einer unabhängigen monophysitischen Kirche, die ein ‚arabisches Christentum‘ bieten konnte. Doch für viele Araber war und blieb es eine Religion, die nicht den Arabern offenbart und deshalb ‚fremd‘ war. Ein arabischer Monotheismus musste seinen Ursprung in Arabien selbst haben. Und dazu mussten sie also zu den Wurzeln der arabischen Kultur zurückkehren.

Die Araber wussten natürlich, dass sie nach Ansicht der Juden und Christen Nachkommen Abrahams waren – das heißt also des Begründers von Judentum und auch Christentum. Der Bibel nach stammten sie von Ismael, dem Sohn Abrahams, ab. Die Juden waren die Nachkommen eines anderen Sohnes von Abraham, von Isaak. Und Abraham selbst war der Begründer des Judentums gewesen, war also der erste Jude. Die Christen ihrerseits behaupteten, dass Abraham der erste Christ gewesen sei. Diese letzte Behauptung bedarf einiger Erklärung.

Der Auftakt zur ‚Christianisierung‘ Abrahams ist bei Apostel Paulus zu finden. In seiner Zeit war das Christentum noch eine jüdische Sekte, aber Paulus schrieb in seinem Brief an die Römer, dass auch Nichtjuden Christen werden konnten und sich dabei nicht den strengen jüdischen Gesetzen zu unterwerfen brauchten (wobei die größten Hindernisse die Beschneidung und die Speisegebote darstellten). Das Gesetz war nicht essenziell für den Glauben an Christus, denn, so Paulus, Nichtjuden konnten Abraham zum Vorbild nehmen. Gott hatte Abrahams Glauben akzeptiert, obwohl Abraham das jüdische Gesetz noch nicht kannte. Denn das datiert aus der Zeit von Moses. Wie war das möglich? Nun, das Gesetz, so Paulus, war den Juden später von Gott als eine Art Strafe auferlegt worden. Doch durch den Kreuzestod Christi waren Christen vor dem jüdischen Gesetz ‚tot‘: „Jetzt aber sind wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für das Gesetz“ (Röm 7,6).

Paulus’ bemerkenswerte (und für die Ausbreitung des Christentums durchaus günstige) Behauptung, dass nichtjüdische Christen das jüdische Gesetz ignorieren durften, wurde zwei Jahrhunderte später vom Kirchenvater Eusebius (um 265–339), der in seiner berühmten Kirchengeschichte die christliche Kirche und das Römische Reich versöhnte, noch differenziert. Eusebius behauptete, das göttliche Gesetz, dem Abraham sich als Erster unterworfen hatte, sei dasselbe wie Gottes Wort. (Dabei spielt er mit dem breiten Bedeutungsspielraum des griechischen Wortes Logos, das sowohl „Wort“ als auch „Gesetz“ bedeuten kann.) Das Wort Gottes sei später in Christus Fleisch geworden. Im Prinzip habe Abraham also Christus verehrt. Und somit ist er der erste Christ gewesen.

„Wie Abraham, da er den Götzendienst und die Verkehrtheit seiner Ahnen verlassen hatte und da er den einzigen, allmächtigen Gott bekannte und ihn mit Werken der Tugend, nicht aber durch die Zeremonien eines Gesetzes, das Moses erst später gegeben hatte, verehrte durch den Glauben an den ihm erschienenen Logos Gottes, den Christus gerechtfertigt und ihm in dieser Eigenschaft erklärt worden war, dass in ihm alle Stämme der Erde und alle Völker gesegnet werden sollen – so wird augenfällig Gott nach Abrahams Art in der Jetztzeit nur von Christen auf dem ganzen Erdkreise durch Werke, die alle Worte übertreffen, verehrt.“

Bedauerlicherweise, so Eusebius, sei Abrahams reine Religion in den darauffolgenden Jahrhunderten verfälscht worden und so sei das Judentum entstanden. Das Wort Gottes sei jedoch später in Gestalt Jesu Christi auf die Erde zurückgekehrt und damit sei die wahre Religion wiederhergestellt worden. Die Christen verehrten Gott wieder auf die richtige Weise, wie Abraham es einst getan hatte.

Für Juden war das gewiss eine lächerliche Vorstellung. Aber Juden und Christen waren sich in jedem Fall darüber einig, dass Abraham der erste Monotheist gewesen ist: der erste aller Menschen, der Gott verehrt hat. Ihre Meinungen gingen nur auseinander über die Frage, wie er das getan hatte, wie die wahre Religion ausgesehen hatte. Und genau auf diese Frage wollten die Araber ihre eigene Antwort finden. Um den wahren Glauben zu finden, den wahren arabischen Monotheismus, mussten sie, genau wie die Juden und die Christen, zurück zum Glauben Abrahams.

Wir sahen, dass die Anhänger von al-Hums in Mekka bereits einen großen Schritt in diese Richtung getan haben mussten. Für sie waren die Quraischiten die Auserwählten unter den Nachkommen Abrahams und hatten die Aufgabe, über den Kultus bei der Kaaba zu wachen, die sie als das einzig echte Heiligtum von Abrahams Gott betrachteten. Zugleich schrak al-Hums vor der Verkündigung eines reinen Monotheismus zurück. Man akzeptierte – oder tolerierte –, dass andere Stämme außerhalb des Haram andere Götter verehrten. Daneben klagt der Koran, dass in Mekka noch drei ‚Töchter von Gott‘ verehrt wurden.

Al-Hums war kein Einzelfall. Um das Jahr 600 gab es viel mehr Menschen auf der Arabischen Halbinsel, die ebenfalls auf der Suche nach dem diin Ibrahim, dem Glauben Abrahams, waren. Sie werden traditionell als Hunafa (Plural Ahnaf, Singular Haniif) bezeichnet. Der Ausdruck ist wahrscheinlich vom syrisch-aramäischen h-n-f abgeleitet, was „Heiden“ bedeutet. Diese Herkunft legt nahe, dass der Ursprung dieses Strebens im Norden zu suchen ist. Es ist naheliegend, dass Araber, die auf der Suche nach einem eigenen Monotheismus waren, von den syrischen Christen Heiden genannt wurden. Der Ausdruck spielt eine wichtige Rolle im Koran. Der Prophet bekommt von Gott den Auftrag, zu sagen, er sei ein Haniif:

„‚[…] Befohlen wurde mir, ein Glaubender zu sein.‘ So richte nun dein Antlitz auf die Religion, im rechten Glauben!“

(Sure 10, 104–105)

Es geht hier um eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand des Menschen. Jeder ist seiner Anlage nach ein Haniif:

„Und richte nun dein Antlitz auf die Religion, im rechten Glauben, als göttlicher Begabung, mit welcher er die Menschen schuf!“

(Sure 30,30)

Außer dem Propheten wird im Koran nur ein einziger Mensch Haniif genannt, nämlich Abraham:

„Sprich: ‚Gott sagt die Wahrheit. So folgt der Glaubensweise Abrahams, eines wahren Gläubigen – und er war keiner von den Beigesellern.‘“

(Sure 3,95)

Der Koran beschreibt, wie diese Suche stattgefunden hat. Anfangs sah Abraham allerlei Himmelskörper für Gott an. Zuerst dachte er an einen Stern, doch zu seiner Enttäuschung ging er unter. Dann wollte Abraham den Mond verehren, doch auch der ging unter, und ebenso die Sonne (Abraham: „Das ist mein Herr, denn das ist größer!“). Dann begriff Abraham, dass der Mensch nicht die Himmelskörper verehren sollte, sondern den Schöpfer von Himmel und Erde. Andere Götter gab es nicht. Abraham sprach zu seinem Volk: „‚Mein Volk, ich habe nichts zu schaffen mit dem, was ihr beigesellt. Siehe, ich wende mich, als wahrer Gläubiger, dem zu, der den Himmel und die Erde erschaffen hat. Und ich bin keiner von den Beigesellern‘“ (Sure 6,78–79).

Diese Erzählung von Abraham, der Gott am Himmel ‚suchte‘, hat tiefe Wurzeln. Sie ist zu finden im apokryphen „Buch der Jubliäen“:

„Und er saß allein und schaute [zu den Sternen], und eine Stimme kam in sein Herz und sagte: Alle die Zeichen der Sterne und die Zeichen der Sonne und des Mondes stehen alle unter der Herrschaft des Herrn. Warum suche ich sie auf? Wenn Er es will, lässt er es regnen am Morgen und am Abend, und wenn Er es verlangt, lässt er es nicht regnen, denn alles steht unter seiner Herrschaft.“

(Jubiläen 12,16–17)

Aber welche Religion ‚entdeckte‘ Abraham? Der Koran stellt fest, dass er kein Jude und kein Christ war: „Abraham war weder Jude noch Christ; sondern er war ein wahrer Gläubiger, Gottergebener. Und er war keiner von den Beigesellern“ (Sure 3,67). Abraham war kein Christ gewesen, wie Eusebius behauptet hat, und auch kein Jude, wie die Juden sagten. Beide Religionen waren Abirrungen, entstellte Versionen der wahren Religion Abrahams. Und diese wahre Religion war auch die Religion, die der Prophet verkündet. Abraham, der Haniif, war ein Muslim, einer, der sich Gott unterworfen hat. Dem Koran nach wusste Abraham, dass Mohammed einst kommen würde, um seine wahre Religion aufs Neue zu verkündigen. Als er in Mekka war, um die Kaaba aufzubauen, sagte er zu Gott: „Unser Herr! Lass unter ihnen einen Gesandten erstehen, aus ihrer Mitte, der ihnen deine Verse vorträgt, sie das Buch und die Weisheit lehrt und sie läutert!‘ (Sure 2,129)

Welchen Charakter hatte die Hanufa-Bewegung? Hat es diese Bewegung wirklich gegeben? Die seltenen vorislamischen Berichte lassen keine rechte Definition zu. Die Berichte, die wir kennen, stammen fast alle aus dem Koran und den Erzählungen aus islamischer Zeit. Möglicherweise kannten Kommentatoren, die diesen Ausdruck benutzten, ihn ausschließlich aus dem Koran und wollten damit Personen beschreiben, die Suchende nach Gott und der wahren Religion gewesen waren und die genau wie Abraham Gottsucher genannt werden konnten. Aus diesem Grund lehnen einige Experten die Vorstellung einer vorislamischen monotheistischen Bewegung ab. Der Ausdruck stamme aus dem Koran und die Verwendung in Erzählungen über die Zeit vor der Ankunft Mohammeds sei eine irreführende rückwirkende Projektion. In dem Fall würden die Kommentatoren den Ausdruck Haniif, der im Koran ausschließlich für Mohammed und Abraham reserviert ist, ziemlich freizügig, beispielsweise auch für Feinde des Propheten, benutzt haben. Doch es ist kaum vorstellbar, dass sie diesen einschränkenden Gebrauch nicht gekannt haben sollten. Der freizügige Gebrauch weist eher darauf, dass Haniif zur Zeit der ersten Kommentatoren bereits eine weiter gefasste Bedeutung hatte als nur die erhabene, die man aus dem Koran ableiten würde.

Ibn Ishaq meint, die Hanufa habe es nur in Mekka gegeben, doch bereits in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts berichtet der Kirchenhistoriker Sozomenos, der in der Stadt Gaza lebte, die Araber in seiner Region hätten „wieder entdeckt“, dass sie von Abraham abstammten, und übernähmen deshalb jüdische Bräuche. (Sozomenos hielt freilich nicht viel davon und gab den Juden die Schuld.) Aber die Hanufa bildeten aller Wahrscheinlichkeit nach nie eine organisierte Bewegung. Es handelte sich eher um eine gemeinsame Geisteshaltung. Doch ihre Suche nach einer arabischen Form des Monotheismus, die auf ihren Stammvater zurückzuführen sein sollte, führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das sehen wir zum Beispiel an Ibn Ishaqs Äußerung, Hanufa hätten an den Auffassungen der al-Hums Kritik geübt. Ihrer Meinung nach gingen die Reformen nicht weit genug:

„Sie waren der Meinung, deren Volk habe die Religion ihres Stammvaters Abraham verletzt, und der Stein, um den sie herumliefen, habe keine Bedeutung. Er könne nicht hören, nicht sehen, weder Schaden zufügen noch helfen. ‚Findet eine Religion für euch selbst‘, sagten sie, ‚denn, bei Gott, ihr habt keine.‘ Und sie zogen durch viele Länder auf der Suche nach der Hanifiya, der Religion Abrahams.“

Einer von ihnen, Zaid ibn Amr, soll wegen seiner Hetzreden aus der Stadt verbannt worden sein. Als er wegging, soll er den Mekkanern zugerufen haben:

„O Quraisch, in Seinem Namen, der die Seele Zayds in der Hand hält, niemand außer mir folgt der Religion Abrahams. O Gott, wenn ich wüsste, wie du verehrt werden willst, würde ich dich verehren. Aber ich weiß es nicht.“

Daneben werden wir in späteren Kapiteln Hanufa begegnen, die ausgesprochene Bewunderer der mekkanischen Reformen waren. Nach seinem erzwungenen Weggang aus Mekka soll Zaid durch Irak und Syrien gezogen sein, wo er mit anderen Mönchen und Gottsuchern gesprochen hat. Sie schickten ihn der Überlieferung nach zurück nach Mekka, denn, so bekam er zu hören, „der, den du suchst, wird aus deinem Volk kommen“. Doch unglücklicherweise wurde Zaid auf seiner Rückreise ermordet.

Dieses Umherziehen auf der Suche nach Weisheit und Erleuchtung – das unmittelbar an die christlichen Mönche erinnert, die mit ihrem Schnappsack voller Reliquien unterwegs waren – scheint charakteristisch für die Hanufa gewesen zu sein. Ibn Ishaq vermutet, dass viele von ihnen sich nach ihrer Suche für eine existierende monotheistische Religion vor allem für das Christentum entschieden haben. Der Haniif Uthman ibn al-Huwairith beispielsweise landete in Syrien und bekehrte sich dort zum Christentum. Es wird das diophysitische, ‚kaiserliche‘ Christentum gewesen sein, denn er wurde anschließend von den Byzantinern nach Mekka zurückgeschickt. Der Überlieferung nach sollte er sogar Vizekönig von Mekka werden. Ibn Ishaq erzählt:

„Er ging zu[m] Cäsar, dem Kaiser von Byzanz, der ihn mit viel Respekt empfing und ihm hohe Ämter anvertraute. Er bat Cäsar schließlich, ihm die Angelegenheiten von Mekka zu übertragen, und Cäsar stimmte zu. Er ging nach Mekka und unterrichtete die Bewohner von der Entscheidung Cäsars, aber sie weigerten sich, sich einem König zu unterwerfen, und sagten: ‚Die Mekkaner sind ein stolzes Volk, das sich nie der Herrschaft eines Königs unterwerfen wird.‘ Als er sah, dass er sein Ziel nicht erreichen konnte, ging Uthman in das Land Syrien zurück, wo er starb.“

Hinter dieser Anekdote scheinen sich interessante diplomatische Verwicklungen zu verbergen.

Ein weiterer Haniif, Ubayd-Allah ibn Dschahsch soll auf der Suche nach dem wahren Glauben viel in Arabien umhergezogen sein. Später bekehrte er sich zunächst zum Islam, aber am Ende entschloss er sich, Christ zu werden. Der Übertritt zum Islam war auch für Umayya ibn Abi al-Salt, einem Haniif aus dem Stamme Thaqiif (den Einwohnern der Stadt Taʾif), letztlich unmöglich. Jedoch wissen wir nicht mit Sicherheit, ob dieser Mann wirklich existiert hat; wir kennen nur spätere Erzählungen. Aber wenn wir Ibn Ishaq glauben dürfen, war er ein Bewunderer der Mekkaner, denn er soll ein Gedicht über das Jahr des Elefanten (in dem Abraha Mekka bedrohte) geschrieben haben. Ibn Ishaq zitiert es:

„Wahrlich, die Zeichen unsres Herrn stehen fest, nur Ungläubige streiten dagegen. Er hat die Nacht geschaffen und den Tag, Alles ist klar und genau berechnet. Ein gnädiger Herr beleuchtet den Tag mit einer Sonne, deren Strahlen sich weit verbreiten. Er hat den Elephanten zurückgehalten in Mughammas, sodass er am Halsring befestigt wie gelähmt umherhinkte und niederstürzte, als wäre er von einem Berge herabgeschleudert worden. Um ihn herum waren Helden von den Fürsten Kindah’s, edle Männer, doch im Kriege Geyern gleich. Sie mussten ihn zurück lassen, der Knochen seines Vorderbeines war zerbrochen. Am Tage der Auferstehung wird vor Gott jede Religion, ausser der Hanifitischen, Trug sein.“

Der Überlieferung zufolge lebte dieser Umayya wie ein Mönch. Er trank nicht und trug ein härenes Gewand. Kurz, er lebte wie ein Eremit. Ibn Ishaq: „Umayya las die heiligen Bücher und schrieb Gedichte, in denen er Dinge sagte, die die Araber nicht kannten […] Durch das Lesen der Thora und des Evangeliums hatte er verstanden, dass ein Prophet auserkoren sein sollte bei den Arabern, und er hoffte, dieser Prophet zu sein.“

Umayya und Mohammed sollen einander irgendwann in Mekka begegnet sein. Umayya war von Mohammed derart beeindruckt (so die Überlieferung), dass er Muslim wurde. Später wandte er sich wieder gegen ihn. Umayya betrachtete sich selbst also auch als Propheten. Auf seinem Sterbebett soll er gesagt haben: „Ich weiß, dass die Hanifa die wahre Religion ist, aber was Mohammed angeht, da habe ich meine Zweifel.“

Wie sah die wahre Religion aus? Eigentlich konnte nur ein Prophet diese Frage beantworten. Eine neue Offenbarung würde die einzige verlässliche Art sein, die Religion von Abraham (wieder) zu entdecken. Würde je ein arabischer Prophet kommen? Warum nicht? Die Juden hatten schon viele verschiedene Propheten gekannt: Männer wie Noah, Moses und Jesaja. Und die Christen hatten von Jesus eine göttliche Botschaft empfangen. Die Perser hatten Zarathustra; andere Völker kannten wieder andere Propheten. Aber den Arabern war, seit Abraham den wahren Glauben gebracht hatte, überhaupt kein Prophet mehr erschienen. Nach Ansicht der jüdischen und christlichen Führer würde das auch nicht geschehen; das Zeitalter der Propheten war ihrer Meinung nach endgültig vorbei. Nach Auffassung der Rabbiner war Maleachi der letzte gewesen. Das Einzige, was die Menschheit jetzt noch zu erwarten hatte, war die Ankunft des Messias, der ein neues Israel einläuten würde. Auch die Christen wiesen die Möglichkeit eines neuen Propheten von sich. Aber die offizielle Theologie war natürlich nicht alles. Das Judentum hatte vor allem in den Jahrhunderten vor und nach Beginn unserer Zeitrechnung vielerlei Wundertäter und Aufrührer gekannt, die behaupteten, sie seien Propheten und brächten Gottes Botschaft. Viele Christen waren überzeugt davon, dass Mönche und Eremiten, die ihr Leben dem Beten widmeten und ihren Körper misshandelten – wie die berühmten syrischen Säulenheiligen –, von Gott zeugen konnten. Die Warnungen dieser heiligen Männer vor dem tragischen Schicksal, das die Welt treffen würde, kamen, so empfand man es in der ganzen Welt, unmittelbar von Gott. Nein, Gott schwieg nicht. Weshalb sollte er den Arabern dann keinen Propheten schicken, jemanden, der ein für alle Mal deutlich machen konnte, wie er angebetet werden sollte?

Es war eigentlich zu erwarten, dass die Hanufa sehnsüchtig auf das Kommen eines arabischen Propheten warteten. Ebenso wie der eben genannte Umayya suchten sie in den heiligen Schriften der Juden und Christen nach Hinweisen, wann dieser kommen und wie er aussehen würde. Jahrhunderte zuvor hatten Christen im Alten Testament verschiedene Texte gefunden, die ihrer Meinung nach die Ankunft Jesu ankündigten. Die Araber ihrerseits lasen das Neue Testament auf der Suche nach Beweisen, dass Jesus die Ankunft eines arabischen Propheten geweissagt hatte. Und die fanden sie tatsächlich, genau wie drei Jahrhunderte vorher der Prophet Mani im Johannesevangelium. Der Evangelist legt Jesus eine ausführliche „Abschiedsrede“ in den Mund, darin folgende Passage:

„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird.“

(Joh 14,15–17)

In einer der nächsten Textstellen wird dieser „andere Beistand“ oder „Geist der Wahrheit“ gleichgesetzt mit dem Heiligen Geist, der nach Tod und Auferstehung des Christus auf die Erde herabgekommen sein soll (Joh 14,26). Aber er wird auch als jemand beschrieben, der von Jesus zeugen soll (Joh 15,26). Und an andere Stelle bekommt dieser Beistand noch stärker die Züge eines neuen Propheten:

„Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen [und aufdecken], was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist; […] Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.“

(Joh 16,8 und 13)

Das griechische Wort parákletos bedeutet, wie oben bereits ausgeführt, so viel wie „Beistand“. Der Begriff wurde zurzeit Jesu oft in juristischem Kontext gebraucht. Die Aramäisch sprechenden monophysitischen Christen übersetzten ihn als menahemanna. Nach Ansicht späterer islamischer Gelehrter war damit ‚also‘ Mohammed gemeint. Sie wiesen dabei nicht nur auf die (oberflächliche) klangliche Übereinstimmung mit dem Aramäischen hin; es existiert auch eine Überlieferung, die von einem stümperhaften Umgang mit dem Text des Evangeliums spricht: Bei Johannes habe ursprünglich nicht parákletos, sondern períklytos, der „Gepriesene“, gestanden. Und „Gepriesener“ heißt im Arabischen Ahmad, eine Bezeichnung, die ihrerseits eng verwandt mit „Mohammed“ ist. Diese Entdeckung, dass Jesus das Kommen des „Ahmad“ angekündigt haben soll, ist älter als die Diskussion zwischen Christentum und Islam zur Zeit des Johannes von Damaskus; wir finden sie bereits im Koran:

„Als Jesus, der Sohn Marias, sprach: ‚Ihr Kinder Israel, siehe, ich bin von Gott zu euch entsandt, um zu bestätigen, was vom Gesetz schon vor mir war, und einen Gesandten anzukündigen, der nach mir kommt und dessen Name Ahmad ist!‘“

(Sure 61,6)

Dieser Vers zeigt, dass zur Zeit des Propheten bereits heftig über den Namen und die Funktion des kommenden arabischen Propheten spekuliert wurde. Oder wurde dieser Vers nachträglich in den Koran eingefügt, um den Christen eine Lektion zu erteilen? Das ist unwahrscheinlich. Wenn ein späterer Redakteur hätte verdeutlichen wollen, dass Mohammed der vorhergesagte Prophet war, der Períklytos/Ahmad von Johannes, hätte er wahrscheinlich einen viel kraftvolleren Zusatz gewählt, beispielsweise einen Vers, in dem Gott selbst zum Propheten sagt: „Du bist Ahmad.“ Eine solche Bemerkung ist im Koran nicht zu finden. Stattdessen finden wir nur dieses eher zurückhaltende Versprechen Jesu. Gott überlässt dem Zuhörer faktisch die Beurteilung, ob sein Prophet tatsächlich die Erfüllung dieser Prophezeiung ist. Ibn Ishaq allerdings kennt anderthalb Jahrhunderte später keinen Zweifel. Er lässt die Beschuldigung, der Text des Evangeliums sei manipuliert worden, beiseite und weist nur auf die Übereinstimmung des aramäischen menahemanna und dem Namen Mohammed hin. „Menahamanna“, so Ibn Ishaq, „ist das syrische Wort für Mohammed; im Griechischen heißt er der Parákleitos.“

Gott nannte Mohammed einen Haniif und der Überlieferung zufolge sah der Prophet selbst auch die Verwandtschaft zwischen Gottes Offenbarung und dem Streben dieser Bewegung. Mohammed ibn Saʿd (764–845) meint, Mohammed habe die Offenbarung einst als al-hanifiya al-samha bezeichnet, was so viel bedeutet wie: „die milde Hanifiya“. Dass seine Botschaft bestimmten Ideen und Auffassungen verwandt ist, die zu der Zeit bereits kursierten, sieht man auch daran, dass Gegner behaupteten, er sei für Einflüsterungen offen. Gott warnt den Propheten:

„Die nicht glauben, sprechen: ‚Siehe, dies ist nur Trug, den er sich ausgedacht hat – andere Leute halfen ihm dabei.‘“

(Sure 25,4)

Er wurde auch beschuldigt, nichtarabische Lehrer zu haben. Gott sagt:

„Wahrlich, wir wissen, dass sie sagen: ‚Es lehrt ihn ja doch ein Mensch.‘ Die Sprache dessen, auf den sie da anspielen, ist fremd. Diese Sprache aber ist klares Arabisch.“

(Sure 16,103)

Einen Haniif aber hat es in jedem Fall gegeben, den schon genannten Zaid ibn Amr, der vielleicht eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Mohammeds Denken gespielt hat. Der Überlieferung zufolge hielt Zaid sich nach seiner Vertreibung aus Mekka einige Zeit ganz in der Nähe auf dem Berg Hira auf. Mohammed soll ihn da aufgesucht und ihm Fleisch von Tieren angeboten haben, das Abgöttern geopfert worden war. Zaid weigerte sich, davon zu essen. Ob das nun so gewesen ist oder nicht, Mohammed soll später über Zaid gesagt haben:

„Da sprach er heftig gegen Bilder von Abgöttern und prangerte die Menschen an, die sie anbeteten und ihnen Opfer brachten. Er sagte etwa: ‚Das sind nutzlose Dinge. Sie bewirken nichts Schlechtes und nichts Gutes.‘ Nachdem ich diese Worte gehört hatte, habe ich nie wieder Bilder von Abgöttern berührt oder ihnen Opfer gebracht, bis der Allmächtige mich mit seiner Botschaft geehrt hat.“

Eine bemerkenswerte Geschichte. Mohammed beschreibt sich als jemand, der früher Götzen verehrt hat und seine Inspiration einem Haniifen verdankt.

Mohammed

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