Читать книгу Ausgeschämt! - Marco Toccato - Страница 5
Оглавление1 1 Nimmt das nie ein Ende?
A
nton Kortner hat zusammen mit Grit Perlgruber zu Mittag gegessen. Grit ist Einkäuferin bei Pohrer und Anton arbeitet dort als freier Berater und Interimsgeschäftsführer. Sie sind guter Dinge, denn alles wird gut, meinen sie jedenfalls. Grits Sohn Leon ist zurück bei seiner Mutter. Er hat von der Adamitensitzung, die von der Polizei gesprengt wurde, nichts mitbekommen, denn er war mit KO-Tropfen betäubt wie alle anderen Kinder auch, die den sexuell unersättlichen Adamiten zugeführt werden sollten.
Die Polizei hat früh genug eingegriffen und die Kinder vor Schlimmem bewahrt. Nur Leon wurde von einer geheimnisvollen Frau missbraucht. Gott sei Dank fehlt ihm die Erinnerung daran.
Am schlimmsten ist Anna Milisçek betroffen. Sie war in langer Geiselhaft und ist daran zerbrochen. Sie hat sich vollständig in sich selbst zurückgezogen. Ihre Psyche hat sie vor allem Bösen in ihrer Gefangenschaft bewahrt, indem sie sie von der Außenwelt isoliert und sich in ihr Inneres zurückziehen und verkapseln lassen hat. Doch nun, wo sie frei ist und wieder ins Leben und zu Anton zurückkehren könnte, öffnet sich diese psychische Kapsel nicht.
Die Ärzte im Otto-Wagner-Spital sind am Ende ihrer Weisheit. Sie können nur noch abwarten. Es ist nicht das erste Mal, dass sie einen derartigen Fall haben, aber es ist das erste Mal, dass alle ihre Bemühungen, Behandlungen und Medikamente so völlig und dauerhaft ins Leere gehen.
Anton ist voller Schuldgefühle. Er schämt sich, denn er hat Anna in die Gefahr gebracht und versagt, als er sie hätte schützen sollen. Er schämt sich nur sich selbst gegenüber, andere machen ihm keine Vorwürfe. Immer noch quälen ihn Träume und er hat Schwierigkeiten, sie von der Realität zu unterscheiden. Erst vor über einem Jahr war er schuld, dass Sissi Kolesariç verschwunden ist. Wahrscheinlich ist sie tot, von den Adamiten, einem Geheimbund beseitigt worden. Nur Sissi konnte die Frau gewesen sein, die Anton bei einer Adamitensitzung gerettet hatte und an seiner Stelle die Strafe auf sich nahm. Sie hatten sich kurz davor kennengelernt, als Fred Baldow, ein ehemaliger Geschäftspartner von Anton, ihn in einen zweifelhaften Nachtclub geschleppt hatte. Sissi war eine Prostituierte, die in dem Club Tabledance in Perfektion gezeigt hatte.
Anton hatte sich in sie verliebt, nachdem sie ihn aus dem Nachtclub herausgebracht hatte. Diese neue Liebe hatte ihn verwirrt und erregt. Sein Erlebnishunger und seine sexuelle Erregung wurden noch in derselben Nacht durch das Treffen eines alten Bekannten zusätzlich angefeuert. Jerzy Baranowski verdiente seinen Lebensunterhalt mit Geigenspiel zusammen mit seiner Frau Jana. Sie spielten auf der Straße, in Lokalen und auf Festen.
Anton erzählte er, dass er mit seiner Frau Jana auf einem Fest, auf dem es sexuell sehr freizügig zuginge, spielen sollte und deshalb abgeholt würde. Trotz Jerzys dringendem Abraten schlich sich Anton in die Veranstaltung ein und wurde entdeckt. Viele der Adamiten waren sehr einflussreiche Leute in Wien und Österreich. Wenn durch sie ein Mensch verschwand, krähte kein Hahn danach. Wenn sie ausgefallene Orte für ihre Treffen suchten, wie zum Beispiel den Narrenturm, dann wurde der kurzfristig wegen angeblicher Renovierung geschlossen und stand ihnen zur Verfügung.
Auf dem Treffen, in das sich Anton reingeschmuggelt hatte, sah er zum ersten Mal, dass sich etwa dreißig maskierte, festlich gekleidete Männer, aus dreißig schönen Frauen beliebig und auch wechselnd Partnerinnen suchten. Die Damen trugen Highheels und Masken, sonst nichts!
Anton wurde enttarnt. In solchen Fällen gingen die Herrschaften sicher: Spione und Unberechtigte wurden gefoltert, wobei ihr eventueller Tod in Kauf genommen wurde. Die Leichen wurden in der Donau entsorgt. Eine der schönen, maskierten Frauen verhinderte, dass Anton beseitigt wurde, wahrscheinlich auf Kosten ihres eigenen Lebens. Alles deutete darauf hin, dass es die Prostituierte Sissi war.
Anton wollte – ein Jahr später wieder in Wien – alles tun, um sie entweder lebendig zu finden, um seine Schuld abzutragen oder um ein für alle Mal festzustellen, dass sie tot ist. Als ihm klar war, dass Sissi wahrscheinlich nicht mehr lebte und er weiter seine Schuld tragen müsste, traf er Anna. Sie war eine der maßgeblichen Angestellten bei Antons Kunden, der Pohrer AG, wo Anton einen Beratungsauftrag bearbeitete. Anna war Sissis Ebenbild.
Sie trafen sich erstmals privat nach der Arbeit in einem Heurigen, aber Anton war besorgt. Der Chef der Pohrer AG, Dr. Felix Pohrer fühlte sich bedroht. Deshalb überredete er Anna an diesem späten Abend noch mit ihm zusammen zum Firmenstandort in Hafennähe zu fahren. Im Gebäude von Pohrer fand Anton einen Erhängten und Dr. Pohrer, der fast erschlagen worden war.
Als Anton zurück zum Auto ging, in dem Anna hätte warten sollen, stellte er fest, dass sie wahrscheinlich entführt worden war. Parallel dazu wurde an einem anderen Ende von Wien auch Leon Perlgruber, der Sohn von Grit aus der Wohnung entführt.
Hinter dem Mord und den Entführungen steckte eine organisierte Bande von Ukrainern, die nach und nach viele Vergnügungsbetriebe, Bordelle und Hotels in Wien und Umgebung in ihren Besitz gebracht hatten. Diese Organisation richtete mittlerweile die Adamitensitzungen aus. Das heißt, sie fanden Lokalitäten, die den anspruchsvollen Mitgliedern dieses Geheimbundes passend erschienen und bauten sie für die Treffen um. Sie engagierten die schönen Frauen, die wesentlicher Bestandteil dieser Feste waren und zuletzt schafften sie auch Kinder heran.
Diese letzte Sitzung wurde von der Wiener Polizei gesprengt und die Verantwortlichen der ukrainischen Bande wurden festgenommen, soweit sie nicht fliehen konnten.
Alles schien gut zu werden. Nur Anna war noch im Otto-Wagner-Spital.
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Beim Essen hatten Anton und Grit befreit zusammen gesessen, denn der Spuk schien vorbei zu sein, abgesehen von seiner Scham und seinen verstörenden Träumen. Anton wollte schnell in sein Büro. Er würde die Pohrer AG übergangsweise leiten, solange Dr. Pohrer nicht arbeitsfähig war. Aber als Allererstes wollte er im Otto-Wagner-Spital anrufen, um zu erfahren, wann er Anna sehen könnte.
Grit wusste von seinen Träumen und Problemen und sie sagte nach dem gemeinsamen Essen „Aasdraamt ham S’, Herr Inscheniör!“, und meinte, dass Anton nun endlich alle seine Probleme losgeworden wäre und damit ausgeträumt hätte. Sie ahnte nicht, wie falsch sie damit lag!
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Während sie auf den Betriebshof fahren, fällt Anton ein schwarzer Maserati SUV auf dem Parkplatz des Chefs auf. Der SUV hat ein ukrainisches Kennzeichen!
Er eilt in das Gebäude und Peter Meinl kommt ihm aufgeregt entgegen. Peter ist der IT-Leiter und hatte mitgeholfen, die Ukrainerbande auszuforschen.
„Anton, du wirst schon erwartet. Im Büro vom Chef sitzt ein Ausländer, der so tut, als gehörte ihm die Firma. Ich soll dich sofort zu ihm führen.“
„Ausgeträumt? Wirklich ausgeträumt?“, fragt Grit und wird blass. Anton bricht der Schweiß aus. Ist das der angekündigte Besuch, der nun doch stattfindet, obwohl die Organisation in Wien gesprengt worden ist?
„Anton, sei mir nicht böse, aber ich muss weg. Ich muss sehen, ob es Leon gut geht!“ Grit befürchtet, dass ihr Sohn wieder entführt worden ist. Er und Anna waren die Druckmittel, mit denen die Ukrainer geschäftliche Zusagen von Dr. Pohrer und Grit erpressen wollten.
„Klar! Nimm den Firmenwagen und rufe mich an, wenn du Klarheit hast!“ Anton springt die Treppe ins erste Geschoss hoch, immer zwei Stufen auf einmal. Auf halber Höhe hält er inne. Es ist nicht gut, wenn er schwitzend und außer Atem in das unvermeidliche Gespräch geht. Er muss ruhig und souverän wirken, auch wenn ihm anders zumute ist. Er geht schnell auf die Toilette im ersten Stock und kühlt sich mit kaltem Wasser ab. Den Schweiß in seinen Achselhöhlen trocknet er mit Papierhandtüchern.
Als sein Atem ruhig geht und er wieder präsentabel wirkt, atmet er tief ein und aus und geht mit großer Geste und laut schallenden Absätzen über den Flur bis zu dessen Ende, wo das Büro von Pohrer, also im Moment seines ist. Er will Selbstsicherheit ausstrahlen.
Er stößt die Tür schwungvoll auf und verharrt mit ärgerlicher Miene unter dem Türrahmen, als er sieht, dass der Chefsessel von einem sonnengebräunten, schwarzhaarigen Mann mit Stalinschnäuzer in Beschlag genommen worden ist, der die Füße auf den Schreibtisch gelegt hat.
„Nehmen Sie augenblicklich die Füße vom Tisch und geben Sie den Stuhl frei! Was tun Sie hier? Sie haben Zeit für drei Sätze zu Ihrer Person und was Sie hier wollen, bevor ich die Polizei hole.“
„Setzen Sie sich Herr Kortner!“, zischt der Fremde so leise, dass Anton mehr ahnt als hört, was er sagt.
„Also gleich die Polizei? In Ordnung!“, bellt Anton zurück. „Ich gehe jetzt ins Sekretariat und lasse die Polizei verständigen. Ich weiß nicht, ob Ihre Vorgängerin noch in Wien einsitzt oder schon in ein anderes Gefängnis gebracht wurde, aber Sie werden sie sicher treffen wollen.“
„Plustern Sie sich nicht so auf!“, sagt der Fremde. Man bemerkt einen slawischen Akzent. „Setzen Sie sich und hören Sie mir zu. Es scheint so, als hätte Ihnen Pohrer nicht erzählt, wie es um dieses Unternehmen steht.“
Anton kommt ins Grübeln. War das der Grund, warum Pohrer während ihrer Klausurtagung am Semmering plötzlich so besorgt war? Er setzt sich.
„Na, dann legen Sie mal los, aber vorher nehmen Sie die Füße vom Tisch. So wie Sie sich hier aufführen, werde ich nicht mit Ihnen reden.“
Der Fremde grinst böse, dabei wird der Schnauzbart breit und die Oberlippe verschwindet endgültig darunter. Die Augen sind genauso schwarz wie sein dichtes Haar. Anton schätzt ihn auf zirka fünfundvierzig, fünfzig Jahre.
Er nimmt tatsächlich die Füße vom Schreibtisch und steht auf, um Anton die Hand entgegenzustrecken. Die teure Anzugjacke spannt über der Brust und da wo seine Bizepse sind. Seine Figur ähnelt der des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko. Er ist noch größer als Anton und wirkt wie ein Schwergewichtsboxer.
Anton gibt ihm nicht die Hand. Er sieht keinen Grund dazu, außerdem befürchtet er, dass er damit Knochenbrüchen riskieren würde. Wieder grinst der Eindringling böse, aber er setzt sich zurück auf den Chefsessel.
„Mein Name ist Josip Kowaljow. Ich bin Vorstand der ‚Intertrans VAT‘ in Kiew, eine VAT ist in der Ukraine so etwas Ähnliches wie eine AG hier. Wie ich gehört habe, vertreten Sie Herrn Dr. Pohrer während seines Krankenhausaufenthalts. Er hat es wohl nicht für nötig gehalten, Sie über die Besitzverhältnisse aufzuklären. 49% der Pohrer AG sind in Händen meines Unternehmens ‚Intertrans Beteiligungen GmbH‘ mit Sitz hier in Wien, einer Tochter der ukrainischen Aktiengesellschaft und ich habe seit Neuestem Zugriff auf weitere 2% der Aktien. An mir geht nichts mehr vorbei. Sie werden sich also an meine Weisungen halten, sonst setze ich einen anderen Interims-Vorstand hier rein und es ist vorbei mit Ihrem Auftrag.“ Nun, als er Antons bestürzten Blick sieht, ist sein fieses Grinsen in ein siegessicheres Lächeln übergegangen. „Ich würde es im Übrigen bedauern, Sie hier ablösen zu müssen. Was ich bisher von Ihrer Arbeit gehört habe, scheinen Sie Ihren Job gut zu machen und bringen den Laden auf Vordermann.“
„Interessant! Aber ich werde das natürlich erst einmal prüfen. Was meinen Sie bitte, wenn Sie ‚seit Neuestem‘ sagen?“
„Während die ‚Krone‘“, er sagt das mit süffisantem Unterton, „des Unternehmens in einer Klausurtagung im Hotel Panhans logierte, wurden mir die 2% der Aktien angeboten, die nun das Zünglein an der Waage sind.“
„Sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch …“
„Das liegt daran, dass ich mein Studium in Deutschland absolviert habe, ganz in Ihrer Nähe am Lehrstuhl von Professor Jünemann.“
„Da hätten wir uns vor einigen Jahren schon über den Weg laufen können. Wie auch immer, wenn die Verhältnisse so sind, wie Sie sagen, was wären dann Ihre Weisungen?“
„Oh, die sind ganz einfach. Sie beziehen ab sofort alle Materialien, die Sie zur Auftragserfüllung brauchen, von der ukrainischen Muttergesellschaft, der ‚Intertrans VAT‘ in Kiew! Materialien und Dienstleistungen jeglicher Art. Sollten wir die benötigten Waren nicht vorrätig haben, geben Sie uns drei Wochen, damit wir sie für die Pohrer AG beschaffen können. Wir revanchieren uns mit Aufträgen in ansehnlicher Größenordnung.“
„Zu welchen Preisen werden Sie die Waren an uns liefern?“
„Es werden nicht die niedrigsten sein, davon können Sie ausgehen, aber Sie werden damit zurechtkommen.“
„Wenn das alles ist, sehe ich da kein Problem. … Ist das denn alles?“
„Nun ja, es gibt ein paar besondere Konditionen in unserer Zusammenarbeit, die nicht verhandelbar sind, aber darüber reden wir, wenn wir den Rahmenvertrag miteinander schließen. Vorerst beobachte ich gerne, wie Sie aus der Pohrer AG wieder ein produktives Unternehmen machen. Ich gehe davon aus, dass unsere späteren Vereinbarungen Selbstläufer sein werden. Dann wird es ein gutes Geschäft, für Pohrer, für Sie und für die Intertrans. Außerdem wird es allen gut gehen, auch der Frau Milisçek und dem Sohn von Frau Perlgruber.“ Die Drohung wirkt auf Anton, auch wenn er versucht, es zu verbergen.
„Ach, fast hätte ich es vergessen, die Position von Magister Anzgrund ist ja jetzt vakant. Wussten Sie, dass er einen geringen Anteil an Aktien der Pohrer AG hielt? 2 % waren es!“, und er lächelt erneut süffisant. „Für seinen Posten werde ich Ihnen einen Bewerber schicken, den Sie wohlwollend prüfen und als neuen Logistikleiter einstellen werden. Sie werden aber trotzdem kurzfristig Stellenanzeigen schalten und Personalberater ansprechen. Es muss alles wie ein üblicher Vorgang in einem normalen österreichischen Unternehmen vor sich gehen. Haben Sie mich verstanden?“
„Sicher! Ich lasse mir Ihre Worte durch den Kopf gehen und wenn sich die Lage so bestätigt, wie Sie sie schildern, werde ich mein Möglichstes tun, um Sie zufriedenzustellen, soweit es in meiner Macht steht und mit der Compliance vereinbar ist.“
„Das mit der Compliance lassen Sie mal meine Sorge sein. Soweit ich weiß, gibt es die noch nicht bei Pohrer. Mein Mitarbeiter, der Geschäftsführer der Intertrans Beteiligungen in Wien, Dr. Lather wird Sie kontaktieren und Ihnen eine entsprechende Vorlage andienen. Es wäre mir unangenehm, wenn wir uns von Ihnen trennen müssten, Herr Kortner, nicht weil ich Sie besonders schätze – dafür kenne ich Sie zu wenig – sondern weil Sie höheren Ortes eine Person haben, die Sie schützt. Es gibt aber Möglichkeiten, Sie untragbar zu machen und ich kenne sie alle, also …“, die letzten Worte hat er sehr giftig ausgesprochen, giftig und leise, so dass es Anton kalt wird.
„Dann bleibt mir nur noch, uns eine gute Zusammenarbeit zu wünschen.
Ach … muss ich noch mit Frau Perlgruber sprechen oder weisen Sie sie entsprechend ein?“
„Sie meinen?“ Anton ahnt, was nun kommt.
„So dumm sind Sie nicht, wie Sie tun. Wie gesagt laufen ab sofort alle Beschaffungen über oder von Ihrem Hauptlieferanten Intertrans VAT. Das sollte die Einkäuferin wissen und beachten.“
„Schon, aber wir werden nach wie vor Anfragen an mehrere potenzielle Lieferanten stellen. Das beste Preis-/Leistungsverhältnis wird ausschlaggebend sein.“
„Das sollten Sie auch tun und dann immer das insgesamt wirtschaftlichste Angebot, das in allen Fällen das von der Intertrans sein wird, berücksichtigen. Auch das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Dafür werden wir sorgen. Auf Wiedersehen, Herr Kortner!“
Kowaljow steht auf und weist mit einer ironischen Geste einladend auf den Chefsessel hin, so als wollte er ihn nun offiziell an Anton übergeben.
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„Grit, kannst du bitte mal kommen?“, ruft Anton in den Flur hinein. Peter Meinl schaut aus seinem Büro raus:
„Grit ist doch nach Hause gefahren, wie du weißt. Gibt es was Dringendes?“
„Ach ja, nein, ist schon gut. Ich werde morgen mit ihr sprechen. Danke Peter!“
Anton geht nachdenklich zurück ins Büro und setzt sich auf den noch warmen Sessel hinter dem Schreibtisch. Er ahnt, worum es geht. Wenn sich seine Ahnung bestätigt, wird er aussteigen müssen.
Doch das Grübeln bringt ihn nicht weiter. Endlich kommt er dazu, sich wegen eines Besuchs bei Anna zu erkundigen. Er googelt Adresse und Telefonnummer des Otto-Wagner-Spitals.
Während er telefoniert, kommt eine etwas mollige, sehr seriös wirkende Frau von Mitte Fünfzig in sein Büro. Er weist auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und sie setzt sich.
Schon heute am späteren Nachmittag ist ein Besuch im Spital möglich. Nachdem er das erfahren hat, wendet er sich der Dame zu.
„Was gibt es?“
„Herr Diplomingenieur Kortner, mein Name ist Rosa Linzer. Ich bin die Sekretärin von Dr. Pohrer und jetzt auch Ihre. Wir sind uns noch nicht begegnet, ich hatte bis gestern Urlaub. Wenn irgendwas ist, wählen Sie bitte die Kurzwahl 10. Ich sitze gleich links von hier im ersten Büro auf dem Flur.
„Das trifft sich gut Frau Linzer. Bitte besorgen Sie doch etwas, das ich Frau Milisçek mit ins Krankenhaus nehmen kann. Mag sie Süßes oder doch besser Blumen? Und fragen Sie bitte auch die Kolleginnen und Kollegen, ob ich was ausrichten soll. Um 16.00 Uhr werde ich mich auf den Weg machen. Ach ja, können Sie mir eines der Poolfahrzeuge bereitmachen lassen. Ich habe kein Fahrzeug.“
„Wird erledigt, aber ein Wagen aus dem Pool wäre nicht angemessen. Der Dienstwagen von Herrn Dr. Pohrer steht zu Ihrer Verfügung. Wollen Sie sich chauffieren lassen? Sie kennen sich in Wien sicher nicht aus.“
„Oh Gott, das wirkt etwas übertrieben. Das ist eigentlich nicht mein Stil.“
„Sollte es aber werden, der Franz Fohrer ist der Chauffeur vom Chef und wenn Sie seine Dienste nicht in Anspruch nehmen, hat er nichts zu tun.“
„Mir war nicht klar, dass Dr. Pohrer einen Chauffeur hat. Zu unserer Klausurtagung auf dem Semmering ist er selbst gefahren.“
„Natürlich, er wollte nicht unbedingt den Franz mit ins Hotel nehmen. Bei solchen Gelegenheiten fährt der Chef selbst. Aber sonst …“
„In Ordnung. Ich bin zwar ein neuer Besen, aber ich will nicht alles rauskehren. Ich freue mich darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Nehmen Sie mich bitte dann und wann, wenn Sie es für sinnvoll halten, ans Händchen. Und diese umständliche Anrede ‚Diplomingenieur‘ lassen Sie bitte. Ich bin Herr Kortner, okay?“