Читать книгу Stehaufmännchen - Die Kraft zu leben - Margarithe W. Mann - Страница 5
Es geht weiter, ... weil es muss
ОглавлениеKurz vor Weihnachten kommt Henny mit meiner Mutter nach Domstedt, sie hat wie gesagt seit einiger Zeit ihren Führerschein und kann ihre Oma über die Weihnachtsfeiertage mitbringen, damit sie nicht mit der Bahn fahren braucht. Nach Weihnachten fährt Henny zurück zu ihrem Freund nach Kurzenweira, bei dem sie nun schon ein paar Wochen wohnt. Sie hat ihn während ihrer Ausbildung, die sie natürlich indessen, sehr erfolgreich beendet hat, kennengelernt. Bislang kenne ich ihn nur vom Bildmaterial her und ich bin recht neugierig, hoffentlich ist sie in der Lage ihre Wahl besser zu treffen als ich. Meine Mutter bleibt noch ein paar Tage, bis in den Januar hinein bei uns. Es ist ein sehr stilles und trauriges Weihnachtsfest mit einem ebensolchen Jahreswechsel, das schwarze Loch, welches Hagen seinerzeit hinterlassen hat, ist nun noch größer geworden. Das Jahr 1992 endet nicht gerade gut, das
Jahr 1993 beginnt so, wie das Jahr 1992 zu Ende gegangen ist, Udo macht mich mit seiner Trinkerei fertig, er fährt auch nicht regelmäßig zur Arbeit und bleibt so ab Mitte Januar 1993 ganz zu Hause hocken. Er tut gar nichts mehr, außer sich sehr reichlich an Bier und Schnaps zu halten. Die Diskrepanzen zwischen Udo und Carlo nehmen zu und sie verschärfen sich weiter, oft muss ich eingreifen, er pöbelt mit Carlo umher und der kommt langsam in ein Alter, in dem er sich von Udo nichts mehr sagen lässt, zumal Udo ja nun wirklich nicht im entferntesten eine Respektsperson darstellt. Ich bin froh, weil ich noch zu Hause bin und alles so gut es geht lenken kann. Carlo ist ja nun auch nicht gerade blöd und bekommt diese Saufeskapaden natürlich mit und nimmt Udo demzufolge auch nicht für voll. - „Sag `mal, willst Du nun gar nicht mehr arbeiten gehen, oder wie sehe ich das?“, frage ich Udo, als er eines Tages nach 11.00 Uhr Vormittags aufsteht, um sich gleich wie üblich, ohne zu frühstücken ein Bier aufzumachen und sich vor den Fernseher zu setzen. „Die brauchen mich nicht mehr“, ist die karge Antwort. „Ach, ... und jetzt?, was wird denn nun jetzt wieder?, sag` mal hast Du so gar kein bisschen Verantwortungsgefühl für uns, alles bleibt an mir hängen!, Mensch, reiß` Dich zusammen!, dann geh` Dir wie jeder vernünftige Mann eine Arbeit suchen und mache sie ordentlich. Wir können doch nie auf einen grünen Zweig kommen, Du hast mir schon wieder ewig kein Geld mehr für den Haushalt gegeben, ... und was ist mit der Autorate, bezahlst Du die wenigstens?, ich kann Dir keinen Anteil mehr geben, ich komme eh schon für alles hier auf, von der Miete angefangen, … mit den paar Kreuzern die ich bekomme!“. „Tjaaaa, wenn sie mich nicht brauchen, ... dann kann ich es auch nicht ändern“, lallt er bereits am frühen Vormittag, er versteht wohl gar nichts, ... oder will es nicht verstehen. „Na, warum wohl brauchen die Dich nicht?, was meinst Du wohl?, … das weißt Du nicht?, dann will ich es Dir noch einmal sagen: niemand kann jemanden beschäftigen und bezahlen, der nur Zigaretten, Bier und Schnaps im Kopf hat, seine Arbeit nicht vernünftig verrichtet und wenn er keine Lust hat, gar nicht erst zur Arbeit geht!, … und ich sag` es Dir noch einmal, wenn sich das nicht ändert, dann gehe ich mit den Kindern, ... Du kannst dann von mir aus machen was Du willst, ... und ich sage Dir auch noch zum letzten Mal, ... geh` im vernünftigen Ton mit meinem Carlo um, … und zum anderen verschwindest Du auf der Stelle mit den Zigaretten aus der Stube, denn das werde ich nicht auch noch dulden, wir haben einen Säugling im Haus, … falls Du es noch nicht mitbekommen oder vergessen hast!“. Er schaut mich an wie eine Kuh wenn` s donnert, sagt aber wie immer nichts dazu. „Hast Du mich jetzt verstanden?, mach dass Du hier raus kommst und suche Dir eine Arbeit, ... wenn wir Dir hier auch nur noch einen kleinen Funken wert sein sollten!“. Er will den Spieß umdrehen und faselt pöbelnder Weise: „Ich, ... ich, … bin Dir doch so und so egal, ... Du gehst ja nicht mal mehr mit mir ins Bett, …“. „Also, so brauchst Du nun wirklich nicht mit mir diskutieren, ich glaube, dass ich Dir alles einleuchtend genug erklärt habe, aber nochmal zur Erinnerung, ... Du bist einfach ekelhaft mit Deiner Sauferei, ... und so ungewaschen und stinkend, wie Du zu Bett gehst, … schäme Dich einfach nur, was anderes kann ich kaum noch sagen, mache eine Entziehung, jeder Arzt gibt Dir Ratschläge dafür, so geht das doch nicht, merkst Du das denn wirklich nicht?!“. Er zeigt mir einen Vogel, nimmt seine Jacke und verschwindet irgendwohin, - ich weiß es nicht mehr. -
Wieder eine „Stelle“, an der ich sage, wie blöd kann man eigentlich sein, um das alles mitzumachen, - die ganzen Jahre lang?.
Im Februar hat Udo dank meiner Hartnäckigkeit eine Beschäftigung gefunden, in Wiesenstadt, irgendwo in einem Maklerbüro, ich kann mir das Ganze zwar nicht so recht vorstellen, aber ich habe wiedermal die Hoffnung, dass sich alles bessern würde, ... wie so oft schon. Wie immer reißt er sich zu Anfang seiner neuen Tätigkeit etwas zusammen und bringt auch ein wenig Geld mit nach Hause. In den Winterferien ist es dadurch möglich, wieder ein paar Tage in die Heimat zu fahren. Es ist kein schönes Gefühl zu wissen, dass auf mein Klingeln an der elterlichen Wohnungstür nur noch meine Mama die Tür für uns aufmachen kann, weil mein Papa nicht mehr da ist. Um meine Mutter zu entlasten, bringen wir nur Miss. Elli bei ihr unter und suchen uns ein preiswertes Quartier in Schellental. Das Wetter ist nicht schlecht, aber in punkto Schnee ist nicht sehr viel los, Schlitten fahren ist nicht möglich, ... leider. An einem Nachmittag besuche ich meine Lohrarer Kollegin Sibille Patznik, aber allein, ohne Udo, auch die Kinder lasse ich bei ihrer Oma, weil sie ihre Enkel ohnehin wenig sieht. Udo gammelt den ganzen Nachmittag herum und ist am Abend stechend voll weil er, so lächerlich es auch klingen mag, ohne meine Aufsicht ist. Nun brauche ich natürlich wieder ein paar Ausreden, die Kinder müssen nun auch bei meiner Mutter übernachten, nicht nur, weil er nicht mehr in der Lage ist Auto zu fahren, es wäre ja auch für uns lebensgefährlich gewesen. Ich trinke mit Sibylle ein Glas Sekt, es ist gerade Rosenmontag, wir sprechen über den schönen Willi und über den ständig mit dem Kopf wackelnden Kuno, über alte gemeinsame Zeiten schlechthin. „Der Simon ist glaube ich auch nicht mehr da“, meint sie, ... „und Du, weißt Du schon, dass der schöne Willi mit seiner Ilse nach Richtung Seelstein gezogen ist?, aber ob er noch arbeitet weiß ich gar nicht, aber seine Ilse ist auch entlassen“, fügt sie hinzu. Als ich mich auf den Weg mache ist es dunkel, ich fahre mit dem Bus nach Schellental zurück, ich denke unterwegs an den „Satzel“, unseren Busfahrer, der ja nun leider auch nicht mehr lebt und frage mich, ob der andere Busfahrer, dessen Name mir nicht gleich einfällt, aber der in der kalten Jahreszeit öfter auf eine Tasse Kaffee bei mir verweilt hat auch entlassen ist, denn der Mann, der nun den Bus steuert ist mir gänzlich unbekannt.
Natürlich besuche ich auch meine Freundin, die Hanni, lange haben wir uns nicht gesehen, aber der Briefträger hat noch immer hin und wieder Arbeit durch uns. Carlo kommt zwar mit, zieht es dann aber vor, lieber nach Draußen zum Spielen zu gehen, er findet immer und überall Kumpels zum Herumtollen. Tessa ist bei meiner Mutter und schläft, zu Udo meine ich: „Reiß` Dich ja zusammen, Du weißt, wir müssen nach dem Abendbrot nach Schellental in unsere Unterkunft fahren, ich möchte nicht das Gleiche erleben wie gestern, merkst Du nicht, wie sehr ich mich für Dich schäme?, Du kannst auch mit mir zu meiner Freundin kommen, wenn Dir das vielleicht lieber ist“. Ein gelangweiltes „Ach, nee, was soll ich da“, ist die ergiebige Antwort. Klar, ist es mir lieber wenn Udo nicht mitgeht, so kann ich mich in aller Ruhe mit Hanni über alles mögliche unterhalten. Schon als ich klingele und sie öffnet, kommt mir ein überraschtes, aber fröhliches „Ach, ... meine Meggy, wir haben uns ja lange nicht gesehen, ... komm` doch rein!“ entgegen. Sie hängt meine Jacke an die Garderobe und ruft: „Heeeeiinnnn, die Meggy ist da!“. Er begrüßt mich freundlich, verzieht sich dann aber wie immer nach irgendwohin. Hanni holt die Stiefelchen, schenkt uns einen Kummerschnaps ein und fragt: „Ach, Meggy, ... wie geht es Dir denn?, ich denke oft an Dich und an die schöne Zeit im Labor, ... was machst Du jetzt?, bist sicher zu Hause mit Deiner Kleinen, ... meinen persönlichen Glückwunsch noch, ... meine Gute, ... so jung wie heute kommen wir nicht mehr zusammen!“. Wir stoßen an. „Ach naja, ... Hanni, wie soll es mir gehen?, mein Papa ist ja nun nicht mehr da wie Du weißt, ... und es ist gar nicht gut, dass meine Mutter jetzt alleine ist, ... und Du weißt ja auch, ... sie versteht sich nicht gut mit ihrer Schwester, … aber das wäre gerade jetzt besser und auch einfacher für sie, sie hätte nun einen Anlaufpunkt“, antworte ich. „Wie läuft es mit Deinem Mann?“, erkundigt sie sich interessiert. „Wenn ich ehrlich bin, ... nicht gut“, ich fange an zu stottern, und endlich, endlich rede ich mir einmal den ganzen Kummer, den ich habe von der Seele, sie hört mir zu, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. „Weißt Du“, sage ich, nachdem ich meinem Herzen Luft gemacht habe, „ ich habe mir so oft vorgenommen, mit meinen Eltern über das alles zu sprechen, aber ich war zu feige dazu, ich habe mich geschämt für diesen erneuten Missgriff, den ich da wieder gemacht habe, meine Dummheit eingeschlossen, mit meiner Umzieherei nach Mecklenburg. Erst habe ich nichts gesagt, weil mein Papa so krank geworden ist, ... und ich mache mir Vorwürfe, weil seine Krankheit so schnell fortgeschritten ist, nachdem ich weggezogen bin, ... und nun ist er nicht mehr da. Meine Mutter will ich aber jetzt auch nicht damit belasten, obwohl ich fast glaube, dass sie weiß, wie der Hase läuft“. „Ach Mensch Meggy, was willst Du denn nun machen?“, sorgt sie sich wie immer, so wie ich sie ja seit je her kenne. „Ich weiß es nicht, viele Möglichkeiten habe ich ja nicht, ich würde schon gern zurückkommen, gerade weil Udo mit meinem Carlo nicht zurechtkommt, … aber ansonsten, ... ich weiß eben nicht, ob ich Carlo danach fragen soll, ... Tessa ist es ja erst mal egal, ... aber ich würde auf der Sonnenburg sicher keine Arbeit mehr finden, es wurden eh schon Arbeitsplätze reduziert, ... Lohra ist dicht gemacht. Sibylle fährt jeden Tag nach Seelstein zur Sonnenburg, na ja ... und ein zweites Mal ein Rückzug zur Sonnenburg, ... das wäre wohl auch nicht gerade so toll. Eine andere Arbeit würde sich vielleicht anfinden nach der Babypause, … sicherlich auch irgendwo im Gesundheitswesen, ... aber wie lange ich es noch mit meinem Mann aushalte, ... das weiß ich nicht. Wie gesagt kommt Carlo mit Udo immer schlechter und weniger klar, ich muss mich sehr oft einmischen, mache das aber, wenn ich mit Udo alleine bin und Carlo nicht zugegen ist, ich habe oft Angst, mit seinem unkontrollierten Suff“. „Ach Mensch, meine Gute, da hast Du aber wieder was angerichtet, so weit weg von hier und nichts als Sorgen hat es Dir gebracht, ... aber ich kann mich in Dich hineinversetzen. Du weißt nicht, wie Du es anstellen sollst, da wieder herauszukommen, Dir fehlt einfach die Kraft und der Mut dazu, lieber hältst Du alles aus, ... nicht wahr? … , ich traue mich mal wieder gar nicht erst auch noch zu fragen, ob Du von Frank noch einmal etwas gehört hast ...?“. Ich kann nur hilflos mit den Schultern zucken und mit dem Kopf schütteln, ich merke, dass mir etwas in die Augen schießt. „Komm`, “ sagt sie, „auf einem Bein kann man nicht stehen!“, sie füllt die kleinen Stiefelchen noch einmal. „Du hast recht, Hanni, ... mit allem was Du sagst, ... ich kann es gebrauchen“. Carlo klingelt und sagt, dass er jetzt zur Oma geht, sicher gibt es bald Abendessen. Ich trage Carlo auf, ob die Oma bitte ausnahmsweise das Abendfläschchen für Tessa fertig machen würde und dass ich auch gleich da bin. Stillen kann ich jetzt nicht mehr, die Quelle ist leider seit kurzem versiegt. - Nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe, greife ich das vorherige Gespräch wieder auf. „Nein, leider, ... ich habe nichts von ihm gehört und es tut noch immer lausig weh. Ich habe solange gehofft, dass er sich entscheiden würde, Du weißt ja, es ist mit uns alles schief gegangen, ich weiß schon gar nicht mehr, welche Post er von mir bekommen hat und welche nicht. Es wäre schrecklich für mich gewesen, wenn er mir gesagt hätte, dass er bei seiner Frau bleibt und mich nicht mehr sehen möchte, ... aber dann hätte ich wenigstens gewusst, dass ich irgendwie damit leben muss, ich hätte irgendwann damit abschließen können. So aber habe ich immer gewartet und gewartet, ... auf ihn, … oder wenigstens auf ein Lebenszeichen, es ist verrückt, ... aber wenn ich ehrlich bin, ... ich warte heut` noch immer … , dann habe ich Hirnverbrannte mir eingeredet, dass, wenn ich ganz woanders hingehe, mit Hilfe eines Mannes, der zu mir steht vielleicht vergessen könnte, ... aber ich habe es noch viel schlimmer gemacht, ... die, ... die Kinder nicht einmal gefragt, ob sie überhaupt woanders hinwollen, ... meine Eltern und Freunde vor die vollendete Tatsachen gesetzt, ... und zur Krönung dessen alles durchgezogen, obwohl ich es am Ende selber gar nicht mehr gut fand, ... ich Doofe habe dann auch noch ehrliche Hände von mir weggeschoben … !“. Meine Freundin legt ihren Arm um mich und ich merke, dass ich das herausquellende Wasser meiner Augen nicht mehr aufhalten kann, es ergießt sich über mein ganzes Gesicht, ich suche nach einem Taschentuch, als ich keines finde steht meine Hanni auf und holt eine Küchenpapierrolle: „Komm`, heul` nur, jetzt hast Du Dir alles von der Seele geredet, … heul` Dich richtig aus“ .Trotz des ganzen Unheils muss ich lächeln über meine Hanni, die mir die Zellstoffrolle unter die Nase hält. Sie nimmt mich in den Arm und ich heule und lache fast gleichzeitig. „ ... Wir haben zwar keine drei Beine, ... das haben andere, aber aller guten Dinge sind drei!“, meint sie. Wir stoßen noch einmal an. Als ich mich wieder eingekriegt habe, schnattern wir noch eine Weile über mehr oder weniger belangloses Zeug. Dann ist es aber wirklich Zeit für mich zu gehen, wir verabschieden uns, ich bin erleichtert, einmal alles los geworden zu sein und keine Rolle als Schauspieler belegen zu müssen, es tut einfach gut. Als ich bei meiner Mutter ankomme, hat Tessa ihr Fläschchen schon bekommen. Udo sitzt im Sessel meines Vaters und ich ärgere mich darüber, es ist Papas Sessel, und niemand anderer sonst hat das Recht, sich hinein zu fläzen, und Udo schon gar nicht, er fragt auch noch nörgelnd : „Wo kommst Du so spät her?“, ich kann nicht anders als zu antworten: „ Ach, Du,. .. halte doch einfach nur Dein dummes Maul und schere Dich aus diesem Sessel“.-
Im März 1993 mache ich mich auf die Suche, ob ich nicht wieder einen Garten ausfindig machen und erwerben könnte und gehe mit meinem Anliegen zur Gemeinde. Ich habe Glück, so ziemlich am Ortsausgang, Richtung Wiesenstadt kann ich etwas bekommen. Der Garten ist recht groß, jedenfalls um einiges größer als der an der alten Wohnung hier in Domstedt und auch größer als der, den ich in Lohra hatte. Rechts am Eingang steht ein abgefracktes Holzhäuschen, ein Stück weiter ist eine Wasserpumpe, die sogar funktioniert, so dass es in der schönen Jahreszeit auch Wasser gibt. Der Garten selber ist ziemlich verunkrautet, aber nicht direkt verwildert. Ein Stück Arbeit wird es dennoch sein, denke ich bei mir, aber es ist etwas da, besonders für die Kinder, wo man sich an schönen Tagen aufhalten kann. Allerdings muss ich so gut wie von vorne anfangen, ich brauche neue Pflanzen, den letzten Rest den ich hatte haben mir ja der ungezogene Bengel aus dem Haus samt seinen Kumpanen zertrampelt. Es ist allerhand Platz im Garten, sodass ich mir vornehme einiges an Gemüse und auch Kartoffeln anzubauen. Wenn das Wetter auch nur einigermaßen gut ist, gehe ich mit den Kindern dorthin . Tessa sitzt im Kinderwagen und beobachtet mich, dann schläft sie wieder eine Runde. Carlo bringt manchmal seinen Freund Raffael mit, beide freuen sich, wenn sie sich Pommes holen dürfen. Durch die frische Luft hat Tessa am Abend guten Appetit und schläft auch schnell ein, die 22.00 Uhr - Mahlzeit fällt weg, gegen 18.00 Uhr gibt es Milchbrei. Auch am Morgen lehnt sie die Flasche ab und zieht einen Müslibrei und Fencheltee vor.
Es dauert nicht lange und der April nähert sich an, mein Geburtstag mit der vierten Null ist da und löst schon etwas eigenartige Gefühle aus. Der Tag selber ist nicht besonders schön gewesen, er geht ruhig an mir vorüber Ob ich von Udo etwas bekommen habe?, - daran kann ich mich nicht erinnern, es steht auch nichts davon in meinem Tagebuch, also kann es nicht weltbewegend gewesen sein. Am Nachmittag sind Udos Eltern da, ich bin sehr traurig, dass mein Papa nicht mehr dabei sein kann, er wäre bestimmt zu meinem „runden Tag“ gekommen, so habe ich auch nicht die geringste Lust etwas zu feiern. Meine Mutter und Henny sind auch nicht da, so sind Carlo, Udo und ich bei Vogenschmidts zum Mittagessen. Die Kleine habe ich vorher gefüttert, so schläft sie fast die ganze Zeit, die wir zum Essen in der Gaststätte zubringen. -
Am Abend, bevor ich zu Bett gehe, unterhalte ich mich mal wieder mit meinem Spiegelbild, es sagt: So, vierzig bist du nun schon, ... ein klein wenig fülliger bist Du ja geworden, aber eigentlich ist es doch bloß noch ein wenig übriggebliebener Speck aus der Schwangerschaft, trotzdem wirst Du ihn nicht so schnell wieder loswerden, aber die Pigmentflecken sind weg, das ist doch schon mal was, ... Falten sind auch noch keine da, außer zwei angedeutete Zierfältchen in den Augenwinkeln, aber das fällt nicht auf, ... aber deine Haare, ... schön dicht sind sie ja immer noch, aber ohne Farbe geht da wohl nichts mehr, … aber das braucht ja wiederum niemand zu wissen. Dem Ärger nach, den du mit Udo hast, müsstest du eigentlich nicht nur Falten, sondern bereits Furchen haben und total ergraut sein, ... aber es ist gut, weil es nicht so ist. Ich frage: Ich bin nur neugierig, ob ich es in diesem Leben noch schaffe, eine vernünftige Familie auf die Beine zu kriegen?, der Spiegel meint: ... ein Familienleben?, mit dem Mann?, ich bin gespannt wie lange du das noch aushalten willst. Du bist selber daran schuld, dass du so daher lebst, wie es gerade der Fall ist. Ich sage: Durch die Kleine ist es nun mal mit dem Arbeiten nicht so möglich wie ich es gern möchte, ich muss wieder bei Vogenschmidts arbeiten, um ein wenig Geld zu haben, ich weiß außerdem nie, ob und wann ich Geld von meinem Mann für den Haushalt bekomme, der Spiegel sagt: Es ist jetzt so, dass es nicht so ist wie du es gerne hättest, aber wenn Tessa größer ist, musst du unbedingt sehen, dass du wieder im Gesundheitswesen unterkommst, das hier bei Vogenschmidts ist doch nur eine Notlösung für dich!, dein Mann!, ... das ich nicht lache, ... trotzdem bist du abhängig, weil du nicht Auto fahren kannst, weil du gezwungen bist mitzufahren und weil du das Fenster aufreißen musst, weil du es vor Gestank nach Schweiß, Alkohol und Zigarettenqualm nicht mehr aushältst?!, von alleine tut sich nichts!, tu endlich selber etwas dagegen, so kannst du nicht weitermachen! . Ich schaue in mein Spiegelbild, strecke mir selber die Zunge heraus und sage dann: ja, du hast recht!, so geht das nicht weiter, ich werde noch sparsamer sein, als ich es ohnehin schon bin, ich werde noch einmal Anlauf nehmen und meinen Führerschein machen. Gedacht habe ich schon öfter daran, ... und es mir auch schon vorgenommen, in einer ähnlichen Situation, aber nun werde ich es tun, ... ich muss es schaffen!, ... und das werde ich auch!.-
Der Mai 1993 hat ein paar sehr schöne Tage, ich bin gezwungen, mit meiner Gartenarbeit einige Pausen einzulegen, ich gehe mit den Kindern zum Strand. Die Kleine ist nach dem großen Wasser ganz verrückt, Carlo ist vom Baden selber nach wie vor nicht all zu sehr begeistert, aber er kommt mit, meistens jedenfalls. Ich habe Bedenken, dass er ansonsten mit Raffael unter Anleitung von Samuel Räuber etwas aushecken könnte.-
Im Juni ist meine Mutter einige Zeit hier oben bei uns in Mecklenburg, hat Freude, mit ihrem jüngsten Enkelkind samt Kinderwagen unterwegs zu sein und sich mit ihr zu beschäftigen. Ich stell mir vor, welchen Spaß auch mein Papa dabei gehabt hätte. Während sie Tessa spazieren fährt, backe ich in Ruhe den Kuchen für Vogenschmidts. Udo kommt meist gegen 17.00 Uhr nach Hause, aber nie ohne Fahne. Eines Nachmittags legt er, als ich mit meiner Mutter und den Kindern in der Stube sitze ein Bündel Geld auf den Tisch. „So, hier hast`“, sagt er nur, es ist das erste und letzte Mal, dass ich unaufgefordert Geld von ihm bekomme. Es ist recht viel, aber ich frage nicht, wo er es her hat, ich nehme es und bezahle ausstehende Rechnungen, den Rest schließe ich weg. Sicher schaue ich ungläubig, weil er meint: „Das ist Dein Haushaltsgeld für Juli!“. Bis heute weiß ich nicht, warum er das tat, vielleicht wollte er meiner Mutter glauben machen, wie gut es uns geht oder wie großzügig er ist. Wie gesagt, ich weiß es nicht, ob und wie er mit dieser Maklertätigkeit diese größere Summe verdient hat, jedenfalls wäre ich blöd gewesen, wenn ich es nicht genommen hätte, schließlich habe ich schon genug Federn gelassen.
Im Juli bin ich mit den Kindern in Seelstein, Carlo hat Sommerferien, auch Henny besucht uns.Udo fährt mit dem Auto, ich schwitze dabei wie immer Blut und Wasser in Bezug auf eine heile Ankunft, bei der Hinfahrt als auch bei der Rückfahrt stehe ich dabei Ängste aus. Wir alle sind am Steiger, als wir ankommen ist das Gras bereits gemäht, der Nachbar hat es mit Hilfe seiner erwachsenen Söhne bewältigt. Es ist schön, so können wir uns deshalb sogleich an das Hauptanliegen dieses „Arbeitseinsatzes“, das Streichen des Gartenhäuschens machen. Meine Mutter und Carlo, dem es viel Spaß bereitet, und der auch schon recht gut zu Werke geht, streichen in ihrer Körperhöhe, Henny und ich nehmen die Leiter. Tessa liegt zufrieden in ihrem Wagen, manchmal auch auf der Decke im Gras, ... wenn sie darauf liegt, ...denn meistens bringt sie es durch das Herumkullern fertig, überall im Gras zu liegen, ... nur nicht auf der Decke. Sie schlägt dann jedes mal „Alarm“, wenn sie auf dem Bauch liegend mit dem Gesichtchen ins Gras „tunkt“. .Meist rennt Carlo hin und sagt: „Guck` mal Mutti, die Tessa ist schon wieder neben ihrer Decke!“, und wenn sie mit dem Mund voll Gras dann heult, meint er: „Aach Tessa!, was machst Du schon wieder?, man wird ja mit der Arbeit gar nicht fertig, wenn Du immer von der Decke trudelst“. Ich denke dabei an meinen Vater, dieses Wort stammt von ihm, er hat immer trudeln gesagt ( trudeln = kullern ). Wir schaffen es mit vereinten Kräften das Häuschen wieder flott zu machen, na ja, nicht ganz vereint, … was macht Udo?, schlicht und einfach: nichts, … er kann das nicht, meint er. Es tut mir ja fast leid, aber ich kann wirklich keinen einzigen guten Faden an ihm lassen, aber wo kein guter Faden ist, da ist eben keiner, nicht einmal ein Überbleibsel von einem eventuell gewesenen guten oder abgerissenen Faden, ... leider, ... aber die Wahrheit. Das Wetter bleibt schön, Henny fährt zu ihrem Freund Matthias und meine Mutter und ich machen uns daran, die Blumenbeete flott zu machen, die Rabatten müssen auch durchgehackt werden. Irgendwann ruft meine Mama: „So, jetzt machen wir Feierabend, Schluss für heute!“. Ich hocke gerade an dem runden Beet hinter dem Schuppen, darin befindet sich das Gartenwerkzeug und die Klamotten zum Umziehen, so wie früher. Auf einmal höre ich ganz deutlich etwas, es ist das Geräusch, welches mein Papa immer verursachte, wenn er sich an der Schuppentreppe seine Stiefel abgeklopft hat, bevor er sie auszog und sich zur Heimfahrt umgekleidete. Ich drehe mich ruckartig um, ... da ist niemand, … aber ich weiß genau, dass ich dieses vertraute Klopfgeräusch seiner Gummistiefel gehört habe. Ich sage niemanden etwas davon, später unterhalte ich mich einmal mit Henny darüber, auch sie hat Begebenheiten dieser Art, wie z B., dass es plötzlich nach Zigarre oder Pfeifentabak riecht, obwohl im Moment kein Mensch weit und breit zugegen ist, der dafür verantwortlich sein könnte. Es sind eigenartige Dinge, aber über solche Ereignisse, die durchaus keine Hirngespinste sind, werde ich unter anderem später berichten, sicher im 3. Teil meines Buches, weil es jetzt hier all zu weit ausschweifen würde.
Es kommt mir der Gedanke mit den Überlegungen, wie es überhaupt weitergehen soll, … ob der Garten, bzw. dessen Arbeit für meine Mutter nicht bald zu schwer sein würde, ... was ist, wenn sie krank wird, wie soll das gehen bei dieser großen Entfernung?. Ich sage vorläufig nichts, vielleicht würde meine Mutter von selber dieses Thema aufgreifen, ... so warte ich ab. Dann fiel mir ein, dass mein Papa einmal etwas von einem Manifest im Bücherregal gesagt hatte. „Da ist etwas für dich drin, und etwas Geld“, so sagte er einmal. Aber ich konnte nichts finden, … aber da war nichts. Natürlich war ich auch wieder zu feige meine Mutter danach zu fragen. Ich schob es von einem zum anderen mal auf, … bis es irgend wann zu spät war.
Ich besuche bei der Gelegenheit auch Tante Lena, ich schaue fast jedes mal vorbei, aber wie ich wohl bereits nicht nur einmal erwähnt habe, erwähne ich gleiche, sich wiederholende, ähnliche Ereignisse und Situationen nicht jedes mal, mein Buch würde sonst ganz bestimmt eine überdimensionale Seitenzahl umfassen. Was sich allzu oft wiederholt versuche ich wegzulassen, auch Gespräche gleichen Inhaltes, sonst wird das Buch nie fertig und zur „Unendlichen Geschichte“. Manche Dinge wiederhole ich aber bewusst, weil sie zur Charakteristik meiner Lebensgeschichte gehören. Jedenfalls freut sich Tante Lena über meinen Besuch, sie ist sehr enttäuscht, dass sich meine Mutter nicht bei ihr sehen lässt. Auch auf die Gefahr hin, mich erneut zu wiederholen, weil ich schon angedeutet habe, dass sich meine Mutter mit ihrer Schwester nicht versteht. Ich weiß´ bis heute nicht warum eigentlich. Meine Mutter hat nur einmal erwähnt, dass der Onkel Tristan, also Lenas Mann, sich seinerzeit hat wegen Tante Lena scheiden lassen, aber ich kann dabei nichts abwertendes finden, ich meine, es gibt nur entweder ein Ja oder ein Nein, wenn man mit jemanden zusammen sein möchte und dass es gut ist, wenn man eine Entscheidung herbeiführt. Ich denke an mein eigenes Hin und Her mit Frank. Vielleicht hat oder haben diese speziellen Ereignisse meiner Tante Lena und Onkel Tristans, die, wie ich aus den elterlichen Gesprächen heraushören konnte, einen diesbezüglich aburteilenden Charakter hatten, mit dazu beigetragen, dass ich zu Hause lieber nichts von Frank erzählt habe. Es bleibt der Eindruck zurück, dass zu den Zeiten meiner Großeltern und weit darüber hinaus, es ganz abartig gewesen sein muss, wenn man sich wegen einer anderen Frau, ... oder eben wegen einem anderen Mann hat scheiden lassen. Meine Mutter weicht noch heute aus, wenn ich über Tante Lena erzähle, … aber meine Mutter ist eben so, sie ist oft ganz schön dickköpfig, aber es ist immerhin ihre Schwester, ... ich wäre froh, wenn mein Bruder Hagen noch da wäre. - Ich kaufe für Tante Lena noch in der Kaufhalle einen größeren Vorrat ein, damit sie etwas im Haus hat, manchmal ist sie sehr schlecht zu Gange und hustet viel. Meine Mama meint dann nur, sie brauche doch bloß nicht so viel zu rauchen, dann wäre es besser. Einmal nach ihr sehen hätte sie ruhig können. Tante Lena sponsert mir ein paar Scheine für die geplante Fahrerlaubnis, ich freue mich riesig, nun werde ich mich für den Führerschein anmelden, ... dann kann ich endlich selber fahren und bin unabhängig. -
Im August 1993 muss ich mich sputen, damit in meinem Garten in Domstedt etwas geschafft wird, es regnet sehr viel, leider auch an jenen Augusttagen als Jasmin mit ihren Kindern und Freund bei uns zu Besuch sind. Sie kommen am 14. August auf ein paar Tage, ich freue mich sehr über den heimatliche Besuch. Trotz des enttäuschenden Wetters schleppen wir die mitgebrachten Thüringer Bratwürste in den Garten und machen beim Grillen das beste daraus. Udo ist mit seinem Bier so beschäftigt, er bringt es nicht fertig, die Bratwürste richtig und vernünftig zu braten, nachdem er es über eine Stunde lang versucht hat, den Grill in Gang zu setzen. Nun greift Jasmins Freund in das Geschehen ein und sagt: „Du willst doch nicht etwa diese Leichenfinger auf den Tisch bringen?“. Gut, dass man wenigstens noch darüber zu lachen imstande ist. Wegen dem schlechten Wetter haben sich die Thüringer erkältet und lassen als sie abreisen uns zur Freude ihre Bakterien bei uns, damit wir auch noch etwas davon haben.-
Tessa ist ja mit einer einseitigen Hüftdysplasie geboren und trägt eine Art Korsett mit Beinchenspreizteil vom Orthopäden, es wird alle paar Monate angepasst und korrigiert. Jetzt braucht sie es nur noch in der Nacht zu tragen. Es wird ihr langsam lästig, sie möchte in ihrem Bettchen aufstehen, sie schimpft lallende Worte vor sich hin, weil sie immer umfällt dabei. Manchmal tue ich ihr den Gefallen und lasse diese, für sie ganz gemeine Zwangsangelegenheit hin und wieder beim Mittagsschlaf weg. Nun steht sie das erste Mal Ende August in ihrem Bettchen. Als ich zur Tür hereinkomme, ächzt sie mir ein sehr angestrengtes „ooochhhh“ entgegen. Von fort an angelt sie sich überall hoch, greift alles was nicht niet und nagelfest ist, eben bis auf nachts wenn sie notgedrungen mit dem Korsett schläft, oder aber, wenn ich die absolute Gemeinheit besitze, sie am Tag kurzzeitig damit auszustaffieren, wenn ich eine dringende Arbeit zu verrichten habe. Natürlich gibt es dann bald darauf einen unüberhörbaren Protest. Beim Waschen oder Baden ist sie noch immer ein kleiner „Frostköttel“, obwohl es schön warm ist im Bad und ich zusätzlich über dem Wickeltisch eine Rotlichtlampe installiert und auch eingeschaltet habe. Besonders in ihren ersten Lebensmonaten zittert sie so stark mit der Unterlippe, dass wir uns immer unfairer Weise darüber amüsiert haben. Morgens nagt sie bereits an einem Brötchen oder Hörnchen, am Abend gibt es auch schon das ein oder andere Mal Leberwurstbrot, aber geschmacklich wird ein Milchbrei vorgezogen, etwas warmes eben, wie bei Carlo damals.-
Auch Udo und Carlo machen Fortschritte, allerdings leider nicht in die positive Richtung. Es zeichnet sich ein um einiges verschärftes Bild ab wie damals bei Henny und Gernot. Udo versucht Carlo gegenüber oft das sogenannte „Sagen“ herauszukehren, aber in einer Art und Weise, die ihm gewiss nicht zusteht. Kaum ist Udo zu Hause, schreit er mehr als normal sprechend, mit Fragen nach erledigten Schularbeiten, obwohl es ihn nicht wirklich interessiert, die gleiche unnütze Frage nach dem weggebrachten oder eben nicht weggebrachten Mülleimer. Klar, dass ich Partei für mein Kind ergreife, wenn auch erst, wenn Carlo im Bett ist, ich versuche, trotz allem eine gewisse Etikette zu bewahren. Ich bitte dann am nächsten Tag meinen Sohn den Mülleimer wegzubringen und meine zu Udo: „Ich sag` Dir noch einmal, ich verlange von Dir einen anderen Ton, zum anderen brauchst Du Dich nicht so aufzuspielen, ganz sicher nicht, denn Du bist für die Kinder wirklich alles andere als ein Vorbild. Bevor Du den Kindern eventuell etwas sagen kannst, dann hör` endlich auf mit Deiner Sauferei, helfe mal im Haushalt und im Garten, ... dann können wir weiter reden!“. Aber er versteht gar nichts, glaubt im Recht zu sein, er antwortet wie immer: „Wieso?, ich werde doch wohl noch zu Feierabend ein Bier trinken dürfen,... oder was?“. „Ach weißt Du, es ist zwecklos mit Dir zu diskutieren, immer die gleiche Antwort von Dir, so wird nie ein Familienleben daraus werden, ich hab` Dir nicht nur einmal gesagt, lass Dich behandeln, mach` eine Entziehung, suche Dir eine bodenständige, ehrliche Arbeit und nicht immer etwas, wo Du mal Geld bekommst und mal nicht, etwas, wo nach Möglichkeit zuverlässig Geld gezahlt wird, … und wenn man nichts findet, dann regelt man alles vernünftig über das Arbeitsamt, das letzte Mal hast Du mir Geld gegeben als meine Mutter da war, ... übernehme endlich Verantwortung für uns alle, so geht das ja nun weiß Gott nicht!“. „Was geht so nicht?, Du bist doof, ich bringe doch auch mal Geld mit nach Hause, ... und Du?, Du bist doch auch den ganzen Tag zu Hause und arbeitest schließlich nicht“. Weiter, ohne jeden Zusammenhang fügt er hinzu, „ … und anfassen darf ich Dich auch nicht mehr ...“. Er kommt ein paar Schritte auf mich zu, seine widerliche Fahne aus Alkohol und allgemeiner Ungepflegtheit schlägt mir entgegen. Angewidert schubse ich ihn ein Stück von mir weg. „Es kann doch nicht sein, dass Du noch immer nicht merkst wie ekelig Du bist“. Er schleudert ein Ende rückwärts und trampelt dann erneut auf mich zu, hält mich fest und grapscht nach meiner Brust. „Du, … Du, … bist meine Frau!“, schreit er, „und ich habe ein Recht auf Dich, das … das habe ich Dir schon mal gesagt!“. Er will mich mit aller Gewalt festhalten, er zieht mich dabei an den Haaren. „Lass` mich los!, oder ich zeige Dich an, so schmierig wie Du bist, so unerträglich bist Du, ... und lächerlich dazu!, ich warne Dich, fass` mich nicht an!“, ich kann mich befreien, indem ich mit meiner Faust gegen seinen Oberkörper trommele bis er mich loslässt. Durch seinen starken Alkoholgenuss hat er Gleichgewichtsprobleme und taumelt ein Stück zurück. Er grinst nur abscheulich und verzerrt, verschwindet kurz und kommt zurück, um sich ein neues Bier aufzumachen, die Hälfte verschüttet er auf seinen Pullover, dann schläft nach einer Weile ein, wacht irgendwann auf und geht so zu Bett wie er zuvor eingeschlafen ist. Die Kinder schlafen, haben gottlob nichts gehört. - Es sind Situationen gewesen, an denen ich am liebsten alles stehen und liegen gelassen hätte, aber wo sollte ich denn hin, wie sollte ich es anstellen und woher das nötige Geld nehmen?, ... Gedankengänge, ... schon hundertmal wie gehabt.
Im September kommen wieder die Geburtstage, erst Carlos, dann Tessas erster Geburtstag, gefolgt vom 70. Geburtstag meiner Mutter, sie kommt am 6. September und bleibt bis zum Monatsende. Leider ist das Wetter im Jahr 1993 nicht gerade das beste, es regnet viel, im Garten bleibt dementsprechend allerhand liegen. Henny ist zu den Geburtstagen nicht da, sie ist mit ihrem Freund Matthias im Spanienurlaub. Schade, aber ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass sie in Richtung eigene Familie zusteuert. - Zu allen Geburtstagen habe ich selber gebacken und zum runden Ehrentag meiner Mama sind wir bei Vogenschmidts zum Mittagessen, am Abend haben wir beim Partyservice Platten bestellt. Udos Eltern sind da und ich ärgere mich über Udo, er reißt sich wie immer vor seinen Eltern zusammen und tut, als ob alles in bester Ordnung wäre. Es kostet mich Kraft und Mühe, mir nichts anmerken zu lassen um meiner Mutter nicht den Tag zu verderben. Alles in allem hege ich den Gedanken, Udos Eltern merken vielleicht, dass etwas nicht stimmt, es ist mir aber wurscht, im Gegenteil, es wäre bestimmt hilfreich, wenn sie wüssten was hier los ist.-
Anfang Oktober ist Henny mit ihrem Freund ein paar Tage bei uns, ich bekomme in dieser Zeit die Bestätigung meiner Anmeldung zum Führerschein machen. Schon bald soll es losgehen, zuerst mit dem theoretischen Unterricht. Es ist günstig, es steht dafür in Domstedt ein Raum zur Verfügung, so brauche ich nicht so weit aus dem Haus gehen. Der Fahrlehrer wohnt uns direkt gegenüber, Henny macht mir Mut, sie sagt: „Der Herr Fleischer ist ganz ruhig und in Ordnung, … das schaffst Du schon“, er war auch ihr Fahrlehrer.
Ich nutze jeden Tag im Oktober, an dem es nicht regnet, um den Garten wenigstens einigermaßen in Ordnung zu bringen und pflanze noch allerhand neue Stauden.
Im November rennt Tessa bereits wie ein Wiesel durch die Gegend und beginnt hin und wieder zu versuchen, ihren eigenen Kopf durchzusetzen und „dreht ihr kräftiges Organ manchmal ganz schön auf“ , wenn ihr etwas nicht passt. Wenn sie nicht schlafen will und man dabei die Tür nicht schließen soll, hüpft sie im Bett immer auf und nieder, macht ihrem Ärger ausdrucksvoll Luft, wird dabei puterrot im Gesicht. Carlo amüsiert sich über die Unbilden seiner kleinen Schwester, Miss. Elli fegt dann auch noch bellend durch die Wohnung. Manchmal könnte ich mir direkt Watte in die Ohren stopfen, damit ich mich auf meine Fahrschulbögen besser konzentrieren kann, ich habe nur den einen Gedanken: Du musst es schaffen, du musst!, du musst selber Auto fahren können. Ich bin glücklich, als ich Mitte November 1993 meine theoretische Prüfung mit null Fehlern bestehe.-
Ende November fahre ich allein übers Wochenende nach Seelstein, lasse die Kinder, wenn auch ungern bei Udos Eltern. Ich treffe mich mit Henny und meiner Mutter auf dem Friedhof zu Papas ersten Todestag, wir holen Erinnerungen hervor, vermissen ihn alle sehr. - Zu Mitte Dezember kommt meine Mutter wieder zu uns nach Domstedt und bleibt über den Jahreswechsel hier. Allerdings bringt es Udo wieder fertig, mit seiner Sauferei das Weihnachtsfest zu verderben. Ich habe das Gefühl, jetzt, wo mein Vater nicht mehr bei uns ist, reißt er sich auch vor meiner Mutter nicht mehr zusammen. Ich habe mir so viel Mühe gemacht, angefangen mit der Tischdeko bis zum Essen kochen und backen. Ich habe mich gefreut, denn auch Henny kommt einen Tag vor Heilig Abend und bleibt bis zum 2. Weihnachtsfeiertag, so sind wir übriggebliebenen wenigstens ein paar Stunden zusammen, schlimm genug, dass wir schon lange nicht mehr vollständig sind. Udo kann nicht anders, als sich derart ungehobelt zu benehmen, nicht nur, dass er wieder dem Alkohol kräftig zuspricht, so dass er im Zimmer einschläft, er ignoriert meine Mühe, die ich mir zum Fest mache, obwohl mir das sehr schwer gefallen ist, eben weil mir mein Papa so sehr fehlt und all` die anderen Gedanken von mir Besitz ergreifen, während ich mit meinen Vorbereitungen beschäftigt bin. Für Heilig Abend bastele ich eine Tischdeko in Form eines Spiegels, der eine Eisfläche darstellen soll. Ich lasse die Fläche zum Leben erwecken, indem ich Schneemänner, Schlittschuhläufer, Tiere, Häuser und Tannenbäume darauf platziere. Schneeberge aus Dekospray und eine Beleuchtung lassen es recht gelungen aussehen, ich wundere mich selber, dass ich es fertiggebracht habe. Meine Mama sagt zu Udo: „Sag` mal, siehst Du gar nicht, wie schön die Meggy das alles gemacht hat?, es hat viel Mühe, Liebe und Arbeit gekostet?“. Er aber antwortet bloß: „Na, ... warum macht sie das denn, es hat ihr doch keiner gesagt, dass sie es machen soll!“. Wir schauen uns alle an und können nur mit dem Kopf schütteln. „Jede Unterhaltung über so etwas, ... und überhaupt über alles mit Dir, ist sinnlos und verschwendete Zeit“, meint Henny und bekommt darauf wie üblich von ihm keine Antwort. -
Zwischen Weihnachten und Neujahr melden sich wieder einmal Richard und Nadja Bargeshagen, sie haben indessen geheiratet und laden uns ein, doch zu Silvester einmal bei ihnen vorbeizukommen. Große Lust habe ich nicht, Udo würde sowieso wieder aus der Rolle fallen, aber meine Mutter meint, ich solle mitgehen, wenn sie schon mal da ist, ich käme dann wenigstens einmal aus dem Trott heraus, sie bietet sich an, auf Carlo und Tessa aufzupassen. Udo gibt vor, am besagten Nachmittag irgendwelchen Kollegen einen Silvesterbesuch abstatten zu wollen. Ich trinke mit meiner Mutter und den Kindern Kaffee, mache mich dann ein wenig zurecht, ... und wer nicht kommt ist Udo. Gegen 22.00 Uhr ziehe ich mich wieder um, mache es mir mit meiner Mutter und Carlo gemütlich, gegen 23.00 Uhr kommt er zurück, polternd natürlich, ... aber eigentlich habe ich es auch nicht viel anders erwartet, er ist so voll, dass er nicht mehr gerade stehen kann. „Na, was is nu?, gehen wir?“, lallt er und taumelt in eine andere Ecke. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich so mit Dir weggehe, in so einem Zustand, in dem Du Dich befindest?“. Er murmelt etwas unverständliches, so etwas wie Spielverderber und wie blöd ich sei. Carlo ist indessen im Bett, ich habe versprochen ihn zu wecken, wenn die Raketen losgehen, das tue ich dann auch, er darf mit uns anstoßen, also mit Oma und mir, Udo schleppt sich mit Mühe ins Schlafzimmer, ... verschläft alles. Meine Mutter schläft bei Tessa, Carlo hat sein Zimmer und ich übernachte in der Stube. Im Schlafzimmer bleibe ich schon lange nicht mehr, wenn meine Mutter abgereist ist, schlafe ich wieder bei Tessa.