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Wieder ein Eigentor

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Vom 10. bis zum 12. Juni hat meine Mutti Abituriententreffen in Schongau, das ist im Allgäu, ich habe versprochen, sie zu begleiten. Gern lässt mich Frau Vogenschmidt nicht fahren, muss es aber, sie hatte es mir bereits zugesagt, bevor ich die Arbeit bei ihr wieder aufgenommen hatte. Ich bin froh, ein paar Tage etwas anderes zu sehen, als das verbitterte Gesicht von Frau Vogenschmidt, die bevor sie anfängt zu arbeiten, ein paar Schnäpse trinken muss, damit sie in Gange kommt, mittlerweile ist sie damit ganz schön aus dem Lot geraten. Jedenfalls bin ich zu diesem Anlass, meine Mutter zu begleiten, das erste Mal mit dem Auto nach Thüringen unterwegs. Ich habe meiner Mutter nichts gesagt, sie hat gedacht, ich komme mit dem Zug und ist ganz überrascht. Klar, ein wenig aufgeregt bin ich schon auf der Fahrt gewesen, aber es klappt sehr gut. Gegen 14.00 Uhr, am 9. Juni erreiche ich Seelstein, am gleichen Tag fahre ich mit meiner Mutter noch eben schnell zum Garten und am Abend hat Sibylle beim Italiener einen Tisch bestellt. Gemeinsam mit den alten Kollegen sind es schöne Stunden in bekannter Runde. Es ist sehr unterhaltsam, wir sprechen viel über vergangene Zeiten, ... ich merke wie toll es ist, jetzt ohne Zug oder Bus überall hin zu gelangen, niemanden brauche ich mehr bitten, mich irgendwohin zu bringen oder wieder abzuholen, weil ich ja nun Gott sei Dank selber Auto fahren kann. Nach Schongau sind wir, meine Mutter und ich mit dem Zug unterwegs, meine Mutter hatte bereits Fahrkarten gekauft und Plätze reservieren lassen, so habe ich das Auto in Papas Garage untergestellt, dort ist genügend platz, denn Henny fährt nun das Auto, den Lada Samara von ihrem Opa. Das Wetter ist bis dato nicht weltbewegend, es regnet noch immer viel, auch in Schongau, schade, aber das kann nun niemand ändern. Meine Mama fährt von Schongau aus weiter zu Onkel Bertram, und ich zurück nach Seelstein. Natürlich genieße ich wie immer während meines Stadtbummels eine leckere Rostbratwurst, das Wetter lässt es zu, ich kann in der Fußgängerzone dabei auf einer Bank sitzen , sowie es früher auch mein Vater gerne tat. Anschließend fahre ich mit einem Blumenstrauß zum Friedhof und besuche meinen Papa. Ich erzähle ihm voller Stolz, dass ich nun endlich glücklicher Besitzer eines Führerscheines bin. Ich habe Zigaretten bei mir, ich kann es bis jetzt mit dem Rauchen noch nicht ganz bleiben lassen und vollständig damit aufhören. Immer wenn ich aufgeregt bin, zünde ich mir eine an, aber nie in der Wohnung. Ich stecke mir und meinem Vater eine Zigarette an, wie ich es meist tue, wenn ich ihn auf dem Friedhof besuche. Ich platziere Vaters Zigarette zwischen den kleinen Kieselsteinchen vor der Grabsteinplatte, die Zigarette geht nicht aus, ich lasse sie brennen während ich mich mit meinem Papa unterhalte. -

Am Abend bin ich noch nach Lohra gefahren, ich hoffe dort in St. Josef jemanden zu sehen. Diesmal freut man sich mehr als letztens über meinen Besuch, sicher, weil Udo nicht dabei ist. Simon hat ganz schön zugelegt, er war ja noch nie dünn, aber nun hat er ganz schön was auf den Rippen, er zerquetscht mich bald, als er mich noch in der Tür umarmt kaum dass ich geklingelt habe. Auch hier werden beim Abendessen alte Zeiten hervor geräumt, nur muss ich halt leider das Begrüßungsschnäpschen ausschlagen, ... ich bin ja nun Kraftfahrer! . - Ich übernachte in der Wohnung meiner Eltern, bzw. meiner Mutter, frühstücke am Morgen ganz in Ruhe, packe meine Sachen und fahre weiter zu Henny. Sie holt mich am Ortseingang ab, damit ich mich nicht verfahre und schneller zurechtfinde. Nach dem Mittagessen bummeln wir durch die Stadt, fahren zu ihr nach Hause zum Kaffee trinken. Anschließend machen wir uns frisch, gehen zum Griechen Abendessen. Ich genieße es sehr, endlich mit meiner Großen einmal ein wenig Zeit allein zu verbringen. Ich erzähle ihr, dass ich es wohl mit Udo nicht mehr sehr lange werde aushalten können und äußere meine Bedenken, die ich ihrem Matthias gegenüber habe. Zu mir ist er am Telefon immer recht unpersönlich, um nicht zu sagen unfreundlich, kurz angebunden, wie man sagt. Sie dementiert aber meine Befürchtungen, trotzdem glaube ich ihr nicht so ganz, als sie zu mir sagt: „Nein , Mutti, es ist wirklich alles in Ordnung, … kannst es mir glauben“. Am nächsten Tag rüste ich mich zur Heimfahrt, ich verpasse eine Autobahnabfahrt bei Leipzig, irre eine Weile mitten durch diese große Stadt und mir wird langsam ängstlich. Zufällig ist vor mir jemand mit Berliner Autokennzeichen, ich fahre hinter ihm her in der Hoffnung, der Fahrer wolle auch auf die Autobahn und ich käme auf diese Weise aus der Stadt heraus. Ich habe mehr Glück als Verstand und finde dadurch auf die Autobahn zurück. Gegen 16.30 Uhr bin ich in Domstedt, packe schnell meine Sachen aus, fahre gleich nach Wiesenstadt die Kinder abzuholen, die solange bei den Schwiegerleuten gewesen sind. Als ich zur Ruhe komme, merke ich erst, wie grocky ich bin, ... aber recht zufrieden mit meiner ersten längeren Autofahrt -

Ebenfalls zu Anfang Juni muss ich auch mit Frau Vogenschmidt sprechen, ich kann wegen Tessa keinen Spätdienst mehr machen, ich sage, dass Henny wieder Arbeit hat und deshalb nicht mehr kommen kann, um auf Tessa aufzupassen. Es ist zwar eine Notlüge, aber es wäre ja auch auf die Dauer keine Lösung gewesen, wenn Henny jedes mal auf die Entfernung anreisen muss, wenn ich Nachmittags, bzw. am Abend arbeiten gehe. Frau Vogenschmidt meint daraufhin, ich soll dafür jedes Wochenende zur Arbeit erscheinen. Ja, ... gut, … Udo ist zwar am Wochenende zu Hause, d.h. er braucht da nicht zur Arbeit und jeder vernünftige Familienvater hätte sich dann um die Kinder gekümmert, wenn die Mutter zum Geld verdienen unterwegs ist, ... aber Udo doch nicht, eigentlich hätte ich es mir denken können. Ich kann mich nicht verlassen, ich habe keinen Augenblick Ruhe auf Arbeit, ich denke dauernd an die Kinder und frage mich, , kommen sie rechtzeitig zu Bett?, bekommen die Kinder pünktlich ihr Essen?, hoffentlich geht zwischen Udo und Carlo alles gut, es ist eine enorme, seelische Belastung, begreiflich nur für denjenigen, der so etwas durchexerziert hat. Anstatt sich um die Kinder zu kümmern, schöpft er die Situation erst recht aus und nutzt meine Abwesenheit, um sich die Zeit mit Bier und Schnaps trinken, sowie mit fernsehen zu vertreiben. Es klappt gar nichts, obwohl ich alles fertig mache, bevor ich auf Arbeit gehe. Ich koche vor, es braucht nur aufgewärmt zu werden, es ist selbst gebackener Kuchen und alles da. Ich lege frische Wäsche für die Kinder hin, ... alles vergebliche Liebesmüh. -

Am Wochenende, bevor ich mit meiner Mutter nach Schongau gefahren bin, ist ganz übles Wetter, ich muss arbeiten, ... was macht Udo?, er schickt Carlo mit der Kleinen hinaus, ... ohne Mütze, ... und viel zu dünn angezogen, sie werden beide nass bis auf die Haut. Udo ist betrunkener Weise eingeschlafen, … am hellerlichten Nachmittag. Die Kinder hatten keinen Schlüssel, stehen vor der Tür, sie können nicht herein. Pudelnass kommt Carlo mit Tessa zu mir in die Gaststätte, holen meinen Schlüssel. Ich gebe den Kindern den meinigen mit und bitte Frau Vogenschmidt gehen zu dürfen, sobald ich mit den Vorbereitungen fertig bin, weil ich absolut keine Ruhe mehr habe. Natürlich meckert sie, ... und ich verstehe sie auch, aber die Kinder sind mir wichtiger als ihre Gäste. Meine Kollegin Marianne meint dann zu mir : „Mach` Dir keinen Kopf, geh` nur, ... ich schaffe das schon! "

Bei dieser Transaktion hat sich Tessa natürlich erkältet, … ganz logisch eigentlich, ich musste sie bereits verschnupft nach Wiesenstadt geben, so ungern wie noch nie, aber immer noch besser, als die Kinder bei Udo zu lassen. Als ich von Schongau zurück bin, ist die Erkältung noch nicht weg und ich finde es besser, den Arzt aufzusuchen. Na jedenfalls, als ich am besagten Tag nach Hause komme, stecke ich die Kinder zunächst in die Wanne, koche ihnen einen Tee, versorge sie und bringe sie zu Bett. Wie gesagt, kann ich es leider trotz alledem nicht verhindern, dass Tessa sich erkältet hat. Während ich die Kinder versorge, schläft der Taugenichts noch immer. Als ich alles soweit gerichtet habe, lallt er nur: „Du, … Du, ... bist schon da?“. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich nicht irgendetwas nehme, um es ihm über seinen versoffenen Schädel zu ziehen. Tut mir leid, aber anders kann ich es nicht beschreiben, ich bin so sauer und entsetzt über soviel Gleichgültigkeit uns gegenüber, dass mir genannter Gedanke unwillkürlich durch den Kopf gehen muss. Ich spreche ihn wie schon so oft auf seine Verantwortungslosigkeit hin an, das einzige, was er hervorbringt, weil er wohl gar keinen Überblick mehr über die Situation hat , ist: „Na, … na, ... wenn Du da bist, kannst Du Dich wohl um die Kinder kümmern, ... und, ... und, ... außerdem hätte Carlo Tessa ja besser anziehen können“. Es hat keinen Sinn, ihm zu erklären, warum oder weshalb ich schon da bin und dass Carlo wohl kaum dafür verantwortlich zu machen ist, was angezogen wird und dass die Kinder bei so einem Wetter draußen wirklich nichts verloren haben, er hätte es ohnehin nicht geschnallt. -

Mit dem Monatsende Juni und Beginn des eigentlichen Sommermonates Juli wird endlich auch das Wetter besser, und steigert sich von schönen warmen Sommertagen, bis hin zur fast unerträglichen Hitze zum Juliende bis in den August hinein. Am 31. 7. 1994 um 1.35 Uhr schreibe ich Tagebuch und übernehme das Zitat:

Sonnabend, bzw. Sonntag, 31. Juli, 1.35 Uhr, eine ungewöhnliche Zeit um Tagebuch zu schreiben, aber warum soll ich dieses neue Büchlein, das vorhergehende ist schon wieder voll, nicht auch einmal ungewöhnlich anfangen. Nun weiß ich leider nicht genau, mit welchem Ereignis ich das letzte beendet habe, ich kann auch nicht nachschlagen, es geht nicht, es liegt nämlich in der Eckbank der Stube und Udo sitzt, bzw. fläzt darauf, ... betrunkener Weise versteht sich, ... eingepennt. Nicht einmal wenn meine Mutter da ist, kann er sich zusammenreißen, das tut er schon lange nicht mehr. Ich habe wie so oft das Gefühl, es nicht mehr lange ertragen zu können, manchmal möchte ich wissen, womit ich das verdient habe. Das Gestreite und Gezerre zwischen Udo und Carlo geht den ganzen Tag, ich bin immer heilfroh, wenn das Wochenende vorbei ist und Udo wieder weg ist. Auch diese Arbeit, die er da jetzt hat, löst ständig mehr als nur unwohle Gedanken aus, alles ist so unsicher mit dieser Maklerei, es hat zwei Monate über weg gedauert, bis ich von Udo wiedermal ein wenig Geld bekommen habe. Woran das liegt weiß ich nicht, er sagt, der Arbeitgeber habe so spät gezahlt, aber ich weiß schon lange nicht mehr, was ich glauben kann und was nicht, nur dass es ein Dauerzustand geworden ist, nicht zu wissen wie ich das alles drehen und wenden soll. Von überall her kommen Mahnungen, unter anderem von den zu zahlenden Autoraten. Hoffentlich glättet sich alles bis ich so um den 20. August herum nach Seelstein fahren muss wegen des Gartens und um alles mit Hennys Geburtstag zu verbinden. Henny hat wieder Arbeit gefunden, zwar leider nicht in ihrem Beruf, aber in einem Geschäft für Kosmetikartikel, immerhin besser als gar nichts.

Nun weiß ich schon wieder nicht, ob ich eingeschrieben habe, dass ich nun wieder zu Hause bin, Tessa war eine Woche krank und da bin ich gleich von Frau Vogenschmidt entlassen worden, geradeso als hätte sie auf so einen Grund dafür gewartet. Mein Gott, ist das heute eine Zeit, ich glaube, wenn der Herr Vogenschmidt noch da wäre, dann hätte er mich sicher nicht gleich abserviert. Nun bin ich dabei, mir etwas zu suchen. Auf dem Arbeitsamt war ich auch, ich muss mich ja gleich melden und weil ich sagen wollte, dass ich doch so gern wieder im Gesundheitswesen arbeiten möchte. Aber sie konnten mir nichts vorweisen. Ich sagte auch, ich wäre bereit, eine Umschulung zu machen, wenn ich damit zurück in den Gesundheitsdienst käme. Ich werde nicht aufgeben, alle zwei Wochen hingehen, bzw. fahren bis ich Erfolg habe, ich will und muss endlich wieder vernünftig Geld verdienen, von Udo, da hatte ich bisher noch nie etwas zu erwarten, aber das wisst Ihr inzwischen alles selber. Bis ich beim Arbeitsamt etwas erreiche, versuche ich mit Hilfe der Zeitung und dessen Stellenanzeigen etwas zu finden, irgendwie muss ich die Kinder und mich über Wasser halten. Zur Zeit warte ich auf Antwort eines Stellenangebotes, es hängt mit dem Verkauf von Schulmaterial zusammen, das andere ist eine Stelle als Hauswirtschafterin hier in der Nähe auf einem Dorf, da werde ich morgen einmal anrufen. Ich werde verrückt, wenn ich weiterhin auf die paar Mark von Udo und dem Arbeitslosengeld angewiesen bin. Ein Grund, warum ich noch nicht im Bett bin ist, dass ich auf dem Musiksender etwas über die Gruppe Pink Floyd höre, aus meiner Tinizeit, sie ist jetzt wieder im Kommen und macht Tournee in Deutschland, so gerne würde ich auch einmal zu so einem Konzert gehen, aber mit den wenigen Kröten ist nicht daran zu denken. Ich bin froh, wenn ich für die Kinder genug zu essen habe und lange genug gestochert habe, um ein paar Kröten mit Tante Lenas Hilfe für einen gebrauchten fahrbaren Untersatz zusammen zu kriegen. Noch ein Grund, warum ich nicht schlafen kann, ist ein Gewitter, aber es ist auch dringend nötig, es hat lange nicht geregnet und wir haben gerade Temperaturen bis über 30 Grad, es ist alles ausgedörrt. - Einmal schwimmt mir im Garten alles weg, dann wieder vertrocknet alles. - Jetzt ist es kurz nach 2.00 Uhr, ich bin gar nicht müde, manchmal erinnert es mich an meine Nachtdienste, die ich oft bis zur „Vergasung“ geschrubbt und manchmal deswegen gehasst habe. So um diese Zeit habe ich mich bald für die letzte Runde fertig gemacht und nun sitze ich hier und sehne diesen Lebensabschnitt so sehr herbei. Aber die Zeit lässt sich nicht zurückspulen wie ein Film, den man dann noch einmal von vorne sehen kann. Es muss einem wohl erst richtig mies gehen, bis man erkennt und begreift, wie schön und gut man es hatte. Wenn ich Udo so auf der Eckbank lümmeln sehe, könnte es mir übel werden, ... kotzübel, ... es ist mir einfach nicht vergönnt, einen Mann zu erwischen, mit dem ein Familienleben Spaß macht. Natürlich fährt Udo nach wie vor regelmäßig betrunken mit dem Auto, jeder Versuch ihn aufzuhalten hat keinen Sinn mehr, dann wird er ausfällig. Ich „warte“ förmlich darauf, dass er endlich erwischt wird oder etwas passiert. Nur gut, denn ich kann jetzt auch fahren, und ich komme mit den Kindern sicher an das gewünschte Ziel, ... sofern mir hoffentlich nicht jemand wie Udo in die Quere kommt!. Wenn alles klappt bekomme ich nächste Woche auch ein Auto, einen 353 iger Wartburg mit Tüv, für 200, - DM, der tut es erst mal und ich bin unabhängig, hoffentlich klappt ja das wenigstens, wenn schon sonst kaum etwas hinhaut bei mir. Eine Suchanzeige stand noch in der Zeitung, da sucht jemand einen Nachmieter für ein Bauernhaus bei Altkirchstetten mit 100 m2 Wohnfläche. Es wäre eine Möglichkeit für meine Mutter hierher zu ziehen, dann wäre ich die Sorge mit dem Garten in Seelstein los, obwohl es mir sehr weh täte, viele Kindheitserinnerungen sind damit verbunden, Gedanken an meine Heimat, die man nie vergisst. Zum anderen steckt viel Arbeit und Geld meiner Eltern darin. Tatsache aber ist, ich kann nicht ewig oft nach Seelstein fahren, geldmäßig, und auch der zeit wegen ist es auf die Dauer nicht zu bewältigen. Ich will und muss ja auch arbeiten gehen und das möglichst bald, ... und was ist, wenn meine Mutter einmal krank werden sollte?. Ich würde es mir schon wünschen mit dem Haus, aber es zu realisieren, geht sicher so gut wie gar nicht, die ganze Last und Arbeit würde einzig und allein an mir hängen bleiben. Egal ob es die Renovierung, Reparaturen oder den Garten betrifft, ich stehe immer mit allem alleine da. Wenn ich ihn so sehe, graut mir jeden Tag mehr vor ihm, ich schlafe jetzt immer auf dem Sofa, ich will unbedingt vermeiden, dass er unkontrolliert in Tessas oder Carlos Zimmer stolpert. Von der Stube aus habe ich den besten Überblick, auch wenn ich dann immer munter werde. Es ist einfach unerträglich ekelhaft, wenn er so ständig ungewaschen, mit nicht geputzten Zähnen, die immer schlechter werden, es immer wieder versucht, mit Alkoholfahne und schmierigen Fingern nach mir zu tatschen. Wenn ich doch einmal im Bett liege, weil ich auf dem Sofa nicht mehr liegen kann, nehme ich spätestens im eben beschriebenen Moment reiß aus. Mein Gott, ich habe doch nur gehofft, auch einmal etwas Glück zu haben, sonst nichts weiter. Gerade ist er ins Bett gegangen, in dem gerade beschriebenen abartigen Zustand wie immer. Dabei habe ich den ganz normalen Wunsch einer Frau, einmal wieder richtig leidenschaftlich zu küssen und umarmt zu werden, ... und denke bei der Gelegenheit an meine zurückgelassenen Bratkartoffeln. Nun habe ich doch noch schauen können, wo meine letzte Eintragung im alten Tagebuch endet, ich stelle mit Zufriedenheit fest, dass ich mit meiner nächtlichen Eintragung auf dem laufenden Stand der Dinge bin. - -Zitatende. -

Bis Mitte August ist der Sommer heiß und trocken, ausgerechnet am 11. August regnet es, als ich am Tag zuvor meine geernteten Zwiebeln zum trocknen ausgebreitet habe.

Das mit dem Wartburg hat geklappt, die Fahrerei damit erfordert eine gewisse Übung und Umstellung, aber ich gewöhne mich daran und bin glücklich, nicht mehr abhängig von Udo zu sein und nach dem Auto manchmal regelrecht betteln zu müssen.-

Meiner Mutter gefällt der Vorschlag zu uns zuziehen, mit dem Bauernhaus in Lührenburg bei Altkirchstetten würde es klappen, es ist nicht weit von Wiesenstadt entfernt. Allerdings mache ich mit diesem genannten, bereits zu der Zeit mir bewusst bedenklichen Vorhaben, den nächsten riesengroßen Fehler, dem ich in der „Hitliste“ meiner begangenen Irrtümer den 2. Platz einräume. Ich weiß auch nicht mehr wirklich, warum ich mich darauf eingelassen habe. Umgekehrt hätte es laufen müssen, ... einfach den versoffenen Kerl da lassen wo er ist und mit den Kindern nach Seelstein zurückgehen. Aber wie gesagt, ich wusste nicht wie ich das alles anstellen sollte, aus den Gründen eben, die ich schon tausendfach deklariert habe, … und ebenfalls tausendfach gesagt, heute für mich nicht mehr nachvollziehbar. Wenn ich auch nicht unbedingt zur Sonnenburg zurück gewollt oder gekonnt hätte, so wäre sicher etwas für mich gefunden worden. Wiedereinmal habe ich etwas eingerührt, wovon ich gar nicht so recht weiß, was ich da eigentlich mache, in einer fragwürdigen Zeit, wo Udo so unregelmäßig Geld mitbringt und ich selber auch noch nicht die richtige Beschäftigung gefunden habe. Ich bemühe mich ständig, Arbeit zu ergattern, abgesehen davon, regelmäßig auf dem Arbeitsamt zu sein und nachzufragen, studiere ich die Zeitungen nach allen möglichen Übergangslösungen. Das mit dem erwähnten Schulmaterialverkauf erweist sich als Pleite. Ich fahre alle Einrichtungen in der Umgebung mit diesem Bildungsmaterial ab, aber die Schulen, sowie die Kindergärten haben kein Geld und ich bin nach wie vor nicht der Mensch, der jemanden mit aller Gewalt etwas aufdrängen kann, nur auf den Benzinkosten bleibe ich sitzen. So muss ich es eben bleibenlassen und frage bei einem Meinungsforschungsinstitut an, die Interviewer suchen, um Leute nach ihrer Meinung zu verschiedenen Dingen in Politik und Wirtschaft zu befragen. Die Hauswirtschaftsstelle, für die ich mich noch interessiert hatte, ist schon belegt.

Dass ich mit der Zusage betreffs des Umzuges von Domstedt nach Lührenburg mit dem Ziel eines gemeinsamen Haushaltes mit meiner Mutter etwas Endgültiges schaffen würde, ist mir sehr lange gar nicht recht bewusst gewesen. Endgültig insofern, dass mit dem Umzug meiner Mutter zu uns, für mich und die Kinder kein Weg mehr zurück in die Heimat offen bleibt. In dem Moment, als meine Mutter zu uns gezogen ist, gibt es kein zurück mehr, schließlich kann ich nicht abhauen und meine Mutter hier in Mecklenburg sitzen lassen. Wie gesagt, bin ich mir dieser Tragweite gar nicht recht bewusst gewesen, gekoppelt mit der Tatsache, wie immer nicht den Mut gehabt zu haben, noch rechtzeitig von dem Vorhaben der verrückten Umzugsgeschichte mit allen Beteiligten abzuspringen und sagen: nein, ich ziehe nicht nach Lührenburg, ich habe genug von alledem hier, ich gehe zurück nach Seelstein . Ich fühle mich wie ein Fußball, der hin und her geschossen wird und der dann doch zu guter Letzt als Treffer im Eigentor landet. Eine Warnung hätte mir auch sein müssen, eine Vorahnung aus der ich keine Lehren gezogen habe, nämlich die, dass der Vermieter des Bauernhauses ein mir äußerst unangenehmer Mensch gewesen ist, ... wie die Wirtin damals in der kleinen Pension, als ich mit den Kindern in Domstedt im Urlaub war. Kurz um, ich muss mal wieder verrückt gewesen sein, - schon wegen dem Leben mit Udo, was kein Leben ist oder war, die Geldsituation die damit zusammenhängt inbegriffen. - Meine Mutter gibt mir das Geld für die fälligen Kautionen und die erste Miete. Renoviert ist zum Glück einiges. Die Küche und Flur haben alte Bodenfliesen, ähnlich wie sie im Stallbereich üblich waren. Das Bad ist mehr als nur total heruntergewirtschaftet, die Miete sehr hoch, eigentlich kaum bezahlbar, ich kann nicht mehr genau sagen wie viel, aber ich habe noch Unterlagen zum nachschlagen. Ein Heizungs - und Wasseranteil ist dabei, aber trotzdem für uns viel zu viel, auch wenn sich meine Mutter an der Miete beteiligt, ... ein Wahnsinn schlicht und einfach. - Heute würde ich um keinen Preis mehr irgendwohin ziehen, wenn ich nach längerem Überlegen zu der Ansicht gelange, dass es nicht gut oder richtig ist, schon gar nicht, wenn man versucht es mir einzureden.-

Am 1. September 1994 jedenfalls, ziehen wir von Domstedt nach Lührenburg.

Stehaufmännchen - Die Kraft zu leben

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