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Kapitel 9

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Augen zu und durch

Eigentlich erstaunlich, dass Johnny bei seinem draufgängerischen narrenfreien Jugendleben überhaupt wohlbehalten seine Volljährigkeit feiern darf.

Henrik und Johnny sind nämlich gemeinsam oftmals ein wüstes Vater-Sohn-Gespann, bei dem seit einigen Jahren ein mehr oder weniger verbissener Machtkampf um die Rangordnung in unserem Hesselbach-Rudel vorherrscht.

Mich tangiert das sozusagen nur peripher.

Wenn einer der beiden Männer krank ist und mit Zahnweh und Bauchschmerzen jammert, wird die Mutter zwangsläufig mit ihren liebkosenden Händen und der bitteren Medizin zur Heiligen. Und ich weiß, dass ich die Königin und Kaiserin mit dem Kochlöffelzepter bin. Wenn das Wolfsrudel hungrig ist, versammelt es sich unterwürfig um den Esstisch.

Dann regiere ich!

Ansonsten wird es für Henrik allmählich schwerer, sich als Leitwolf unseres Rudels zu behaupten. Johnny kämpft seit vier Jahren regelmäßig gegen seine Sparringspartner in der Wing Tsun Schule. Seit er sich für diesen chinesischen Kampfsport interessiert, haben sein Selbstwertgefühl und seine Körperkraft enormen Auftrieb bekommen. Zumal sein pädagogisch betriebswirtschaftlich geprägter „Sifu“ viel Wert darauf legt, dass seine hochmotivierten Jungkrieger sich mit Mut und Technik auch auf dem Schulhof gleichsam für eine wirksame Werbung seines Karateinstituts einsetzen.

Kürzlich habe ich Henrik mal den neuesten Status-Text unserer Milchnase gezeigt, mit dem er auf allen sozialen Netzwerken angibt: „Nur wo ich bin - da ist vorne.“ Henrik schmunzelt: „Ist das jetzt eine Kampfansage an die vertrocknete Generation seiner „Alten“?“ „Nein, das ist Erwachsenwerden!“

Früher war Henrik für Johnny ein Held.

Mit Papa konnte man ja tollen Blödsinn anstellen. Mama hat ja immer nur Verbote ausgesprochen und das Kind dazu gezwungen, die Hausaufgaben anständig zu machen, für Klausuren zu lernen, Vokabeln zu büffeln und mit sauberen Unterhosen aus dem Haus zu gehen. Das war, als meine Hände mit „Witz“ und „Kuschel“ keinen allzu großen Unterhaltungswert mehr hatten und „Superman“ und „James Bond“ deutlich mehr zu bieten hatten.

Mit Mama Shoppen zu gehen ist sicher völlig okay, wenn ein paar neue Markenschuhe und angesagte T-Shirts dabei rausspringen. Mit Mama ins Freibad oder ins Kino zu gehen ist eher peinlich.

Da bringt es deutlich mehr Spaß, mit Papa die Mountainbikes aus der Garage zu holen und die Wildschweine in ihren Waldverstecken aufzuscheuchen. Manchmal denke ich dann, es geht bei den Querfeldein-Radtouren letztendlich auch nur um den hinterlistigen Wettbewerb: „Wer von uns schleppt nachher mehr waschmaschinenresistenten Schlamm und Dreck mit ins Haus.“

Auch Henrik ist in manchen Bereichen seines Verstandes bis heute nicht so wirklich erwachsen geworden. Sozusagen ein situationsbedingter Spätpubertierender.

Und das liebe ich an meinem Mann, gebe ich zu.

Und das hat auch Johnny immer schon geliebt, schon als Fünfjähriger.

Zum Beispiel bei unseren diversen Berg- und Abenteuerwanderungen, die immer gut ausgingen, aber nicht immer gut hätten ausgehen müssen. Johnny war noch nicht mal in der Schule, als Henrik seine Familie zu einer lustigen kleinen Spazierwanderung aufforderte.

Wir waren damals im Mai auf der herrlichen griechischen Insel Kreta. Schulferien hatten wir ja noch nicht zu berücksichtigen.

Wir mieteten uns ein Auto und lernten gemeinsam auf etlichen Ausflügen den Reiz der Insel kennen.

Schließlich gibt es dort auf Kreta soviel Altertumsgeschichte hautnah zu erleben, dass sich damit locker zwei Jahre Geschichtsunterricht in der Schule mit steinigem Anschauungsmaterial fundamental untermauern lassen.

Wir besuchten den Kournas See im Nordwesten der Insel. Denn genau dieser idyllische azurblaue kreisrunde See inmitten der Weißen Berge bei dem verschlafenen Fischerstädtchen Georgioupolis ist laut Reiseführer bekannt dafür, dass sich dort neben neugierigen Touristen auch jede Menge Schildkröten, hübsche Seeschlangen und schillernd bunte Libellen herumtummeln. Wir dachten uns, dass wir damit für unseren Sohn ein bisschen Abwechslung in den Strandurlaub und die Altertumsbesichtigungen bringen könnten. Denn nachdem der fünfjährige Knirps mit uns bereits die Ruinen von „Festos“ und „Knossos“ erkunden musste, hatte Johnny irgendwann keine Lust mehr auf staubige alte Ruinen.

„Langweilig!“, meinte er nur.

Klar, wir hatten leider auch keine Schauspieltruppe im Handgepäck, die ihm ein paar legendäre Wagenrennen, mythische Opferrituale oder Piratenüberfälle am Originalschauplatz inszenieren konnten. Und es gab leider auch keine versteckten Goldschätze mit antiken Münzen mehr, die wir hätten für Johnny ausbuddeln können.

Also wechselten wir das familiäre Ferien-Unterhaltungsprogramm. See und Schildkröten anstelle von staubigen Ruinen.

Es war ausnahmsweise bewölkt, zum Baden viel zu kalt und die Wolken hingen tief über den Bergen. Im Frühling zeigt sich Kreta nicht immer von seiner sonnigen Seite.

Johnny fand natürlich die kleinen Schildkröten putzig, die dort am See in Plastikboxen aufgezogen wurden und die von den Kindern in die Hand genommen werden durften. Da das Wetter nicht für Badefreuden geschaffen schien, war auf dem See nichts los. Die Bootsvermieter hatten sich einen freien Tag gegönnt. Für die Libellen war es noch zu früh im Jahr, und Schlangen fanden wir auch nicht.

Was nun.

Johnny hatte Langeweile und wurde quengelig. Nichts ist im Urlaub nerventötender als ein permanent wimmerndes Kind, das ständig wiederholt: „Doof hier. Ich will nach Hause.“ Wir konnten uns ja schlecht stundenlang in die Taverne setzen, dem Kind mit Gyros und Schokolade den Mund zustopfen und hunderte Mal mit dem kleinen Bummelzug hin- und herfahren.

„Dann gehen wir eben einmal rund um den See, schauen, ob wir doch noch bunte Schlangen und schöne wilde Schildkröten finden und essen hier zum Abschluss noch ein Eis, wenn wir ausgehungert von der Wanderung kommen“, schlug Henrik fröhlich vor.

„Au ja, Schlangen und ein Eis“, nickte Johnny begeistert.

Ein bisschen skeptisch betrachtete ich unser Strand-Outfit. „Sind wir für eine Wanderung rund um den See denn richtig ausgerüstet?“, wagte ich anzumerken.

„Klar, ist doch nur ein Spaziergang – nur flaches Gelände am Ufer“, meinte unser Wanderführer Henrik.

Also marschierten wir los.

Frau Hesselbach in modischen Ledersandalen und Minirock, mit passender Handtasche.

Junior und Senior Hesselbach in abgeschnittenen Jeans und Trekkingsandalen.

Nach einer halben Stunde endete der Spazierweg in einem verlassenen Dorf. „Rundgang um den See? Trekking around the see?“ fragten wir den einzigen Menschen, der uns in dem Dorf über den Weg lief. „No, oxi“, antwortete der gute Mann, und wir verstanden.

Nein, es gäbe von hier aus keinen Wanderweg

Egal ob zu Fuß, mit Auto oder Motorrad, in der Stadt oder in den Bergen: Henrik hasst nichts mehr, als wenn er den gleichen Weg zweimal zurücklegen soll. Schon immer machte die Familie bei ihren Ausflügen teils stundenlange Riesenumwege, nur um irgendwie einen Alternativweg zu finden, der uns letztlich wieder zu unserem Ausgangspunkt zurückbrachte – auch wenn wir dafür durch Flüsse waten und auf privaten Firmengeländen einbrechen mussten.

Am Kournas See war es das gleiche Spiel.

Wanderweg zu Ende – Den gleichen Weg zurückgehen – das ging nach Henriks Meinung ja mal gar nicht.

Okay, dann eben querfeldein, immer schön am Ufer lang rund um den See.

Henrik marschierte vorne weg, seine kleine Hesselbach-Herde hinterher.

Es kamen zerklüftete Felsen, die uns den Weg versperrten.

Gut, dann eben alle Mann – und Frau - über die Felsen rüber. Die Felsen waren glitschig und rissig und überall wucherte Wurzelwerk der zornigen Dornenbüsche, mit denen die Felsen üppig bewachsen waren. Tja, da waren die hübschen zarten Ledersandalen im Handumdrehen ruiniert. Das Dornengestrüpp verhakte sich in unseren Klamotten und riss uns die Haut auf.

Egal, blieb die Handtasche eben darin hängen. Träger gerissen, Knoten gemacht.

Johnny kam mit seinen kurzen Beinen nicht von einem Fels auf den nächsten.

Dann wird er von Papa eben ein Stück getragen. Mutter wurde leider nicht getragen und betete, dass für sie die Kletterpartie nicht mit einem ungeplanten Kopfsprung in das azurblaue Seewasser endete.

Wir kletterten und krackselten durch kretische Wildnis und irgendwann standen wir auf einer Klippe, gute zehn Meter oberhalb des Sees.

Nur nicht in die Tiefe schauen. Und vergessen, dass Muttern ja eigentlich von Höhenängsten geplagt wird. Nur nicht daran denken, wie die Jungs aussähen, wenn beide mit ihren Sandalen bei dieser wüsten Kletterpartie an einer der spitzen Felsnasen abrutschten und in den See stürzen würden. Gäbe es hier überhaupt Handyempfang, um einen Rettungsdienst anzufunken?

Nach diesem survival trip damals rund um den Kournas See war ich jahrelang nicht mehr wieder dorthin gekommen.

Heute weiß ich, dass es sehr wohl einen Wanderweg gibt, mit dem man den herrlichen tiefen See umrunden kann. Aber wir haben ihn damals einfach verfehlt.

Für die von Henrik gewählte „Abkürzung“ wäre damals eine Bergsteigerausrüstung, eine Machete und ein Neoprenanzug ein durchaus angemessenes Equipment gewesen.

Endlich hatten wir die Felsen gemeistert. Wir waren mit halbwegs heilen Knochen wieder auf jenem ausgetretenen Wanderweg angekommen, dem wir eigentlich vor Stunden schon hätten folgen sollen.

„Mama, was steht da auf dem Schild?“ fragte Johnny, als wir von unserem Trampelpfad auf den ausgebauten Sandweg abbogen.

„Och, das steht nur: Danger, do not pass!“ las Henrik gleichmütig vor. Der Pfeil zeigte in genau jene Richtung, aus der Familie Hesselbach gerade gekommen war.

Gefahr, kein Durchgang!

Beruhigend, diese Information am Ende unseres fast dreistündigen Gewaltmarsches zu bekommen.

Gelernt haben Henrik und Johnny aus diesem Erlebnis nichts.

Im Gegenteil.

So wie jeder Süchtige sich schon im Moment seines Rausches nach der nächsten Dosis seines glückselig machenden Kicks sehnt, so sehnten sich mein großer und mein kleiner Mann nach dem für sie unbeschreiblich berauschenden Moment, wieder einmal der armen sorgenvollen Mutter den Beweis geliefert zu haben: „Hey wir sind die Kings. Keiner ist so taff wie wir. Und überhaupt, Mama Du bist hier das Weichei in der Familie.“

Egal ob auf Rügen, im Erzgebirge, in den heimischen Hügeln oder in den Alpen.

Kein Ausflug ohne Panikattacke seitens Katja Hesselbach. Und jedes Warnschild wurde von den Hesselbachmännern wieder und wieder als persönliche Einladung zu einem kleinen Überlebensexperiment verstanden. Und immer und immer wieder hatten die beiden mehr Glück als Verstand, wenn sie kichernd und aufgedreht, verschwitzt, verstaubt und oftmals mit aufgeschürften Knien und zerrissenen Hosen, von ihren Männerausflügen heimkehrten.

Der Urlaub auf Kreta war längst keine zwei Wochen alt und der abenteuerliche Gewaltmarsch rund um den Kournas See im Nordwesten der wunderbar zerklüfteten Insellandschaft gerade wenige Tage her, da kam Henrik beim Frühstück in unserem Hotel mit etlichen Schichten verschiedener Reiseführer und Landkarten unter dem Arm an den Tisch, schob unsere griechischen Frucht- und Joghurtschälchen zur Seite und sein Kartenmaterial unter meine Nase.

„Schau, Liebes, ich habe uns ein paar Wandervorschläge für die Weißen Berge organisiert. Die Natur dort oben muss herrlich sein. Und jetzt haben wir doch mit den kretischen Felsen schon genügend Erfahrung!“, grinste mich mein Göttergemahl scheinheilig an.

Johnny, die kleine Milchnase, amüsierte sich unterdessen mit einer der unzähligen mageren Kretakätzchen, die eigentlich zu jeder Tageszeit und an jedem Ort zutraulich um die Tisch- und Menschenbeine herumschlichen, immer in der Hoffnung, von den wohlwollenden Touristen eine kleine Nascherei zugesteckt zu bekommen. Bei Johnny und mir funktionierte diese Taktik ausgesprochen erfolgreich. Johnny hockte also mit seiner Müslischüssel unter dem Tisch, statt sittsam auf seinem Stuhl, und fütterte mit Hingabe die kleine Katzensippschaft, die sich rund um Johnnys Frühstückskatzenbuffet angesammelt hatte.

Die meisten griechischen Katzen haben die Farbe des auf Kreta so seltenen Sandstrandes. Sie sind meistens nicht von so intensiver Farbe wie unsere nordeuropäischen Samtpfoten mit ihren schwarzen und weißen und getigerten und bunten Pelzen. Eine Kretakatze sieht irgendwie von Haus aus ein bisschen eingelaufen und verwaschen aus. So, als ob ihr drahtiger schmaler Körper von der heißen Sommersonne ausgedörrt und die Farben des Fells ausgeblichen worden wären.

Ich liebe Katzen.

Und ich beobachtete mit viel Mitgefühl die zarten Kretakätzchen, die uns ständig begleiteten. Sie sehen so niedlich und verspielt aus und dabei steckt in ihnen ein zäher Kämpfer mit gefährlichem Jagdinstinkt. Sie spielen neckisch mit ihren Samtpfoten und im nächsten Moment verpassen Sie Dir mit scharfer Kralle eine schmerzhafte Lektion, wenn Du nicht nach ihrer Nase tanzt.

Katzen sind von Natur aus schizophrene Wesen so wie „Ying und Yang“. Oder wie „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Wahrscheinlich hätte ich selbst gern auch ein bisschen was von dieser geheimnisvollen Miniatur-Sphinx.

Henrik sagt mir ja immer, man könne in meinem Gesicht und meiner Gestik lesen wie in einem offenen Buch. Ich bin wohl nicht besonders geheimnisvoll. Wenn ich beim Abendessen darüber nachdenke, wie ich Johnnys Weihnachtsgeschenke unbemerkt vom Kofferraum des Autos bis in die Koffer auf den Kellerschränken verfrachte, die mir seit Jahren als bislang sicherstes Versteck vor allzu neugierigen Kinderfingern erschienen, bekomme ich selbst von meinem damals fünfjährigen Sohn die Bemerkung zu hören: „Mama, machst Du Dir Sorgen? Deine Stirn sieht wieder ganz wellig aus?“

Johnny lernte seine Liebe zu diesen so possierlich und elegant daher streichenden kleinen Raubtieren mit ihren Samtpfoten schon direkt am ersten Tag unseres Kreta Urlaubs kennen.

Unser Vorschulabenteurer war so fasziniert von den niedlichen kleinen Katzendamen und –herren, dass er vor lauter Schmuse- und Fütterungsbegeisterung selbst das Essen vergaß.

Es kam, wie es bei einem aufgeweckten Kind mit ausgeprägtem Wunschdenken so kommen muss. Es verfolgte seine verwaschene und verfilzte grau-weiße Lieblingskatze auf ihrem Spaziergang durch die Hotelanlage, bis hin zum Strand, und lockte sie immer wieder mit kleinen Wurststückchen.

Klar, dass eine herrenlose Strandkatze so viel Aufmerksamkeit mit sehr viel Charme und Dankbarkeit belohnt. Sie wich unserer Milchnase fortan nicht mehr von der Seite. Johnny betrachtete diese Zutraulichkeit natürlich nicht als freundliche Bettelei, sondern als bedingungslose Liebe zweier Seelenverwandter.

Er bettelte Henrik und mich an, aus dem Hotel ein kleines Schüsselset und ein paar Löffel für unseren karg ausgestatteten Ferienbungalow mitgehen zu lassen. Und schwupps, schon wenige Minuten nach dem gerade verzehrten Frühstück sah ich mich zusammen mit Johnny im nächstgelegenen „Supermarket“ durch die Regale mit Katzenfutter und Katzenspielzeug tingeln.

Die verwaschene grau-weiße Katze, die sich Johnny zu ihrem besten Freund auserkoren hatte, bekam den Namen Gaty. Denn wir hatten inzwischen gelernt, dass „gata“ das griechische Wort für Katze ist, und wir daher einfach mal vermuteten, das unserer Gaty dieses Wort vermutlich vertraut vorkommen müsste. Gaty war zumindest optisch sowas ähnliches wie ein Kartäusermischling. Heißt, sie hatte ein kurzes flauschig silbriges Fell und einen allerliebsten weißen Schlabberlatz an Kinn und Brust. Auch ihre Vorderpfoten waren weiß. Und so sah unsere Gaty aus wie eine Katze, die mit den Pfoten aus der Joghurtschüssel genascht und sich anschließend die Milchcreme über die gesamte Brust gekleckert hat. Manierlich und gepflegt wirkte dieser kleine griechische Flohzirkus allerdings erst, nachdem wir ihm mit einer billigen Puppenbürste unzählige Fellknoten, Kletten und Holzspäne aus den Haaren gebürstet hatten.

Wenn Johnny nun schon seinen Urlaub gemeinsam mit dieser zugelaufenen kleinen Schmusekatze verbringen wollte, dann sollte diese Katze möglichst gepflegt und reinlich daher kommen. Also bekam sie zusätzlich noch ein Flohhalsband mit rosa Herzchen um den Hals.

Auch wenn ich damals ganz sicher keine Katzenexpertin war, so konnte ich doch schon Männlein von Weiblein unterscheiden.

Diese Katze war ganz bestimmt ein Mädchen. Und eine der Urlaubsbekanntschaften, die uns in unserem kleinen Bungalow besuchte, war dann mit ihrer eigenen jahrelangen Erfahrung als Katzenfrauchen auch schwer überzeugt, dass die kleine Gaty demnächst eine Katzenmama sein würde.

„Die Zitzen unter dem Bauch sind bei Katzen nur so dick und geschwollen, wenn sie Nachwuchs erwarten. Außerdem ist euer Pflegekind ziemlich mollig um den Bauch rum. Das kommt bestimmt nicht nur von Johnnys Leckerchen.“

Wie auch immer. Gaty nistete sich unter Johnny Fürsorge bei uns im Bungalow ein. Sie turnte mit ihm zusammen über die Betten und die Stühle, spielte mit zusammengeknäuelten Socken und einer leeren Cremedose und ließ sich rund um die Uhr kraulen und schmusen. Gaty bekam ihren Schlafplatz auf zwei Hotelhandtüchern in der schattigen Ecke unserer kleinen Ferienterrasse.

Und immer wenn wir abends von einem unserer wundervollen Tagesausflüge kreuz und quer über die kretische Insel zu unserem Domizil heimkehrten, dann wartete Gaty bereits auf Johnny. Sie hockte dann aufmerksam entweder auf ihren Handtüchern oder auf einem der Balkonstühle. Mit wachem Blick und in geduldiger würdevoller Körperhaltung beobachtete sie dann majestätisch, wie Johnny ihre Fressnäpfe mit Futter und Frischwasser füllte und erst wenn das Buffet für sie auf der Terrasse angerichtet war, dann erhob sich unsere wohlerzogene kleine pelzige Freundin von ihrem Platz und folgte Johnnys Einladung zum Dinner.


Jeder Urlaub hat ein Ende.

Sonst wäre es ja auch kein Urlaub. Eigentlich freuten wir uns auch auf unser Heim, auf Mechthild und Dieter und seine liebe Helga und auf Daniela und Jörg und unser kleines unaufgeregtes Leben rund um Henriks Werkstatt.

Wir packten die Koffer und checkten aus dem Hotel aus. Der Transfer zum Flughafen war für den frühen Nachmittag angesetzt, wir hatten also noch Zeit, uns gemütlich vom Strand und jenen Menschen zu verabschieden, mit denen wir zwei Wochen lang gemeinsam eine alles in allem wunderbar erholsame Ferienzeit verbracht hatten – abgesehen von den noch immer schmerzenden Schürfwunden an Knien und Ellenbogen, die ich mir bei der ungemütlichen Wanderung rund um den Kournas See zugezogen hatte. Aber wer sagt denn, dass Urlaubssouvenire immer nett und sympathisch sein müssen?

Wir schlenderten also, um unserem Feriendomizil Lebewohl zu sagen, ein wenig wehmütig am Strand entlang. Am letzten Urlaubstag schlagen die Gefühle bei mir immer gewaltige Kapriolen. Einerseits kann ich es kaum erwarten, endlich wieder in meine eigenen vier Wände zu kommen und mich sicher und behaglich mit vertrauten Dingen zu umgeben, andererseits trauere ich um den herrlichen Flecken Erde und die lieben Menschen, von denen ich mich manchmal für immer – meist aber zumindest für eine lange Zeit – endgültig verabschieden muss.

In diesem Fall war es eine Katze, die uns den Abschied ungemein schwerfallen ließ. Da hockte unsere Gaty aufrecht und höchst interessiert auf ihrem Stammplatz vor unserer Bungalowterrasse und wartete auf uns. Johnny kuschelte sich an das Tier und vergoss dicke Krokodiltränen, als wir ihn vorsichtig daran erinnerten, dass wir nun langsam zu unserem Bus aufbrechen müssten.

„Nein, ich gehe nicht ohne meine Gaty“, jammerte unsere Milchnase. „Gaty gehört doch zu mir. Das ist meine Katze.“

Johnny versteifte sich und trat in den Sitzstreik. Mit Gaty auf dem Schoß.

Fast eine Stunde lang nahmen Henrik und ich Teil an den schrecklichen Qualen, die unser Sohn in seinem Abschiedsschmerz erlitt.

Mir tat das alles so fürchterlich leid, dass ich kurzerhand einen gewagten Entschluss fasste.

„Henrik, ich muss kurz mit Dir reden“, zog ich meinen Mann zur Seite. „Wir können doch Gaty vielleicht mit nach Deutschland nehmen. Niemand außer Johnny vermisst hier diese kleine Katze. Wenn wir nun schnell so eine Transportbox besorgen, dann können wir Gaty doch einfach mit nach Deutschland nehmen“, versuchte ich, Henrik zu überreden.

„Hm, und dann? Gaty ist schwanger. Bald hätten wir also daheim einen ganzen Stall voller kleiner Kitten. Und überhaupt. Dürfen wir so einen Streuner denn einfach so mit ins Flugzeug nehmen?“

Ich seufzte gequält auf.

„Schau Dir unseren Sohn an. Der ist doch total verzweifelt. Und wir haben uns in unsere Gaty doch auch verliebt. Wäre doch wunderbar, wenn sie bei uns in Deutschland leben könnte.“ Ich steigerte mich hektisch in die Vorstellung hinein, unser kleines Haustier einfach durch den Zoll zu schmuggeln.

Henrik legte mir zur Beruhigung eine Hand auf die Schulter. „Pass auf. Mir gefällt die Vorstellung nicht so wirklich, demnächst Vater von fünf oder sechs winzigen Katzen zu werden. Aber für meine Lieblinge tue ich ja fast alles. Also werden wir jetzt mal kurz in der Rezeption an den Computer gehen und im Internet nachforschen, ob wir Gaty so mir nichts dir nichts eine neue Staatsbürgerschaft verschaffen dürfen“, schlug unser Familienoberhaupt vor.

Wir durften nicht.

Wir hätten wenigstens zwei Tage gebraucht, um bei einem griechischen Tierarzt sämtliche notwendigen Impfungen und Kennzeichnungschips zu besorgen, und das Tier für den Rückflug anzumelden.

Unser Flug ging in drei Stunden.

Der Bus fuhr gerade auf den Parkplatz ein.

Zärtlich hob ich Gaty aus Johnnys Rucksack. Er hatte sich längst seinen eigenen Plan zurecht geschustert, um „seine“ Katze mit nach Hause zu nehmen.

Fast hätte es geklappt, wenn nicht der Rucksack plötzlich verräterisch gemaunzt und eine kleine weiße haarige Schwanzspitze vorwitzig zwischen den Reißverschluß Zähnen hervorgeblinzelt hätte.

Ich schüttelte bedauernd den Kopf.

„Gaty ist nun einmal Griechin. Sie würde bei uns im kalten Deutschland doch nur frieren und krank werden“, sagte ich zu meinem Sohn.


Wir flogen in unseren Alltag. Gaty blieb auf Kreta. Aber sie hat sich für immer ins Herz der Familie Hesselbach geschlichen und uns zu Katzenliebhabern gemacht.


Wir alle sind keine Hellseher. Daher ahnten wir ja zu jenem traurigen Abschied damals nicht, dass wir sieben Jahre später tatsächlich einen kleinen verwaisten Kater mit dem Namen Mikesch als neues Familienmitglied in den Hesselbach-Haushalt aufnehmen würden.


J o h n n y

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