Читать книгу Stehaufmännchen - Die Kraft zu leben - Margarithe W. Mann - Страница 3

Idioten stürzen ab

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Ich habe keinen Drang verspürt zum sogenannten Klassenfeind zu fahren, ... jedenfalls vorerst nicht, zumal ich mir bei Onkel Bertram seinerzeit ein Bild zumindest von den „äußeren“ Begebenheiten verschaffen konnte. Zum anderen bin ich auch irgendwie mit mir selber beschäftigt, mit mir und den Gedanken die nicht aufhören und keine Ruhe geben, egal was ich tue. Innerhalb kürzester Zeit kommt alles zusammen, Erinnerungen an Frank und dennoch der Wunsch nicht mein weiteres Leben ohne Partner fortsetzen zu wollen und hoffentlich ergeht es Henny in Gütersbach gut. Ich weiß manchmal überhaupt nicht was ich will oder machen soll. Ich mache mich auf den Weg nach St. Josef, trotz ungemütlichen Wetters, die Pferde und Simon sorgen immer für eine Art Gemütsausgleich, aber diesmal hielt es eine Enttäuschung bereit, Simon hat eine neue Freundin, es trifft mich ein wenig, obwohl es mir ja eigentlich egal sein könnte, ist es mir aber nicht wirklich und es ärgert mich, ... aber schließlich war ich diejenige, die ihm in einer gewissen Beziehung aus dem Weg gegangen ist, ... eben weil ich ihn als zu jung für mich eingestuft hatte. Ich gebe vor, müde zu sein und gehe wieder nach Hause.

Im Sanatorium werden Stimmen laut, sie sagen die Klinik werde nicht mehr lange existieren, es fallen die Worte wie Verkauf und Treuhand. Es bleiben Fragen offen, was soll mit den geplanten Kuren der Patienten werden?, ... und was wird aus den Mitarbeitern, die dort arbeiten und wohnen, wenn das Haus geschlossen wird?. Fast im gleichen Atemzug ruft erneut Udo an: „Hast Du es Dir nun überlegt?, ... würdest Du zu mir nach Domstedt ziehen?“. Ich werde momentan mit der gesamten Situation nicht fertig und glaube allen Ernstes, es wäre eine gute Lösung wenn ich mit alldem nicht mehr konfrontiert werde, ... wenn ich also ganz woanders hin gehe. Ich kann nicht mehr beschreiben wie ich mich fühlte, ... so mache ich den gleichen Fehler noch einmal und laufe vor mir selber davon, dabei soll sich bald schon herausstellen: es war der größte Fehler, den ich bisher in meinem Leben verzapft habe. So gehöre ich noch heute für das, was ich selber angerichtet habe, geteert, gefedert und ans Brett genagelt. Schließlich habe ich mir nicht nur selber damit sehr weh getan, sondern auch anderen, von meinen Kindern und den Eltern ganz zu schweigen. Ich fiel einen Abhang hinunter und riss die anderen mit in die Tiefe, in dem ich dem Udo zusagte, und meinen Arbeitsvertrag kurzfristig kündigte.Typisch für mich war wieder, dass ich alles durchzog, obwohl ich es, als dann alles endgültig war und der Umzug bevorstand es nicht mehr wollte. Ich war unfähig wie so oft, mich von Ungewolltem zu lösen und mich zu befreien. Heute ist mir ein Rätsel wie es überhaupt möglich ist, dass man dem Sog, den manche Menschen auf einen ausüben nicht entgehen kann. Wie schon im ersten Teil meiner Aufzeichnungen gesagt habe ich mich endlich davon befreit, es hat lange gedauert, länger als zwei Drittel meines Lebens habe ich dafür gebraucht, ... aber ich habe es geschafft.

Noch zu Ende November 1989 kündige ich kurzfristig mein Arbeitsverhältnis, sowie meine schöne Wohnung im Klinikum und bin mir nicht im Klaren, was ich damit anrichten würde. Zuerst der echten Überzeugung das Richtige zu tun, frage ich in meiner Naivität Carlo, ob es ihm für immer an der Ostsee gefallen würde. Was wohl soll ein Kind in seinem Alter anderes antworten als: „Ja, dann können wir wieder ganz viele Muscheln und Krebse sammeln!“, ... verrückt, ... nicht wahr?. Irriger Weise ist zugleich der Gedanke da, dass man Henny des öfteren während ihrer Ausbildung besuchen könnte, dabei stellt sich doch die Frage: und dann?, wenn die Ausbildung zu Ende ist?, die dauert doch nicht ewig, ... .

Zeitweise bessert sich meine Stimmung etwas, es kommen Augenblicke, an denen ich gar nicht mehr hundertprozentig überzeugt bin von alledem was ich vorhabe. Ich ziehe es aber Dank meiner Verrücktheit vor nun alles durchzuziehen, eben auch, weil ich nun schon überall propagiert habe, was ich tolles vorhabe, … und zu feige bin, zu sagen: nein, ich mache das doch lieber nicht. Es mir mehr als nur schwer fällt zu gehen, ich bringe damit fast alle zum heulen, … trotzdem ziehe ich mal wieder alles durch, … wie schon tausendmal gesagt, kann ich heute keinen Bruchteil dessen, was ich mir dabei gedacht und getan habe nachvollziehen.

Die sogenannte Wende bringt vielen Menschen nichts Gutes mit sich, manche trifft keine Schuld, ... manche, so wie ich tragen einen Großteil an Eigenverschulden mit sich herum. Mir, ... und vielen anderen Menschen ist zum Zeitpunkt des Mauerfalls gar nicht bewusst, was es eigentlich bedeutet, wenn man so einfach sagt: jetzt ist die Mauer ist weg. Viele von ihnen sind regelrecht euphorisch, sie kaufen sofort Autos, ohne sich zu informieren, was es eigentlich noch wert ist, … aber Hauptsache erst mal ein Auto. Ich habe noch heute nicht viel Ahnung davon, aber so doof war ich nun auch wieder nicht, dass ich wie so mancher ein Auto kaufe, ein teures Auto, ... ohne zu wissen, welch` Schrottkarre sie sich haben aufschwatzen lassen. Ein anderer dafür war froh es los zu sein und konnte sich für das Geld ein fast neues kaufen. Plötzlich war alles, was wir bei uns in der DDR hatten schlecht, nichts Gutes blieb zurück. Fast alles jubelt, denn es gibt von heute auf morgen überall Bananen und „guten Kaffee“. Es werden Kredite angeboten, mit viel zu hohen Zinsen. Oft gibt es diese Kredite über sogenannte Kreditvermittler, die eine hohe Bearbeitungsgebühr kassieren, dann aber keinen Pfennig des versprochenen Kredites auszahlen. unzählige Versicherungsvertreter überfluten die kleine DDR, Versicherungen, die man niemals brauchen würde werden schmackhaft gemacht, ihre Verkäufer verdienen sich damit eine goldene Nase. Fabriken und Betriebe werden plötzlich geschlossen, ... die Technik ist hinterm Mond, sagt man. Es dauert nicht lange, da haben wir sie auch: Arbeitslosigkeit, … was wir in der DDR ja nun überhaupt nicht kennen, ... und, und, ... . Das heißt nicht, bei uns in der kleinen Republik ist alles toll und in Ordnung gewesen. Der Staat hat sich aber selber zugrunde gerichtet, ... manches hätte eben nicht so sein dürfen wie es war, ... wie schon angesprochen, die viel zu niedrigen Mieten, ... wovon sollten die Wohnungen renoviert werden?. Es kann auch nicht sein, dass man als Kleingärtner für sein Obst mehr Geld bekommt, als es anschließend im Laden kostet. Um noch einmal auf das „Eingesperrt sein“ in der DDR zurückzukommen, ... zu verurteilen sind natürlich die Vorkommnisse an der Grenze, ... keine Frage, ... hätte man uns doch reisen lassen, wo man gern hin gewollt hätte, ... und wenn ich nur an das Gesundheitswesen denke, ... wenn so mancher gemerkt hätte, in der DDR ist genanntes, wie so manch `andere Dinge auch nicht schlecht, ... sie wären wieder zurückgekommen, ... die meisten von ihnen jedenfalls. Ich glaube, dass sich, wenn man uns nicht eingesperrt hätte, ... wenn ich den Ausdruck wieder anwenden darf, ... dann hätte sich sicher nach einem vorausgegangenen Durcheinander im gemeinsamen Deutschland vieles von selber gelöst. Zumindest hätte man nicht übereilt alles, was es bei uns gab, abschaffen sollen , sondern aus jedem Teil Deutschlands das beste herauspicken sollen, um etwas Gemeinsames daraus zu machen, ... eben Einigkeit im vereinten Deutschland, ... aber noch heute, bald zwanzig Jahre später gibt es noch immer ungleiche Löhne und Renten, mit welchem Recht verdient man im „Westen“ mit gleicher Ausbildung im gleichen Beruf mehr als im „Osten“?, ... warum bekommen westdeutsche Frauen mehr Rente als Ostdeutsche?, obwohl wir Frauen in der DDR, außer unseren kleinen Babypausen immer in Vollzeit gearbeitet haben und auch zumeist mehr Kinder geboren haben als die westdeutschen Frauen, die ja auf Grund ihrer Mutterschaft nur stundenweise arbeiten „konnten“, weil sie sonst alles andere im Haushalt nicht schaffen oder geschafft haben?. Warum verdienen Frauen, die im Beruf die gleiche Voraussetzung erfüllen wie ihre männlichen Kollegen weniger als diese?, ... mit welchem Recht bitte?. Bald schon kristallisiert sich diese „Schere“ heraus, das heißt, es gibt schon fast keinen Mittelstand mehr. Es gibt keine breite Masse mehr, so wie es in der DDR war, in dem Sinne, dass in Etwa alle, bis auf Ausnahmen, die sich aber relativ gering halten; und bis auf die Obrigkeit natürlich, das gleiche Einkommensniveau hatten. Besser Verdienende wird es immer geben, das ist eine unabänderliche Tatsache in jeder Gesellschaftsordnung. Aber jetzt ist es so, dass es Leute gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrem vielen Geld, während andere nichts zu essen haben und ihr Quartier im Freien aufschlagen müssen. Solange keine Gleichberechtigung geschaffen wird, was vor allem Löhne und Renten betrifft, so lange wird es immer „Ossi“ und „Wessi“ bleiben. Wie steht es um unser Gesundheits - und Sozialsystem in der gegenwärtigen Zeit? .Na, ja, ich möchte aus und mit meinem Buch keine politische Abhandlung produzieren. Es würde Seiten füllen, und wenn die Aufzeichnung meines Lebens dann ein Schulaufsatz wäre, würde der Lehrer darunter schreiben: Thema verfehlt!. Aber weil die Politik ja auch irgendwie immer den einzelnen Menschen beeinflusst, so auch mich, möchte ich es halt nicht ganz und gar „außen vor“ gelassen haben und werde sicher im Laufe meiner Niederschrift, dazu die eine oder andere Andeutung machen und meinen Kommentar abgeben.

Jedenfalls spricht es sich in unserem Sanatorium ganz schnell herum, dass ich noch vor Weihnachten gehen würde, am schlimmsten war es, mit meinen Eltern darüber zu sprechen, meine Mutter schreit mich an vor Entsetzen, mein Papa sinkt in sich zusammen und sagt nichts. Ich gebe mir heute noch die Schuld daran, weil es fort an mit seiner Gesundheit abwärts ging. Heute weiß ich, es ist manchmal ein blöder Satz, wenn man sagt: Ich bin doch nicht aus der Welt. Ich spreche an diesem Tag kaum noch ein Wort mit meinen Eltern, bzw. sie nicht mit mir, ... ich gehe einfach. Am gleichen Abend bin ich noch bei Jasmin, sie sagt nur: „Du spinnst doch!, ... weißt Du das?“. Am vorletzten Arbeitstag treffe ich Willi im Flur: „Ich habe gehört, Du gehst fort?, ... sag` bitte, dass das nicht stimmt“. Er zieht mich an sich und flüstert: „Du, ... ich brauche Dich doch, ... Du kannst doch nicht so einfach gehen, ...das geht nicht“. Ich beginne zu stottern. „ ... Willi, … ich, ... Du, ...“. „Ich hab` es Dir nie gesagt oder spüren lassen, dass Du nicht nur eine Affäre für mich bist, ... bitte überlege es Dir,... bleib` doch hier, ... bitte!“. Ich bin verwirrt und auch berührt von dem was er sagt, aber antworte nur: „Tut mir leid, Willi, ... aber alles ist zu spät, ... ich muss gehen, ... aber vergessen werde ich Dich sicher nicht, ... glaube es mir“. Es kommen Patienten in Richtung Labor, aber er küsst mich trotzdem auf den Mund. Ich befreie mich aus seinen Armen und drehe mich um. „Adieu Willi, ... mach` s gut, ... vielleicht sehen wir uns ja mal wieder!“. „Ja, ... denn, ... man kann nie wissen“, er seufzt kurz und geht ohne sich noch einmal umzudrehen seiner Wege, er lässt ein sonderbares Gefühl zurück. Am nächsten und letzten Tag feiern wir noch ein wenig in der Kantine meinen Ausstand und trinken Wein. Wir sind recht viele, natürlich sämtliche Laborkollegen, der Oberarzt Dr. Abschied, die Kurierfahrer und Angestellte aus der Küche, natürlich auch die Katarina, die am Schluss als ich gehe mit Sibylle um die Wette heult. Die nächsten paar Tage habe ich noch frei, ich packe die Reste in, bzw. aus meiner Wohnung zusammen. Ich fahre nochmal mit dem Bus nach Seelstein und gehe zur Sonnenburg, anschließend zu meiner Freundin Hanni um auch ihr tschüss zu sagen. „Ach, meine gute Meggy, ... die älteste und die jüngste“, meint sie. „Ich hoffe nur für Dich, dass Du es richtig machst, aber ich werde Dich vermissen, Du wirst mir doch hoffentlich schreiben, ... und sag` auch, wenn es Dir schlecht geht“, spricht sie, als ich bereits wieder in der Tür stehe. „Ja, ... meine Hanni, ... das mache ich ganz sicher, ... versprochen“, ich drücke sie noch einmal und fühle mich gar nicht gut. Zurück zum Bahnhof fahre ich ein letztes Mal mit dem Barkas nach Lohra mit. Es ist so als würde ich durch dichten Nebel fahren, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bitte den Kurierfahrer, mich an der Querstraße zu St. Josef abzusetzen, ich will mich noch von Familie Peters verabschieden. Ich steige also aus und gehe den kleinen befestigten Feldweg nach St. Josef zu Fuß. Noch heute habe ich, wenn ich darüber schreibe ein Gefühl, als wäre mein Herz ein Klumpen, der schwer in meiner Brust liegt und noch genauso schmerzt wie damals, nur dass ich heute wie gesagt keine Antwort darauf finde, warum ich mir diese Schmerzen angetan habe. Als ich ankomme ist es dunkel, auch im Stall brennt kein Licht mehr. Auf mein Rufen im Hausflur dringt wie immer Charlottes liebe Stimme an mein Ohr: „Komm` rein Meggy“. In der Küche ist es schön warm, ein Adventsgesteck steht auf dem Tisch. Martin ist nicht da, Kuno sitzt am Tisch und liest Zeitung, Simon nestelt an einem Taschenkalender herum und legt ihn beiseite als ich eintrete: „ Na, mein Herzblatt, ... was gibt es denn ? ", will er wissen von mir. Ich lasse mich wie ein nasser Sack auf einen Stuhl fallen. „Jaaaa, ... ich, ... ich, ... ich wollte Euch tschüss sagen,... ich ziehe noch vor Weihnachten zu meinem Freund Udo an die Ostsee“. „Also stimmt es doch, ... ich habe es schon gehört, ... aber ich wollte es nicht glauben, ... Mädchen, was ist denn das für eine Idee?“, meint Kuno, er wackelt mit dem Kopf, aber im Gegensatz zu sonst finde ich es nicht mehr lustig. „Du willst fort?, ... nee, ... das glaube ich nicht, ... Du findest es gut, an die Ostsee zu ziehen?“, sagt Simon ehrlich verblüfft, er steht auf und holt aus dem Küchenschrank ein paar Gläser und gießt jedem einen Korn ein. „Jetzt will ich es nochmal aus Deinem Munde hören, dass Du gern von uns allen hier weg willst!“. Er trinkt das Glas in einem Zuge aus während Kunos Hand derart zittert, dass er die Hälfte dabei vergießt und den verbliebenen Rest umständlich austrinkt. Ich kann irgendwie nichts mehr sagen. „Du willst doch überhaupt nicht von hier fort“, spricht Simon weiter, er packt mich an den Schultern und schaut mich an. Ich weiß, er hat recht und spätestens jetzt hätte ich mein Vorhaben rückgängig machen müssen, ... jetzt, nachdem Simon versucht hat mir diese Brücke zu bauen. Eine letzte Gelegenheit die ich nicht wahrgenommen habe, aus meiner Situation wieder herauszufinden und meine falsche Entscheidung in eine Richtige umzuwandeln, ... der Mut dazu war nicht da.-

Drei Tage vor Weihnachten kommt der Möbelcontainer in Wiesenstadt an, kurz vorher bin ich mit Carlo mit dem Zug gefahren, ich habe noch immer nicht registriert, wie endgültig das alles ist und habe ein Gefühl, als wäre das alles nur vorübergehend, ... so als fahre ich nur in den Urlaub. In Wiesenstadt muss noch alles auf einen Transporter umgeladen werden. Es ist nicht besonders viel, den größten Teil meiner Habseligkeiten muss ich leider abgeben, Udo hat auch Möbel, zwar lange nicht so schöne wie es meine sind, aber es ist kein Platz da, um meine Dinge aufstellen zu können. Am meisten tut mir leid, dass ich deshalb den schönen Bauernschrank meiner Großeltern zurücklassen muss, es ist einfach keine Möglichkeit dafür da, ... wie für so manche andere Dinge, die mir an` s Herz gewachsen sind. Den Bauernschrank habe ich dem schönen Willi auf seinen Wunsch hin überlassen, er möchte ihn als Erinnerungsstück an mich behalten und eine Hausbar daraus machen. Trotzdem ist es eine ganz schöne Möhlerei, ich habe noch immer nicht geschnallt was da eigentlich „ab geht“ und Carlo schon gleich überhaupt nicht. Nach einer Weile umräumen, wird mir erst richtig bewusst, was das eigentlich für eine schreckliche Wohnung ist, die von Udo, ganz abgesehen davon, dass sie viel zu klein für uns alle ist. Diese Wohnung ist am Hennensteig 12, in Domstedt eben, in einem alten, nicht gerade gut erhaltenen Mehrfamilienhaus. Es ähnelt in der Art und Weise wie damals dem in Seelstein, in der Melissengasse, nur dass die Bewohner hier alle glücklicher Besitzer einer eigenen Toilette, bzw. eines Badezimmers sind. Es gibt so gut wie keinen Flur, wenn man zur verschrobenen Haustür hereinkommt, ist da eine „Riesenfläche“ von ca. 1 bis 2 m2 . Links und rechts ist eine Wohnung, links eine Familie mit zwei Mädchen, eines zu der Zeit 12 Jahre alt das andere 3 Jahre. Gegenüber wohnt eine ältere Dame mit zwei oder drei Katzen, oft dringen aus ihrer Wohnung stark muffige und üble Gerüche, ich denke mal, es kommt daher weil sie, wie ich später mitbekomme ein „Messi“ ist, ... auch etwas was ich vorher nicht kannte. Von hier aus führt unmittelbar vor einem eine steile Treppe mit 15 Stufen hinauf bis zu einem podestartigen Absatz gleicher Größe wie unten. Links ist nun Udos Wohnung , rechts die einer Familie mit einem Jungen in Carlos Alter. Zur Tür eingetreten steht man unmittelbar gleich in der mehr als nur kleinen Küche mit einem uralten Schrank und einem noch älteren Tisch. Dem gegenüber ist die Abwäsche, links davon das Fenster zur Straße. Zwischen dem Küchentisch und dem Gas - Kohle - Herd ist die Tür zum Schlafzimmer, auch klein und uralt. Rechts neben der Eingangstür zur Wohnung ist ein Durchgangszimmer, besser gesagt ein sogenannter Alkoven, von dem man ins Bad gelangt, welches noch das Beste an der ganzen Horntie ist, ... gefliest und mit einem Kohlebadeofen. Geradeaus der Küche ist eine kleine Stube mit Fenster zum Hof. Wie im Bad auch, schaut man von hier aus auf einen kleinen total verwilderten Garten neben dem eigentlichen Hof. Mein Gedanke ist, ... mein Gott, wohin hast du eigentlich dein Kind verschleppt?, anders kann man es nicht bezeichnen, was habe ich mir nur dabei gedacht?, was habe ich da bloß wieder angerichtet?. Wo nur ist deine schöne Wohnung?. - Wie gesagt verstehe ich da alles heute selber nicht mehr, zumal ich doch diese schäbige Wohnung gesehen habe, ... mehrmals, wenn wir bei Udo zu Besuch waren, ich kann das nur tausendmal wiederholen, ... aber ich kann es aber nicht rückgängig machen, nur mich selber immer wieder dafür verurteilen.

Weihnachten kommt, ich bereite zu Hause den Karpfen zu, Henny kommt aus Gütersbach, Carlo hat zu meinem Erstaunen gleich Kontakt mit dem Nachbarsjungen Raffael aufgenommen, sie spielen bereits miteinander, ... Gott sei Dank etwas. Ein Arbeitskollege und eine Kollegin von Udo sind zum Essen da, ... der Karpfen schmeckt, ... mir allerdings nicht wirklich, ich vermisse das gewohnte Weihnachten in Familie. Ich rede mir ein, ein schönes Fest gehabt zuhaben, zu mir selber sage ich: Was willst du eigentlich?, ... jetzt hast du doch eine vollständige Familie, die du immer haben wolltest!, ... die Kinder, ... und auch einen Mann, ... jetzt sei doch endlich zufrieden und jammere nicht herum. Der Udo hat dich gefragt, ob du ihn haben willst und du hast ja gesagt, .... du hast es dir selber ausgesucht und niemand hat dich gezwungen, du hast alles freiwillig gemacht. - Trotzdem, auch wenn ich mir das selber vor erzähle, kann ich dennoch keinen Spaß und Freude an diesem Weihnachtsfest finden, es ist das erste ganz ohne meine Eltern, das Silvester ohne meine Freunde, … dafür sind es die ersten Tage an denen ich erkennen muss: der Udo ist einer, der nichts und niemanden mehr liebt als den Alkohol. In den paar vorangegangenen Besuchen bei ihm, sowie während des Urlaubes ist es mir nicht aufgefallen, bei solchen Anlässen trinkt man ja oft ein Gläschen mehr, als es sonst üblich ist, aber heute sage ich mir: Du hättest es sehen und merken müssen.

Heute sage ich mir, was redest du dir da vor?, du hättest es doch merken müssen, ... als ich es an diesem Weihnachtfest mitbekommen habe, wäre es doch fast ein Leichtes gewesen zu sagen, ich nehme die Kinder, bzw., meinen Carlo und mache auf dem Absatz kehrt, … warum habe ich das denn nicht gemacht?, ... warum?, ... stattdessen habe ich auch noch zu jedem, der mich gefragt hat, wie es mir geht, gesagt und immer wieder geantwortet, es gefällt mir gut und es geht mir auch gut, … ausnahmslos zu jedem habe ich es gesagt und damit die nächste Chance verwirkt, alles rückgängig zu machen. Fast immer, wenn Udo nach Hause kommt, ist er nicht nur voll, sondern stechend voll, oft kommt er auch noch dreckig, weil er im Suff die Straße gemessen hat. Ich sehe immer zu, dass ich Carlo ins Bett bringe und dass er schläft bevor Udo nach Hause kommt. Ich will meinem Kind wenigstens nicht zumuten, sich das ansehen zu müssen. Ich mache mir eh schon genug Vorwürfe und schäme ´mich, dass ich das alles meinen Kindern und den Eltern einfach so vorgesetzt habe. Wie gesagt ist aber noch schlimmer, dass ich nicht den Arsch in der Hose habe zu sagen: Nein, das mache ich nicht mit, ich gehe zurück nach Hause, in meine Heimat, ich schäme mich, einzugestehen, was für einen Mist ich da wieder verzapft habe. Das Sanatorium, d.h. seine Existenz stand zwar schon auf der Kippe, ... aber es war zu dieser Zeit noch da, ... heute weiß ich, es hätte sich sicher eine Lösung gefunden. Dieser größte Fehler meines Lebens machte meine seelischen Zustände noch schlimmer als sie vorher waren, ... ich Idiot habe zu Anfang wirklich geglaubt, es würde besser werden, wenn ich weit genug weg bin, ... dann, als die Erkenntnis kam , es ist doch nicht richtig, war ich zu feige es rückgängig zu machen, ... na ja und da schließt sich der Kreis wieder: dann erst recht zu feige zur Umkehr.

Wir schreiben das Jahr 1990, ein neues Jahrzehnt hat angefangen, mit einer neuen Schulklasse für Carlo und einer neuen Arbeitsstelle für mich. Raffael der kleine Nachbarsjunge geht mit Carlo in ein und die selbe Klasse. Ich hoffe nur er wird sich einleben, ... heute denke ich: das arme Kind. - Kurz gesagt, meine Arbeit gefällt mit überhaupt nicht, wenn ich es ganz gelinde ausdrücke. Wenn ich dazu sage: sie ist schrecklich, dann trifft es schon eher zu. Ich bin zwar jetzt auch im Labor beschäftigt, ein bis zwei Bushaltestellen von Domstedt entfernt, aber in einer Einrichtung für Pflanzenaufzucht. Ich mag zwar Blumen, immer schon, aber das hier ist für mich einfach absolut gar nichts. Man sitzt den lieben langen Tag am Mikroskop und zählt Blüten - oder Pflanzenchromosome, ich langweile mich zu Tode. Jeden Morgen werde ich mir dieser ganzen Abscheulichkeit bewusst. Wenn ich mit den anderen sturen Fischkoppweibern auf den Bus warte, ist mir bereits der ganze Tag vergällt, ... er scheint unendlich zu sein, ... ein Tag kommt mir länger vor als der andere, ich bin jedes mal froh, wenn dann endlich Dienstschluss ist. Dieser Feierabend allerdings wird genau auf die Minute eingehalten, etwas, was ich ja nun überhaupt nicht kenne. Die Mitarbeiter sagen, wenn Feierabend ist, dann ist Feierabend, ... auch wenn jemand gerade noch einen Objektträger zur Begutachtung fertig gemacht und unter das Mikroskop legen will, lässt man buchstäblich alles fallen und macht am nächsten Tag weiter. Wie gesagt ist das ganz fremd für mich, angefangene Arbeit in der Klinik wurde zu Ende gemacht und blieb nicht einfach liegen. Wir gingen nach Hause wenn wir fertig waren, manchmal etwas früher, aber meistens viel später als unsere offizielle Arbeitszeit es vorschrieb, schließlich konnten wir nicht zu den Patienten sagen: nein, ... jetzt haben sie keinen Schock, ... kommen sie morgen wieder!. Ich weiß ziemlich schnell, ich werde das nicht lange, schon gar nicht bis an mein Lebensende aushalten. Die Kollegen sind ebenso wie die Arbeit stinkend langweilig, jedes Wort muss man ihnen aus der Nase ziehen, oft ist es so ruhig, dass man im wahrsten Sinne des Wortes hören würde, wenn eine Stecknadel herunterfällt, eine Stille die zur Nervosität führt. Bald scheint sich zu bestätigen, was man bei uns Schluchtenjodlern sagt: Es sind und bleiben Mecklenburger, … Fischköppe und stur eben, eine ganz andere Mentalität als die Menschen in meiner Heimat. Ich kann mit diesen Kollegen einfach nicht warm werden, ich vermisse die meinigen zu Hause, meine Patienten und die ewigen Debatten mit meinem Chef, meine Arbeit als solches die mir Spaß gemacht hat, von meinen Hobbys spreche ich lieber gar nicht erst. Von diesem tollen Arbeitstag und Ort zurück, mache ich meist gleich Schularbeiten mit Carlo, er geht dann mit Raffael nach Draußen zum spielen, ich räume in der Zeit die Horntie auf. Wieder habe ich das, was ich nun schon x mal hatte, es muss von Hand geheizt werden und ich bin, wie soll es auch anders sein, diejenige, die die Kohlen schleppt. Carlo ist noch zu klein dafür, aber oft pilgert er mit mir mit bis zum Schuppen im Hinterhof, wo die Kohlen lagern. Udo ist meist viel zu besoffen, um mir am späten Abend wenn er kommt noch Kohlen hereinzubringen. Am nächsten Tag findet er nicht aus dem Bett, wenn er sich irgendwann hochgerappelt hat, dann muss er zur Arbeit. Gott sei Dank ist es wenigstens so, dass Carlo am Abend schläft, und morgens mit mir zur gleichen Zeit los muss, bis auf zwei Tage, die Udo in der Woche frei hat, weil er am Wochenende arbeitet. Carlo muss zur Schule und ich zu meiner leidigen Arbeitsstelle. Einmal an einem Wochenende schicke ich Udo, bevor er zur Arbeit geht in den Schuppen, damit er mir noch Kohlen hereinbringen soll, ich bin so doll erkältet. Ich hätte es lieber selber machen sollen. Als er mit dem Kohleneimer die Treppe fast oben ist, stolpert er und der ganze Eimer samt Inhalt fällt mit unheimlichen Getöse die Treppe herunter. Raffaels Eltern, und natürlich auch die anderen Hausbewohner kommen gleich aus ihren Wohnungen, mir ist es einfach nur peinlich, habe mich für ihn und seinen Suff am heller lichten Vormittag geschämt. Als er weg ist, bereits blau auf dem Weg zur Arbeit, quäle ich mich damit, alles wieder in Ordnung zu bringen. Nie wieder habe ich ihn gebeten, Kohlen für uns hereinzuschaffen. Als er einmal irgendwann von der Arbeit kommt und ich noch „auf“ bin möchte ich gern mir etwas auf der Seele brennendes loswerden. „Du, ... Udo, ich glaube, ich halte es dort im Labor nicht mehr aus, ich werde nicht warm mit den Kollegen, sie reden kaum ein Wort mit mir und die Arbeit ist langweilig, sie füllt mich nicht aus, ... es gefällt mir überhaupt nicht dort“. „Du wirst Dich schon noch daran gewöhnen“, ist der einzige Satz, den ich zur Antwort bekomme. Es hat wohl keinen Sinn, mit ihm darüber zu sprechen, aber ich kann mich nicht einleben, weder auf Arbeit, noch im allgemeinen überhaupt. Ich bin aber so bescheuert und antworte auch in Briefen, die ich von meiner Freundin Hanni und auch von Sibylle bekomme, jedes mal etwas anderes, ... nur nicht die Wahrheit, ich kann es nicht, ich schäme mich in meiner Beklopptheit dafür, wieder nichts, aber auch gar nichts richtig gemacht zu haben.

Im Februar reicht das Geld um nach Seelstein fahren zu können, Carlo hat Ferien, ... endlich, ich freue mich darauf. Das Geld ist ein wenig knapp geworden, etwas was mir eigentlich fremd ist, mein schöner Verdienst ist nicht mehr, so wie es einmal war, ... um nicht zu sagen: sehr wenig Geld bekomme ich jetzt nur noch. Der Umzug hat auch allerhand gekostet. Ich bin enttäuscht, dass Udo nicht einen Pfennig beigesteuert hat, ... er jagt es lieber durch die Kehle. Der Gedanke, hoffentlich reißt er sich zusammen, wenn wir bei meinen Eltern sind, beschäftigt mich unaufhörlich. Ich packe also die Koffer, Mitte Februar fahren wir nach Seelstein, wieder ist da dieses Gefühl: Ich fahre nicht in den Urlaub, sondern kehre aus ihm zurück und trete die Heimfahrt an. Meine Eltern freuen sich sehr und wir sind an einem Abend in der Gaststätte zur „Höhle“. Es ist sehr schön, aber ich bin nur damit beschäftigt zu schauen, dass der Udo nicht so viel in sich hineinschüttet, aber meine Eltern haben wohl bereits den „Braten“ gerochen wie man sagt. Fast warte ich darauf, dass sie diesbezüglich etwas sagen und vielleicht wäre es damit eine Art rettender Strohhalm gewesen, den ich hätte greifen können, um vor dem Abgrund noch im letzten Augenblick Halt zu finden. Sie sagen nichts in dieser Beziehung und ich bin wiedermal dabei, alles zu verniedlichen, spiele Komödie nicht nur vor mir selber und glaube dann fast selbst, dass alles so gut ist wie es ist und meine, nun eh` nichts mehr rückgängig machen zu können. Ein zweites Mal über den eigenen Schatten springen? ... das wird nicht gehen, ... dabei wäre alles so einfach gewesen, ... einfach nur mein verdammtes Maul aufmachen!. Ich höre meinen Vater fragen: „Na, wie ist es?, kommt Ihr zurecht?, geht` s Euch gut?“, ... er sagt Euch, ich weiß, er meint damit die Kinder und mich, ... nicht Udo der sich angesprochen fühlt und für mich antwortet, bevor ich es selber tun kann. Er sagt: „Ja, klar, ... alles gut, … einen Antrag auf eine neue größere Wohnung habe ich auch schon gestellt, schließlich wollen wir ja auch heiraten, ... nicht wahr Meggy?“. Ich weiß zwar bisher nichts, weder von dem einem noch von dem anderen, und obwohl ich mich mehr als nur überfahren fühle, sage ich kein Wort. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich mit dem Kopf genickt habe oder nicht. - Natürlich fahren wir auch nach St. Josef, ich freue mich fast unbändig darauf, aber Kuno hat üble Laune, ... auch hier zeigt sich die Wende, es gibt Probleme mit dem Land welches der Familie Peters gehört, er hat den Kopf voll damit, verständlich natürlich, ... Gott sei Dank ist das wenigstens nicht auch noch meine Schuld. Charlotte freut sich sehr über unseren Besuch, Simon nimmt mich in den Arm, ... ich kann nicht sagen wie gut es mir tut, ich schließe die Augen für einen Moment und genieße es einfach nur. Charlotte lädt uns ein, zum Mittagessen zu bleiben, ich erfahre noch mehr, allerdings nicht sehr schöne Neuigkeiten. Ein neues Fohlen ist in den Morgenstunden am Tag unseres Besuches geboren worden und will nicht trinken. Simon bemüht sich redlich um das neue Wesen und sagt zu mir: „Schade, dass Du nicht mehr da bist Meggy, das wäre mit Sicherheit die perfekte Aufgabe für Dich gewesen“. Es macht mich sehr traurig was er da sagt, ... zur gleichen Zeit auch ein wenig stolz, ... ich denke an die gemeinsame Stallwache damals mit Simon zusammen. Die Schwarze Tulpe ist verkauft worden und Mister soll ebenfalls in den nächsten Tagen abgeben werden, ... mein Mister, ich bin wie vor den Kopf geschlagen, ich möchte dem Kuno am liebsten ein Messer ins Kreuz jagen obwohl er nicht schuld an den ganzen unvermeidbaren Zuständen ist, und eher ich dieses Messer verdient habe. Ich frage lieber nicht, ob es noch Sportfeste geben wird, geschweige denn welche Pferde dann dafür genommen werden sollen. Ich wäre so gern mit Simon ausgeritten, aber ich weiß nicht mehr, warum ich nicht danach frage. Nach dem Essen brechen wir auf, ich habe ein bleiernes Gefühl im ganzen Körper.-

Die Monate März und April 1990 ergeben keine großen Veränderungen in meinem Leben, ich mache das, was ich schon so oft in meinem Leben getan habe, ... zu versuchen aus der Situation, in die ich mich selber hinein manövriert habe, das Beste zu machen und darüber nachzudenken, wie es andere schaffen, nicht wie ich so ein unmöglicher Mensch zu sein, ich schimpfe mit mir selber und komme nicht weiter. Nach einer Weile gerate ich zu einem Punkt, an dem mir alles egal zu sein scheint, vielleicht bin ich nun auch irgendwie ganz verrückt geworden, weil ich zustimme, als Udo nach Hause kommt und sagt, er wäre auf dem Standesamt in Wiesenstadt gewesen und habe einen Termin gemacht, um uns zusammenschreiben zu lassen, ... am 22. Juni 1990. Außer den Kindern soll niemand dabei sein, ... nur Mittagessen wird geplant. Nicht einmal die Eltern, ... weder seine noch meine würden zugegen sein. „Wenn Deine Eltern mal hier auf Besuch sind, dann feiern wir mit meinen Eltern und meiner Schwester ein wenig nach“. Ich hätte sagen sollen: Nein, ... das will ich so nicht, ... geschweige denn das alles überhaupt, aber ich stecke irgendwie in einem tiefen Loch fest, es ist alles dunkel, da komme ich sowieso nicht mehr heraus. Immer wenn ich es schaffe, mich ein Stück hochzuziehen, sodass ich ein wenig Licht sehen kann, tritt mir wieder jemand auf die Finger, dass ich mich nicht mehr festhalten kann und ich rutsche wieder zurück. „Is, gut“, sage ich nur. Wie alle diese Dinge, hundertmal beschrieben, ist es für mich heute nicht mehr nachvollziehbar, ... für so manchem Leser unglaubwürdig, ... und doch bittere Tatsache.

Jeder Tag verläuft gleich, immer wieder der verhasste morgendliche Gang zum Bus, zu einer Arbeit die mir keinen Spaß macht, am späten Nachmittag zurück nach Hause, welches mich mehr als eine Art Unterkunft anmutet, und nicht wie ein Ort, an dem ich mich heimisch fühlen kann. Nach Carlos Schularbeiten kommt der Besuch in der Telefonzelle, um Henny anzurufen, dann gleich anschließend noch mit meinen Eltern oder Arbeitskollegen zu sprechen, damit ich ihnen den Quatsch vom Glücklichsein und völligem eingelebt haben erzählen kann. Hinterher für mein Kind Abendessen zu machen und froh zu sein, dass ich wenigstens meinen Carlo bei mir habe, der sich ganz gut zurechtzufinden scheint, jedenfalls habe ich den Eindruck, dass es so ist. Dann sehe ich noch fern und warte, dass Udo von der Arbeit kommt und hoffe, es ist in einem einigermaßen erträglichen Zustand. Ich merke schon immer, ob er stark angetrunken ist oder weniger, an der Art und Weise wie er die Treppe heraufkommt, ... oder eben herauf stolpert. Es dauert dann nicht lange, dann grunzt Udo neben mir wie ein Wildschwein, was in der Erde herumwühlt. Ich kann nicht schlafen, weil die Gedanken die immer die gleichen sind, es nicht zulassen: Fühlt sich dein kleiner Mann hier wirklich einigermaßen gut ?, ... oder ist er dabei genauso ein guter Schauspieler zu werden wie du es bist?, ... macht Henny die Lehre noch Spaß?, hoffentlich schafft sie alles gut, ... du bist eine schlechte Mutter, ... was machen deine Eltern?, ... was denken sie?, glauben sie das, was du ihnen am Telefon erzählst?, ... ich allein bin schuld daran, dass es mit Papas Gesundheit abwärts geht, ... das ist so, ... ganz bestimmt sogar. Wie mag es deiner Freundin Hanni gehen?, ... glaubt sie mir, was ich schreibe?. Was machen die Kolleginnen?, ... ob sie manchmal an mich denken?. ... Sind wieder Patienten angereist die du kennst?. Quälende Gedanken an Frank kommen regelmäßig zurück, manchmal mischen sich Bilder von Benni darunter. Ich sehe mich mit Simon durch den Wald stieben, denke an Charlotte. Ich denke an Luka, warum habe ich kein Lebenszeichen mehr bekommen?,... wo ist er?, ... ob er Familie hat?, ... wenn er noch hier in der Nähe ist, ... jetzt ist die Mauer weg,. .. vielleicht kann ich ihn ausfindig machen?, ... aber wozu eigentlich?... . Was macht Marcel?, ... ich glaube schon nicht mehr daran, dass er irgendwann nach mir fragt, … ich fange an, mich an diese Gedanken zu gewöhnen, wie an so viele Gedanken, an die ich mich nun wohl oder übel werde gewöhnen müssen. Fast jede Nacht läuft alles wie ein Film ab, ... du bist selber schuld, ... du bist wieder weggelaufen, ... du bringst allen nur Unglück, wann willst du das ändern?, ... was wird noch alles kommen?. Am Morgen bin ich wie gerädert und fürchte mich vor dem kommenden Tag, der ganz genauso verläuft wie der Tag vorher.

Langsam wird es wärmer draußen, ich mache mich an den verwilderten Garten hinterm Haus und denke dabei an meinen kleinen hübschen Garten in Lohra, den ich mit so viel Schweiß und Mühe angelegt habe. Es wird eine Weile dauern bis ich diese Wüste hier so weit habe, dass ich sie als Garten bezeichnen kann.-

Dann kommen die Maiferien 1990, ich kann nicht anders, als mit Carlo nach Seelstein zu fahren. Ich muss zugeben froh zu sein, mich mit meinem Kind allein auf den Weg zu machen, Udo kommt diesmal nicht mit. Ich brauche mir keinen psychischen Stress zu machen der Alkoholgeschichte wegen. Es hört sich vielleicht doof an, aber ich schäme mich für ihn, sein Benehmen ist mir unangenehm und peinlich. Ich verabrede mich mit Sibylle und Katrin zum Essen, es ist ein schöner Abend. Sie fragen mich natürlich ob ich zufrieden bin mit dem was ich habe, und meinem damit verbundenen Schicksal. Ich alte Dappe antworte meist mit Gegenfragen und verschweige, dass der Tag des Zusammenschreibens bereits fest steht. Nach St. Josef bin ich diesmal nicht gegangen, ich bin immernoch betroffen vom letzten mal. Von Sibille erfahre ich auch, mein Mister ist tatsächlich verkauft worden, es tut ganz schön weh. Den Rest meines Besuches in der Heimat verbringen Carlo und ich bei und mit meinen Eltern am Steiger, wir haben sehr schönes Wetter. Als wir in Domstedt zurück sind, werde ich mit Dingen konfrontiert, die mir bislang unbekannt geblieben sind, sie galten bisher nicht für mich. In der Post ist ein Brief vom Pflanzenlabor, in dem ich bislang, wenn auch lustlos gearbeitet habe. Ich bin entlassen auf Grund personeller Probleme, die die sogenannte Wende mit sich gebracht hat. Ja, ... und nun?, ich weiß es nicht. Als Udo nach Hause kommt, kann ich diesmal sogar mit ihm reden, er hat von seiner Chefin eine Standpauke in punkto Alkoholkonsum bekommen. Ich erfahre es von Lore, einer Kollegin aus der dortigen Küche. Frau Gärtner hat ihm angedroht ihn zu entlassen, wenn er sich nicht zusammenreißt. Das Problem Arbeitslosigkeit ist mit eine mal da, ... wie aus dem Nichts, ... in der DDR wurde niemand so schnell entlassen, da mussten schon heftige Gründe vorliegen, aber jetzt?, ... aber jetzt ist es Gang und Gebe. Wenn man nicht mehr gebraucht wird, dann „darf“ man gehen. Die Begründung der Entlassung lautet so gut wie immer: ... Auf Grund der personellen Lage, ... . Nun weiß ich wie so viele andere Menschen nicht, dass es ein Arbeitsamt gibt, wo man in so einem Fall hingehen muss, um sich arbeitslos zu melden, ... niemand sagt einem etwas, ... genauso wenig, dass es so etwas gibt wie Arbeitslosengeld, was man eben auf diesem Amt beantragen muss. Es war nie aktuell für mich, vielleicht bin ich blöd, aber ich habe es eben nicht gewusst. Ich frage Udo, ob er weiß, was ich jetzt machen soll oder könnte. „Ja, das weiß ich auch nicht, musst halt mal sehen, ob Du etwas anders bekommst“. „Na sehr witzig, ... und was bitte?, ... wo soll ich hier wohl hin?“, antworte ich. Zum ersten Mal bedaure ich, keinen Führerschein zu haben, jetzt braucht man nicht mehr so lange auf einen Lehrgang warten wie früher. Ich verwerfe aber den Gedanken gleich wieder, ... jetzt gibt es zwar Lehrgänge, ... aber dafür fehlt das Geld, ... und erst recht dafür, um ein Auto kaufen zu können. Eine Möglichkeit wäre es vielleicht, mich in einer Einrichtung des Gesundheitswesens, etwa im Labor des Städtischen Krankenhauses zu bewerben, ... dahin fahren Busse, ... zur Zeit jedenfalls noch, ... aber das ist nicht möglich wegen der Schichtarbeit von Udo. Er kommt erst nachts von der Arbeit, und vor allen Dingen kann ich mich nicht auf ihn verlassen. Jemand muss da sein, der Carlo versorgt wenn ich Spät, - oder Nachtschicht hätte. Hier in Domstedt, diesem kleinen Nest, werde ich kaum eine Möglichkeit finden, ... es gibt hier noch keine Rehaklinik oder ein Krankenhaus, wo man wenigstens stundenweise arbeiten könnte, ... nur zwei niedergelassene Ärzte, die statt miteinander, gegeneinander arbeiten und ihr Stammpersonal haben. Ich muss aber unbedingt Arbeit bekommen, erstens kenne ich nichts anderes und zweitens kann ich mich nicht auf Udo verlassen, ... manchmal gibt er mir Geld für den Haushalt, ... aber öfter eher nicht. Ich weiß nicht einmal genau, wie viel er überhaupt verdient. Mit dem Gedanken, dass es hier in Domstedt das einzige was es gibt Gaststätten sind, wegen des Urlauberbetriebes im Sommer, fällt mir etwas ein. Gegenüber von der nicht gerade glückbringenden Pension, in der ich mit den Kindern im letzten Jahr gewesen bin, gibt es eine Gaststätte. Im Urlaub waren wir dort hin und wieder zum Essen, Udo pries mich dort als seine „Neue“ an. „Zur Marktmitte“, heißt diese Gaststätte etwas kurioser Weise. Man könnte, wenn man das hört annehmen, der Markt sei riesengroß, wenn man die dortigen Begebenheiten nicht kennt. Na, ja, jedenfalls heißen die Inhaber Familie Vogenschmidt, Frau Vogenschmidt hat öfter gesagt, sie und ihr Mann können die Arbeit während der Saison kaum schaffen. Diese Arbeit habe ich noch nie gemacht, aber fragen könnte ich doch einmal, ... die neue Saison steht vor der Tür, vielleicht habe ich Glück und man kann mich irgendwie gebrauchen. Udo könnte ich samt seiner Gleichgültig auf den Mond schießen, ... ohne besagte Rückfahrkarte natürlich. Carlo ist indessen im Bett, Udo hat sich bereits das nächste Bier aufgemacht, ich weiß nicht genau ob Carlo schon schläft und spreche ein wenig leiser, ich will nicht, dass er mitbekommt, dass es Probleme gibt. „Du, ... sag` mal, ... ob ich mal nach der Gaststätte da am Markt gehen sollte, ... ich könnte doch mal fragen, ob man mich gebrauchen könnte ", spreche ich Udo an. „Ich weiß nicht, ... kannst Du ja machen, ... wenn Du denkst“, meint er monoton. „Udo,... sag` mal, kann es sein, dass Dir das alles mehr oder weniger egal ist?, ... machst Du Dir gar keine Gedanken wie es weitergehen soll?“. Er zuckt nur mit den Schultern und sagt gelangweilt: „Das musst Du schon selber wissen, ... was Du arbeiten willst“. „Na Du bist gut, ... ob ich mir das wohl aussuchen kann hier?, ... davon kann wirklich keine Rede sein, ... aber ich muss doch etwas tun!, ... oder bringst Du mir meine Sonnenburg mitsamt dem Labor hierher?, ich glaube sicher eher nicht“. Ich warte auf Antwort, aber es kommt keine, ich bin traurig und ärgerlich zugleich, sage ebenfalls nichts weiter und gehe zu Bett. Schlafen kann ich natürlich nicht, die gleichen Gedanken, die nach wie vor immer wieder kommen machen auch heute ihre nächtlichen Spaziergänge durch mein mich ewig zermarterndes, dummes Gehirn. Spät wie immer sind die Spaziergänger müde, ich schlafe ein und zucke zusammen als der Wecker klingelt. Ich stehe auf, genieße es, mit Carlo frühstücken zu können, dann geht Carlo zur Schule. Und was mache ich?, komisches Gefühl, ... keinen Urlaub zu haben , ... nicht krank zu sein und dennoch herum zu sitzen. Ich koche mir noch einen Kaffee, ... ja, ... so werde ich es machen, ... ich werde einfach mal zu Vogenschmidts gehen. Ich räume flink noch alles auf, mache mich ein wenig zurecht, um bei Familie Vogenschmidt mein Glück zu versuchen. Es wäre schon gut wenn sie mich nehmen würden, ich habe das zwar nicht gelernt, aber so blöd werde ich sicherlich nicht sein, um wenigstens als ein Handlanger beschäftigt zu werden, denke ich unterwegs, ... es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe, … etwas im Gesundheitswesen, ... wenn es auch nicht im Labor sein kann, ... damit wäre ich schon glücklicher geworden, ... aber im Moment habe ich keine andere Wahl, ... ich muss Geld verdienen. Udo bringt von dem bisschen was er verdient und von dem ich wie gesagt nicht mal genau weiß, wie viel das ist, nur die Hälfte mit nach Hause, ... wenn überhaupt, weil er das andere in Alkohol umsetzt, ... hoffentlich übertreibt er es nicht wieder, ... sonst wird er doch noch entlassen, ... was dann?, ... . Während mir diese Überlegungen durch den Kopf gehen bin ich an der Gaststätte „Marktmitte“ angelangt, es ist bereits geöffnet. Als ich eintrete schlägt mir der typische Geruch einer Gaststätte entgegen, ... es riecht nach Küche, gemischt mit kaltem Zigarettenrauch vom Vortag. Dazu dringt von der geöffneten Tür zum Hof frische Luft herein, sie vermischt sich wiederum mit den vorhandenen Gerüchen in der Hoffnung, Herr über diese zu werden. In der Mitte des Gastraumes kommt mir der dort angestellte Kellner Urs Oberland entgegen, fast zur gleichen Zeit schaut Frau Vogenschmidt hinter ihrem Tresen hervor. Zwei Frauen sitzen in einem Teil des Gastraumes und trinken Kaffee. „Guten Tag“, grüße ich ein wenig unbeholfen, „ich wollte einfach nur fragen, ob Sie eventuell Arbeit für mich haben, ... ich hatte einmal mitbekommen, dass Sie in der Saison kaum die anfallende Arbeit bewältigen, ... und ich dachte, fragen kannst du ja mal, ob ich mich hier nützlich machen könnte“. Frau Vogenschmidt geht ein paar Schritte in Richtung Küche, während der Kellner das gegenwärtige Geschehen verfolgt. Sie ruft: „Walter, ... kommst Du bitte mal!?“. Auf ihre Aufforderung kommt keine Antwort, aber dafür erscheint ein großer, kräftiger Mann in Kochmontur und bleibt im Eingang zum Gastraum stehen. Urs Oberland begibt sich hinter die Theke und zapft zwei Bier, die wohl gerade von neu eingetretenen Gästen bestellt wurden. „Walter, ... die junge Frau hier sucht Arbeit und fragt, ob wir sie nicht vielleicht irgendwie gebrauchen könnten“. Der stämmige Mann, der etwas rötliche Haare und einen ebensolchen Bart hat, verkörpert für mich das passende Bild eines Kochs. Er scheint hier der Chef des Ganzen zu sein, er reibt sich die Hände an seinem üppigen Bauch trocken. „Ja, ... im Prinzip schon, dann hätte die Marianne in der Küche ein wenig Unterstützung“. Er richtet seinen Blick forschend abwechselnd auf Frau Vogenschmidt, dann wieder auf mich und fragt: „Haben Sie denn schon mal in der Gastronomie gearbeitet?“. Ich bin für Ehrlichkeit und verneine die so eben gestellte Frage. Er erkundigt sich weiter. „Können Sie dann Arbeiten verrichten, die in der Küche notwendig sind, ... wie zum Beispiel Salate zubereiten, oder auch mal Fische ausnehmen?“. „Ja, ... natürlich kann ich das, es soll bestimmt kein Problem für mich sein“, antworte ich wahrheitsgemäß. Frau Vogenschmidt fragt noch: „Können Sie denn auch backen?“. „Ja, freilich, ... das kann ich auch , ...“. „Mein Mann ist ein sehr guter Koch, ... aber backen kann er nicht, ... jedenfalls so gut wie nicht“, meint sie. „Musst Du immer gleich petzen?“, verteidigt sich Herr Vogenschmidt klein wenig verärgert, meint dann aber zu mir: „Na, das wäre alles gar nicht so schlecht, wenn Sie auch für uns backen würden, ... dann brauchen wir keinen Fertigkuchen mehr zu bestellen, … warum nicht, versuchen wir es doch einmal miteinander, … oder?, ... Caroline?“. Seine Frau schaut mich an und fragt: „Wann könnten Sie denn anfangen?, … für ein paar Stunden erst mal?“. „Von mir aus gleich morgen“, erteile ich die Auskunft. Sie nickt mit dem Kopf, zittert ein bissel mit den Fingern, ich habe das Empfinden, sie könnte auch etwaige Probleme mit dem Alkohol haben, sie hat eine geringfügige „Fahne“ und eine auffällig rote Nase. Den gleichen Eindruck macht der Kellner, ... es scheint in dem Gewerbe so etwas wie ein Normalzustand zu sein, denke ich für mich selber, nur Herr Vogenschmidt macht einen ruhigen und sehr soliden Eindruck. „Na schön, dann kommen Sie morgen um 10.00 Uhr, ... dann zeige ich Ihnen alles und wir besprechen dann auch, was Sie im einzelnen zu tun haben und wie alles ablaufen soll“, sagt sie. „Vielen Dank, ... bis morgen um 10.00 Uhr“. „Alles klar, ... morgen um 10.00 Uhr!“, höre ich Herrn Vogenschmidt rufen, der bereits wieder an seine Arbeit gegangen ist. Ich gehe recht zufrieden meiner Wege, auch wenn es keine Vollzeitarbeit sein würde und sicher nur begrenzt bis zum Saisonende, ... aber ich habe erst mal was und freue mich, dass man mich genommen hat. Ich habe noch ein paar Mark einstecken, ich gehe auf dem Heimweg in die Kaufhalle und ich denke mir, es wäre sicher vorteilhaft, gleich einen Kuchen zu backen, um ihn am ersten Arbeitstag als Kostprobe mitzubringen. Ich finde es als gute Idee, einen Apfelstrudel zu backen, wie ich ihn zu Hause auch backe, nach dem alten Rezept meiner Großmutter. Genauso mache ich es auch und stoße auf ein äußerst positives Echo bei Vogenschmidts. Ich freue mich sehr über das ehrliche Lob meines zukünftigen Chefs. Von nun an übernehme ich das Backen für die Gaststätte meines neuen Arbeitgebers. Ich finde mich relativ schnell zurecht und befreunde mich mit der Kollegin aus der Küche, Marianne Therwagen, ... endlich habe ich hier im Niemandsland jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. Mein Arbeitsfeld ist vielseitig, aber nicht zu vergleichen mit meinem Beruf und meiner Arbeitsstelle in Lohra, ... aber es ist wenigstens Arbeit, und eine, die mir um einiges besser gefällt, als die in dem langweiligen Pflanzenlabor. Im Prinzip erledige ich bei Vogenschmidts alle anfallenden Arbeiten die nötig sind, ... wie eben Marianne und Urs auch. Ich habe nicht das Gefühl für die Drecksarbeit da zu sein. Vor dem täglichen öffnen der Gaststätte muss sauber gemacht und im Außenbereich die Tische und Stühle abgewischt werden. Dann geht es in der Küche ans Werk, es sind vor allem Essensvorbereitungen unter Anleitung von Herrn Vogenschmidt angesagt, alle machen mit, im Wechsel die gleiche Arbeit. Während des Mittagsgeschäftes mit der Herausgabe der vom Gast bestellten Gerichte, haben Marianne und ich die Teller mit Dekorationen, wie Salatbeigaben zu versehen. Herr Vogenschmidt sieht das Ganze recht gelockert und entspannt. Wenn ich zum Beispiel frage, was ich zu den Bratkartoffeln oder den Rühreiern legen soll, meint er nur: „Ach, ... Meggy, ... das ist doch ganz egal, ... Hauptsache es sieht appetitlich und gut aus, Du machst das schon!“ . Er „ärgert“ manchmal seine Frau Caroline, nach dem Mittagsgeschäft geht er für ein paar Stunden nach Hause, um am Abend wieder präsent zu sein. So meint er dann schelmisch zu ihr: „Koche bitte das Eisbein noch fertig, Caroline, ... und gebe noch 8 Pimentkörner und 10 Wachholderbeeren dazu!“. Wenn er zurückkommt und nach dem Eisbein schaut sagt er: „Caroline!, ... ich habe Dir doch gesagt 8 Pimentkörner!, ... und nicht 12!“. Sie fühlt sich jedes mal angesprochen und versucht sich zu verteidigen, er amüsiert sich immer köstlich darüber und alle lachen mit. Nach dem Mittagsabwasch gehe ich nach Hause und backe Kuchen für den nächsten Tag. Manchmal helfe ich auch am Nachmittag und übernehme den Tresen wenn Urs frei hat, oder bediene auch die Gäste wenn es sich erforderlich macht. Am wenigsten mag ich das Putzen und zurechtmachen von Fisch, der wird immer ganz frisch geliefert. Aale küchenfertig machen ist keine besonders schöne Aufgabe, zumal es im nicht gerade geringen Umfang ist. Wir erledigen das immer gemeinsam, Marianne und ich, wir sitzen dabei, wenn es das Wetter zulässt auf dem Hof der Gaststätte. Wir können uns gut dabei unterhalten, diese Arbeit erfordert ja keine besondere Anstrengung des Gehirns. Wir bekommen als Mitarbeiter jeden Tag ein freies Essen und Getränke soviel wir Durst haben und trinken möchten, keinen Alkohol natürlich.

Was ist noch alles im Sommer 1990?, ich führe zur Zeit wiedermal sehr wenig Tagebuch, aber mit den aufgeschriebenen Stichpunkten kann ich durchaus etwas anfangen. Wie angedeutet heirate ich wahnwitziger Weise ein drittes Mal, über dessen Unverständlichkeit ich mich bereits ausführlich ausgelassen habe.-

Udo borgt sich Geld von seinen Eltern, er kauft das Auto von meinem Chef, Herrn Vogenschmidt, ... einen alten Opel. Zuerst finde ich das nicht gut, aber dann doch nicht so verkehrt, ich hoffe, Udo würde sich mit seiner Trinkerei zusammenreißen, weil er das Auto fahren muss. Udo meint eines Tages: „Es gibt jetzt so viel Kreditangebote in der Zeitung, da können wir doch auch einen aufnehmen und das Geld schneller zurückzahlen, was meine Eltern gegeben haben“. Ich gebe zu, die Idee nicht schlecht zu finden und willige ein. „Ich beantrage etwas mehr, ... dann können wir etwas nehmen davon, wenn wir eine neue Wohnung bekommen und vielleicht einmal irgendwohin in den Urlaub fahren möchten“. Es sind einmal gute Worte, ich habe die Hoffnung, es normalisiert sich vielleicht doch noch alles und die Saufeskapaden unterbleiben, damit ein einigermaßen normales Leben geführt werden kann, wenn es auch nicht auf diese Art herbeigesehnt wurde. Ich für meinen Teil werde mich bemühen, um dazu beizutragen, es bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden und zu arrangieren, an mir soll es nicht liegen, Frank durfte oder konnte es nicht sein, ... leider, ehrliche Hände habe ich nicht annehmen wollen, ... also bitte, ... etc. pp. .- Der Kredit wird beantragt, es kommt schnell eine Antwort darauf, er sei genehmigt, erfordere aber eine Bearbeitungsgebühr von 400, - DM. Durch die Arbeit bei Vogenschmidts habe ich ganz mühselig angefangen, wieder alles auf die Reihe zu bekommen. Es reicht gerade aus, um diese Summe auf den Tisch legen zu können. Die Bearbeitungszeit soll etwa drei Wochen dauern, dann würden wir das Geld haben. Es vergeht Woche um Woche, Monat um Monat, … aber es kommt kein Geld, ... ich glaube nicht mehr daran, aber Udo meint, wir werden es schon noch kriegen. - Natürlich kam es nicht, ... bis zum heutigen Tage nicht, wir waren auf einen Betrüger hereingefallen, die äußerst mühsam zusammengekratzten 400, - DM waren weg auf nimmer Wiedersehen. Dafür kann ich Udo natürlich nicht die Schuld zuweisen, ich hätte damals ja auch nicht gedacht, dass es so einen Schwindel geben könnte, so etwas kannten wir ja nun in der DDR gleich gar nicht. Später fiel ich noch einmal auf einen Betrug herein, es kam Post, mit der Werbung war sie dabei. Es war ein silbernes Kettchen abgebildet, es hieß, wenn man 10, - DM bezahlt, also überweist, dann bekäme man dieses Schmuckstück in Gold. Ich habe überwiesen, aber niemals das versprochene Goldkettchen bekommen, ... nur die 10 - DM waren weg. Wir DDR - Bürger wurden wie schon erwähnt ganz schön über` s Ohr gehauen, so mancher Spitzbube hat sich seine Wasserhähne damit vergolden lassen, wie man sagt. Ich bin nie wieder auf so etwas hereingefallen, ... bis zum heutigen Tage nicht. Ich sage besonders meiner Mutter und den Kindern immer wieder: Hände weg davon, überhaupt wenn es heißt, dass im Voraus etwas bezahlt werden soll. Selbst jetzt noch, so viele Jahre nach der Wende fallen noch etliche, besonders ältere Menschen auf solche Gauner herein. Die Betrugsgeschäfte haben Hochkonjunktur, noch immer, alles mögliche wird sich ausgedacht, von unlauteren Gewinnspielen bis zu Telefonaten bei denen man abgezockt wird. Je länger man sich am Telefon hinhalten lässt, umso mehr wird man anschließend zur Kasse per Telefonrechnung gebeten. Preise und Gewinne werden angepriesen, ... man braucht nur etwas bestellen, ... und schon hat man gewonnen! . Betrüger kommen bis an die Wohnungstür, als Überprüfer oder Monteur der Gas oder Stromleitung, ... oder was auch immer. Besonders alte Menschen werden regelrecht genötigt etwas zu unterschreiben, ... schon bekommt man irgendwelche Geräte oder Zeitschriften nicht mehr los. Man weiß nicht mehr, wem man noch Vertrauen schenken kann und wem besser nicht. Es leiden diejenigen darunter, die auf ehrliche Art und Weise ihr Geld verdienen möchten, bzw. müssen. Na ja, das nur so kurz nebenbei, obwohl es keineswegs Nebensache ist, wir alle mussten oder müssen noch heute lernen damit umzugehen. Wer ehrlich ist, der gibt zu, dass wir gelernten DDR - Bürger, wie wir genannt werden, oder uns auch selber bezeichnen, den sogenannten, viel angepriesenen „goldenen Westen“ etwas anders vorgestellt haben. Wir lebten auf alle Fälle ein sichereres und ruhigeres Leben. Jetzt überall hin fahren zu dürfen und in den Supermärkten alles kaufen zu können, vorausgesetzt man kann es sich leisten, ... ich weiß nicht, ob alles damit aufgewogen wird?, ... ich für meinen Teil möchte es in Frage stellen. Mit unseren Kindern geht es doch weiter, ... wo ist die Möglichkeit geblieben, ein garantiert sicheres Leben führen zu können?, bei „uns“ gab es nicht einen einzigen Schulabgänger, der keine Lehrstelle bekommen, und damit keinen Beruf erlernen konnte. Auch wenn es manchmal nicht den Vorstellungen des Schulabgängers entsprach, aber der Begriff „Ungelernt“, das war für uns ein Fremdwort. Von der unterschiedlichen Bezahlung sprach ich bereits und sicher gab es in der DDR einzelne Berufsgruppen, die ein wenig mehr in der Tasche hatten, ... das gab es, … das gibt es, und das wird es immer geben, ... aber die breite Masse hatte in etwa das Gleiche, ... so große Unterschiede wie sie es jetzt sind, ... . Wir entwickeln uns dahingehend, nur noch arme oder reiche Leute zu haben, ... die Mittelschicht wird es bald nicht mehr geben. Es kann doch nicht sein, dass es Leute gibt, die vor lauter Dummheit nicht mehr wissen, was sie alles mit ihrem Geld anstellen sollen, leben in Saus und Braus, verbringen ihr Leben in teuren Luxushotels, lassen eine nicht ganz penible Tischdecke oder eine Fliege an der Wand zu einer Katastrophe werden, während andere Menschen kein Dach mehr über dem Kopf haben. Es gibt wieder Hunger in Deutschland und Menschen, die wie Tiere aus Müllkübeln etwas Essbares heraussuchen und noch dafür betraft werden, weil ihnen diese Abfalltonne nicht gehört, … nicht alle Menschen, die das betrifft sind auch automatisch selber schuld daran, ... von unseren Straßenkindern ganz zu schweigen. Das ist nicht nur für uns Mütter, die einigermaßen normal im Kopf sind eine schauerliche Vorstellung, ... oder nicht?, … unser marodes Gesundheitswesen, wo man oft sagen muss: weil du arm bist, musst du früher sterben, ... und, ... und, ... und, ... haben wir, ... hast Du das alles wirklich so gewollt?, ist das nicht etwas, worüber man dringend nachdenken sollte?, ... es wird noch nicht die Spitze des Eisberges sein, wir sollten aufpassen, dass es niemals so eine Spitze gibt, man muss dringend etwas tun, damit sie rechtzeitig abbricht.-

... Also kaufen wir das Auto von Familie Vogenschmidt, ich hoffe auf einen Zusammenriss von Udos Seite aus betreffs des Alkoholkonsums. Weil ich von der Stadtverwaltung in Domstedt noch nichts gehört habe, was den Wohnungsantrag betrifft, gehe ich selbst noch einmal hin um vorzusprechen. Ich falle aus allen Wolken als man mir sagt, der Herr Wolmirstedt hätte überhaupt keinen Antrag abgegeben. Als ich ihn daraufhin zur Rede stelle, zuckt er nur mit den Achseln und sagt dazu bloß: „Mmmm, ... hab` ich wohl vergessen“. „Na, wie kann man denn das vergessen?, ... Du hast doch direkt gesagt als wir bei meinen Eltern waren, Du warst dort, ... also musst Du doch ganz bewusst gelogen haben!“, stelle ich ärgerlich fest und finde nicht die rechten Worte. „Ich war jedenfalls heute auf dem Amt und habe es nachgeholt, ... wenn ich nicht dort gewesen wäre, dann hätten wir ewig warten können bis sich etwas tut“. Ich bekomme wie so oft keine Antwort, von irgendwoher kenne ich das bereits, er geht stattdessen aus dem Zimmer und holt sich gleich nochmal mehrere Büchsen Bier, um sich hoffentlich nicht so oft erheben zu müssen. Ich sage dann noch, dass es mir bei Vogenschmidts recht gut gefalle und ich ja nun schon eine ganze Weile dort wäre. „Na, ist doch schön“, quält er sich heraus. Ich gehe in den Garten hinterm Haus, wo Carlo bereits mit Raffael und ein paar anderen Kindern spielt. „Hallo, … Mutti“, ruft er als er mich sieht. „Na, was macht Ihr den schönes mein Junge?“, wollte ich wissen. „Wir haben uns eine Höhle gebaut!“, freut er sich. „Oh, das habt Ihr aber schön gemacht, ... das sieht gut aus!“, staune ich. Die Kinder haben vom Nachbarzaun her eine Decke gespannt, und diese über einen Zweig vom Apfelbaum gehängt. Es ähnelt den „Behausungen“, die wir schon als Kinder immer am Steiger gebaut haben. Es ist ein sehr warmer Tag und sehr trocken im Garten, das Unkraut geht sehr schlecht heraus. Irgendwie habe ich keine Lust mehr dazu, es ist mein freier Tag heute, den ich einmal in der Woche habe, weil ich ja, wie es im Gaststättengewerbe üblich ist, fast jedes Wochenende arbeiten muss, ... wenn auch nicht in Vollzeit. Carlo kann wenn er Ferien hat, oder eben an diesen Wochenenden, wenn ich arbeiten muss, für ein geringes Entgeld zur Gaststätte kommen um zu essen und ich bin zufrieden, weil Carlo sein regelmäßiges Essen bekommt. „Carlo, ... wollen wir nicht zum Baden gehen?, es ist so schönes Wetter, ich habe gar keine richtige Lust mehr auf Gartenarbeit heute“, schlage ich vor. „Ja, ... aber kann der Raffael auch mitkommen?“, fragt er. „Ja, natürlich kann er auch mitkommen, aber er muss erst seine Mutti fragen, damit sie ihn nicht sucht“. Beide Kinder rennen ins Haus, um mit der freudigen Botschaft, Carlos Freund dürfe mitgehen zurückzukommen. Ich packe ein paar Sachen ein, wir machen uns auf den Weg zum Strand. Es ist ein schöner Nachmittag, während die Jungs herumtoben und sich mit Quallen bewerfen, sehe ich ihnen zu und kann mich ein wenig entspannen. Sehr weit ins Wasser geht Carlo nicht, meist nur bis zur Hüfte, er beschäftigt sich lieber mit dem Bauen von Wassergräben oder Burgen, das eigentliche baden ist für ihn zweitrangig. Bis heute bleibt Carlo nicht gerade das, was man eine Wasserratte nennt. Natürlich gibt es auch noch Eis für die beiden, ich gebe zu, ich wünsche mir, Udo würde bereits zur Arbeit unterwegs sein wenn wir kommen. Es wird Gott sei Dank immer sehr spät wenn er nach Hause kommt, schließlich haben wir Hauptsaison. Er fährt zur Zeit mit dem Opel auf Arbeit, so scheint sich meine Hoffnung in Bezug auf die Trinkerei, die sich eben gerade jetzt in Grenzen zu halten scheint, in eine positive Richtung zu entwickeln, obwohl er trotz allem nie ohne Fahne nach Arbeitsschluss zu Hause eintrifft. Ich wundere mich nur immer, dass er noch nicht in eine Polizeikontrolle geraten ist. Wenn ich meine Befürchtungen dazu preisgebe meint er nur: „Ich weiß nicht was Du hast?, ... ich trinke doch nicht“. Es sind Worte, die ich vor geraumer Zeit in meinem Leben schon öfter gehört habe.-

Im Sommer 1990 kaufen wir auch einen kleinen Dackel, eine schwarz - braune Kurzhaarhündin, ... Miss. Elli , sie ist erst ein paar Wochen alt, als ich sie für ein paar wenige Mark kaufen kann. Der Züchter kommt mir entgegen bis Wiesenstadt, wir treffen uns dort am Bahnhof, alle Leute schauen mich an, Miss. Elli jammert die ganze Fahrt lang, bis wir in Domstedt ankommen. Sie ist ganz süß und Carlo freut sich sehr über das neue kleine Familienmitglied, sie gewöhnt sich schnell an uns und ist bald richtig kess. Elli ist sehr schnell stubenrein, allerdings entwickelt sie bald Udo gegenüber eine Aversion, sie mag ihn nicht, möglicherweise hat er im Suff einmal etwas mit ihr gemacht, was ihr nicht gefällt, oder hat ihr etwas getan, vielleicht stößt sie auch der ständige Geruch nach Alkohol ab, ... möglich ist alles, ... aber nichts ohne Ursache.

Anfang August hat Henny Urlaub und kommt mit meinen Eltern gemeinsam nach Domstedt auf Besuch. Wieder stehe ich Ängste aus, dass Udo sich, und damit natürlich auch mich mit seiner Trinkerei, die trotz des Autos wieder zunimmt blamieren würde. Henny bleibt nicht lange, sie möchte noch ihre Schulfreundin in Schweinfurt besuchen. Die Behausung in Domstedt ist ja sehr klein, aber irgendwie geht es. Nachdem Henny abgefahren ist, mache ich das Schlafzimmer für meine Eltern zurecht. Zum Essen kommen sie meist zu mir auf Arbeit in die Marktgaststätte. Nachmittags machen wir immer Ausflüge in die nähere Umgebung mit Papas Auto, ich kann ja leider nicht fahren, wieder bereue ich es, keine Fahrerlaubnis zu besitzen. Zum Abendessen bereite ich das zu, was mein Vater besonders gerne isst, Kuchen habe ich natürlich auch gebacken. Allerdings gefällt mir mein Papa gar nicht, er war ja noch nie dick, solange ich denken kann, aber er kommt mir mehr als nur sehr schmal und eingefallen vor. Manches isst er mit Appetit, aber verträgt es dann doch nicht. Ich werde den Gedanken nicht los, der mir unaufhörlich sagt: du bist daran schuld. Klar unterhalte ich mich in Abwesenheit von Carlo und Udo über dies und jenes, meine Mutter spricht aus, bzw. fragt danach, was mein Vater denkt und rührt damit in Wunden herum. „Mensch, ... Meggy, ... Deine schöne Wohnung in Lohra, wenn man das so vergleicht mit dieser Bude hier, ... ich verstehe Dich nicht Mädel, wie konntest Du so etwas machen?, ... Du kannst mir doch nicht erzählen, dass Dir das alles hier gefällt!“. „Ich denke, dass wir bald eine neue Wohnung in Domstedt bekommen werden“, versuche ich dem Thema auszuweichen, vermeide es aber, dabei meine Eltern anzuschauen, ... ich weiß sie haben recht. Wie immer bin ich viel zu feige zu sagen, ich möchte lieber wieder alles rückgängig machen. „ Ach, ... das ist doch nicht dasselbe, ... und Deine Arbeit, ... Deine Kollegen, ... Du hast einen schönen Beruf und arbeitest in einer Gaststätte“. - Heute weiß ich, ... es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen, ... aber stattdessen sage ich: „Mutti, ... ich bin froh, dass ich überhaupt Arbeit habe, ... und es gefällt mir auch ganz gut bei Vogenschmidts“, das war zur Abwechslung einmal keine Lüge. „Na, ... trotzdem“, spricht sie weiter, während mein Vater, so glaube ich, die Zwickmühle, in der ich mich gerade befinde bemerkt, aber so wie ich immer, ... auch nichts sagt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du hier zufrieden bist“, ... meint meine Mutter weiter und ich lenke das Thema auf den Ausflug, den wir am nächsten Tag machen wollen. - Ich brauchte doch nur zu sagen: Ja ihr habt recht und ich will zurück!. Heute weiß ich nicht mehr, was mich außer Feigheit, fehlenden Mut und Schamgefühl für diesen Reinfall davon abgehalten hat. Am darauffolgenden Tag habe ich frei, wir planen, uns Wiesenstadt anzusehen, ich bin froh, weil Udo arbeiten muss, aber glaube zu wissen, meine Eltern haben mitbekommen, dass sich Udo ein Bier genommen hat, bevor er ins Auto gestiegen und zur Arbeit gefahren ist. Ich spreche ihn mehr als nur einmal darauf an, er aber ignoriert mich nicht nur, sondern macht sich auch noch lustig über mich, ... ich sage nichts mehr. Als ich am Abend im Bett liege und ich wie so oft der Spaziergänger wegen nicht schlafen kann, gebe ich mir erneut wieder an allem die Schuld, besonders an dem schlechten Gesundheitszustand meines Vaters, ich ärgere mich selber über mich: warum hast du heute beim Gespräch mit deinen Eltern wieder nichts gesagt?, warum hast du wieder alles verniedlicht?, deine Mutter hatte dir doch eine Brücke gebaut, ... du hättest doch nur über sie hinüber zu laufen brauchen und sagen: Ja, ... ihr habt recht!, ... ich habe den größten Fehler gemacht, ... ich möchte zurück nach Thüringen, ... ich weiß nicht worauf ich hier eigentlich warte!, ... und, ... alles wäre gut gewesen.

Carlos Geburtstag fällt im Jahr 1990 auf einen Sonnabend, außer Raffael sind noch mehr Kinder da, auch der Samuel Räuber, der seinen Namen nach der Tat zu haben scheint, ein richtiger Lausejunge, der bei weitem nicht nur gute Einfälle hat, wie man sich denken kann. Am Abend gehe ich mit den Kindern Bratwurst und Pommes essen, wir sind im kleinen Pavillon am Hafen, den ein Herr Weiß leitet bzw. besitzt. Als ich dabei bin, die ganze Schose zu bezahlen, erzählt er mir von Carlo und zwei seiner Freunde, die ihn und seine Gaststätte vor kurzem aufgesucht haben. „Na, mich wundert nur, dass den jungen Herren nicht schlecht geworden ist neulich“, berichtet er. „Wieso?“, frage ich weil ich von nichts weiß. „Na, die Herrschaften waren doch unlängst bei mir und haben hier gegessen!“. „Was?, ... wie?, ... ich verstehe nicht ganz“, frage ich noch immer ungläubig. „Erst haben sie Pommes gegessen und Cola dazu getrunken, ... dann haben sie noch Kuchen bestellt, ... dann noch Eis, ... und dann noch einmal Cola“, erzählt mir leicht amüsiert der Herr Weiß. „Waaaas?, ... ja hat denn die Rasselbande bezahlt?“, möchte ich gern in Erfahrung bringen. „Ja, ... bezahlt haben sie, ... ich habe nur gedacht, es würde ihnen schlecht werden von diesem vielen Durcheinander, ... aber sie kamen ja dann noch zum Tresen und wollten jeder eine kleine Miniaturflasche Schnaps haben!“, ... er unterdrückt ein Lächeln, „aber da habe ich gesagt: ... nun macht aber schnell, dass Ihr rauskommt!“. Mir bleiben die Worte weg. „Ach Du liebe Güte, ... aber wo hatten die denn das Geld her?“. „Ich habe mich ja auch gewundert, dachte dann aber, vielleicht hat einer von ihnen Geburtstag, ... sie haben mit einem 50, - Markschein bezahlt“. Ich sehe mich um, aber die kleine Bande ist bereits draußen und albert herum. Ich bezahle die Geburtstagszeche und sage dem Wirt: „Danke, ... dass sie mir das erzählt haben, da muss ich wohl dem jungen Mann einmal auf den Zahn fühlen“. Ich verlasse ebenfalls den Ort des Geschehens, auf dem Weg nach Hause sage ich vorerst nichts und überlege, ob ich schimpfen sollte oder nicht. Auf der einen Seite finde ich es insgesamt eher witzig, aber auf der anderen muss ich schon fragen, wo sie das Geld her hatten um so großartig, freizügig und vornehm auszugehen . Daheim angelangt lasse ich die Kinder noch einen Augenblick draußen spielen und denke nach, wie ich das „Verhör“ gestalten sollte. Als Carlo auf mein Rufen nach Oben kommt, schicke ich ihn zunächst ins Bad, als er fertig ist und zum Gute Nacht sagen vor mir steht, frage ich ihn: „Ich hab` gehört Du bist neulich mit Deinen Freunden großartig essen gegangen?“. „Jaaa“, bestätigt der junge Mann meine Frage. „Wer war denn alles noch dabei gewesen?“, setze ich die mir gerade vorgenommene „Täterermittlung“ fort. „Nur der Raffael und der Samuel Räuber“, bekomme ich zu hören. „ ...Und wo seid ihr gewesen?, ... und wer von Euch hatte diese tolle Idee?“. „Wir waren im Pavillon , ... da wo wir heute waren, ... der Raffael und ich haben die Idee gehabt, ... aber wir hatten kein Geld“, antwortet er. „Ja, aber wo habt Ihr denn auf einmal das Geld her gehabt, ... wer hat es Euch gegeben?“, forsche ich weiter. „Der Samuel Räuber hatte Geld, ... und dann hat er uns eingeladen“, berichtet Carlo. „Woher hat denn der Samuel so viel Geld, ... der Herr Weiß hat gesagt, Ihr habt mit 50, - Mark bezahlt, ... das ist doch sehr sehr viel Geld!“. „Das Geld war von Samuels Mutti“, sagt Carlo. „So viel Geld gibt Euch Samuels Mutti mit?“, wundere ich mich. „Die Mutti von dem Samuel kann doch nicht so gut hören, ... da hat der Samuel ganz leise das Geld aus ihrem Portemonnaie genommen, weil sie es von der Küche bis zur Stube nicht hören kann und eh` nichts bemerkt“. Ich versuche mein Entsetzen zu verbergen und nicht los zu schimpfen. „Carlo, ... sag` mal weißt Du, dass das stehlen ist, was Ihr, oder der Samuel da gemacht habt?, ... und dass die Polizei kommen kann und man ins Gefängnis gesteckt wird, wenn man jemanden etwas wegnimmt, was einem nicht gehört?“. Unwillkürlich denke ich in diesem Augenblick an mein eigenes Vergehen damals mit den Kokosflocken. „Kommt wohl jetzt gleich die Polizei?“, fragt mein Sohn sichtlich beängstigt. „Ich hoffe nicht, dass die Mama vom Samuel die Polizei holt, wenn sie bemerkt hat, dass ihr das Geld aus dem Portemonnaie fehlt“. „Aber, ... aber was passiert denn jetzt Mutti?“. Erwartungsvoll schaut er mich mit großen Augen an. „Ihr müsst das Geld zurückgeben und Euch bei Samuels Mutti entschuldigen“. „Aber, aber ich, ... ich habe kein Geld, ... und der Raffael auch nicht, ... es ist alle“, gesteht er ratlos. „Na und jetzt?“, spanne ich ihn ein wenig auf die Folter. Er zuckt mit den Achseln und meint: „Also müssen wir jetzt doch noch alle ins Gefängnis?“. „Pass auf Carlo, ... nun müssen wir halt eine Lösung finden, ich gebe Dir 25, - Mark und dann müssen wir mit Raffaels Mutti sprechen und ihr alles erzählen, ... wenn sie auch 25, - Mark gibt, dann nehmt ihr das Geld und bringt es der Mutti von Samuel zurück und Ihr entschuldigt Euch, weil Ihr bei dem Unfug mitgemacht habt, ... das andere, also dass der Samuel das Geld bei seiner Mutti einfach herausgenommen hat, das muss der Samuel mit seiner Mama klären, ... aber Du musst mir versprechen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt, ... ich möchte nicht, dass Du ein Dieb bist, ... o.k. ?“. Er atmet sichtlich erleichtert auf, senkt zugleich etwas beschämend den blonden Schopf und schielt dann mit schräg geneigter Kopfhaltung zu mir auf und meint: „Gott sei Dank müssen wir jetzt nicht ins Gefängnis Mutti“. „Wenn Ihr wieder einmal Pommes essen wollt, dann kommst Du zu mir in die Gaststätte wo ich arbeite, ... ist das o.k?“. „Und wenn ich lieber ein Eis essen möchte?“, fragt er und ich muss direkt lächeln darüber. „Dann bekommst Du eben ein Eis, ... Du und Dein Freund, das ist egal, ... aber nie wieder stehlen, wer stiehlt, ... also anderen etwas wegnimmt der ist ein Dieb, ... denke bitte auch in Zukunft daran“. - Ich hoffe, diese stattgefundene „Vernehmung“ hat seine Wirkung nicht verfehlt, ... auch Carlo kommt langsam ins Lausebengelalter, oft angestiftet eben von Samuel Räuber. Eigenartigerweise zieht es die Kinder meist zu denjenigen hin, die immer besonders gute Ideen haben. Auch Mädchen werden geärgert. Zusammen mit dem Nachbarsjungen Raffael hält er sich mit noch ein paar weiteren Bengeln meist dort auf, wo man es nicht so gerne sieht, wie zum Beispiel auf dem Schrottplatz, ... oder eben bei diesem Samuel , aber ich habe nie gehört, dass er frech oder vorlaut zu den Nachbarn ist. Wie mir gesagt wird, grüßt er freundlich, wie ich es ihm geheißen habe, und hilft auch den Omis bei uns in der Straße, bei Gelegenheit die Tasche tragen. - Übrigens hat Raffaels Mutter die anderen 25, - DM gegeben und die beiden Jungs brachten das Geld zurück, ich erkundigte mich kurze Zeit später bei Frau Räuber und sie bestätigte mir das Geld erhalten zu haben.

Am 18. September 1990 endet für mich erst mal die Arbeit bei Familie Vogenschmidt in der Gaststätte und ich bin wieder auf das wenige angewiesen, was Udo mit nach Hause bringt. Ich weiß noch immer nicht, dass man sich beim Arbeitsamt melden muss, wenn man keine Arbeit mehr hat. Der Herr Vogenschmidt sagt mir nichts, er glaubt, seine Frau hat mir die Papiere fertig gemacht und dass ich weiß, man muss sich damit umgehend beim Amt melden. Später stellt sich heraus, die Frau Vogenschmidt hat das Gleiche von ihrem Mann gedacht, also, dass der Chef mir die Unterlagen fertig gemacht hat und ich darüber unterrichtet bin was zu tun ist, aber wohl offensichtlich haben sie sich auch nicht darüber unterhalten. Auch mit Marianne und Urs gab es nie eine Unterhaltung über ein Arbeitsamt, ich habe mich nur immer gewundert darüber, was wohl die Leute machen, die keine Arbeit haben, ... vielleicht bin ich auch zu blöd, aber ich kann es nicht anders sagen, ... es ist mir eben entgangen. Jedenfalls bin ich nun ohne Geld, wenigstens kann ich für die Gaststätte weiterhin den Kuchen backen, was mir zwar gut bezahlt wird aber trotz allem ein Tropfen auf den heißen Stein bleibt. Ich mache mir Sorgen und Gedanken darüber, wie es weitergehen soll während Udo sich scheinbar gar nicht damit beschäftigt, sondern noch immer sagt: „Das Geld vom Kredit wird schon noch kommen“. Ich versuche das letzte Geld, also mein letztes Gehalt was ich von Vogenschmidts bekommen habe, so gut wie nur irgend möglich einzuteilen. Es gelingt mir so zu wirtschaften, dass wir im Oktober 1990 in Carlos Herbstferien nach Seelstein fahren können, um meine Eltern zu besuchen. Diesmal fährt Udo mit und mit ihm die Angst vor seinem Benehmen. Wir fahren mit dem alten Opel, den wir von Vogenschmidts vor einer Weile gekauft hatten. Wie immer ist es schön bei meinen Eltern, ... wie immer spielen sich die gleichen Szenen ab, und wie immer gibt es die Gespräche gleichen Inhaltes mit der ebenfalls immer gleichen Reaktion meinerseits. Dann geht Udo zur Bank um Geld zu holen, er meint, sein Gehalt müsse indessen verbucht sein, er habe Frau Gärtner gebeten es zu überweisen und nicht per Tüte auszuzahlen. Bald darauf kommt er zurück und hält mir ein Bündel Geld unter die Nase. „Wo hast Du denn mit mal so viel Geld her?, ... das ist doch wohl weit mehr als Dein Lohn, ... oder etwa nicht?“, möchte ich gern wissen, ich weiß immer noch nicht, was Udo im einzelnen verdient. „Das sind über 1000, - DM“, sagt er und fügt hinzu: „Bestimmt ist das Geld vom Kredit jetzt drauf gewesen, ...“. „Ja, ... aber sag` mal, hast Du nicht gleich die Kontoauszüge mitgenommen, dann wüsste man doch, ob es so ist oder nicht, also wie viel Geld genau auf dem Konto ist“.„Nee, hab` ich nicht, ... das wird schon das Geld sein, ... sonst hätte ich es doch nicht bekommen!“. „ Ich weiß nicht, ... ich traue dem Frieden nicht“, gebe ich zu befürchten. „Ach nu, ... jedenfalls ist jetzt Geld da, ... die Auszüge holen wir dann zu Hause!“. Mir lässt es noch immer keine Ruhe. „Aber, ... es ist, ...“. „Ich habe doch den Auszahlungsschein ausgefüllt und auf das Geradewohl das Geld bekommen, ... das ist der Kredit!“, unterbricht er mich siegessicher. Ich gebe mich geschlagen „Wie dem auch sei, ... das Geld reicht ja jetzt ein großes Stück nach vorn, ... aber zu Hause müssen gleich die Auszüge geholt werden, ... es lässt mir keine Ruhe!“. „Das Geld nehmen wir jetzt und fahren damit nach Italien!“, sagt er. „Ich weiß nicht, ... wir haben wichtigeres, ... ich habe ein halbes Jahr keine Arbeit, ... wir brauchen Klamotten, ... und wenn es mit der Wohnung klappt, ... das kostet auch noch eine Menge Geld“, bezweifle ich sein Vorhaben. „Mein Lohn war ganz sicher drauf, ... plus das Kreditgeld, ... wie soll es anders sein, ... wir haben doch 10.000 DM beantragt, und jetzt offensichtlich auch bekommen, ... auch wenn es lange gedauert hat, ... wenn wir das alles hier ausgeben, dann bleibt noch genug für alles andere, ... jetzt fahren wir und fertig!“, sagt er und schwenkt das Geldbündel in der Luft herum. Meine Zweifel bleiben ungeachtet und der Vorschlag, lieber noch einmal zur Bank zu gehen wegen den leidigen Kontoauszügen, wird mit einer abweisenden Handbewegung dementiert. Also fahren wir direkt von meinen Eltern, die diese Debatte nicht mitbekommen haben über München nach Italien. Carlo hat noch Ferien, Udo noch Urlaub und ich bin bis auf das Kuchen backen ohnehin zu Hause. Mich beschäftigt diese ungewisse Geldsache noch eine ganze Weile, ... sollte diese Kreditauszahlung tatsächlich erfolgt sein?, ... dann kommt der Gedanke, das erste Mal im Ausland zu sein die Oberhand. Bisher hat es mir nie gefehlt, wie schon gesagt, ich war bisher mit den Urlauben an der See voll zufrieden, habe aber, wie ebenfalls schon gesagt, noch nicht weiter über andere Möglichkeiten nachgedacht gehabt. Nun ist man unterwegs und zwangsläufig weckt es die Neugierde auf etwas neues unbekanntes. Weil ich keinen Führerschein habe, muss Udo allein das Auto steuern und der Bierkonsum hält sich in Grenzen. Wir schlafen im Auto, stellen es dazu am Abend irgendwo abseits am Straßenrand ab und niemand stört sich daran. Gewaschen haben wir uns in den Toiletten, das geht ganz gut, besonders für Carlo ist es eine tolle Sache. Miss. Elli ist natürlich auch dabei und bellt lauthals darauf los, wenn jemand dem Auto zu nahe kommt. Ich vergesse nach und nach ein wenig meine Sorgen und Befürchtungen und erlebe die erste Reise die aus Deutschland hinausführt. Wir fahren bis nach Venedig, essen original Spagetti mit Tomatensoße und Pizza. Das Wetter spielt mit, es regt sich die Hoffnung, ich würde mich vielleicht doch noch an alles gewöhnen und es könnte mir damit gelingen, einen kleinen Abstand zur vermissten Heimat, Eltern und Freunden herzustellen. Etwas abgelenkt vergesse ich zwar auch auf Reisen diesen einen bestimmten Geburtstag nicht, aber es fühlt sich ein wenig wie aufgehoben oder beiseite gelegt an. Wenn Udos Alkoholproblem sich so in Grenzen halten würde, wie es während dieser Tage der Fall ist, dann könnte es mir vielleicht nach und nach gelingen, auf für mich noch sehr fremden Boden Mecklenburgs irgendwann wenigstens ein bisschen Halt zu finden. Meine Heimat wird es niemals werden, das weiß ich vom ersten Tag meines Hierseins an. Mit diesen recht zuversichtlichen Gedanken treten wir nach vier Tagen die Heimfahrt an, der Opel klappert manchmal ein wenig verdächtig, aber hält durch bis nach Hause, wo schon bald eine böse Ernüchterung wartet. Es ist noch Geld da, aber nicht sonderlich viel, Udo hat für sich beim Einkauf in Italien tüchtig zugeschlagen, sich eine teure Lederjacke gekauft und einige andere nicht gerade billige Dinge. Ich habe für Carlo und Henny jeweils zwei hübsche T - Shirts gekauft, mir selber zwei Tops gegönnt und einen lang ersehnten Leinenblazer. Während Udo an seinem letzten freien Tag zur Bank geht, um die Kontoauszüge zu holen, mache ich mich über das Waschen der Urlaubsklamotten her, Carlo ist mit Raffael unterwegs. „Das war` s dann!“, meint Udo, als er zurückkommt und die geholten Auszüge zum ersten male „öffentlich“ vor mir auf den Tisch packt. „Wieso?, ... was ist los?“, frage ich mit einem unguten Gefühl im Bauch. Er haut mehrmals mit der Faust auf den Tisch, schreit mich an: „Dann schau her!, ... nichts ist mit Kreditgeld!“. Ich sehe mir die Auszüge durch. „Ja, dann muss doch das Konto schon im Minus gewesen sein als Du in Seelstein das Geld abgehoben hast?!, ... aber ich habe mich ja gleich gewundert über so viel Geld und gesagt, hole lieber die Kontoauszüge bevor wir, ...“. „Tja, ... hätte, ... jetzt bin ich noch schuld daran oder was?, ... klar muss schon minus gewesen sein, wenn mein Lohn noch nicht drauf war und alles sowieso schon in den Miesen, ... die haben nicht aufgepasst und alles durcheinander gebracht!, ... die kommen mit dem neuen Kontensystem nicht zurecht, … ich weiß es doch auch nicht!“, ... unterbricht er mich barsch. „Und jetzt?, ... was wird nun, ... was machen wir jetzt?“, wage ich nachzufragen. „Ja, ich habe jetzt kein Geld bekommen, weil der Lohn, der zwar jetzt drauf ist lange nicht ausreicht, um das Konto wieder auszugleichen, ... es war eh schon im Minus vorher!“. Mir wird vor Angst und Schreck ganz übel. „Aber wieso kann es sein, dass soviel Minus da war, bevor Dein Geld eingegangen ist, Du musst doch wissen, wann und was Du abgehoben hast und wofür!, ... und dann noch das, was Du in Seelstein geholt hast, ... na dann gute Nacht!, was hast Du gemacht mit dem anderen Geld?, ... wo ist es geblieben?“. Er zuckt nur mit den Schultern: „Du hast ja in Italien auch etwas gekauft, ... nicht nur ich!“. „Darum geht es jetzt doch gar nicht, nun bin ich wohl noch an allem schuld?, ... oder wie sehe ich das?, sag` mir lieber, was wir jetzt machen sollen?“, verteidige ich mich und bin froh, dass ich mein Gehalt von Vogenschmidts immer per Lohntüte ausgezahlt bekommen habe, weil ich nach dem Umzug noch kein eigenes Konto habe, sondern es gibt zur Zeit eben nur Udos, von dem gerade die Rede ist und von dem ich wie gesagt bislang keine Kenntnis über dessen Stand hatte, geschweige denn was Udo verdient. Ein erneutes Schulterzucken und eine abwertende Handbewegung von Udo sind die Antwort auf meine Fragen. Ich kriege den „Schwarzen Peter“ zugeschoben und mir wird klar, ich muss alleine sehen, wie aus der Misere herauszukommen ist, er wird sich keine Gedanken machen und sich noch viel weniger den Kopf darüber zerbrechen. Meine Vermutung bestätigt sich bereits am nächsten Tag, er kommt nicht nur angetrunken, sondern total besoffen nach Hause, meine geheimen Hoffnungen, die ich in Venedig gehegt habe, zerschlagen sich, noch bevor ich sie zu Ende denken oder hoffen konnte. Am darauffolgenden Tag gehe ich ich wie vereinbart zu Vogenschmidts, den bestellten allwöchentlichen Kuchen abzuliefern. „Na, Meggy, ... wie geht es Dir? ... hast Du inzwischen Dein Arbeitslosengeld bekommen?“, fragt mich Frau Vogenschmidt, mit der ich indessen so wie mit allen anderen auf meiner Arbeitsstelle per du bin. „Ich?, ... was für Geld?, ... nein, wieso, ... ich verstehe nicht“, frage ich irritiert. „Bist Du denn nicht mit den Papieren, die Du von uns bekommen hast auf dem Arbeitsamt gewesen und hast Dich gemeldet?“, fragt Caroline erstaunt nach. „Was denn für Papiere?, ich verstehe das alles nicht“, frage ich ungläubig. Herr Vogenschmidt kommt aus der Küche in den Gastraum, in dem wir uns gerade unterhalten. „Walter, hast Du nichts gesagt?, hast Du die Unterlagen gar nicht fertig gemacht und der Meggy übergeben?“. „Nein,... ich dachte Du hast das gemacht“, antwortet er perplex, ich stehe noch immer an der gleichen Stelle und starre Löcher des Unverständnisses in die Luft. Caroline gibt mir mit zittrigen Händen das Geld für den Kuchen. „Mensch, Meggy, das tut mir leid, dass das schief gegangen ist, ... Du bekommst doch Arbeitslosengeld wenn Du entlassen wirst, ... bis Du wieder Arbeit hast, wir machen die Papiere noch heute fertig, dann kannst Du sie morgen abholen, damit gehst Du sofort zum Arbeitsamt, damit Du endlich Dein Geld bekommst!“. So mache ich das dann auch, aber nun würde es ein Stück dauern bis ich das Geld bekomme, wenigstens weiß ich jetzt, dass man vom Amt Geld erhält, wenn man keine Arbeit mehr hat.

Dann ist auch schon November 1990, ich zitiere an dieser Stelle einen Ausschnitt aus meinem Tagebuch: Donnerstag, 15. November 1990, ... es ist kaum zu glauben, wie die Zeit vergeht und ich habe das Gefühl, je älter man wird, umso schneller vergeht diese Zeit. Nun bin ich schon fast ein Jahr in Domstedt, es ist jetzt 16.48 Uhr, draußen ist es bereits dunkel, ich habe mir einen Glühwein gemacht und in meinem Büchlein gelesen, einfach so. Im Moment bin ich allein, ... außer Miss. Elli, sie liegt mit mir auf dem Sofa, mal sieht es so aus als ob sie schläft, aber dann schielt sie mich wieder von der Seite an. Udo ist Gott sei Dank auf Arbeit, Carlo schnöpert mit Raffael draußen umher und Henny kommt erst Ende November wieder. Manchmal warte ich dennoch verzweifelt auf den Kredit, der so händeringend nötig wäre, denn nun wird alles langsam sehr knapp, aber glauben daran tue ich schon lange nicht mehr. Wiedermal muss ich an Lohra denken, vor allen Dingen an meine schöne Wohnung mit der gemütlichen Sofaecke, in der ich oft im Winter gesessen habe um Tagebuch zu schreiben, oder meine Post zu erledigen. In der warmen Jahreszeit saß ich in jeder freien Minute auf meinem Balkon, wenn ich nicht gerade mit den Kindern unterwegs oder in St. Josef war. Manchmal, wenn ich die Augen schließe höre ich in meiner Phantasie die Patienten oder Mitarbeiter auf dem Flur entlang laufen oder die „Bomben“ im Urinlabor scheppern. Ich denke sehr oft an mein Labor, den Kaffee morgens um halb sechs, die Patienten, Sibylles lustige Bemerkungen und der Streit mit dem Chef fehlt mir. Die gleichen Worte unseres Busfahrers Satzel, wie wir ihn nannten, jeden Morgen auf` s neue klingen mir im Ohr: Na Mädels, was ist los?, ist der Kaffee fertig?. Sein 50. Geburtstag fällt mir ein, ich lächele vor mich hin, wenn ich an den Bus denke, den ich zu diesem Anlass gebacken und dann mit Sibylle originalgetreu verziert habe, ... angefangen vom Nummernschild bis zu den Insassen. Mit viel Gackerei sind wir bis St. Josef balanciert, um ihn heil anbringen zu können, auch der Satzel wohnt ja in St. Josef. Ich rieche die Pferde, sehe Charlotte im Stall bei den Ziegen herumwerkeln und Kuno mit dem Kopf wackeln. Was wird Simon machen?, ob er noch seine Freundin hat? ... . Ob der schöne Willi noch immer ein Schürzenjäger ist, ... ja, ... das war er nun einmal, ... wenn auch ein sehr charmanter. Ich bin nur froh, vor allen Dingen die Balkonzeiten voll genutzt zu haben, zudem ich von Sibylle in ihrem letzten Brief gehört habe, dass wahrscheinlich bald alle, die in der Klinik wohnen ausziehen müssen, ein kleiner Trost für mich?,... ich weiß nicht. Was mit den Patienten wird steht noch in den Sternen, aber möglicherweise, d.h. mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wird das Haus geschlossen, so wie man es schon kurz nach der Wende gehört hat. Wer weiß zu sagen, was diese Wende noch so alles mit sich bringt, ich habe kein gutes Gefühl dabei, ich habe Lohra, dieses Nest geliebt, ... auch wenn ich manchmal gemeckert habe. - Beim Wohnungsamt war ich auch wieder, aber die Aussichten, aus diesem Loch hier herauszukommen sind schlecht. An der Kaufhalle werden Blöcke gebaut, man soll die Hoffnung nie aufgeben. - Zitatende - .

Die nachfolgenden Eintragungen in meinem Tagebuch sind bis zum Jahresende 1990 so präzise, ich kann sie fast alle im originalen Wortlaut übernehmen: Sonntag, 2. Dezember 1990, erster Advent, 18.16 Uhr: Henny ist gerade wieder weg nach Gütersbach, Carlo erledigt vergessene Hausaufgaben, die Haustiere schlafen, seit einer Woche haben wir wieder eine kleine Katze, die Miss. Elli verletzt gefunden hatte und auf die sie sehr gut aufpasst. Gestern war ich mit den Kindern zum Weihnachtsmarkt in Wiesenstadt, mit dem Bus sind wir dorthin gefahren. Eigentlich habe ich kein Geld für Weihnachtsmarktbesuche, es ist ein bedauerlicher Tatbestand, zu Weihnachten so knapp bei Kasse zu sein, ... das gab es noch nie. Also ist es schon fast egal, wofür ich die letzten Mäuse ausgebe, denn die Kinder sollen möglichst nichts davon mitbekommen,wie es momentan um uns steht, also komme ich ihren Wünschen nach, wie es mir nur irgend möglich ist. Ich bekam zwischenzeitlich nun das Geld vom Arbeitsamt, aber es mussten einige Löcher gestopft werden und wie ich nun die letzten Piepen einteilen soll, um ins neue Jahr zu kommen ist mir bislang noch ein Rätsel. Es ist eine schwere Zeit, seit einer ganzen Weile ist das Auto kaputt, Udo langt in punkto Alkohol wieder derart hin, er kommt überhaupt nicht mehr nüchtern nach Hause und geht ebenso wenig nüchtern zur Arbeit, für meine niedergedrückte Stimmung nicht gerade förderlich. Er gibt so gut wie kein Geld mehr zu Hause ab, deshalb ist es schon fast egal, ob er arbeitet oder nicht, jedenfalls finanziell gesehen. Gut ist, weil er dann wenigstens unterwegs ist, wenn man es so sagen kann. So wie er säuft, kann ich es ehrlich gesagt nicht verstehen, dass er noch nicht entlassen wurde. Die Gedanken, das alles schon mal gehabt zu haben, machen sich breit und unwillkürlich geistern mir wieder verschiedene Dinge im Kopf herum, die zumeist irgendwo in Lohra enden. Ich denke daran, dass vor zwei Jahren zum ersten Advent der Herbert das erste Mal bei uns zum Kaffee trinken da war, und irgendwann das eigenartige Ende um diesen Herbert. Es stört mich schon sehr, wenn Udo fürchterlich betrunken nach Hause kommt, ich gehe schnell, wenn ich höre , dass er gestolpert kommt ins Bett, weil ich keinen Bock habe, mir sein Herumgetorkele anzusehen. Ich habe oft schwere Träume. So habe ich vor zwei Tagen so intensiv von Frank geträumt, dass ich morgens hätte behaupten können, dass ich ihn am Tag vorher gesehen, und mich von ihm verabschiedet habe. Ich war so durcheinander, es fiel mir äußerst schwer, mich zusammenzureißen, die Erinnerungen an die glücklichsten Tage meines Lebens sind wieder da, mehr als deutlich kann ich sie sehen. Warum haben wir beide das nur nicht in den Griff bekommen?, ob er auch noch manchmal an mich denkt?. - Übrigens hat mir Henny als sie hier war erzählt, unser Lohra – Busfahrer, der Satzel ist gestorben, ich kann es einfach nicht glauben. Ist es nicht merkwürdig, dass ich vor kurzer Zeit in meinem Tagebuch Erinnerungen aufgestöbert hatte, die sich damit verbinden?. Ich werde bestimmt von Charlotte oder Sibylle bald davon hören, sie wissen bestimmt etwas Genaues. - Zitatende - .

Mittwoch, 5. Dezember 1990, 9.12 Uhr: vielleicht ein ungewöhnlicher Augenblick um Tagebuch zu schreiben, aber ich bin allein und es gibt nicht viel zu tun. Nebenbei schaue ich Dallas, alle Folgen werden zur Zeit wiederholt und ich denke in dem Zusammenhang an Jasmin und das großartige Ereignis damals mit ihrem neuen Farbfernseher. Heute gibt es wohl kaum noch Schwarz - Weiß - Geräte zukaufen, allerdings sind diese neuen „Farbglotzkästen“sehr teuer und für uns vorerst in unerreichbarer Ferne, ich kann froh sein, wenn ich noch etwas Essbares kaufen kann. Der eigentliche Anlass für meine heutige Eintragung ist, dass ich schon wieder von Frank geträumt habe, es bringt mich sehr durcheinander. Manchmal könnte ich verrückt werden, wie alles, aber auch restlos alles durch meine eigene Schuld so geworden ist, ... ob ich ihn jemals wiedersehe?, macht es überhaupt einen Sinn ihn wiedersehen zu können, zu wollen?, ... oder wie auch immer, ... oder hören die Schmerzen dann erst recht nicht auf?, ... aber von Lohra wegzugehen, ... damit jedenfalls, habe ich alles nur noch schlimmer gemacht, ... nicht nur für mich. Vor allem lässt mir die Frage keine Ruhe, ob sich Carlo hier wirklich gut fühlt oder nicht, wenn ich ihn beobachte, wie er mit seinen Freunden spielt, dann glaube ich daran, dass er zufrieden sein könnte. Möglicherweise könnte er natürlich auch, was sein Wesen anbetrifft in meine Richtung einschlagen und es nur still akzeptieren, ... was ich mir aber absolut nicht vorstellen möchte. Zu meiner Angst und der einfach fehlenden Kraft zu sagen, lieber heute als morgen von hier nach Hause zurückzukehren, kommt wohl auch noch eine gewisse Bockigkeit meinerseits zusagen: nein, ... nach Lohra gehe ich nicht zurück,... um mich nicht bloßstellen zu müssen, schließlich sage ich überall und jedem das, was ich bereits etliche Male festgehalten habe. Vielleicht wäre es noch ein bissel anders wenn Carlo sagen würde: Mama, wir wollen zurück nach Lohra oder nach Seelstein, ... ich möchte ihn manchmal danach fragen, aber ich habe Angst, ihn in Gewissenskonflikte zu bringen, es reicht schon, dass ich ihn ungefragt hierher gezerrt habe. Meine Eltern würden sich freuen, wenn ich umkehren würde, besonders mein Papa denke ich. Henny hat einen Freund, und der ist halt jetzt sowieso für sie wichtiger als ich, ... das ist eben so in dem Alter. Es trifft mich auch noch immer, dass Marcel nicht mehr zu wissen scheint, dass es mich gibt, ... von Henny weiß er wo ich zu finden bin, ... naja was soll das alles, ich kann es nicht ändern, es muss also alles bleiben wie es ist, ... und egal was es ist.

Am Montag habe ich Charlotte angerufen, es stimmt leider, der Satzel ist tot und ich kann es eigentlich gar nicht so recht fassen. Er starb durch einen Herzinfarkt, ... ein Mann der nie geraucht oder getrunken hat. Morgens brachte er die Schulkinder noch nach Schellental, er war auch noch bei seiner Mutter Mittag essen und fuhr dann los, um die Schulkinder wieder abzuholen. Dabei soll ihm wohl schlecht geworden sein, vermutet man, denn er parkte in der Mauritzer Kehre auf dem Holzplatz. Die Kinder wunderten sich nur, warum der sonst so zuverlässige Fahrer nicht kommt. Man fand ihn im Bus mit dem Kopf und der Brust auf seinem Lenkrad, ... er war bereits tot. Es tut mir, wie allen sehr leid um ihn, es gibt einen netten, fleißigen und zuverlässigen Menschen weniger auf dieser Welt.

Sonntag, 15. Dezember 1990, 19.45 Uhr: Das Tief, in dem ich mich befinde, so lange nun schon, will nicht gehen, fast hat es sich noch verschlimmert. Ich kann kaum Worte finden für diesen Zustand, indem ich mich befinde. Ich glaube, schlechter kann es mir wohl kaum noch gehen, alles kommt wiedermal zusammen. Wir hatten noch an anderen Stellen versucht Kredit zu bekommen um das Konto ausgleichen zu können, die Bank sagt nein, denn ich bin ohne Einkommen und Udo, ... na ja da brauchen wir nicht darüber reden. Bei Versuchen in Zeitungen, die von vorn ab zunächst Geld sehen wollen, haben wir dankend abgelehnt, ... einmal Geld weg, ... das reicht, zudem wäre ja auch keins da, um im Vorneweg überhaupt etwas zahlen zu können. Wir sitzen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen, ohne einen Pfennig Geld, die üblichen Vorräte sind so gut wie aufgebraucht, nur etwas Stollen und Plätzchen sind noch da, die ich vorige Woche gebacken hatte. Ich weiß keinen Rat mehr, das Auto ist immer noch kaputt, ... Udo zum Jahresende entlassen. Damit habe ich ja schon lange gerechnet, es wundert mich sowieso, dass Frau Gärtner es so lange ausgehalten hat. Ich stelle Udo zur Rede, wie er sich das alles vorstellt, wie das alles weitergehen soll, aber mehr wie ein übliches Achselzucken bekomme ich nicht zur Antwort, ... so wie immer halt. Sein Lohn ist nicht sehr hoch, aber nach wie vor sehe ich davon so gut wie gar nichts. Was ist das alles bloß, ... ich habe während der Zeit als ich mit den Kindern alleine war noch nie so blank dagesessen, ... und Weihnachten schon gar nicht. Ich habe immer Geld gehabt, zwar konnte ich es noch nie zum Fenster hinaus werfen, aber dass ich meinem Kind nichts anderes bieten kann im Moment als langweilige Puddingsuppen im Wechsel mit Kartoffeln, ohne irgendetwas dazu, ... ich hätte es mir niemals träumen lassen. Auch das Öl ist alle, ich kann nicht einmal mehr Bratkartoffeln machen. Brot ist auch keins mehr da, von anderen Sachen ganz zu schweigen, ... morgen kann ich nichts mehr kochen, ich habe noch einen Rest Milch, um ein wenig Kartoffelbrei für Carlo machen zu können. Ich selber habe morgen gar nichts mehr, ... außer Hunger, aber ich werde es überleben. Wenn Udo kommt kann ich ihn sowieso nicht fragen, ob er ein paar Mark für uns hat, weil er sicher wieder so blau ist, dass er sicher sowieso nichts versteht. Es quält mich der Gedanke, zu Weihnachten nicht nach Hause fahren zu können, geschweige denn, ... was sollen wir essen?, ... es ist ein Weihnachten vor dem ich Angst habe. - Zitatende - .

Wenn ich meine Eintragungen, die ich über diese Zeit festgehalten habe lese, kann ich jeden Augenblick davon spüren, ich habe es nie vergessen, was ich da durchgemacht habe. Besonders im Jahr 2010, als ich an dieser Stelle meiner Textverarbeitung angekommen bin, also genau 20 Jahre später, habe ich das alles ganz besonders intensiv vor Augen, ... es war einfach unbeschreiblich, ... meinem ärgsten Feind wünsche ich so etwas nicht.

Wie in meiner Eintragung vom 15. Dezember 1990 beschrieben, bin ich am Ende meiner Kräfte, was soll ich nur tun?. Das letzte, was ich an etwas Essbarem zu Hause finde, nehme ich, um Carlo versorgen zu können. Ich selber hatte, so wahr ich hier sitze und mein Leben dokumentiere schon drei Tage so gut wie nichts mehr gegessen. Zu Carlo sage ich immer, ich habe keinen Hunger, weil mir der Bauch weh tut. Udo kommt wie immer stechend voll nach Hause, er denkt sich wohl, weil er sowieso zum Jahresende entlassen ist, bleibt alles egal und er säuft derart, dass er von anderen nach Hause gebracht werden muss. Als er schläft, drehe ich seine Sachen nach Geld um, ich finde nur drei Mark, aber die nehme ich und kaufe am nächsten Morgen für mein Kind Brötchen, ein Stück Butter und Milch, damit ich es zur Schule schicken kann. Ich trinke Wasser dazu, ... davon wenigstens ist genug in der Leitung. Die restliche Butter und Brötchen verstecke ich vor Udo, aber der fragt nicht mal nach was zu essen, offensichtlich verdirbt ihm der Alkohol den Appetit. Er hat seinen freien Tag und ich weiß keinen anderen Ausweg mehr, als zu Udos Chefin zu gehen und um Hilfe zu bitten, ich muss doch sorgen für mein Kind. Als ich in der dortigen Gaststätte am Strand ankomme, dreht sich bei dem Geruch nach Essen fast mein Magen vor Hunger um. Als mich Frau Gärtner sieht fragt sie: „Kommen Sie wegen Udo?, ...es tut mir leid, aber ich musste ihn entlassen“. Ich nicke nur stumm mit dem Kopf, sie fügt hinzu: „Es ging wirklich nicht anders, ich habe ihn ein paarmal verwarnt und gesagt, er möge sich zusammenreißen, ... den Gästen gegenüber ist er untragbar, ... aber er hat nicht ernst genommen,was ich gesagt habe, … er brachte den Gästen ständig verkehrtes, nicht bestelltes Essen und rechnete auch stets falsch ab, ... es tut mir sehr leid für Sie, ... glauben Sie mir das bitte!“. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen Frau Gärtner, ich weiß und ich glaube Ihnen, ... aber ich habe ein riesengroßes Problem, ... es ist mir wirklich sehr peinlich, … aber ich muss Sie leider etwas fragen, ... ich, ... weiß ganz einfach nicht mehr weiter“. „Was gibt es denn?, ... kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragt sie. „Frau Gärtner, ... ich, ... ich wollte Sie fragen, ob Sie mir von dem Geld, was Udo im Januar noch bekommt etwas geben können, ich habe keinen Pfennig Geld mehr, ... und mein Kind hat Hunger, ...“. Sie schaut mich ungläubig und entsetzt an. „ Ich habe den Udo zwar zum Jahresende entlassen, aber sein Geld hat er immer pünktlich bekommen und das letzte Geld bekommt er noch im Januar, ... hat er Ihnen denn nichts gegeben?“. „Ein paar Mark hat er mir gegeben, ... aber das reicht vorn und hinten nicht, es war so gut wie gar nichts, ich selber habe nur wenig Arbeitslosengeld, ich bin arbeitslos seit September“. Aus der Küche ruft jemand: „Sein Geld kann ja auch nicht reichen, jeden Tag kauft er hier nach Feierabend einen großen Beutel voll Bier, Zigaretten und eine Flasche Schnaps, ... außerdem noch teures Mittagessen, ... mit dem Personalessen ist er ja nicht zufrieden, ... das ist ihm wahrscheinlich nicht gut genug, ... obwohl er dann auch noch von dem teuren Essen die Hälfte in den Abfallkübel schmeißt“. Mir ist diese Sache mehr als nur peinlich, aber ich bin sehr erleichtert als Frau Gärtner sagt: „Ich gebe ihnen 150, - Mark, aber das muss ich im Januar von seinem Gehalt abziehen, was er dann noch zu kriegen hat, … das geht leider nicht anders“. „Ja, sicher, ... das ist mir klar, ... ich weiß, aber ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe“. Im Gehen merke ich seitliche Blicke und ein Kopfschütteln und höre wie jemand sagt: „Na das kann doch nicht wahr sein, … das gibt` s doch nicht, der säuft sich die Hucke voll, kauft sich teures Lachssteak, schmeißt davon noch die Hälfte weg, und seine Familie hat nicht mal einen Kanten Brot zu Hause“. Auf der Straße angekommen bin ich froh, dass mein Spießrutenlaufen wenigstens Erfolg hatte. Den ganzen Weg nach Hause grübele ich darüber nach, wie ich das Geld am effektivsten einteilen könnte. Ich bin sehr froh, dass ich überhaupt etwas bekommen habe, ein Tropfen auf den heißen Stein ist weit besser als nichts, ... bis über Weihnachten und zum Jahresende hin muss es aber ausreichen, wie ich das anstellen soll, kann ich beim besten Willen noch nicht genau sagen. Ich hoffe, mein Arbeitslosengeld wird künftig pünktlich vom Amt gezahlt werden, ich habe beim Beantragen Udos Kontonummer angegeben, es ging alles so schnell, jetzt ich habe Angst, dass ich es nicht bekomme, weil wir beide Zugriff auf das Konto haben . Von Udo kann ich so gut wie nichts erwarten, unabhängig davon ob er arbeitet oder nicht, die ganze Misere wird nach Weihnachten nicht beendet sein, wie gesagt hoffentlich kommt wenigstens jetzt regelmäßig Geld vom Amt, wenn es auch wenig ist, aber wenn man sich darauf verlassen kann, dass man es erhält, kann man es auch einteilen, aber wenn nichts da ist, hilft einem die Kunst des Einteilens auch nicht sehr viel weiter, um nicht zu sagen nichts. Jedenfalls gehe ich erst mal was zu essen kaufen, am liebsten möchte ich die ganze Kaufhalle leer räumen auf Grund meines Hungers, der sprichwörtlich in meinen Därmen wühlt und ihn regelrecht zum Zwicken bringt. Dennoch lasse ich mir Zeit und wähle Dinge, die eine Grundlage bilden, wie Kartoffeln, Nudeln, Reis, Brot, Butter und Milch. Weiter entscheide ich mich für ein Suppenhuhn, um Frikassee machen zu können, außerdem gibt das noch eine leckere Suppe. Bis Carlo aus der Schule kommt schaffe ich das natürlich nicht mehr, aber ich freue mich auf eine Suppe am nächsten Tag. Trotz der Notlage muss ich beim Zurückdenken an meine Kochkünste von damals lächeln, ... aber ich werde ganz sicher nie wieder so eine Brühe weg kippen. Zu den Nahrungsmittelgrundlagen kaufe ich noch ein paar Beilagen, um das Ausgesuchte ergänzen zu können. Große Flaschen Schaumbad sind im Angebot, man kann damit notfalls auch abwaschen und es für die Wäsche nehmen. Am Bäckerstand kaufe ich mir ein Brötchen und stopfe es in mich hinein, bevor ich mich mit den schweren Taschen auf den Heimweg mache und damit kaum vorwärts komme. Ich brate Fischstäbchen heute Mittag, das schaffe ich, das geht schnell und Carlo mag sie gerne essen wie fast alle Kinder. Ein wenig Obst für Carlo habe ich auch noch mitgenommen und denke mir: Na, toll, jetzt liegt das Obst und die Bananen zu Hauf umher, aber das Geld fehlt, ... meinetwegen hätte alles so bleiben können wie es ist. Zu Hause, welches meinem Empfinden nach nicht wirklich eines für mich ist, sitzt Udo schon wieder bei Bier und qualmt die Bude voll. Ich sage nichts davon, dass ich bei Frau Gärtner war, ... er fragt nicht einmal von was, bzw. womit ich eingekauft habe. „Ich gehe nach Richard und Arnold, ... ich habe ja frei heute wie Du weißt“, meint er. Ich verkneife mir die Bemerkung: bald hast Du ja immer frei, ... sage dann aber: „Ich mache jetzt Mittagessen“. Beim Jacke anziehen fragt er: „Was gibt es denn?“. „ ich mache Fischstäbchen, Mischgemüse und Kartoffelbrei dazu“, beantworte ich seine Frage und fange an die Kartoffeln zu schälen. „Das könnt` Ihr alleine essen, ... ich mag keine Fischstäbchen, ... und Mischgemüse auch nicht“. Ich will noch sagen: Nein, ... Du frisst lieber Lachssteak und schmeißt die Hälfte weg, ... aber ich lasse es bleiben und reagiere auch nicht darauf, dass er mehrmals wiederholt, er würde jetzt gehen. Stattdessen mache ich mich daran, das Essen fertig zu kriegen bis Carlo aus der Schule da ist. Als er eintrifft und ich das Essen auf seinen Teller lege sagt er: „Oh, … schön, … Fischstäbchen gibt es heute!“. Als ich mir ebenfalls nicht gerade zaghaft den Teller fülle fragt er: „Geht es Dir besser Mutti?, ... hast Du heute keine Bauchschmerzen mehr?, ... hast Du nun auch wieder Hunger?“. „Nein, Carlo, ... ich habe keine Bauchschmerzen mehr, es geht mir gut, ... warum fragst Du?“. „Na weil Du heute endlich wieder etwas isst, Mutti“. Ich bin erschrocken und berührt zugleich, ihm ist es nicht entgangen, dass ich eben immer sagte, ich habe keinen Hunger weil ich Bauchschmerzen habe. „Ja, ja, Carlo, ... mach Dir keine Sorgen, es geht mir gut, ... es ist alles wieder in Ordnung, ... ich habe auch wieder Hunger, ... sehr großen sogar“. Am gleichen Nachmittag backe ich uns noch einen Kuchen, einen einfachen Hefeteig mit Zucker und Zimt.-

Bei Vogenschmidts hatte ich mich krank gemeldet, ich konnte das Geld für die Backzutaten einfach nicht voraus legen, aber nun geht ja auch das wieder und bringt ein paar Mark Erlös dafür.

Ich werde mein Lebtag diese Situation nie vergessen, ... als ich mit Carlo an jenem Tag gemeinsam am Tisch saß und wir gegessen haben. Ich wünschte mir dabei, dass meine Kinder nicht einen einzigen Moment von so einer schrecklichen Lage erleben müssen, ... was es heißt, nicht zu wissen, was sie ihren Kindern auf den Teller legen können. Überhaupt kann sich so manch einer diese Sache überhaupt nicht vorstellen, das kann nur jemand, der das ebenfalls erleben musste, ... und ich sage es an dieser Stelle frei heraus: Ich verteufele jeden, ausnahmslos jeden, … jeden der sagt: das esse ich nicht, weil ich es nicht mag, ... denn derjenige hat in seinem Leben ganz sicher noch nicht hungern oder auch sonst nichts entbehren müssen!. Nun erst recht erziehe ich meine Kinder so, dass sie lernen, dass alles, ... aber auch alles, was auf den Tisch kommt gegessen werden kann. Jeder hat Dinge, die er besonders gerne isst, anderes weniger gern, ... aber das, was eine Mutter mit Liebe auf den Tisch bringt, das kann gegessen werden, ... und ich hoffe, meine Kinder geben es einmal an die ihren weiter. Ich kann seit dem erst recht bewusst nachempfinden, was die Eltern im Krieg und in der Nachkriegszeit leisten mussten, um die Kinder wenigstens einigermaßen satt zu bekommen. Diese Zeit war lang, ... im Gegensatz zu meiner Misere. Noch heute wird bei mir nicht eine einzige Kartoffel oder ein Stück Brot achtlos weggeworfen, ... es wird immer noch jemand satt davon, ... und wenn es Nachbars Hühner sind!.

Sonntag, 23. Dezember 16.38 Uhr, Zitat: Ein Tag vor Heilig Abend, wohl der traurigste in meinem Leben, wenn man das Weihnachtsfest im Jahr nach Hagens Tod außen vor lässt. Wie fast immer schreibe ich vor Weihnachten Tagebuch, irgendwelchen Kummer gibt es ja ständig, aber so wie in diesem Jahr ist es wie gesagt noch nie gewesen. Ich habe die Eintragungen vor Heilig Abend der vergangenen Jahre gelesen und weiß, es war in Lohra eines der schönsten Feste. Weihnachten gab es bei uns immer gute Sachen zu essen, auch wenn man manches mühselig zusammengetragen hat, weil es halt zu DDR - Zeiten nicht immer alles gab, ... aber vielleicht hat gerade das zu einem geheimnisvollen Fest beigetragen. Jeder bekam Geschenke, wenn wir das auch nie übertrieben haben, aber es war immer eine schöne Zeit, ... wir haben uns auf Weihnachten gefreut. Dieses Jahr ist es ein Graus, wir haben nicht einmal einen Weihnachtsbaum, sie sind einfach zu teuer, ... von 16, - DM aufwärts. Von den vorgestreckten 150, - DM kann man sich das nicht leisten, ich kann natürlich auch keine Geschenke kaufen, weder für Henny noch für meine Eltern, für das allerletzte Geld kaufte ich für Carlo zwei Dinosaurier und etwas Süßes. Dass ich natürlich auch für Udo nichts habe, das trifft und stört mich allerdings nicht im geringsten, er kümmert sich doch nicht um uns. Er unternimmt nicht die kleinste Anstrengung, um uns aus dieser Lage zu befreien, an der er durch seine Sauferei den größten Schuldanteil zu verzeichnen hat. Wenn er als Kellner vernünftig arbeiten würde, dann wäre er schließlich auch nicht entlassen worden. Man verdient zwar nicht sonderlich viel in dem Beruf, aber wenn man es fleißig, freundlich und geschickt anstellt, hat man immer ein wenig Trinkgeld dazu. Aber er versäuft sein gesamtes Geld lieber und verzockt es am Spielautomaten, so wie ich von Nadja aus der Küche seiner Arbeitsstelle gehört habe, die gesamte Situation stört ihn wohl nicht im geringsten. Er könnte wenigstens der Not gehorchend, ... wenn vielleicht auch auf illegalem Wege den Versuch unternehmen, wenigstens einen Weihnachtsbaum aufzutreiben. Wenn ich ihn auf alles anspreche, lallt er mehr, als er vernünftig antwortet: „Ich mag Weihnachten sowieso nicht“. - Aber ein Baum, ... und wenn er noch so winzig ist, ... aber es wäre wenigstens ein Weihnachtsbaum. Ich werde nachher losziehen, vielleicht finde ich irgendwo ein paar Tannenzweige für die große Vase. Ich habe nicht einmal mehr das Geld, meinen Eltern eine Weihnachtskarte zu schreiben und meinen Freunden und Kollegen gleich gar nicht. Meine Eltern haben uns für Weihnachten eingeladen, aber das Geld um nach Hause fahren zu können, ist einfach nicht da. In meiner Verzweiflung bin ich zu Vogenschmidts gegangen, in der Hoffnung, zu Hause anrufen zu können und dass sie dafür kein Geld verlangen. Aber ich irre mich, ... 8, - DM muss bezahlen, also bekomme ich für den nächsten Kuchen den ich abliefere kaum noch etwas. Ich sagte meinen Eltern, ich bin krank, ich schäme mich zu sagen, dass kein Geld für die Bahnfahrt da ist. Das Auto ist noch kaputt, das Geld für die Reparatur fehlt erst recht. Zu recht sind meine Eltern enttäuscht, sie haben alles für uns vorbereitet, ... das zweite Weihnachten an dem ich nicht zu Hause bin, ... ein schmerzhafter Gedanke. Die Frau Vogenschmidt gab mir einen Schnaps aus, der tat zwar gut, brachte mich aber auch kein Stück weiter. Ich bin am Ende angekommen, … weiter geht es nicht, ... der Weg den ich gehe, scheint sich aufzulösen, irgendwo und wie laufe ich in den Nebel hinein, ... ich kann nichts mehr erkennen, ... nichts mehr sehen, ... ich habe mich verlaufen, ... warum haben immer nur die anderen Glück?, ... ich bleibe jedes mal auf der Strecke. - Zitatende -

Heute kann mir diese Frage selber beantworten, … na ja, ... das Heute unterscheidet sich eben von dem Gestern und das wiederum von dem Morgen.

Freitag, 28. Dezember 1990, 21.18 Uhr, Zitat: Noch nie habe ich gedacht oder gesagt, der Alptraum, der da heißt: Weihnachten, ... ist vorbei, ... Gott sei Dank, es ist dieses Jahr das erste mal und hoffentlich auch das letzte. Am zweiten Weihnachtstag waren Udos Eltern am Nachmittag da, dass ich nur Tee und ein paar Plätzchen anbieten konnte, war nicht meine Schuld, dennoch wurde es als Faulheit hingestellt, weil ich für den Besuch nichts gebacken hatte. Gerecht fand ich , dass jeder 50,- DM bekommen hatte. Udo ging gleich damit los in die Kneipe und war noch beleidigt, weil mir absolut nicht der Sinn danach stand mitzukommen. Ich war froh, wieder ein paar Mark zu haben, um für Carlo sorgen zu können. Carlo und ich zogen es vor, ein Stück mit Miss. Elli spazieren zu gehen, ich nahm den Brief für Henny mit, den ich nun abschicken konnte. Ich bin froh, wenigstens sie hatte ein schönes Weihnachtsfest bei den Großeltern und ich war erleichtert, dass sie Weihnachten nicht bei uns sein brauchte, ... so blöd wie sich das anhört, so reell ist es aber leider auch. Als Carlo im Bett war höre ich Stimmen und Udo kurz darauf polternd die Treppe heraufkommen, schnell verkroch ich mich ins Bett. Als ich später, eine Weile nach einem mächtigen Lärm aus der Stube kam um nachzusehen, lag er wie verreckt, ... nach Alkohol und Urin stinkend auf dem Fußboden und schnarchte. Heute bietet sich dieses gleiche tolle Bild, wieder frage ich mich, was ich bisher an schönen Dingen hatte, ... es ergibt auf der Waagschale ein nahezu lächerliches Gewicht. Ich habe es wieder nicht geschafft, für die Kinder einen väterlichen Freund zu finden. Der Versuch, bei einem neuen Anfang endlich auch einmal ein Körnchen Glück zu finden schlug wieder fehl. Ich war so dumm, alles das hinter mir zurückzulassen, an dem mir etwas gelegen hat. Ich wollte einen Absprung wagen, ... aber beim Abspringen von diesem Sprungbrett, verfehlte ich mein Ziel nicht nur um Haaresbreite, sondern schlug hart wie nie zuvor daneben auf dem steinigen Boden auf.

Es kommt das Jahr 1991 und mit ihm die berechtigte Hoffnung, die missliche Lage, in der ich mich mit meinem Kind befinde, würde sich bessern. Wie Frau Gärtner sagte, zieht sie Udo die vorgestreckten 150, - DM vom verbleibenden Lohn ab. Er geht in der ersten Januarwoche los, um sein Geld abzuholen. Natürlich kommt er angetrunken zurück, was auch sonst, ... ich erwarte schon nichts anderes mehr. Er kommt polternd herein und schreit auf mich los: „Die Frau Gärtner hat Dir im Dezember 150, - DM gegeben und das hat sie mir jetzt abgezogen!“. „ Ja, ... das ist richtig ", gebe ich zur Antwort. „Und wo ist das Geld jetzt?!“. Die missliche Lage zwingt mich trotz alledem noch zu einem Grinsen: „Ja, ... wo soll es wohl geblieben sein? ... was glaubst Du wohl?, ... ich habe es gebraucht, ... damit wir jetzt schlicht und einfach gesagt noch leben, ... der Carlo und ich, ... und nicht verhungert sind, ... so einfach ist das!“. „Wieso verhungert?“, stellt er auch noch die blöde Frage und schaut mich dabei durchdringend an. Ich gebe wütende Blicke an ihn zurück: „Sag` mal geht` s noch?, Du gibst uns kaum einen Pfennig Geld, weil Du jeden Tag säufst, am Spielautomaten das Geld verzockst und dazu dann auch noch jede Menge Bier, Schnaps und Zigaretten mit nach Hause schleppst, ... und Lachssteak frisst, während Carlo und ich nicht wissen, von was wir leben sollen, ... und Du schmeißt dazu noch die Hälfte von Deinem teuren Essen weg!, ... wenn Du Dich nicht zusammenreißt und so weiter machst, ... dann weiß ich nicht mehr was ich tue, ... Deine Sauferei bringt uns alle um, ... hör` auf damit, und gehe wenn es nötig ist an geeignete Stelle und lass` Dir dort helfen!“. Ich staune über mich selber, ... den Mund aufgemacht zu haben, und über meine sich vor Erregung hineinsteigernde Stimme. „Bei was soll ich mir helfen lassen?, ... nun übertreibe das nicht, ... man wird doch nochmal ein Bier und einen Schnaps trinken dürfen!“, gibt er von sich, als ob er nicht wüsste worum es geht, ... er schüttelt den Kopf und geht seiner Wege. Endlich ist am 31. 12. 1990 mein Arbeitslosengeld auf dem Konto, ich überweise die Miete davon und nehme den Rest mit, damit es nicht in Udos Finger gerät, ich mache einen Plan, um es so gut wie möglich einzuteilen. Auf Udo ist nun mal kein Verlass, ich habe gesagt, er möge zum Arbeitsamt gehen, damit die gleiche Pleite nicht noch einmal passiert. Mir ist aber noch immer nicht so recht bewusst, dass es ein grober Fehler ist, ein gemeinsames Konto zu haben. Ich bin so zur Monatsmitte in Wiesenstadt, ich will die paar Mark Kindergeld für Carlo abholen. Aber die Frau am Schalter sagt: „Ich kann Ihnen kein Geld geben, es ist nichts mehr da“. „Ich verstehe nicht, ... das Kindergeld muss doch da sein“. „Warten Sie bitte, ... ich schaue noch einmal nach, ... Ihr Mann hat das Geld schon abgehoben, ... gestern!“. Ich hab` nur gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein und sage: „Dann möchte ich das Konto bitte jetzt kündigen“. „Ja, gut, ... aber das muss Ihr Mann auch unterschreiben, ... dass das Konto gelöscht werden soll“. Ich unterschreibe die Löschung von meiner Seite aus und gehe ganz gegen meine Gewohnheiten in ein Cafe` am Markt. Ich bestelle mir eine Tasse Kaffee und einen Kognak, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten dürfte. Aber ich muss den Schreck verdauen, ich tadele mich gleichzeitig selber, weil ich mir noch kein eigenes Konto eingerichtet habe und denke: Du hast Schwein gehabt, Dein Arbeitslosengeld hätte ebenso weg sein können, mir wird ganz übel bei der Vorstellung. Soll er doch mit dem Konto machen was er will , ich trinke aus, gehe zu einer anderen Bank und eröffne ein alleiniges Konto für mich, damit mir das nicht noch einmal zustößt und das bisschen Geld, was ich zur Verfügung habe auch Carlo und mir zur Gute kommt, bei dieser Bank bin ich übrigens heute immer noch. Anschließend gehe ich gleich zum Arbeitsamt, gebe meine neue Kontoverbindung an, zu Hause schreibe ich gleich an die Kindergeldkasse und teile ebenfalls die neue Bankverbindung mit, damit das, was Carlo und mir gehört auch unser bleibt.

Während dieser Tage erfahre ich auch, Frau Gärtner gibt ihr Geschäft auf und geht in Rente. Ein Ehepaar, namens Messerstein übernimmt diese Gaststätte am Strand. Ich bearbeite Udo solange, bis er sich auf den Weg macht, um dort wegen Arbeit vorzusprechen. Zur Zeit ist die Gaststätte geschlossen, sie wird ausgiebig umgebaut und renoviert. Ich lasse mich nicht abschütteln und gehe mit, es ist ein Vormittag, Carlo ist in der Schule. Auf dem Weg zum Strand denke ich nur dauernd daran, dass Udo hoffentlich angenommen wird, ... vielleicht weiß dort noch niemand etwas von seinen Eskapaden, es ist ein Versuch wert, denn diese fatale Sauferei zu Hause, ... das hält niemand aus. Für Carlo ist es mehr als eine Zumutung, es gelingt mir leider trotz aller Bemühung nicht immer, dass er nichts davon mitbekommt. Als wir eintreten, die Tür ist nicht verschlossen, sind die Renovierungsarbeiten in vollem Gange. Eine junge, sehr schlanke Frau, sowie ein ebenfalls junger, aber recht kräftiger Mann fragen nach unseren Wünschen. Udo schaut mich an als wäre ich ein Gespenst, ich sage zu ihm, er müsse schon selber reden, denn das kann ich nun wirklich nicht auch noch für ihn tun. Er stottert den Wunsch und das Vorhaben zusammen, hier arbeiten zu wollen. Herr Messerstein meint: „Ja, ... in der Tat, einen Kellner können wir zumindest für die Wiedereröffnung gebrauchen, das Küchenpersonal haben wir zum Teil übernommen, ... Sie haben bereits bei Frau Gärtner gearbeitet habe ich gehört?“ , erkundigt er sich. Ich denke, na ja, also doch schon bekannt, also weiß er auch von der Alkoholgeschichte, ... ich habe noch nicht zu Ende denken können als er weiterspricht: „Ich habe auch gehört, dass Sie gerne dem Alkohol zusprechen, Herr Wolmirstedt“, meint er und bekommt keine wirkliche Antwort von Udo. „ Am 15. Februar eröffnen wir wieder neu, ich stelle Sie unter dem Vorbehalt zu diesem Termin ein, aber ich sage Ihnen gleich, ... bei uns herrscht striktes Alkoholverbot während der Arbeitszeit!“. Ich bin sehr erleichtert, während es Udo egal zu sein scheint, er sagt nur: „Na, dann tschüss bis dahin“. Auf dem Heimweg sage ich zu Udo: „Du weißt aber hoffentlich schon, dass das Deine zweite Chance ist, die Dir nicht jeder einräumen würde, ... also richte Dich bitte danach . In Zukunft werde ich Dich an dem Tag, an dem es Geld gibt abholen, damit Du davon für Carlo und für mich etwas abgibst. Wir sind verheiratet und es ist Deine Pflicht, Dich um uns zu kümmern, ... ob Du nun willst oder nicht!“. „Jaaa, ... wenn Du meinst, ... dann musst Du es eben so machen“, erwidert er gelangweilt. „Genauso ist das, Du hast nicht ein einziges Mal etwas von Deinem Geld auf das Konto eingezahlt oder überweisen lassen, im Gegenteil, ... Du hast das Geld für Carlo von der Kindergeldkasse auch noch abgehoben, ... sag` mal schämst Du Dich denn gar nicht?“. Mehr als ein unbeteiligtes „tja“ bekommt er nicht zustande.

In den Winterferien, im Februar 1991, zu Monatsanfang kann ich endlich mit Carlo wieder nach Seelstein fahren, Udo fährt zwangsläufig mit, die Neueröffnung der Gaststätte verschiebt sich ein wenig. Udo ist mir direkt lästig, nicht zuletzt deshalb weil er mir auf der Tasche liegt und auch noch den großen „Max“ spielt. Bisher hat er kein Arbeitslosengeld beantragt, obwohl ich es ihm bereits mehrmals eindringlich gesagt habe. " Ich habe doch eh bald Arbeit ", meint er und es macht ihm anscheinend nichts aus auf meine Kosten zu leben. Das Geld zum Fahren in meine Heimat habe ich mühevoll zusammengekratzt, ein Glück, mein Arbeitslosengeld und Kindergeld kommen jetzt regelmäßig, vor allem es ist jetzt sicher vor Udo, er kann sich nicht mehr davon bedienen. Auch das Kuchengeld habe ich für den Heimatbesuch konsequent weggelegt. Glück wenigstens ist, dass Udo mit dem Auto, was nun wieder repariert ist fahren muss, dadurch wird er an der vielen Trinkerei gehindert, zudem habe ich jetzt mein Konto unter Verschluss. Offensichtlich sieht es bei dem anderen nicht allzu gut aus, obwohl sich die Artikel wie Bier und Zigaretten im Moment notgedrungen in Grenzen halten. Natürlich schlafen wir bei meinen Eltern, etwas anderes wäre finanziell nicht möglich, die Angst, er könne sich trotz allem peinlich benehmen bleibt. Wir schauen nach Lohra in die Klinik hinein, dort erfahre ich von Schwester Hannelore, mit der ich viele gemeinsame Stunden verbracht hatte, dass das Sanatorium im „Sterben“ liegt. Der größte Teil der Mitarbeiter ist entlassen, der Rest, wenn man es so nennen kann, hat in Seelstein in der Sonnenburg noch Arbeit gefunden, ... aber das ist ein verschwindend kleiner Teil. Auch St. Josef liegt klein, verlassen und traurig da. Kuno findet sich mit der Wende und ihren Folgen nicht ab, Charlotte versucht zu retten was zu retten ist und Simon ist leider nicht da, so halten wir uns nicht lange auf. All` diese Dinge schmerzen ungeheuer, ich bin fast nur noch damit beschäftigt, darüber nachzudenken und Varianten zu finden, wie es mir ergangen wäre, wenn ich geblieben und nicht Hals über Kopf davongerannt wäre. Ich versuche es mir vorzustellen und komme irgendwann zu dem Entschluss, dass ich sicher auch nach Seelstein zurück hätte gehen müssen, aber ich glaube eigentlich nicht, dass ich meine Arbeit verloren hätte und eine Wohnung wäre sicher auch auffindbar gewesen. Bestimmt hätte ich, genau wie Schwester Hannelore bis zur letzten Minute in meiner Wohnung bleiben können. Aber hätte, ... hätte, ... und wäre, ... wäre, ... wie ich auch alles drehe und wende, ich komme immer wieder zu dem Schluss, ... es war mein größter Fehler meiner Heimat den Rücken zuzukehren.-

Wieder zurück in Domstedt mache ich mich auf zu Familie Vogenschmidt, ich will nachfragen, ob ich in der Saison wieder zum Arbeiten kommen soll. Ich bin froh, als Walter Vogenschmidt meint, ich könne im Mai wieder anfangen. Die Aussicht, erst mal wieder etwas zu haben, und nicht den ganzen Tag zu Hause sein zu müssen beruhigt mich etwas, obwohl ich weiß, dieser Job ist nicht die Erfüllung meines Lebens. Ich wünsche mir schon sehr, wieder im Gesundheitswesen tätig werden zu können, meine Patienten fehlen mir. Im März 1991 gerate ich bei den Stellenanzeigen auf einen Nebenjob, der sich „My way“ nennt und ich beschließe, mir das Um und Auf dieser Sache anzuschauen und anzuhören, ... bei einer Familie Schorn in Wiesenstadt. Es ist ein Vertrieb, bzw. Kauf und Verkauf von Haushaltswaren, angefangen von Reinigungsmitteln bis hin zu Kosmetikerzeugnissen. Man braucht kein Eigenkapital, man kauft die Waren ein, wie viel ist jedem selber überlassen, um diese dann mit einem bestimmten Prozentsatz weiter zu veräußern. Also versuche ich halt auch mein Glück damit, es kann nichts passieren.

Ich bin sehr traurig, ich bekomme immer weniger Post aus meiner Heimat, das Sprichwort: Aus den Augen aus dem Sinn scheint sich zu bewahrheiten, es trägt nicht gerade dazu bei, mein Dasein in Mecklenburg zu erleichtern. Meine Hanni und Jasmin bleiben mir als treue Freunde erhalten, ab und zu meldet sich auch mal jemand aus dem Seelsteiner Labor, … und meine Eltern natürlich.

Der März ist da, ich verbringe meine Zeit, die ich noch ungewollt zu Hause verbringen muss, um Carlo intensiv bei den Schularbeiten auf die Finger zu schauen, zu kontrollieren, dass er alles angefangene ordnungsgemäß erledigt, bevor er mit dem Nachbarsjungen auf Achse geht. Es beruhigt mich etwas, Carlo macht doch offensichtlich den Eindruck, recht gut in Mecklenburg leben zu können. Ich führe mein nach langen Überlegungen ursprüngliches Vorhaben, ihn doch einmal danach zu fragen nicht durch, ich befürchte, ich irritiere ihn damit. Mein Carlo ist ein Kind das eigentlich schon frühzeitig sagte, was ihm missfiel und ich denke schon, dass er sich dahingehend geäußert hätte. Auch heute ist er ein junger Mann, der sich nicht gerne etwas sagen lässt und setzt durch was er möchte, zumindest versucht er es. Carlo scheint in dieser Beziehung doch anders zu sein als ich und ich bin eigentlich froh, dass es so ist und ich hoffe somit, es wird ihm dadurch viel erspart bleiben. Er kommt hier mehr nach seinem Vater. Allerdings kann er sich, eben auch wie sein Vater schlecht unterordnen, bzw. angleichen und das ergibt des öfteren natürlich auch Schwierigkeiten, wenn auch anderer Art als die, wenn man sich alles gefallen lässt.

In den Jahren 1991, 1992 und 1993 weist mein Tagebuch sehr große Lücken auf, meist habe ich nur stichpunktartig das Wichtigste festgehalten und nun kostet es sehr viel Arbeit und Mühe, alles in vernünftige Sätze und Handlungen zu kleiden, aber wie gesagt, vergessen habe ich nichts von dem was ich erlebt habe, ... na schau` n wir mal weiter. - Im April 1991 gibt mir Udo freiwillig für uns beide, für Carlo und für mich etwas Geld, ich hoffe, es ist ihm dann doch etwas unangenehm weil ich gesagt habe, ich würde es mir am Geldtag holen. Der Opel ist wieder kaputt und bleibt es wohl auch, Udo schleudert mit dem Rad zur Arbeit, jeden Tag habe ich Angst, er könnte es mit seiner Trinkerei wieder auf die Spitze treiben und entlassen werden. Über meinen Geburtstag 1991 steht nichts in meinem Tagebuch, sicher ist er sang und klanglos an mir vorbeigezogen. Im Mai 1991 geschieht dann wieder etwas aus der Bahn werfendes, jedenfalls was die fernere Zukunft insgesamt betrifft. Udo kommt von der Arbeit nach Hause und sagt: „Morgen fahren wir alle nach dem Westen, ... nach Lübeck, ich habe eine Überraschung für Dich“. Ungläubig frage ich: „Eine Überraschung?, ... was soll das sein?, ... und Carlo?, was ist mit Carlo?“. „Der kommt natürlich auch mit“, antwortet er, dann fügt er hinzu: „Aber wenn ich es sage, dann ist es keine Überraschung mehr“. Ich wundere mich darüber, frage aber nicht weiter nach, sondern warte den nächsten Tag ab. Wir fahren mit dem Bus nach Wiesenstadt und von da aus weiter nach Lübeck. Als wir im Zug sitzen frage ich: „Hast Du die Rückfahrt gleich mit gelöst?, ... Du weißt ja sicher, es ist dann etwas billiger“. „Nein, ... habe ich nicht, ... weil wir mit dem Auto nach Hause fahren werden!“. „Wieso mit dem Auto?, ... mit welchem Auto?, ... was hast Du vor?“, erkundige ich mich etwas verwirrt. „Ich habe Dir doch gesagt, ich habe eine Überraschung, ich habe telefonisch alles klar gemacht, wir brauchen den Vertrag nur noch zu unterschreiben“ . „Du willst ein Auto kaufen?, ... ja aber wovon soll das denn bezahlt werden, wir haben doch kaum Geld und kommen nur eben geradeso über die Runden, es reicht knapp zum leben und ab und zu dafür nach Seelstein zu fahren, ... ich bin froh, ... ich habe alles soweit gebracht, dass genug zu essen da ist und auch das übrige wieder alles einigermaßen ins Gleis gekommen ist“, befürchte ich. „Was machst Du Dir den Kopf?, ich arbeite bei Messerstein, Du fängst bei Vogenschmidts wieder an und machst zusätzlich noch das „My Way- Geschäft“, ... es wird mit Raten finanziert über die Bank, das ist schon alles klar gemacht mit dem Autohaus!“. „Na, ich weiß nicht, ... das sollten wir vielleicht lieber bleiben lassen, ich habe kein gutes Gefühl dabei, ... und dieses „ My Way“ , das bringt doch so gut wie nichts ein, das kann man doch nicht als Einnahme bezeichnen, ich denke, ich werde es sowieso nicht weitermachen, ... die Sachen sind zwar gut, aber sehr teuer und die meisten Leute haben kein Geld dafür, ... und ich habe gemerkt, es liegt mir nicht, jemanden etwas zu verkaufen“. Indessen sind wir am Bahnhof in Lübeck angekommen. „Na, ... nu, ... das wird schon, Du musst mit unterschreiben, sonst wird das nichts mit der Finanzierung durch die Bank“. „ ... Und ein nagelneues muss es doch nicht sein, wenn, ... dann reicht doch auch ein gebrauchtes Fahrzeug, ... Udo, ich finde das nicht gut, ich finde auch nicht gut, dass du das alles hier allein entscheidest! ... sage doch einfach, wir haben uns das anders überlegt, ... bitte!“, meine ich verzweifelt. Mittlerer Weile am Autohaus angelangt, zieht mich Udo unsanft hinter sich her. „Jetzt sind wir hier!, ... meinst Du ich blamiere mich vor dem Verkäufer, ... und morgen vor Herrn Messerstein?, ... ich gehe jetzt da hinein, ... und Du gehst mit!, verstanden?!“. Carlo ist unterdessen zu einem Geschäft nebenan gegangen und bestaunt die dort ausgestellten Motorräder. Als wir ins Büro des Autohauses kommen, werden wir begrüßt, als wären wir ein Kaiserpaar von ich weiß nicht woher und etwas ganz besonderes. Die Verträge liegen bereits auf dem Tisch, ... bereit zum unterzeichnen und ich bekomme einen riesengroßen Blumenstrauß. Wiedermal in meinem Leben kann ich mich nicht durchsetzen und unterschreibe etwas, was mir widerstrebt. Während wir nach Hause fahren und Udo eine Eloge auf das neue Auto herablässt, kann ich nur stets daran denken, wie und wovon die monatlichen Raten von über 300, - DM bezahlt werden sollen, es bleibt nur wenigstens die Hoffnung, Udos Verhalten in Bezug auf seinen Alkoholabusus würde sich zum Guten wenden. Wie geplant fange ich irgendwann im Mai wieder in der Gaststätte „Marktmitte“ bei Familie Vogenschmidt meine Saisonarbeit an. Zu den Aufgaben, die ich bisher bereits aus dem vergangenen Jahr kenne ist nichts neues dazugekommen, alles wie gehabt, ... ich kenne mich mit allem nun schon gut aus.

Im Juni 1991 habe ich den kleinen Garten hinterm Haus vollkommen fertig, aus einer Wüste eine gemütliche Ecke geschaffen. Außerdem tapeziere ich das Schlafzimmer und gestalte das Bad neu. Trotz Arbeit bei Vogenschmidts mit Kuchen backen inklusive, dem Haushalt, den Renovierungsarbeiten und dem Garten findet sich noch genug Zeit für Carlo, um bei schönem Wetter zum Strand zu gehen. Im Juli habe ich trotz Saisonarbeit von Vogenschmidts ein paar Tage frei bekommen, damit ich zu Papas Geburtstag dabei sein kann. Ich fahre mit Carlo allein, Udo muss arbeiten, ... ich kann es nicht bedauern, … er muss dableiben, Miss. Elli nehmen wir mit. Es sind wie immer schöne Tage in der Heimat, besonders weil Udo nicht dabei ist und ich deshalb ohne Blamierungsängste diese Tage genießen kann. Henny ist auch da, wir sind viel im Garten, dann ist auch gerade „Vogelschießen“, wir lassen es uns nicht nehmen, die Festwiese zweimal aufzusuchen um alte Freunde zu treffen. Ich hege den Wunsch, eventuell Jonas wiederzusehen, aber er erfüllt sich nicht, wer weiß, vielleicht ist er gar nicht mehr hier und wie ich woanders hingezogen.

Im August freue ich mich über einen großartigen Blumenertrag in meinem Garten, er ist so reichlich, ich kann die Gaststätte regelmäßig mit frischen Blumen versorgen, es ist ein zusätzliches kleines Taschengeld. Herr Vogenschmidt macht noch immer gern Späße und er foppt seine Frau wie eh und je mit den abgezählten Pimentkörnern. Er ladet auch mich eines Abends zu einem kleinen Kollektivbeisammensein ein und bereitet ein tolles Essen. Anschließend präsentiert er seine neueste Errungenschaft. Er hat eine kleine Lokomotive gekauft, die steht hinter der Theke, ... man kann sie aufziehen, damit sie dadurch die entsprechenden typischen Geräusche einer Dampflok von sich gibt. Immer wenn sich seine Vogenschmidti, wie er sie auch öfter nennt ärgert, zieht er die Lokomotive ein paarmal hintereinander auf und alles lacht. Ja, ... ich weiß, ... es ist kindisch, aber das Leben ist so ernst, man sollte deshalb auch einmal über etwas blödes lachen, ... oder nicht? . Zu Monatsende renoviere ich die Küche und freue mich, denn alles sieht ein wenig freundlicher aus, zudem lenkt es vom eigentlichen Geschehen ab, besonders am 27. August, ... Hennys Geburtstag.

Im September hat Carlo bereits seinen 10. Geburtstag, bis dahin habe ich auch Carlos kleines Zimmer frisch gemacht, ... aber dann doch die Idee gehabt, eben diesen kleinen Alkoven mit dem kleinen Schlafzimmer zu tauschen, ich habe Carlo ohnehin meist zur Nacht ins Schlafzimmer geschickt, ... der Ruhe wegen, ... und jetzt habe ich alles so umgestaltet, dass das Schlafzimmer quasi im Alkoven ist. Man kommt nun zwar knapp zum Bad hindurch, es ist eng, aber Udo schläft ehedem Gott sei Dank öfter gleich in der Stube ein und bewahrt mich somit vor etwaigen total ekeligen Übergriffen. An Carlos Geburtstag sind auch Udos Eltern zum Kaffee eingeladen und gekommen, zu Mittag bin ich mit Carlo bei Vogenschmidts gewesen.

Im Laufe des Monats September verfällt Udo wieder in sein altes Verhaltensmuster, nachdem sich bis dahin die Alkoholeskapaden leicht in Grenzen gehalten haben. Ich kann sagen und machen was ich will, es interessiert ihn nicht. Fast provokatorisch macht er sich ein Bier auf, unmittelbar bevor er zur Arbeit fährt, trinkt es aus, ... und steigt ins Auto. Ich bin machtlos dagegen, ... er ist unbelehrbar, wird höchstens noch grob. Ich kann nicht mal sagen, ob ich es mir wünschen sollte oder nicht, dass die Polizei ihn erwischen möge. Mitte September ist die Saisonarbeit bei Vogenschmidts wieder beendet, es bleibt mir das Taschengeld für die Backerei, sowie für die Blumen, die ich bis in den Oktober hinein zur Gaststätte bringen kann. Nun weiß ich ja auch, ich muss umgehend zum Arbeitsamt laufen und meine Unterlagen dort abgeben. Im Oktober hat Carlo Herbstferien, wir fahren wieder nach Seelstein, Carlo und ich. Ich bin natürlich froh, als Udo meint, er möchte nicht mitkommen, ... also können wir die Zeit unbeschwert genießen. Das Wetter ist noch recht schön, auch wenn es gegen Abend kühl wird. Wir sind noch viel am Steiger und machen ihn an den letzten Tagen unseres Besuches winterfest. Die Gespräche zwischen meinen Eltern und mir verlaufen wie bei jedem Besuch bei ihnen stets schablonenmäßig ab.

Wieder in Domstedt angekommen, mache ich mich gleich daran, auch hier den Garten für die Winterpause herzurichten, ... natürlich allein, ... jeglicher Kommentar ist überflüssig. Ich gebe noch Tulpenzwiebeln in die Erde, die ich aus Seelstein mitgebracht habe. Nun ist es am Abend schon ziemlich kalt, ich heize den Badeofen, wie immer hole ich die Kohlen dafür selbst aus dem Schuppen. Am nächsten Tag macht Udo keine Anstalten, um sich für den Gang, bzw. Fahrt zur die Arbeit fertig zu machen. „Musst Du nicht langsam los?“, frage ich nach. Erst erhalte ich keine Antwort, sondern höre nur das abstoßende, zischende Geräusch einer Büchse Bier, die gerade geöffnet wird. Er bleibt im Sessel kleben, auf dem Tisch steht noch eine Flasche Schnaps. „Sag` mal hast Du mich nicht verstanden?, oder warum antwortest Du mir nicht?, ich finde man braucht am Vormittag, überhaupt wenn man gleich zur Arbeit muss, nicht auch noch Schnaps trinken, es reicht doch wohl schon, wenn Du noch kurz vorher ein Bier aufmachst?“, frage ich erneut in Erwartung einer Reaktion von ihm. „Ich gehe nicht zur Arbeit“, nuschelt er und setzt das Bier an, welches er wie üblich nicht einmal in ein Glas füllt. „Ach so?, ... und warum nicht, wenn ich fragen darf?“. „Na der Messerstein hat mich entlassen“, meint er als wäre es das normalste auf der Welt. „Entlassen bist Du also, ... warum brauche ich ja nicht zu fragen, ... oder?“. Ich bekomme keine Antwort und bringe selber im Moment nichts anderes als ein „na ja“ hervor. Er ist bereits so betrunken, es ergibt ohnehin keinen Sinn, diese Unterhaltung fortzusetzen. Ich denke nur, bedauerlicher Weise recht behalten zu haben, was meine Zweifel in Bezug auf den Autokauf betreffen. Zum Glück finde ich wenigstens einen Käufer für den alten Opel, der noch immer herumsteht, ein Bastler nimmt ihn für 500, - DM. Udo ist gerade irgendwo unterwegs, ich stecke das Geld weg, damit zu Weihnachten nicht wieder die gleiche Misere eintreffen kann wie im letzten Jahr. Dem Udo fällt nicht einmal auf, dass das Auto weg ist, erst mehrere Wochen später bemerkt er, dass es nicht mehr an dem Platz steht, wo es viele Wochen zugebracht hat. Ich liege Udo jeden Tag in den Ohren, weil es mit ihm nicht so weitergeht, er mit der Trinkerei aufhören müsse und dass er sich um Arbeit zu kümmern hat, … und unbedingt das Arbeitsamt aufsuchen muss. Ich hingegen mache mir Gedanken, wie ich es anstellen könnte, wieder eine Tätigkeit im Gesundheitswesen aufzutreiben und es kehrt die Überlegung zurück, es wäre sicher gut und hilfreich, wenn ich nochmal Anlauf nehme und den Führerschein mache. Ich bekomme jetzt regelmäßig Arbeitslosengeld, ... wenn etwas da ist, kann man auch etwas einteilen, auch wenn es sehr lange dauert bis es zum Erfolg führt. Udo gibt mir von sich aus zur Zeit überhaupt keinen Pfennig, also gehe ich, und hole seine Papiere von Messersteins ab, fülle sie bis auf seine Unterschrift aus und gebe alles beim Arbeitsamt ab. Ich bestehe darauf, dass Udo mir für alle anfallenden Kosten im Haushalt entsprechend Geld abgibt. Erst habe ich überlegt, wie man das unliebsame Auto wieder loswerden könnte, aber dann fällt mir wie gesagt das Ganze mit dem Führerschein ein und dass, wenn dieses Auto nun schon mal da ist und ich ja auch meinen Anteil zahle, ob ich will oder nicht, dann ebenso das Recht habe, ebenfalls mit diesem Auto zu fahren. Es wird wie gesagt eine geraume Weile dauern, bis das Geld zum Führerscheinerwerb endlich beisammen gekratzt ist, aber irgendwie muss es gehen.

Udos Trinkerei ist einfach das Widerlichste was ich bisher erlebt habe, er schlägt vermutlich Carlos Vater damit noch um ein paar Längen. Ich verweile manchmal in der abstrusen Vorstellung, wer von den beiden beim Kampfgelage der Unterlegene sein würde. Ich ekele mich vor Udo, besonders dann, wenn er wie ein Wiedehopf stinkend „etwas von mir will“. Genauso hirnverbrannt wie damals vor Jahren die Annahme, die ich als junges Mädchen, bzw. Junge Frau hatte, nämlich, denjenigen auch heiraten zu müssen, mit dem man sich im Bett getroffen hat, bin ich zu der Zeit noch allen Ernstes der Meinung, dass man den sogenannten „ehelichen Pflichten“ nachzukommen hat. Nun werden wiederum einige Leser sagen: Na, also so etwas gibt es doch nun wirklich nicht, wie doof ist die denn, ... nein, ... das glaube ich nicht. Dennoch ist es leider so, so wahr ich hier sitze und es gerade aufschreibe, ... die Wahrheit. Es ist einfach nur widerlich und es lässt sich kaum beschreiben, wie es einem zumute ist, wenn man sich in so einer Lage befindet, ... wenn sich jemand etwas nimmt, was man selber nicht möchte. Man hofft eigentlich nur, derjenige ist so blau, dass man sich entziehen kann, weil man hofft, dass dieser für bestimmte Dinge nicht mehr in der Lage ist, bereits in der Küche oder in der Stube in sich selber zusammensinkt, einpennt und derartige Versuche unterlässt. Es ist eine furchtbare Demütigung, ... man hält still, lässt es über sich ergehen, schon deshalb weil man Angst hat, das Kind könnte aufwachen und es mitbekommen. Man fährt schon zusammen wenn sich diese polternden Schritte nähern, fürchtet sich vor den quälenden, plumpen und ungehobelten Zudringlichkeiten, die trotz ablehnender Haltung auf einen zukommen. Es schauert mich, wenn er bei dem Versuch mich zu küssen ekelhaft anfängt zu sabbern, ich denke jeden Abend oder jede Nacht, dass es mir hoffentlich erspart bleiben würde.

Alles kann nicht so weitergehen, er muss arbeiten, ich wälze Zeitungen, finde dabei eine Firma, die Fenster, Türen und dergleichen verkauft. Ich rufe in Udos Namen dort an, mache einen Termin und fahre zu dessen Vereinbarung mit Udo mit, ... das ist im Dezember 1991. Er wird angenommen, verstehen tue ich das eher nicht, aber ich bin froh, er muss nun wieder Auto fahren und zwar auch größere Strecken und nicht nur bis zur Strandgaststätte. Wieder hoffe ich auf Einsicht und einen Zusammenriss von Udos Seite. Gott sei Dank können wir zu Weihnachten zu meinen Eltern fahren, wir packen unsere Sachen, wieder bedauere ich, noch immer keinen Führerschein zu haben. Als ich noch ein paar Dinge lose in den Kofferraum des Autos lege, sehe ich, dass sich dort zwei große Beutel Bier befinden, die Udo offensichtlich bereits dort deponiert hat. Nee, ... denke ich, wenigstens soll er nüchtern, und wir heil ankommen, ... in einem günstigen Moment entferne ich das Bier bis auf drei Flaschen aus dem Auto. Die drei Flaschen reichen, die kannst du trinken wenn wir in Seelstein gelandet sind, spreche ich zu mir selber und frage mich, was wohl werden würde, wenn ich wie bei solchen Situationen nicht so auf diese Trinkerei aufpassen würde. Heute verstehe ich es nicht mehr, warum ich es überhaupt so lange getan und lieber alles ausgehalten habe, anstatt den Mund aufzumachen.

Meine Eltern haben alles sehr schön und liebevoll für uns vorbereitet, meine Mutter hat jede Menge gebacken und gekocht. mein Vater schmückt wie er es schon immer tat mit Akribie und Hingabe den Weihnachtsbaum und ruft alle fünf Minuten: „Schau, mal ... Mutti, ... ist das gut so?, … oder?“. Wenn sie dann sagt: „Ja, ja, ... es sieht doch alles sehr schön aus“, dann meint er: „Jaaaa, ... aber ich glaaaauuube, ein ganz kleines Stückchen nach links kann ich den Baum noch drehen, ... was meinst Du?, ... und da fehlt noch eine Kugel“. Dies wird mir alles besonders bewusst, wenn ich an das grauenvolle Weihnachten im Jahr zuvor denke. Wie schon gesagt, habe ich dieses schreckliche Fest von 1990 nie vergessen, ... bis heute nicht. Ich bin froh und glücklich , dass es mir gelungen war zu Weihnachten 1991 endlich wieder zu Hause sein zu können, um das Weihnachtsfest mit meinen Kindern und Eltern gemeinsam zu verbringen. Ich lebe noch lange in Gedanken an diese schönen Weihnachtsfeste in der Familie, mit allen Sitten und Gebräuchen, wie ich sie schon so oft beschrieben habe. Es stört mich in keiner Weise weil Udo meckert, er könne sein Bier nicht finden und er habe es doch selber eingepackt. Ich tue so als wüsste ich von nichts und lebe einfach mit den Kindern und den Eltern ein Weihnachten zu Hause.

Leider geht eine schöne Zeit immer schneller vorbei als schlechte Tage, wir fahren zurück nach Domstedt. Silvester geht Udo irgendwohin arbeiten, ... so sagt er jedenfalls, Carlo und ich haben Ruhe, essen gemeinsam zu Abend, schmücken dabei den Tisch. Carlo bekommt zum ersten Mal einen Satz Knallerbsen von mir, er amüsiert sich mit Raffael, und wie alle Spitzbuben in seinem Alter, ... und ärgern die Mädchen. Auf einmal kommt Carlo dreckverschmiert nach oben und geht ins Bad. Als er nach einer Zeit herauskommt sehe ich, dass er zerkratzt ist. „Was hast Du denn gemacht?“, frage ich ihn. „Die große dicke Antje Hausmeister hat mich ins Gebüsch geschubst“. „ja, aber wer ist denn diese Antje Hausmeister?, ... und warum tut sie so etwas?“, erkundige ich mich. „ Na das ist eine Dicke aus der anderen Klasse, die verfolgt mich immer, ... aber ich, ich habe nichts gemacht, ... Mutti“, meint er. „Na, ich weiß nicht so recht, ... mal ehrlich, ... Ihr werdet sie bestimmt geärgert haben, ... oder was habt Ihr gemacht?, sie schubst Dich doch sicher nicht so einfach ohne Grund in die Sträucher?!“. „Mutti,... ehrlich,... wir haben nichts gemacht, ... nur sie ist halt gerade da gelaufen, wo wir die Knaller hingeworfen haben“. Aha, daher weht der Wind, denke ich bei mir und sage: „Sag` mal, Carlo, ... kann es nicht vielleicht auch so gewesen sein, dass Ihr die Knaller dahin geworfen habt, wo die Antje Hausmeister gelaufen ist?“. Ein schelmisches Grinsen meines Sohnes verrät ihn und bestätigt meine Vermutung. Ich drehe mich um, weil ich lachen muss und gebe vor, an den Herd zu müssen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich das alles abgespielt hat. „Wie dem auch sei Carlo, ... komm lass` uns zusammen essen und ein wenig fernsehen, heute ist Silvester und Du kannst ein wenig länger aufbleiben, ... o.k.?“. „Oh, ja, ... toll, lange aufbleiben, … das machen wir Mutti“. - So ist wieder ein Jahr ins Land gegangen, ... und 1992 ?, ... was wird es uns bringen?.

Stehaufmännchen - Die Kraft zu leben

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