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3 Grit und Leon

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ie ist aufgeregt. Seitdem sie Leon entführt hatten, ist sie in ständiger Angst um ihren Sohn. Grit rast nach Hause in den 3. Bezirk zur Würtzlerstraße 24. Sie ist Anton dankbar, dass er ihr freigegeben hat und dass sie das Auto nehmen durfte. Um diese Zeit kommt sie ohne Stau zu ihrer Wohnung.

Sie findet einen Platz, wo sie den Wagen parken kann und rennt schräg über die Straße zu ihrem Hauseingang. Vor Aufregung findet sie erst den Haustürschlüssel nicht und dann bekommt sie ihn nicht ins Schloss. Auch bei der Wohnungstür tut sie sich schwer, aber nun ist sie endlich in ihrer Küche.

„Leon? … Leon, bist du da?“ Keine Antwort. Sie streift durch alle Räume. Die Wohnung ist leer. Erst jetzt sieht sie, dass im Flur auf dem Schuhschrank ein Zettel liegt. ‚Bin bei Viktor! Bis heute Abend. Leon‘ steht darauf.

Sie ruft ihn nochmal auf seinem Handy an. Das hat sie schon drei Mal versucht und immer kam die Mailbox. So ist es wieder. Nun ruft sie Viktor Anzgrund an. Das ist der Sohn von ihrem verstorbenen Arbeitskollegen dem ehemaligen Logistikleiter der Pohrer AG Magister Michael Anzgrund.

„Hallo Viktor, hier ist Grit Perlgruber. Ist Leon da? Kannst du ihm mal dein Handy rübergeben?“, schießt sie ihre Fragen alle auf einmal heraus.

„Grüß Gott, Frau Perlgruber. Nein, Leon ist nicht hier, warum?“

„Ich mach mir Sorgen. Du weißt was war und jetzt geht er nicht ans Handy. Wenn er kommt, sag ihm bitte dringend, er soll mich sofort anrufen oder besser noch, er soll direkt nach Hause kommen.“

„Mach ich! Es wird nichts passiert sein. Wir sind wie immer vor einer halben Stunde aus der Schule gekommen. Vielleicht hat er sich irgendwo verbummelt. Machen Sie sich keine Sorgen.“

„Du hast gut reden. Ich hab Angst, dass es wieder mit diesen Ukrainern losgeht. Mit denen ist nicht zu spaßen. Immerhin haben sie deinen Vater … Oh! Entschuldigung Viktor! Das wollte ich nicht. Wie geht ‘s dir überhaupt und deiner Mama?“

„Schon gut! Ich bin drüber weg. Papa und ich hatte ja sowieso … Ach, ist auch egal. Mama sucht jetzt Arbeit, sonst reicht ’s nicht, hat sie gesagt.“

„Soll ich bei Pohrer nachfragen?“

„Danke, aber ich glaube nicht, dass sie dort arbeiten will. Pohrer war unser Unglück, sagt sie jeden Abend zu mir. Wir haben jetzt viel zu erledigen und immer wenn ich helfen will, lehnt sie ab. Sie meint, ich wäre noch ein Kind.“

„Ich würd euch gerne helfen, melde du dich, wenn du meinst, dass ich helfen könnte, hörst‘? Aber jetzt muss ich erstmal Leon finden. Es macht mich verrückt. Hast du eine Idee, wo er noch sein könnte?“

„Äh, ich weiß nicht, ob … Nein, eigentlich nicht.“

„Viktor! Du weißt doch was. Raus mit der Sprache! Es ist mir wirklich ernst! Sag, was du weißt.“

„Leon wird mich verfluchen … aber … ja gut! Also er geht mit Tabea. Vielleicht ist er bei ihr oder die beiden sind zusammen unterwegs. … Sie müssen ihm aber wirklich gleich sagen, dass ich Ihnen das nur wegen der Ukrainerbande verraten habe, bitte!“

„Tabea? Wie weiter? Wo wohnt sie? Hast du ihre Handynummer? Bitte Viktor! Ich sag ’s ihm auch sofort, dass ich dich fast gezwungen hab, aber hilf mir. Ich muss ihn finden, sonst bekomm ich noch einen Herzanfall.“

„Warten Sie, ich schau mal eben in meine Kontakte, Moment, ich muss eben mein Handy vom Ohr nehmen. Okay …

Frau Perlgruber? So, ich hab die Nummer. Sie lautet …“, und Viktor gibt Grit die Handynummer von Tabea Nußbaumer und auch ihre Adresse. Die ist im 2. Bezirk an der Taborstraße. Er fleht Grit nochmal an, unbedingt vor allem anderen Leon zu sagen, warum er die Telefonnummer rausgegeben hat.

Grit beendet das Gespräch hastig und tippt nun Tabeas Nummer ein. ‚Ist er nicht noch zu jung für ein Mädchen? Warum hat er mir nichts gesagt? Wie lange mag das schon gehen? … Ach Quatsch, Hauptsache, ich erreiche ihn!‘

Nun gibt sie schon zum dritten Mal die Nummer ein. Zweimal hat sie sich vertippt. Endlich! Der Rufton geht raus:

„Ja?“, meldet sich eine junge Stimme.

„Tabea? Sind Si … bist du es? Ist Leon bei dir?“

„Ja, ich bin Tabea, aber wer spricht denn da?“

„Oh, Pardon! Ich bin Leons Mutter, Grit Perlgruber. Tut mir leid. Ich bin so aufgeregt. Ist er bei dir? Kann ich ihn sprechen?“

„Er war bei mir, aber jetzt ist er weg. Er wollte nach Hause, Hausaufgaben machen. Eigentlich müsste er in zehn Minuten da sein. Warum? Was ist denn los?“

Grit überlegt: ‚Hat er dem Mädchen erzählt, was war? Sie weiß ja nicht, wie ernst es mit den beiden ist.

„Es ist was bei mir auf der Arbeit passiert, weswegen ich ihn so schnell wie möglich sprechen muss.“

„Ist wieder was wegen der Entführung? Er hat mir alles erzählt. Jetzt bekomm ich auch Angst. Wenn er bei Ihnen ist, sagen Sie ihm bitte, dass er gleich anrufen soll?“, sagt sie sehr besorgt mit hoher Stimme, weil sie aufgeregt ist.

„Ja! Mache ich. Er muss das alles viel ernster nehmen. Ich mach mir solche Sorgen. Bis später Tabea. Es wird bestimmt alles gut. Baba! Jaa, bis später!“

‚Es wird bestimmt alles gut.‘ Wie gerne würde sie das selbst glauben. Wo bleibt er nur? Leon komm nach Hause!

-:-

Herr Prokopeç schleppt gerade mit großer Mühe sein Einkaufswägelchen die breiten, hohen Stufen in seinem Wohnhaus hoch zur Wohnung, immer eine Stufe höher, Wagen nachziehen, nächste Stufe, Wagen nachziehen und so weiter. Einen Aufzug gibt es nicht und er weiß, dass er wahrscheinlich bald ausziehen muss. In Zukunft wird er das nicht mehr schaffen. Es kommt ihm so vor, als hätte der Einkauf im Supermarkt, beim Fleischer und beim Bäcker weniger lange gedauert, als er jetzt braucht, um in den dritten Stock zu kommen.

Prok. Ing. Karl Prokopeç ist ganz allein. Vor dreieinhalb Monaten ist seine Tochter Mizzi gestorben. Sie ist aus dem Dachgeschoss des Hauses Josefstädter Straße 57 herunter auf das Dach eines parkenden Autos gestürzt … oder gestürzt worden?

Er hat es geschafft. Nun steht er schwer atmend vor seiner Wohnungstür in diesem alten Haus. Es ist überall dunkel im Stiegenhaus und fast noch dunkler im Flur seiner großen Wohnung. Die Tapeten sind alt und dunkel geworden und seine alten Möbel sind alle im Stil von vor hundert Jahren in dunkelgebeiztem Nussbaumholz.

Es macht ihm nichts aus. Er ist in dieser Wohnung zur Welt gekommen und hat Zeit seines Lebens darin gewohnt. Seine Frau ist lange tot und sein einziges Kind, mit dem er sich erst nach dem Tod der Frau wieder versöhnen konnte, ist auch gestorben. ‚Nie ist sie selbst gesprungen! Niemals!‘

Ihm fallen Anton Kortner und die reizende Grit ein. Es wäre schön, wenn sie sich mal wieder treffen könnten. Wer weiß, vielleicht kriegen sie ja gemeinsam raus, wie das mit Mizzis Tod war. Das will er mehr als alles andere. Aber jetzt wird er sich erst einmal einen Kaffee machen und sich damit in sein Erkerzimmer setzen.

Ausgeschämt!

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