Читать книгу Radfahren im Triathlon und Einzelzeitfahren - Marcus Baranski - Страница 20
ОглавлениеJeder normale Mensch hat ja schließlich noch eine ganze Reihe von anderen Verpflichtungen, die ihm Zeit und Energie abverlangen und am Ende des Tages – hier mal keine Floskel – entsprechend verdaut werden müssen. Stichwort ist hier guter Schlaf und die richtige Regeneration, aber darum geht es später noch mal ausführlicher. Also halte dein Trainingspensum in realistischen Grenzen, und du wirst schon mittelfristig erfolgreicher sein, als wenn du kurzfristig wie ein Trainingsweltmeister durch die Gegend ballerst. Von diesen Kandidaten habe ich über die Jahre unzählige kommen und gehen gesehen.
Um aus dir das Maximum herauszuholen, hilft neben Bedacht übrigens auch eine gewisse Zurückhaltung. Im Winter ein Feuerwerk an Trainingsreizen und -umfängen abzufeuern führt in den seltensten Fällen dazu, im Sommer dann wirklich in Topform zu sein.
Tipp
Der Blick auf die Stars ist eine tolle Motivation. Denk aber immer daran, dass die den ganzen Tag nichts anderes treiben als Sport und Regeneration. Schalte für dich und dein Training ein paar Gänge zurück. Und geh davon aus, dass die meisten Negativerlebnisse und Rückschläge, die ein Profi auch immer haben wird, nicht an die große Glocke gehängt werden.
Was uns noch kurz zum Thema Profimaterial führt. Vermutlich verschlingst du auch alles an Bildmaterial, was du von Wettkämpfen finden kannst, und analysierst dann ganz genau, was du als Nächstes für dein Rad brauchst. Oder welcher Helm es jetzt sein muss. Und ganz ehrlich, da bin ich voll bei dir, vor allem, wenn es dann an die Details geht und die Tuningschlacht eröffnet ist. Schließlich müssen die Jungs und Mädels ja das beste Material fahren, um zu gewinnen, zumindest theoretisch. Gern wird auch seitens der Industrie erzählt, was man alles in Zusammenarbeit mit »den Profis« entwickelt hat, sei es nun der gesponserte Triathlon-Profi oder die Radsport-Equipe.
Natürlich ist der Profisport immer eine der tragenden Säulen für Entwicklungen rund um Material, das schneller macht. Kein Team auf Weltklasseniveau kann es sich heute noch leisten, einen zweitklassigen oder einen Open-Mold-Zeitfahrrahmen von der Stange einzusetzen, den jeder in Taiwan kaufen kann und darauf dann einfach seine Logos pappt. Dafür sind die Abstände ganz vorn einfach zu eng. Die meisten Teams haben mittlerweile sogar spezielle Experten, die sich ausschließlich mit solchen Themen wie Aerodynamik, Textilwahl, speziellen Reifen und so weiter beschäftigen. Und gerade die Spitzensportler aus dem Triathlon verfügen über so viel Erfahrung, materialtechnisches Fingerspitzengefühl und nicht zuletzt auch den Anspruch, nur das Beste fahren zu wollen. Hinzu kommt die Innovationsfreude dieser Sportart, quasi als Brutkasten für andere, nennen wir es mal konservativere Disziplinen. Die ersten Entwicklungen wie der Aero-Lenker stammen ja schließlich aus dem Triathlon und wurden dann in den Radsport übernommen. Dieser Transfer findet auch heute oft noch statt, und du kannst dir sicher sein, dass hier munter untereinander abgekupfert wird. Grob so ähnlich, wie du dir von den Stars die Details abguckst.
ES KOMMT DARAUF AN
Andererseits gehört zum Sponsoring eben auch dazu, dass dafür bezahlt wird, das Material zu fahren, das der Sponsor als das beste erachtet – und das er über die Pros an die breite Masse verkaufen will. Oder, im Fall der großen Radteams, das er in zigfacher, möglichst identischer Ausführung rund um den Globus zur Verfügung stellen kann. Dabei kommen dann immer mal wieder Kompromisse zustande, etwa wenn ein Radteam plötzlich auf moderne Clincher oder Tubeless-Reifen setzen möchte, es die dafür konzipierten Zeitfahrlaufräder aber noch gar nicht in ausreichender Menge gibt, sondern im Teamtruck etwa 20 Sätze für Schlauchreifen hängen. In der Hinsicht bist du als nichtgesponserter Fahrer tatsächlich im Vorteil, weil du dir das für dich beste Material kaufen kannst, sofern es die Haushaltskasse hergibt. Was hier sinnvoll ist und was dann erst nachgelagert oder vielleicht auch gar nicht, findest du weiter hinten im Buch.
Konkret solltest du, wenn es um irgendwelche Verbesserungen geht, die kommuniziert werden (etwa wie viel schneller die neuen Laufräder sind oder was du mit dem neuen Einteiler sparst), dich immer fragen, an wem das wie und wo getestet wurde. Zum Beispiel Laufrad: Da gibt es zig Ansätze, manchmal wird nur das Vorderrad in den Windkanal gespannt, mal in einem kompletten Rad und so weiter. Aber was war dabei dann die Testgeschwindigkeit, wurde mit oder ohne Fahrer getestet, wie saß der auf dem Rad, und mit welchem Modell wurde da was verglichen und am Ende – vielleicht – der Testsieg eingefahren? Die Aussagen dahingehend waren vor ein paar Jahren noch eine ganze Ecke marktschreierischer, grob lauteten sie: »Dieser Laufradsatz spart zwei Minuten auf 40 Kilometer!« Das hat sich geändert, die Hersteller sind heute viel transparenter als früher, aber es kommt immer noch vor, dass plötzlich wieder irgendein Laufrad auf den Markt kommt, das pauschal von sich behauptet, das schnellste für alle Fälle zu sein, vor allem weil man das im Windkanal entwickelt habe. Mehr zum Thema Material samt Tuning und auch ein paar solcher Stilblüten der letzten 20 Jahre findest du im Kapitel »Maschine«, aber du kannst dir schon mal merken, dass sich der kritische Blick hier immer lohnt.
Tipp
Herstelleraussagen über die Performance ihrer neuen Produkte sind immer ein erster Anhaltspunkt, um zu sehen, ob sie dir persönlich eine Verbesserung bringen können. Genauer hinschauen und im Zweifelsfall hinterfragen solltest du hier auf jeden Fall. Ansonsten sind sie nämlich erst mal nur das: Herstelleraussagen.
Wie du im weiteren Verlauf sehen wirst, kommt es speziell in den Bereichen Radmaterial und Bekleidung vor allem auf dich als Träger und Fahrer sowie den Einsatzzweck an, um dir sagen zu können, welches Produkt das für dich beste ist. Da hilft dann nur, genau hinzuschauen.
Kritisch zu sein und auch mal »out of the box« zu denken lohnt sich übrigens immer, wenn es darum geht, nach Verbesserungen zu suchen. Das gilt für ganz viele Bereiche des Schnellerwerdens, und zwar über das Material hinaus auch bei solchen Dingen wie Training, Ernährung und auch beim Herangehen an den Tag X, deinen Wettkampf. Und wenn du ab einem gewissen Leistungs-level nach Lektüre dieses Buches auch nicht mehr davon lassen kannst, dich mit solchen Themen wie Aero-Material, schnellen Reifen, moderner Sporternährung und dem letzten Stand der Trainingswissenschaft zu befassen, dann habe ich ein weiteres Ziel erreicht. Neben der Tatsache, dass du schneller als bisher unterwegs sein wirst.