Читать книгу Epistolare Narrationen - Margot Neger - Страница 14

2.3.1 Raumkonstruktionen in Buch 5

Оглавление

Das Buch wird eröffnet durch einen BriefPlinius der JüngereEpist. 5.1, der von einem Rechtsstreit um das Vermögen der Pomponia Galla berichtet, nachdem diese ihren eigenen Sohn Asudius Curianus enterbt und Plinius zusammen mit einigen anderen als Erben eingesetzt hat.1 Ein erstes Vier-Augen-Gespräch zwischen Plinius und Curianus, der Plinius darum bittet, ihm seinen Anteil zu schenken, wird räumlich nicht näher lokalisiert (2‒5). Im Unterschied dazu macht Plinius konkretere Angaben zum Ort seines darauf folgenden Beratungsgesprächs (5: consilium) in Anwesenheit von Corellius und Frontinus, das in seinem Wohnzimmer stattfand (5: his circumdatus in cubiculo meo sedi). Man kann sich vorstellen, wie Plinius inmitten der beiden spectatissimi (5) Curianus gegenübersaß, sich anhörte, was dieser zu sagen hatte, einiges entgegnete und sich dann mit seinen beiden Mentoren zu einer Konsultation zurückzog (5: deinde secessi). Von der Szenerie eines „domestic tribunal“2 wechselt der Schauplatz dann zum Zentumviralgericht, wo Curianus Klage einreicht (6‒8). Zwar liefert schon die vorherige Erwähnung des spectatissimus civitatis Corellius (5) ein Indiz dafür, dass das dramatische Datum der Narration in die Zeit Domitians fällt,3 doch erst die Formulierung metu temporum (7) im Zusammenhang mit der bevorstehenden Verhandlung vor dem Zentumviralgericht, der Plinius’ Miterben gerne entgehen wollten, verschafft Klarheit. Hatte der Brief etwas unspektakulär mit einem Bericht über einen Erbschaftsstreit begonnen, gewinnt die Erzählung nun an Dramatik (7: verebantur…ne ex centumvirali iudicio capitis rei exirent).4 Nachdem die Miterben Plinius gebeten haben, mit CurianusPlinius der JüngereEpist. 5.1 zu sprechen und einen Vergleich zu erwirken, treffen sich die beiden Männer im Tempel der Concordia (9: convenimus in aedem Concordiae), einem Ort, der hier Symbolkraft besitzt, geht es doch um die Abwendung drohender Gefahr durch einen Prozess. Man denkt hier sicherlich in erster Linie an den Concordia-Tempel im Nordwesten des Forum Romanum, der von Tiberius im Jahr 7 v. Chr als Concordia Augusta restauriert wurde.5 Allerdings berichtet Ovid in seinen Fasti noch von einem weiteren Concordia-Heiligtum, das sich in oder bei der Portikus der Livia befunden haben soll (6,637‒8)OvidFast. 6.637‒8: Te quoque magnifica, Concordia, dedicat aede / Livia, quam caro praestitit ipsa viro.6 Die Säulenhalle der Livia mit ihrem Concordia-Heiligtum, das Ovid zufolge die eheliche Eintracht des Kaiserpaars symbolisieren sollte, lag wie auch das Stadthaus des Plinius auf dem Esquilin (vgl. Epist. 3,21,5Plinius der JüngereEpist. 3.21.5)7 und wäre von dort aus wohl schneller zu erreichen gewesen als das Forum Romanum. Dass es sich bei dem in Epist. 5,1 erwähnten Concordia-Tempel um das von Ovid beschriebene Heiligtum handeln könnte, suggeriert auch die Ähnlichkeit der Szene mit Epist. 1,5Plinius der JüngereEpist. 1.5.9, wo sich Plinius und Vestricius Spurinna in der Portikus der Livia treffen (9: coimus in porticum Liviae), die offenbar auf halbem Weg zwischen den Häusern der beiden lag und in der Spurinna als Fürsprecher für Regulus auftritt.8 Wie bereits erörtert, gibt Plinius äußerst selten konkrete Hinweise auf die Topographie Roms, und so fällt die parallele Gestaltung der betreffenden Szenen in Epist. 1,5 und 5,1 umso deutlicher auf. Falls der Leser in Epist. 5,1,9 an den Concordia-Tempel bei der porticus Liviae denken soll, stellt Plinius möglicherweise eine implizite Verknüpfung zwischen Epist. 1,5 und 5,1 über Ovids Fasti als Prätext her. Abgesehen von der Symbolkraft der Concordia als Göttin der Eintracht – sei es im politischen oder familiären Bereich – ist die Anlage der porticus Liviae auch über das Motiv der Erbschaft von Bedeutung: Vor der Errichtung der Säulenhalle befand sich an der Stelle das luxuriöse Anwesen des durch Extravaganz und Grausamkeit berüchtigten P. Vedius Pollio,9 der Augustus sein Haus vererbte, das dieser jedoch abreißen ließ, um sich den Römern als positives Exemplum zu präsentieren (vgl. Ov. Fast. 6,639‒48OvidFast. 6.639‒48).10 Sowohl das architektonische Monument der porticus Liviae als auch der das fünfte Buch eröffnende Brief des Plinius propagieren den Erbauer bzw. Verfasser als exemplum für das angemessene und altrömische Verhalten eines Erben im Angesicht einer problematischen Erbschaft, und so könnte in Epist. 5,1 die aedes Concordiae in der Livia-Säulenhalle als Erinnerungsort evoziert sein: Wandelte Augustus die verschwenderische domus des Pollio in eine der Öffentlichkeit zugängliche Säulenhalle um,11 erzählt uns Plinius von seinen Bemühungen, sich mit dem enterbten CurianusPlinius der JüngereEpist. 5.1 zu einigen, was ihm angeblich nicht nur Ruhm einbrachte (10: tuli fructum…famae), sondern auch das Lob des Curianus selbst, der Plinius’ Tat als factum antiquum bezeichnete (11).Plinius der JüngereEpist. 5.1

Während die Handlung in Epist. 5,1 in Rom spielt, begegnet uns Plinius als Briefschreiber in Epist. 5,2Plinius der JüngereEpist. 5.2 auf seinem Laurentinum in der Nähe der Haupstadt,12 von wo aus er als Gegengabe für Drosseln, die ihm der Adressat Calpurnius Flaccus13 geschickt hat, lediglich epistulae steriles (2) senden kann. Dabei handelt es sich freilich um eine scherzhafte Unterminierung der Qualität dieser Briefe, hatte Plinius doch in Epist. 4,6Plinius der JüngereEpist. 4.6 den reichen Ertrag seines Laurentinum gepriesen (1: solum mihi Laurentinum meum in reditu), allerdings nicht den landwirtschaftlichen, sondern den literarischen (2: aliis in locis horreum plenum…ibi scrinium). Mit den von Plinius in Brief 5,2 erwähnten epistulae dürften nicht nur die Briefe an Calpurnius Flaccus gemeint sein, sondern zugleich diejenigen des fünften Buches, als dessen zweite Einleitung Epist. 5,2 fungiert. Der folgende Brief 5,3Plinius der JüngereEpist. 5.3 versetzt uns dann gedanklich ins nicht näher lokalisierte Haus des Titius Aristo (1: apud te), bei dem es, wie es heißt, eine angeregte Diskussion über Plinius’ Gedichte und deren Rezitation gegeben habe.14 Plinius rechtfertigt sich in diesem Brief ausführlich für seine Aktivität als Dichter und Rezitator und imaginiert in diesem Zusammenhang die Reaktion der Zuhörer bei einem Vortrag (9): quid quisque sentiat, perspicit ex voltu oculis nutu manu murmure silentio. Lediglich der kurze Hinweis auf Mimik, Gestik und Laute oder Schweigen der Anwesenden könnte dem Leser suggerieren, sich einen Raum vorzustellen, in dem eine solche Rezitation stattfand15 – am Ende des Briefes enthüllt Plinius, dass es sich dabei nicht um ein öffentliches Auditorium, sondern ein Zimmer bei ihm zuhause handelt (11: haec ita disputo, quasi populum in auditorium, non in cubiculum amicos advocarim).16Plinius der JüngereEpist. 5.3

Der suburbanen otium-Villa in Epist. 5,2 und dem privaten Rahmen der Gedichtrezitation in cubiculo in Epist. 5,3 steht in Epist. 5,4Plinius der JüngereEpist. 5.4 der Senat gegenüber, in dem zwischen dem Prätor Sollers und den Gesandten von Vicetia über die Abhaltung eines Wochenmarktes auf den Gütern des Sollers verhandelt wurde.17 Der Geographie der Briefe in Buch 5 wird somit auch die regio X Venetia, in der das Gebiet von Vicetia (heute Vicenza) lag, hinzugefügt.18 Plinius berichtet von dieser Verhandlung als aktuelles und noch nicht abgeschlossenes Ereignis (1: res parva, sed initium non parvae; 3: sed, quantum auguror, longius res procedet) und liefert mit Epist. 5,4 und ihrer Fortsetzung in 5,13 – beide Schreiben sind an Iulius Valerianus gerichtet – sozusagen eine simultane Narration.19 Bereits am Ende von Epist. 5,4 kündigt Plinius ein Sequel seines Berichts an (4: quam blande roges, ut reliqua cognoscas) und hält es sogar für möglich, dass sein Adressat, nun neugierig geworden, nach Rom kommen und lieber spectator als lector sein wolle (4: si tamen non ante ob haec ipsa veneris Romam spectator malueris esse quam lector) – vom Aufenthaltsort des Iulius Valerianus erfahren wir allerdings nichts.

Nach dem römischen Senat als Schauplatz („space“) einer Verhandlung wird in Brief 5,5Plinius der JüngereEpist. 5.5 der Raum eines Traumes20 („frame“) entworfen: Plinius beklagt zunächst die mors immatura des Gaius Fannius, der sich zu Lebzeiten u.a. als Historiker durch drei Bücher über die Opfer Neros hervorgetan (3)21 und seinen Tod aufgrund einer nächtlichen Vision vorausgeahnt habe (5): Fannius, der bei seinem Traum wohl tatsächlich in seinem Bett gelegen sein dürfte, träumte auch von seinem Bett (5: visus est sibi…iacere in lectulo suo), in dem er in Studier-Haltung mit seiner Bücherkapsel vor sich saß (5: compositus in habitum studentis, habere ante se scrinium). Das cubiculum bzw. die Objektregion des Bettes22 werden zu einer Art Bühne, wenn Kaiser Nero auftritt (5: mox imaginatus est venisse Neronem), sich aufs Bett setzt, das erste Buch De sceleribus eius hervorholt,23 vom Anfang bis zum Ende liest und in derselben Manier mit Buch 2 und 3 verfährt, bevor er wieder von der „Bühne“ abtritt (5: tunc abisse). Abgesehen von dieser Traum-Szene ist Epist. 5,5 relativ arm an räumlichen Elementen, setzt sich dagegen umso intensiver mit dem Thema Zeit auseinander, insbesondere mit der (zu kurzen) Lebenszeit in Relation zur Unsterblichkeit durch literarisches Schaffen. Plinius bemerkt unter anderem, dass ihm der frühe Tod einer Person insbesondere dann als besonders bitter erscheint, wenn jemand gerade dabei war, etwas Unsterbliches (4: immortale aliquid) zu erschaffen. Am Ende des Briefes macht sich Plinius auch über seine eigene Sterblichkeit und literarischen Bemühungen Gedanken (7: occursant animo mea mortalitas, mea scripta) und fordert sich selbst und seinen Adressaten dazu auf, dem Tod möglichst wenig zu überlassen, was er vernichten kann (8), d.h. literarische Werke zu schaffen, die überdauern.

Es scheint, als würde Plinius mit der unmittelbar folgenden Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 dieses Vorhaben gleich in die Tat umsetzen wollen, denn es handelt sich bei dieser descriptio der tuskischen Villa sowohl um den längsten Brief im Korpus als auch ein Konkurrenz-Projekt zu epischen Ekphraseis wie den Schildbeschreibungen bei Homer oder Vergil.24 Beide Dichter, so konstatiert Plinius im Rahmen einer Rechtfertigung des ungewöhnlichen Umfangs seines Briefes, befolgen trotz der Länge ihrer Darstellung (43: quot versibus) noch immer das Prinzip der brevitas (43): brevis tamen uterque est, quia facit, quod instituit. Bleibt ein Autor bei seinem Gegenstand, könne man ihn nicht der Weitschweifigkeit bezichtigen, sehr wohl aber dann, wenn er etwas Sachfremdes herbeizieht (42). Der die Villa beschreibende Brief gewinnt selbst eine räumliche Dimension, wenn Plinius erläutert non epistula, quae describit, sed villa, quae describitur, magna est (44). Anlass für dieses Schreiben ist, so wird uns suggeriert, eine Äußerung des Adressaten Domitius Apollinaris,25 der von einer Reise nach Etrurien im Sommer abriet, da das Klima dort seiner Meinung nach ungesund sei (1‒3).26 Mit seinem Brief will Plinius nun die Sorge seines Freundes zerstreuen (3): …ut omnem pro me metum ponas, accipe temperiem caeli, regionis situm, villae amoenitatem; quae et tibi auditu et mihi relatu iucunda erunt. Am Ende des Briefes greift Plinius die Einleitung nochmal auf mit den Worten habes causas, cur ego Tuscos meos Tusculanis, Tiburtinis, Praenestinisque praeponam (45). Gerade diese Passage enthält eine auffällige Parallele zu Martials Epigramm 10,30Martial10.30, das ebenfalls eine Villen-Ekphrasis bietet – es handelt sich dort um die VillaPlinius der JüngereEpist. 5.6 von niemand anderem als Plinius’ Adressaten Domitius Apollinaris in Formiae.27 Martials Gedicht beginnt mit einem Lobpreis auf Formiae, das Apollinaris anderen Erholungsorten vorzieht (1‒7):

O temperatae dulce Formiae litus,

vos, cum severi fugit oppidum Martis

et inquietas fessus exuit curas,

Apollinaris omnibus locis praefert.

non ille sanctae dulce Tibur uxoris,

nec Tusculanos Algidosve secessus,

Praeneste nec sic Antiumque miratur.

Die Ähnlichkeit zwischen diesen Versen und dem Briefschluss bei Plinius28 dürfte kaum auf Zufall beruhen, sondern, wie unlängst von Mratschek (2018) argumentiert wurde, eine bewusste Reaktion des Plinius auf den Martial-Text für den gemeinsamen Freund Apollinaris darstellen: „Pliny’s celebrated letter…was designed as a response and a contrast piece to Martial’s epigram.“29 Ziel der Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 ist es nicht nur, den Sorgen des Adressaten entgegenzuwirken – dem milden Klima in Formiae (Mart. 10,30,1Martial10.30: temperatae…Formiae) wird die temperies caeli in Etrurien gegenübergestellt (Epist. 5,6,3)30 –, sondern diesen durch die detaillierte Beschreibung gleichsam zu einem virtuellen Spaziergang durch die Villa einzuladen, wie Plinius am Ende seiner Ekphrasis erläutert (41):

Vitassem iam dudum, ne viderer argutior, nisi proposuissem omnes angulos tecum epistula circumire. neque enim verebar, ne laboriosum esset legenti tibi, quod visenti non fuisset, praesertim cum interquiescere, si liberet, deposita epistula quasi residere saepius posses.

Die Lektüre des Briefes entspricht also einem Besuch des Anwesens, durch das Plinius seinen Freund als „generischer Wanderer“ oder „Wanderführer“ geleitet.31

Bevor Plinius mit der Schilderung der Landschaft beginnt, in der seine Villa liegt, beschreibt er das Klima, das im Winter zwar kalt sei (4), im Sommer aber erstaunlich mild (5), weshalb man in dieser Gegend viele alte Leute antreffe (6). Es ist denkbar, dass Plinius auch mit der Formulierung hinc senes multi (6) auf Martials Epigramm anspielt, wo von den senes mulli die Rede ist (10,30,24Martial10.30), die sich im Fischbecken des Apollinaris tummeln und die Plinius in Form einer Assonanz mit seinen senes multi zu evozieren scheint. Während Martial in seine Ekphrasis der Villa Formiana auch Menschen und Tiere integriert – neben den ianitores und vilici, die sich in Abwesenheit des Apollinaris an der Villa erfreuen (28‒29), ist insbesondere der Katalog erlesener Fische in der piscina zu nennen (21‒24) –, werden bei Plinius lediglich die alten Menschen in Etrurien erwähnt, wohingegen uns im Rahmen der eigentlichen Villen-Beschreibung keinerlei Lebewesen mehr begegnen.32 Luxuriöse Elemente wie die piscina maritima des Apollinaris werden bei Martial positiv dargestellt,33 während Plinius jegliches lebendige sowie leblose Inventar seines tuskischen Anwesens ausspart, wohl um dem Vorwurf der luxuria keine Angriffsfläche zu bieten.34 Auch Plinius besitzt eine piscina, in der man sich vermutlich auch Fische vorstellen soll, doch erwähnt der Epistolograph dieses Becken lediglich als Blickfang vor den Fenstern eines Zimmers, der sowohl die Augen als auch Ohren erfreue (5,6,23‒24): piscinam, quae fenestris servit ac subiacet, strepitu visuque iucundam. Anstatt uns von Tieren und Menschen in seiner VillaPlinius der JüngereEpist. 5.6 zu berichten, weist Plinius auf die in der Region lebenden senes multi hin, von denen man alte Geschichten und Erzählungen der Vorfahren hören könne (6: audias fabulas veteres sermonesque maiorum), was dazu führe, dass man sich dort in einem anderen Jahrhundert geboren wähnt (6: putes alio te saeculo natum). Mit seiner Ekphrasis versetzt Plinius den Leser somit nicht nur an einen anderen Ort, sondern auch in ein anderes Zeitalter.

Abgesehen von ihrer Funktion, den Adressaten gleichsam zu einem virtuellen Spaziergang einzuladen, dient Epist. 5,6 auch zur Charakterisierung des Villenbesitzers35 und liefert ein Porträt, das durch Epist. 9,36Plinius der JüngereEpist. 9.36 ergänzt wird. Dort schildert Plinius seine Tagesroutine auf dem tuskischen Landgut im Sommer, wobei unter allen Aktivitäten insbesondere die literarische Beschäftigung hervorsticht.36 Anders als in Epist. 5,6, wo uns nahezu keine Menschen begegnen, werden in Epist. 9,36 sowohl ein notarius (2), die Ehefrau und Gäste beim Abendessen (4: si cum uxore vel paucis), Schauspieler und Musiker (4: comoedia aut lyristes) sowie gebildete Sklaven und Freigelassene erwähnt, mit denen Plinius verschiedene Gespräche führt (4: cum meis ambulo, quorum in numero sunt eruditi…variis sermonibus vespera extenditur); außerdem tauchen Freunde aus den Nachbarstädten auf (5) sowie Gutspächter (6), die Plinius’ Zeit in Anspruch nehmen wollen. Zusammen konstruieren Epist. 5,6 und 9,36 das Bild einer otium-Villa, in der Plinius die meiste Zeit seinen literarischen Studien widmet; während Epist. 5,6 die Lage und Architektur dieses Mußeortes schildert, wird er in Epist. 9,36 mit Leben und sozialen Interaktionen befüllt. Der Brief 9,36 an Pedanius Fuscus korrespondiert zudem mit Epist. 7,9Plinius der JüngereEpist. 7.9, die ebenfalls an diesen Adressaten gerichtet ist,37 insofern als der Beginn von Epist. 9,36 (1: quaeris, quemadmodum in Tuscis diem aestate disponam) den Anfang von Epist. 7,9 (1: quaeris, quemadmodum in secessu…putem te studere oportere) aufgreift. Plinius empfiehlt seinem Adressaten in Epist. 7,9Plinius der JüngereEpist. 7.9 unter anderem, sich mit kanonischen Autoren zu messen (3: licebit interdum et notissima eligere et certare cum electis), und legt Fuscus damit einen Versuch ans Herz, den auch er selbst mit seiner Ekphrasis in Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 wagt (5,6,43: Homerus…Vergilius…Aratus).

Bei der Beschreibung seiner Villen geht Plinius äußerst selektiv vor, in der Forschung weist man häufig auf die fehlende Präzision hin, was die Schilderung architektonischer Elemente angeht.38 Archäologische Rekonstruktionsversuche, die auf dem Wortlaut der Briefe basieren, stoßen rasch an ihre Grenzen,39 und man ist sich mittlerweile mehr oder weniger einig, dass Plinius keine „Baupläne“ liefern wollte, sondern mit seinen Ekphraseis andere Ziele verfolgte. Anstelle von architektonischen Details präsentiert uns Epist. 5,6 insbesondere die Relationen verschiedener Räume zueinander, meist in Form von bloßer Aneinanderreihung,40 durch Ortsadverbien wie ante, inde, deinde, contra, die Präpositionen ab, ex, sub und in usw. Plinius bietet eine Liste von Bereichen und Räumen mit unterschiedlicher Funktion (15‒32: porticus, atrium, xystus, ambulatio, triclinium, diaeta, dormitorium cubiculum, cenatio, balineum, sphaeristerium, cryptoporticus, hippodromus) und erwähnt, ob sie Sonne, Schatten oder besondere Ruhe genießen. Häufig beschreibt Plinius die Aussicht durch die Fenster, während er, wie bereits gesagt, kaum auf das Inventar dieser Räume – Wandverzierung, Möbel, Kunstobjekte, Bücher etc. – eingeht. Man wandelt als Leser geistig durch die Villa von einem Raum zum anderen und fühlt sich ähnlich wie in einem Labyrinth. Während der Epistolograph zunächst die Landschaft, in der sich die Villa befindet, aus einer Panorama-Perspektive von oben schildert (7‒12) und explizit den Blick von einer höher gelegenen Position aus hervorhebt (13: si…ex monte prospexeris), der dem Blick auf ein schönes Gemälde entspreche (13: formam…pictam videberis cernere), bietet er uns die Architektur der Villa selbst als Serie von Räumen dar (14‒40). Es wurde bereits mehrfach beobachtet, dass die Ekphrasis des Anwesens Parallelen aufweist zu rhetorischen Ausführungen zur Mnemotechnik, wie sie sich etwa bei QuintilianQuintilianInst. 11.2.18‒20 finden.41 Dieser empfiehlt seinen Lesern, sich ein großes Haus mit zahlreichen Winkeln und Zimmern vorzustellen (Inst. 11,2,18: domum forte magnam et in multos diductam recessus) und in jedem ein besonderes Kennzeichen einzuprägen (11,2,18: quidquid notabile), mit dem man die Abschnitte einer schriftlich oder gedanklich konzipierten Rede verknüpft. Man solle dann im Zuge des Memorierens geistig vom vestibulum zum atrium, den impluvia, cubicula, exedrae usw. voranschreiten (11,2,20).

Abgesehen von Parallelen zur Lehre der Mnemotechnik scheint Plinius, wie Chinn (2007) gezeigt hat, mit seinem Text nicht nur ein Beispiel für die antike Kunst literarischer Ekphrasis zu liefern, sondern auch auf theoretische Ausführungen zu dieser Tradition anzuspielen, insbesondere auf Quintilians Kapitel über die rhetorische Technik der sub oculos subiectio sowie der evidentia.42 Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 weist somit einiges an Selbst-Referentialität auf, und oft scheinen die Grenzen zwischen beschreibendem Text und beschriebenem Objekt zu verschwimmen: Einerseits spiegelt der Text durch seinen Umfang die Größe der Villa wider (44) und zieht im Kontext des Briefbuchs selbst als Objekt von ungewöhnlicher räumlicher Ausdehnung die Aufmerksamkeit auf sich. Andererseits kann auch die Villa wie ein Text „gelesen“ werden, etwa wenn Plinius von den Buchsbäumen in seinem Garten berichtet, deren kunstvolles Arrangement die Namen des Besitzers und des Künstlers angeben (35): buxus…in formas mille discripta, litteras interdum, quae modo nomen domini dicunt, modo artificis.43 Für den Entwurf der Anlage und des Gartens hat Plinius offensichtlich einen artifex beauftragt, dessen Namen dann durch die Bepflanzung verewigt wurde, ähnlich einer Künstler-Signatur, wie man sie etwa in der antiken Vasenmalerei und Plastik findet.44 Als Schöpfer der literarischen Villa im Brief darf allerdings Plinius selbst gelten, der hier als dominus und artifex in Personalunion auftritt45 und uns mit dem Hinweis auf den der Villa eingeschriebenen Namen eine Art Binnensphragis liefert, die sich in jenem Buch findet, das die Mitte des Briefkorpus bildet.46

QuintilianQuintilianInst. 8.3.62 thematisiert in seinen Ausführungen zu Ekphrasis und evidentia wiederholt den Unterschied zwischen Sprechen und Hören bzw. Zeigen und Sehen, wenn es um die lebhafte Schilderung von Sachverhalten und ihre Rezeption geht.47 Eine Narration, die bloß usque ad aures vordringt (Inst. 8,3,62), hat nicht dieselbe persuasive Kraft wie wenn die Dinge dem Zuhörer gleichsam vor Augen gestellt werden. Es fällt auf, dass auch Plinius in seinem Brief 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 den Leser mit zwei verschiedenen Modi der Narration konfrontiert: Vor der eigentlichen descriptio und den darauf folgenden Reflexionen (41‒44) erzählt er von den fabulae veteres und sermones maiorum, denen man in der Region zuhören könne (5: audias fabulas veteres sermonesque maiorum), und macht den Leser so indirekt auf den Unterschied zwischen akustischer und visueller Wahrnehmung aufmerksam. Dies lässt sich auch, wie in einem anderen Kapitel noch ausführlicher gezeigt wird, in Epist. 8,20Plinius der JüngereEpist. 8.20 beobachten, wo Plinius vor der Ekphrasis des Vadimoner Sees die unglaublichen Geschichten erwähnt, die man ihm über das Gewässer erzählt habe (8,20,3: simul quaedam incredibilia narrantur).48

Nach der Schilderung des Klimas in Etrurien (4‒6) beginnt Plinius seine Ekphrasis mit einer Beschreibung der Landschaft (7: regionis forma pulcherrima), die einem riesigen Amphitheater gleiche, wie es nur die Natur erschaffen könne (7: imaginare amphitheatrum aliquod immensum et quale sola rerum natura possit effingere). Man mag hier politische Untertöne mithören, steht doch das natürliche Amphitheater in auffälligem Kontrast zu dem von den Flaviern errichteten Gegenstück, das insbesondere von Martial zu Beginn des Liber spectaculorum gepriesen wird (Sp. 1,7‒8MartialSp. 1.7‒8: omnis Caesareo cedit labor Amphitheatro / unum pro cunctis fama loquetur opus).49 In der Raumkonstruktion der Briefe wird dieses künstliche Weltwunder in Rom ersetzt durch eine beeindruckende Naturkulisse außerhalb der Hauptstadt. Von Anfang an bezieht Plinius seinen Adressaten mit ein bei der Visualisierung von Landschaft und Villa, indem er ihn zunächst einlädt, die alten Leute vor dem geistigen Auge zu betrachten (6: videas), ihren Erzählungen zu lauschen (6: audias) und sich das natürliche Amphitheater vorzustellen (7: imaginare). Den Blick auf die Landschaft, in der sich die Villa befindet, lenkt Plinius von oben nach unten, indem er bei den Berggipfeln und ihren Wäldern beginnt und sich dann nach unten über Weinberge, Wiesen und Bäche zum Tiber vorarbeitet, der durch die Felder fließt, sie gleichsam durchschneidet (7‒12). Die Aussicht auf die Landschaft von oben vergleicht der Epistolograph mit dem Blick auf ein Gemälde (13: formam aliquam ad eximiam pulchritudinem pictam videberis cernere)50 und steuert damit zugleich die Lektüre seines Briefes, indem er ihn indirekt als Ekphrasis charakterisiert. Plinius thematisiert in diesem Zusammenhang auch das ästhetische Vergnügen seines Adressaten beim Anblick der Naturkulisse (13: magnam capies voluptatem, si…prospexeris;…tibi…videberis cernere) und weist auf den Abwechslungsreichtum (varietas) und die Gliederung (descriptio) hin, durch die die Augen des Betrachters erfreut werden (13). Die Schönheit dieser gleichsam gemalten Landschaft wird dabei mit Begriffen ausgedrückt, die sich in anderem Zusammenhang auf die Qualität eines literarischen Werks beziehen: So findet sich descriptio als Terminus technicus für eine EkphrasisPlinius der JüngereEpist. 5.6 etwa bei QuintilianQuintilianInst. 9.2.44 (Inst. 9,2,44), und auch Plinius wendet ihn in zwei weiteren Briefen in diesem Sinne an: In Epist. 2,5,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.5 geht es um Ortsbeschreibungen (descriptiones locorum) in einer Rede im Stile von Historikern und Dichtern, und Epist. 7,9,8Plinius der JüngereEpist. 7.9.8 handelt ebenfalls vom Einfügen solcher descriptiones in eine Rede.51 Auch den Begriff der varietas verwendet Plinius in stilkritischem Zusammenhang, etwa in Epist. 2,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.7 über die Mannigfaltigkeit einer Rede (7: ita videmur posse confidere, ut universitatem omnibus varietas ipsa commendet) oder in Epist. 4,14Plinius der JüngereEpist. 4.14.3 über abwechslungsreiche Poesie (3: ipsa varietate temptamus efficere, ut alia aliis quaedam fortasse omnibus placeant); zudem ist varietas das die Briefbücher prägende Prinzip der Anordnung von Einzeltexten.52

Nach der Schilderung der Landschaft (4‒13) fokussiert Plinius den Blick auf die nähere Umgebung der Villa bzw. ihre Lage am Fuße eines Hügels mit dem Apennin im Rücken und der Ausrichtung einer langen Portikus nach Süden (14‒15). Bevor Plinius näher auf die Innenräume seiner Villa eingeht – er erwähnt kurz das traditionelle Atrium in der Portikus (15: ex more veterum) –, beschreibt er die vor der Säulenhalle liegende Terrasse (16: xystus) und angrenzende Spazierwege (17: ambulatio…gestatio) mit kunstvollen Bepflanzungen sowie Wiesen und Felder (18) und betont das Wechselspiel zwischen Natur und Kunst in diesem Arrangement (18: non minus natura quam…arte visendum). Sodann wird der Blick auf das Innere der VillaPlinius der JüngereEpist. 5.6 gelenkt, wenn die descriptio der Portikus und ihrer Räume erfolgt (19‒24), zu denen mehrere triclinia, diaetae und cubicula gehören sowie ein Innenhof (areola). Detailliert schildert Plinius die Aussicht aus den einzelnen Zimmern, die mal auf die Landschaft, dann wieder auf architektonische Elemente der Villa gerichtet ist.53 Lefèvre (1977) erkennt in diesen Durch- und Fernblicken Parallelen zur römischen Wandmalerei, wo ebenfalls Perspektiven auf Architektur und Natur konstruiert werden. Im Rahmen seiner Ekphrasis spricht der Epistolograph alle Sinne an, indem er nicht nur das geistige Auge bedient, sondern auch die Wärme bzw. Kühle der Räume imaginiert (20: leni adspergine fovet; 21: diem…excludit; 22: umbrosum; 24: cubiculum…hieme tepidissimum) und akustische Elemente einbaut (21: clamorem, sonum; 23: iucundissimum murmur…strepitu iucundam). Nur einmal werden uns Informationen zur Innenausstattung eines Zimmers geliefert, wenn Plinius ein mit Marmor ausgekleidetes cubiculum beschreibt (22: marmore excultum podio tenus), in dem sich ein Gemälde von Vögeln, die auf Zweigen sitzen, befindet (22: ramos insidentesque ramis aves imitata pictura). Es handelt sich hier um die einzigen Lebewesen, die der Epistolograph im Rahmen seiner Villen-Führung erwähnt, wohlgemerkt um eine Nachahmung (imitata) der Natur; dieses Bild korrespondiert mit der am Anfang der Ekphrasis gepriesenen Landschaft, die ihrerseits als die Imitation eines Gemäldes bezeichnet wird (13: formam…pictam).

Nach der Portikus und ihren Räumlichkeiten folgt eine Ekphrasis der angrenzenden Bade-Anlage mit ihrem hypocauston, apodyterium und verschiedenen Wasserbecken sowie einem sphaeristerium (25‒27). Von dieser Badeanlage zweigt dann eine Kryptoportikus mit weiteren Zimmern ab (27‒28), von denen eines die Villa mit dem Hippodrom verbindet (28). Zwei weitere Kryptoportiken (29‒30) sowie eine Portikus (31) vollenden die Beschreibung der Gebäude, auf die Plinius seine Ausführungen zum Hippodrom folgen lässt (32‒40). Eine Besonderheit dieser Anlage sind die oben schon erwähnten „Inschriften“ aus Buchsbaum, die den Namen des Eigentümers und Gartenkünstlers wiedergeben (35). Zudem verdient eine paradoxe Aussage des Plinius über die kunstvolle Gestaltung des Hippodroms und seine Bepflanzung Aufmerksamkeit (35): et in opere urbanissimo subita velut inlati ruris imitatio. Wenngleich sich die Villa auf dem Land befindet, gilt sie Plinius als opus urbanissimum – die Stadt wird sozusagen aufs Land verpflanzt, das Motiv des rus in urbe54 in sein Gegenteil verkehrt. Die Natur wiederum findet sich keineswegs „ungefiltert“ in diese urbane Anlage integriert, sondern nur in Form einer Nachahmung (ruris imitatio). Überdies lässt sich die Junktur opus urbanissimum – ähnlich wie im Fall der oben diskutierten Begriffe descriptio und varietas – nicht nur auf die Villa, sondern auch auf den von Plinius verfassten Text beziehen, dem hier indirekt die rhetorische Qualität der urbanitas attestiert wird.55 Ähnliches gilt für den Begriff der imitatio, mit dem Plinius nicht nur die Nachahmung der Natur in seinem Garten, sondern auch seine epistolare Ekphrasis meinen dürfte, die – einem Gemälde vergleichbar – die Villenanlage nicht mit Farben, sondern Worten nachzeichnet und sich darüber hinaus mit den Ekphraseis kanonischer Autoren misst.56Plinius der JüngereEpist. 5.6

Hat uns Plinius in Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 geistig nach Etrurien versetzt und durch die Räumlichkeiten seines Anwesens schreiten lassen, führt er uns in Epist. 5,7Plinius der JüngereEpist. 5.7 wieder in seine Heimat Comum, allerdings in einer weitaus weniger anschaulichen Weise als im Brief zuvor. Epist. 5,7 diskutiert die Frage, ob eine Gemeinde – in diesem Fall die Heimatstadt des Plinius – als Erbe eingesetzt werden kann, wie es der verstorbene Saturninus in seinem Testament verfügt hat, und ob die Rechtslage oder der Wille des Verstorbenen höher gewichtet werden soll.57 Der Epistolograph bittet seinen Adressaten Calvisius Rufus, das Problem bei der nächsten Versammlung der Dekurionen in Comum zu erörtern (4).58 Während wir in diesem Brief erfahren, dass sich der Adressat in Comum aufhält, bleibt der Aufenthaltsort des Plinius unerwähnt. Epist. 5,7Plinius der JüngereEpist. 5.7 endet mit einer Rechtfertigung, warum Plinius keinen offiziellen Brief an Calvisius in seiner Funktion als Dekurio schreiben wollte, sondern lieber einen inoffiziellen, in dem er seinen Landsmann dazu zu bewegen versucht, seine Argumente vor der Versammlung vorzutragen (6): nam sermonem vultus, gestus, vox ipsa moderatur; epistula omnibus commendationibus destituta malignitati interpretantium exponitur. Neben Comum als gemeinsamer Heimat von Adressant und Adressat thematisiert der Brief das Problem von Nähe und Distanz: Anders als eine mündliche Rede (sermo), die durch Mimik, Gestik und Stimme begleitet werden könne, entbehre ein Brief dieser Mittel und sei der böswilligen Deutung der Leser ausgeliefert.59 Wird ein Brief ansonsten oft als halber Dialog oder Gespräch auf Distanz charakterisiert,60 führt uns Plinius in diesem Fall die Defizite schriftlicher Kommunikation gegenüber mündlicher vor Augen.

Abgesehen von den Strategien der Raumkonstruktion sind die bisher betrachteten Briefe auch insofern bemerkenswert, als sie mehrere literarische Gattungen „durchdeklinieren“: In Epist. 5,2Plinius der JüngereEpist. 5.2 sind es die epistulae steriles, in 5,3Plinius der JüngereEpist. 5.3 die versiculi parum severi, in 5,5Plinius der JüngereEpist. 5.5 die Historiographie bzw. exitus-Literatur, in 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 die Tradition der Ekphrasis und in 5,7 der Unterschied zwischen Brief und Gespräch bzw. Rede. In Epist. 5,8Plinius der JüngereEpist. 5.8 schließlich erklärt Plinius seinem Adressaten Titinius Capito, warum er sich trotz mehrfacher Aufforderung noch nicht bereit fühle, eine Historie zu schreiben, und vergleicht in diesem Zusammenhang die Historiographie mit der Redekunst.61 Anders als Epist. 5,7 gibt Epist. 5,8 überhaupt keine Hinweise darauf, wo sich die Briefpartner während der Korrespondenz gerade befinden. Auch sonst enthält der Brief kaum räumliche Elemente und konzentriert sich eher auf unterschiedliche Aspekte der Zeit, etwa wenn Plinius auf die häufigen Aufforderungen zur Komposition verweist (1: saepe), die Unsterblichkeit sowohl des Verfassers als auch der im Werk dargestellten Personen vor Augen hält (1: aeternitas; 2: diurnitatis amor…posteritatis memoriam; 7: rationem posteritatis; 11: κτῆμα), vom ständigen Nachdenken über literarischen Ruhm spricht (3: diebus ac noctibus), den älteren Plinius als Vorbild auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung anführt (5: avunculus meus…historias…scripsit), auf seine eigenen Anfänge als Redner im Alter von neunzehn Jahren zurückblickt (8: unodevicensimo aetatis anno), über seine gegenwärtige Rolle als Redner reflektiert (8: nunc demum) und schließlich seinen Adressaten bittet, jetzt schon zu überlegen, mit welcher Epoche sich Plinius in einer Historie befassen könnte (12: iam nunc cogita, quae potissimum tempora adgrediar), damit er keine weiteren Gründe zum Zögern finde (14: cunctationis et morae iusta ratio). Während in diesem BriefPlinius der JüngereEpist. 5.8 also verschiedene Facetten der Zeit dominieren, weist lediglich die Junktur in foro (8) auf einen Raum hin, wobei mit dem Begriff forum wohl eher die Tätigkeit als Redner vor Gericht als das Forum als konkreter Ort gemeint sein dürfte.62 Durch Zitate aus VergilVergilAen. 5.195, wie insbesondere die Aposiopese quamquam o (3),63 evoziert Plinius die Schiffsregatta im fünften Aeneis-Buch und assoziiert dadurch literarisches Streben mit einem sportlichen Agon.64 Die Charakterisierung der Gattung Historiographie in Epist. 5,8 dürfte zudem einen Bezug zu Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 enthalten: Plinius zufolge zeichnet sich die Historiographie gegenüber der Dichtung und Redekunst durch Beliebtheit aus, die unabhängig ist von der literarische Qualität des Werks; dies liege daran, dass die Menschen von Natur aus neugierig seien (4): sunt enim homines natura curiosi et quamlibet nuda rerum cognitione capiuntur, ut qui sermunculis etiam fabellisque ducantur. Derartigen sermunculi und fabellae kann man auch in der Gegend um das tuskische Landgut lauschen, wie Plinius seinem Freund Apollinaris schildert (5,6,6Plinius der JüngereEpist. 5.6: fabulas…sermonesque); die in den beiden Briefen thematisierten kunstlosen Formen mündlichen Erzählens stehen in Kontrast zur eloquentia summa von Rede und Gedicht (5,8,4) und zur Ekphrasis in der Tradition Homers, Vergils und Arats, wie sie in Epist. 5,6 geboten wird.

Wenngleich die räumlichen Aspekte, die im Zentrum des vorliegenden Kapitels stehen sollen, in Epist. 5,8 in den Hintergrund treten, ist der Brief aus narratologischer Sicht dennoch aufschlussreich, da er eine Synkrisis der narrativen Techniken in Rede und Historiographie liefert. Der Text sei hier vollständig zitiert (9‒11):

habet quidem oratio et historia multa communia, sed plura diversa in his ipsis, quae communia videntur. narrat illa, narrat haec, sed aliter: huic pleraque humilia et sordida et ex medio petita, illi omnia recondita, splendida, excelsa conveniunt; hanc saepius ossa, musculi, nervi, illam tori quidam et quasi iubae decent; haec vel maxime vi, amaritudine, instantia, illa tractu et suavitate atque etiam dulcedine placet; postremo alia verba, alius sonus, alia constructio. nam plurimum refert, ut Thucydides ait, κτῆμα sit an ἀγώνισμα: quorum alterum oratio, alterum historia est.

Trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Gerichtsrede und Historiographie im Hinblick auf ihre Erzähltechnik. Über diese Passage hat man in der Forschung viel diskutiert, da nicht ganz klar ist, auf welche der beiden Gattungen die Pronomen haec und illa verweisen. Der Ansatz, haec auf die Rede und illa auf die Historiographie zu beziehen, wurde in jüngerer Zeit von Woodman (2012) mit plausiblen Argumenten gestützt.65 Im Rahmen von drei Kontrastpaaren erläutert Plinius drei Aspekte, in denen sich die beiden Gattungen unterscheiden, wobei es sich hier um die im Fazit (10: postremo) aufgelisteten Kategorien verba, sonus und constructio handeln dürfte. Während sich die Rede durch humilia, sordida und ex medio petita auszeichnet, sind für die HistoriographiePlinius der JüngereEpist. 5.8 recondita, splendita und excelsa angemessen (9) – die hier aufgezählten Adjektive scheinen das jeweilige Vokabular (verba) zu betreffen.66 Beim zweiten Kontrastpaar – ossa, munusculi, nervi auf Seiten der Redekunst, tori und iubae auf Seiten der Historiographie (10) – ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig, worin die Antithese besteht, da ja munusculi und tori mehr oder weniger dasselbe bezeichnen. Woodman hat vorgeschlagen, dass hier das Bild zweier Pferdearten im Hintergrund steht, da Pferde oft als Metaphern für Literatur auftreten; im Fall der Rede sei ein „Schlachtpferd“, bei der Historiographie ein „Paradepferd“ imaginiert, und mit diesem Gegensatz werde die Kategorie sonus abgedeckt, da man sich hier die verschiedenen von Pferden verursachten Geräusche im Kampf oder bei einer Parade vorstellen könne.67 Mann muss sich hier m.E. nicht unbedingt zwei Pferdearten vorstellen, sondern kann auch an einen Krieger denken, dessen Körper bzw. Erscheinungsbild in einer Rede mit Begriffen der Alltagssprache, in der Historiographie hingegen mit hochtrabendem Vokabular geschildert wird. Im Hintergrund dürfte eine Passage bei QuintilianQuintilianInst. 10.1.33 stehen, in der Anleihen an der Historiographie in einer Gerichtsrede diskutiert werden (Inst. 10,1,33):

licet tamen nobis in digressionibus uti vel historico nonnunquam nitore, dum in his, de quibus erit quaestio, meminerimus, non athletarum toris, sed militum lacertis opus esse.68

Während der Redner in Digressionen bisweilen vom nitor historicus Gebrauch machen dürfe, sei dies für die eigentliche Argumentation unpassend. Dem historischen Stil entspricht hier das Bild eines muskulösen Athleten (athletarum toris), während Quintilian für den kämpferischen Ton der Rede das Bild der Soldatenarme wählt (militum lacertis). Bei Plinius verkörpert der zähe Soldat (ossa, musculi, nervi) die Gerichtsrede, der Athlet mit ausgeprägten Muskeln (tori)69 oder der Krieger mit dem Helmbusch (iubae)70 hingegen die Geschichtsschreibung.

Als drittes Kontrastpaar stellt Plinius die für die Rede typische vis, amaritudo und instantia den für die HistoriographiePlinius der JüngereEpist. 5.8 angemessenen Elementen tractus, suavitas und dulcedo gegenüber (10), was sich Woodman zufolge auf die constructio, d.h. Wortfolge und Periodenbau, bezieht.71 Es wäre m.E. auch denkbar, das letzte Kontrastpaar mit dem Bereich des sonus in Verbindung zu bringen – der bittere Ton einer Rede stünde dann im Gegensatz zum angenehmen Klang einer Historie72 – und das vorletzte, in dem von Muskeln, Sehnen und Knochen die Rede ist, mit der constructio im Sinne von „Körperbau“ zu assoziieren.73 Mit den aus ThukydidesThukydides1.22.4’ Methodenkapitel entnommenen Begriffen κτῆμα und ἀγώνισμα, die beim griechischen Historiker zwei verschiedene Formen der Geschichtsschreibung (beständiger Nutzen vs. kurzzeitige Unterhaltung) charakterisieren,74 stellt Plinius Historiographie und Gerichtsrede gegenüber und bezieht κτῆμα auf die Geschichtsschreibung und ἀγώνισμα auf die oratio. Wie es scheint, überspitzt Plinius einerseits im Rahmen seiner Antithese bewusst die Merkmale der jeweiligen Gattung und ignoriert die in der antiken Redekunst und Historiographie zu beobachtende stilistische Bandbreite.75 Andererseits ist in diesem Zusammenhang auffällig, wie unklar sich Plinius bei der Gegenüberstellung der beiden Gattungen ausdrückt und wie viel Raum er für unterschiedliche Interpretationen lässt. Man hat bei der Lektüre das Gefühl, dass der Epistolograph die Grenzen zwischen den beiden Genres absichtlich verschwimmen lässt, zumal er ja auch mit seinen Reden etwas Dauerhaftes zu schaffen beabsichtigt, indem er sie überarbeitet und damit von einem ἀγώνισμα in ein κτῆμα zu verwandeln sucht (6: egi magnas et graves causas; has…destino retractare, ne tantus ille labor meus…mecum pariter intercidat). Auch sei auf Epist. 5,5Plinius der JüngereEpist. 5.5 verwiesen, wo Plinius die von Fannius komponierten Bücher über Neros Opfer als inter sermonem historiamque medios charakterisiert (3). Überhaupt stellt sich die Frage, ob Plinius jemals ernsthaft eine Historie schreiben wollte oder nicht vielmehr mit seiner Briefsammlung bereits ein alternatives Projekt liefert.76Plinius der JüngereEpist. 5.8

Mehrere der Aspekte, über die PliniusPlinius der JüngereEpist. 5.8 in Epist. 5,8 theoretisch reflektiert, finden sich in der narrativen Epist. 5,9Plinius der JüngereEpist. 5.9 wieder. Schauplatz der Handlung ist die Basilika Julia in Rom, wohin Plinius gegangen war, um sich die Reden seiner Gegner anzuhören, denen er beim nächsten Gerichtstermin (1: proxima comperendinatione) antworten sollte. Der Brief bildet somit eine kleine „Gerichts-Historie“ und ist zudem, wie in einem anderen Kapitel noch genauer ausgeführt werden soll, Teil eines juristischen „Briefromans“, der sich um den strengen Prätor Licinius Nepos dreht.77 Plinius beschreibt in Epist. 5,9 das Warten der Richter, decemviri und Advokaten in der Basilika Julia, bis ein Bote vom Prätor kommt und verkündet, dass der Prozess aufgeschoben wird (2). Das Motiv des Aufschubs bzw. der Verzögerung verbindet Epist. 5,9 mit 5,8, denn im vorherigen Brief warnt Plinius seinen Adressaten, dass er mit der Komposition einer Historie abermals zögern könnte (5,8,14: cunctationis et morae iusta ratio), und in Epist. 5,9 freut er sich als handelnde Figur über die Vertagung des Prozesses (2: numquam ita paratus…ut non mora laeter). Wie Plinius in Epist. 5,9 weiter berichtet, war ein Edikt des Prätors Nepos Grund für die Verschiebung (3‒5), und in der ganzen Stadt (6: tota civitate) sei daraufhin eifrig über dieses Edikt kontrovers diskutiert worden (6: carpitur, laudatur; 7: tales ubique sermones). Mit diesen sermones, die Plinius teilweise in direkter Rede wiedergibt,78 wird das in den vorhergehenden Briefen variierte Motiv der mündlichen Gespräche (Epist. 5,8,4: sermunculis…fabellisque; 5,7,6: sermonem; 5,6,6: fabulas…sermonesque; 5,5,3: inter sermonem historiamque und 5,3,1: multum copiosumque sermonem) aufgegriffen und weitergeführt.

Über das Motiv des Aufschubs wiederum sind Epist. 5,8‒10 miteinander verkettet, denn in 5,10Plinius der JüngereEpist. 5.10 fordert Plinius Sueton dazu auf, endlich seine scripta zu veröffentlichen (2: tu tamen meam quoque cunctationem tarditatemque vicisti).79 Weder der Adressant noch der Adressat werden in diesem Brief räumlich näher verortet, lediglich der Wunsch des Plinius, dass Suetons Schriften verbreitet werden mögen, impliziert eine räumliche Dimension (3: audire describi legi venire volumina). Im Unterschied dazu imaginiert Epist. 5,11Plinius der JüngereEpist. 5.11 wieder einen konkreten Raum, wenn Plinius seinen Schwiegergroßvater Calpurnius Fabatus dafür preist, dass er in Comum (2: patria nostra) in seinem Namen und in dem seines verstorbenen Sohnes eine Säulenhalle eingeweiht und Geld für die Verschönerung der Stadtportale80 versprochen habe (1: te porticum…dedicasse…in portarum ornatum pecuniam promisisse).81 Während der Raum des Adressaten und der Erzählung konkretisiert wird, bleibt der Aufenthaltsort des Briefschreibers unerwähnt. Ziel der Stiftung in Comum ist nicht nur, den Euergetismus des Fabatus öffentlich zur Schau zu stellen – die porticus und portae dienen demnach der Charakterisierung des Stifters – sondern auch das Andenken an den verstorbenen Sohn bzw. Schwiegervater des Plinius zu festigen (2: memoriam soceri mei…proferri). Epist. 5,11 ist sowohl über den Ort Comum als auch das Motiv der liberalitas mit Epist. 5,7 verknüpft, wo Plinius – allerdings eher beiläufig – seine eigene Großzügigkeit gegenüber der Heimat erwähnt, dieses Selbstlob jedoch versteckt, indem er ein juristisches Problem zum zentralen Thema des Briefes macht. So erfahren wir mehr oder weniger nebenher, dass Plinius seiner Heimatstadt bereits 1600000 Sesterze habe zukommen lassen (5,7,3: sestertium sedeciens).82

Anders als Epist. 5,11 ist der folgende Brief 5,12Plinius der JüngereEpist. 5.12 nahezu „raumlos“: Plinius berichtet hier von einer Rezitation, zu der er einige Freunde eingeladen hat – diesmal sind es nicht Gedichte, wie in Epist. 5,3Plinius der JüngereEpist. 5.3, sondern eine nicht näher identifizierte oratiuncula (1).83 Weder erfahren wir, wo sich die beiden Briefpartner gerade befinden, noch, wo diese Rezitation stattgefunden hat – möglicherweise soll man sich wie in Epist. 5,3,11 das private cubiculum als Schauplatz vorstellen. Im Gegensatz zu Epist. 5,12 ist die Handlung des nächsten BriefesPlinius der JüngereEpist. 5.13 wieder eindeutig im römischen Senat (2: in senatu) verortet, wenn Plinius eine Fortsetzung von Epist. 5,4Plinius der JüngereEpist. 5.4 liefert und vom Fall der Vicetiner und ihrem Anwalt Nominatus erzählt.84 Nominatus, der von seinen Klienten Geld für den Rechtsbeistand angenommen, sie dann aber im Stich gelassen hatte, wurde auf Befehl des Prätors Nepos in den Senat geführt (1: inductus) und hielt dort eine Verteidigungsrede, in der er sein Verhalten rechtfertigte – insbesondere die sermones amicorum hätten ihn davor abgeschreckt, weiter gegen einen Senator vorzugehen, dem es nicht nur um die Abhaltung eines Wochenmarktes in Vicetia, sondern um Einfluss, Ruf und Ansehen ging (2). Wie auch aus dieser Stelle deutlich wird, bietet Buch 5 eine Palette an sermones unterschiedlicher Ausprägung (Gespräche, Erzählungen, Reden, Gerede), die verschiedene Reaktionen nach sich ziehen. Ähnlich einer Bühnenfigur verließ Nominatus nach seiner Rede den Saal unter mäßigem Beifall und weiteren Bitten und Tränen (3: erat sane prius, a paucis tamen, acclamatum exeunti. subiunxit preces multumque lacrimarum), woraufhin es im Senat zur Abstimmung und zum Freispruch kam (4‒7).

Nachdem in Epist. 5,13 Rom als Ort des Erzählers und der Erzählung im Zentrum stand, führt uns Epist. 5,14Plinius der JüngereEpist. 5.14 wieder nach Comum, wo sich Plinius für einen kurzen Urlaub im secessus befindet (1: secesseram in municipium; 9: includor angustiis commeatus) und von der Ernennung des Cornutus Tertullus zum curator Aemiliae viae erfahren hat.85 Den Hauptteil des Briefes bildet ein Lob auf Tertullus, mit dem Plinius eine lange Freundschaft verbindet (2‒6). Der Epistolograph ruft sich nach dieser laudatio selbst zur Ordnung, um seinen Brief nicht übermäßig auszudehnen (7: in infinitum epistulam extendam, si gaudio meo indulgeam), und kommt wieder auf die Einleitung zurück, indem er die Situation näher schildert, in der er von Tertullus’ Beförderung erfahren hat: In Begleitung seines Schwiegergroßvaters, der Tante seiner Frau und einigen Freunden habe er sich der Inspektion der Ländereien gewidmet (8: circumibam agellos), sich die Klagen der Bauern angehört, Rechnungen durchgesehen und schon seine Rückreise vorbereitet (8: coeperam etiam itineri me praeparare). Am Ende des Briefs erfahren wir, dass sich der Adressat Pontius Allifanus86 gerade in Kampanien befindet, wenn sich Plinius wünscht, dass die beiden zur gleichen Zeit in Rom eintreffen mögen (9: cupio te quoque sub idem tempus Campania tua remittat…cum in urbem rediero).

Im Gegensatz zu anderen secessus ist der in Epist. 5,14Plinius der JüngereEpist. 5.14 geschilderte nicht von literarischen Aktivitäten geprägt, sondern der Lektüre von pragmatischen Schriftstücken wie Rechnungsbüchern gewidmet (8: rationes legebam invitus et cursim – aliis enim chartis, aliis sum litteris initiatus). Einen auffälligen Kontrast zu dieser Tätigkeit bildet der Brief 5,15Plinius der JüngereEpist. 5.15, in dem sich Plinius zu seiner aemulatio mit den griechischen Epigrammen des Arrius Antoninus bekennt.87 Seinen Wetteifer mit diesen Gedichten vergleicht Plinius mit dem erfolglosen Versuch eines Malers, ein schönes und perfektes Gesicht angemessen wiederzugeben und verweist so auf die Kunst des Porträtierens (1: ut enim pictores pulchram absolutamque faciem raro nisi in peius effingunt). Da in Buch 5 ansonsten nur in Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 die Rede von Malerei ist – dort ahmt die Landschaft ein schönes Gemälde nach (13) und ein Wandgemälde imitiert die Natur (22) –, wird dem Leser nahegelegt, einen Zusammenhang zwischen künstlerischer, ekphrastischer und poetischer imitatio herzustellen. Eine Verbindung besteht auch zu Epist. 5,16Plinius der JüngereEpist. 5.16, wo es um eine andere Form der Nachahmung geht: Plinius betrauert in diesem Brief die mors immatura der Tochter des Minicius Fundanus88 und bedient hier den Topos der Hochzeit, die sich in ein Begräbnis umwandelt.89 Im Rahmen seiner laudatio auf das Mädchen (2‒5) bietet Plinius eine bewegte descriptio des Charakters, in dem sich die Würde einer reifen Frau mit mädchenhafter Anmut vereinigten (3): ut illa patris cervicibus inhaerebat! ut nos amicos paternos amanter et modeste complectebatur!…quam studiose, quam intellegenter lectitabat! ut parce custoditeque ludebat! Es wurde bereits beobachtet, dass diese Schilderung CatullsCatullc. 3 passer-Gedicht c. 3 evoziert, bei dem es sich ebenfalls um eine Art Nachruf handelt.90 Der Tod ereilte die Tochter des Fundanus offenbar im Haus ihres Vaters, wo sie bis zuletzt tapfer gegen eine Krankheit ankämpfte, den Anweisungen der Ärzte folgte und sogar noch den Vater und die Schwester ermutigte (3‒5). Am Ende des Briefes bemerkt Plinius, dass das Mädchen seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war (9): non minus mores eius quam os vultumque referebat totumque patrem mira similitudine exscripserat. Während ein Künstler beim Abzeichnen oder Abmalen eines Gesichts die angestrebte Ähnlichkeit oft nicht zustande bringt, wird mira similitudo durch natürliche Reproduktion und moralisches Bemühen geschaffen.91

Der Trauer über den Tod in Epist. 5,16Plinius der JüngereEpist. 5.16 (1: tristissimus) steht in Epist. 5,17Plinius der JüngereEpist. 5.17 an Vestricius Spurinna92 Freude über literarische Leistungen der Lebendigen gegenüber (1: quantum gaudium). Kompositionsdatum und dramatisches Datum des Briefes fallen auf denselben Tag (1: hodierno die), an dem Plinius im Auditorium des Dichters Calpurnius Piso weilte, als dieser ein elegisches Gedicht mit dem Titel Περὶ τῶν καταστερισμῶν („Verstirnungen“)93 vortrug. Das Spektrum der literarischen Gattungen, über die Plinius in Buch 5 bislang reflektiert hat (Briefe, Epigramme, Ekphrasis, Reden, Historiographie), wird hier um die Elegie erweitert. Wo diese Rezitation stattfand, wird nicht ausdrücklich erwähnt – man soll sich vermutlich das Haus des Calpurnius Piso als Ort der Vorlesung vorstellen, denn am Ende des Briefes wünscht sich Plinius, dass die Adeligen in ihren Häusern mehr schöne Dinge haben mögen als ihre berühmten Vorfahren (imagines), womit er insbesondere literarisch talentierte Nachfahren meint (6: cupio, ne nobiles nostri nihil in domibus suis pulchrum nisi imagines habeant).94 Nach der Schilderung in Epist. 3,1Plinius der JüngereEpist. 3.1, wie Vestricius Spurinna sein Alters-otium in seiner Villa verbringt, soll man ihn vielleicht auch in Epist. 5,17 dort verorten, wobei uns nirgendwo im Briefkorpus Hinweise auf die Lage seines Anwesens gegeben werden. Eine auffällige Parallele zum Titel „Verstirnungen“ des in Epist. 5,17 gerühmten Werks bildet der Hinweis in Epist. 3,1, dass Spurinnas Tagesroutine in ihrer geregelten Abfolge dem Lauf der Gestirne gleiche (2: ut certus siderum cursus). Die Ekphrasis der Tagesroutine Spurinnas in Epist. 3,1 entspricht als literarisches Projekt somit dem in Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6.43 genannten Werk des Arat über die Gestirne (43: vides, ut Aratus minutissima etiam sidera consectetur et colligat).95 Wie die Phainomena des Arat, so ist auch Epist. 3,1 nicht nur excursus, sondern opus ipsum (vgl. 5,6,43), und ähnliches dürfte für das Gedicht des Calpurnius Piso gelten. Neben dem in Epist. 5,17 imaginierten Himmelsraum liefert Plinius auch eine descriptio personae, wenn er Stimme und Haltung des jungen Dichters bei seinem Vortrag schildert (3): commendabat haec voce suavissima, vocem verecundia: multum sanguinis, multum sollicitudinis in ore, magna ornamenta recitantis. Calpurnius Piso zeichnete sich nicht nur durch seine angenehme Stimme und zurückhaltende Vortragsweise aus, sondern auch die Röte und Aufregung in seinem Gesicht.96 Es wird deutlich, dass Plinius in der Briefserie 5,15‒18 das Motiv der descriptio oris bzw. faciei variiert, indem er zuerst ein von einem Künstler gemaltes Gesicht (5,15,1) imaginiert und dann die von der Natur bewirkte Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter herausstreicht (5,16,9), bevor er in Epist. 5,17Plinius der JüngereEpist. 5.17 selbst eine descriptio oris liefert.Plinius der JüngereEpist. 5.17

Vom auditorium einer Rezitation versetzt uns Plinius in Epist. 5,18Plinius der JüngereEpist. 5.18 zunächst in das nicht näher lokalisierte Landgut des Calpurnius Macer,97 der zusammen mit Frau und Sohn die Annehmlichkeiten seiner villa amoenissima genießt, zu denen Meer, Quellen, Gärten und Felder gehören (1: frueris mari, fontibus, viridibus, agro, villa amoenissima). Plinius selbst befindet sich in Tuscis (2) und ist mal abwechselnd, mal gleichzeitig mit Studien und Jagd beschäftigt.98 Innerhalb des fünften Buches ist dies der zweite Brief, in dem Plinius sich auf seinem tuskischen Landgut verortet, und die Kürze dieses Schreibens steht in auffälligem Kontrast zum Umfang der Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6. Zudem bildet Epist. 5,18 das Gegenstück zu Epist. 5,2Plinius der JüngereEpist. 5.2, wo wir Plinius auf seinem Laurentinum begegnen. Mit dem in Epist. 5,18 entworfenen Bild der Erholung kontrastiert Epist. 5,19Plinius der JüngereEpist. 5.19, wo Plinius seiner Sorge um den erkrankten libertus Zosimus Ausdruck verleiht, ein Brief, der in der Forschung insbesondere als Quelle für die humanitas des Plinius gegenüber Sklaven und Freigelassenen Aufmerksamkeit erregte.99 Plinius beschreibt Zosimus als hochgebildeten Mann, der sozusagen als sein „Etikett“ die Kunstfertigkeit des Schauspielers beherrsche (3: et ars quidem eius et quasi inscriptio comoedus). Zosimus verstehe sich insbesondere auf das Vortragen (3: pronuntiat acriter, sapienter, apte decenter), spiele auch ausnehmend gut Zither und könne sowohl Reden, Geschichtswerke als auch Poesie äußerst geschickt vorlesen. Innerhalb von Buch 5 bildet der libertus somit das Gegenstück zu Calpurnius Piso, dessen Vortrag Plinius in Epist. 5,17,2‒3Plinius der JüngereEpist. 5.17.2‒3 beschreibt, sowie zu Plinius selbst, der seine Gedichte rezitiert (Epist. 5,3)Plinius der JüngereEpist. 5.3.100 Nach der Charakterisierung des Zosimus kommt Plinius auf das eigentliche Problem, die Krankheit, zu sprechen: Bereits vor einigen Jahren (6: ante aliquot annos) habe Zosimus sich bei einem Vortrag sehr verausgabt und Blut gespuckt, weswegen Plinius ihn für längere Zeit nach Ägypten schickte, von wo er kürzlich gut erholt zurückgekehrt sei (6: confirmatus rediit nuper). Nachdem er jedoch abermals mehrere Tage seine Stimme überanstrengte, habe er einen Rückfall erlitten und wieder Blut ausgeworfen (6: rursus sanguinem reddidit).101 Anstelle seinen Freigelassenen erneut nach Ägypten zu schicken, will Plinius ihn nun nach Forum Iulii in der Gallia Narbonensis senden, wo sein Adressat Valerius Paulinus102 ein Landgut besitzt (7: qua ex causa destinavi eum mittere in praedia tua, quae Foro Iulii possides). Häufig nämlich habe Plinius von Valerius Paulinus gehört, dass die Luft dort besonders gesund und die Milch für die Behandlung besonders geeignet sei (7: audivi enim te saepe referentem esse ibi et aera salubrem et lac eius modi curationibus accommodatissimum).103 Die mündlichen Erzählungen des Paulinus über die Vorteile seines Anwesens entsprechen der schriftlichen Beschreibung, die Plinius seinem Freund Apollinaris über seine Villa in Etrurien liefert (5,6,2Plinius der JüngereEpist. 5.6.2: saluberrimo montium subiacent). Offenbar befindet sich Paulinus während der Korrespondenz selbst nicht in Forum Iulii, da Plinius ihn bittet, seinen Leuten zu schreiben, damit sie vor Ort die nötigen Vorkehrungen treffen (8: rogo enim scribas tuis). Plinius schließt den Brief mit der Ankündigung, dass er Zosimus mit so viel Reisegeld (9: tantum viatici) ausstatten werde, wie es für die Fahrt nach Forum Iulii nötig sei.104

Mit den in Epist. 5,19Plinius der JüngereEpist. 5.19 kombinierten Bildern von Krankheit und Reise rückt das Ende des Buches in die Nähe, und zusammen mit dem Thema des Todes finden sich die beiden closure-Motive vereint in Epist. 5,21Plinius der JüngereEpist. 5.21, dem letzten Brief des Buches.105 Doch vor dem Ende kommt es noch einmal zu einem Anfang, wenn Plinius mit Epist. 5,20Plinius der JüngereEpist. 5.20 den „Briefroman“ über den Prozess der Provinz Bithynien gegen den Prokonsul Rufus Varenus eröffnet.106 Wurden wir in Epist. 5,19Plinius der JüngereEpist. 5.19 gedanklich nach Ägypten und Forum Iulii versetzt, so finden wir uns in Epist. 5,20Plinius der JüngereEpist. 5.20 im römischen Senat, wo Plinius als Anwalt des Varenus gegen die Bithynier auftritt. Der Fall des Varenus bildet in der Briefsammlung eine der magnae et graves causae, derer sich Plinius in Epist. 5,8,6Plinius der JüngereEpist. 5.8.6 rühmt, und die für Varenus gehaltene Rede will Plinius publizieren (5,20,2: liber indicabit). In diesem Zusammenhang kommt es wieder einmal zur Gegenüberstellung von einer Rede, die vor Gericht gehalten wird, und der Lektüre einer verschriftlichten oratio (5,20,3). Vor Gericht werde der Erfolg einer Rede durch Faktoren wie fortuna, memoria, vox, gestus, tempus und amor bzw. odium rei beeinflusst, was auf eine publizierte Rede nicht zutreffe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit kontrastiert Plinius auch am Ende seines Briefes, wo er der inhaltsleeren Geschwätzigkeit seines Gegenanwalts (4‒5: respondit…plurimis verbis, paucissimis rebus…aliud esse eloquentiam, aliud loquentiam) die loquacitas seines Briefes gegenüberstellt (8), der die Neugierde des Adressaten auf die Rede zu mindern droht.

Aus dem letzten Brief des fünften Buches (5,21)Plinius der JüngereEpist. 5.21 geht hervor, dass sich der Adressat Pompeius Saturninus in Rom befindet (1: te in urbe teneri), während Plinius an einem nicht näher konkretisierten Ort außerhalb weilt107 und bereits in der Haupstadt erwartet wird, wo Saturninus anlässlich seiner Rückkehr eine Rezitation veranstalten will (1: quod recitaturum, statim ut venissem, pollicebantur; ago gratias, quod exspector).108 Tatsächlich begegnen wir in Epist. 6,1Plinius der JüngereEpist. 6.1 einem Plinius, der inzwischen in Rom eingetroffen ist (1: ego in urbe) und dort seinen Freund Calestrius Tiro vermisst.109 Der Übergang zwischen den Büchern 5 und 6 erinnert dadurch an eine literarische Technik, wie sie etwa Ovid in mehreren Metamorphosen-Büchern anwendet, wenn er am Ende eines Buches von einer Reise erzählt, die am Beginn des folgenden Buches vollendet wird.110 Abgesehen von der für Plinius erfreulichen Nachricht, dass sich sein Adressat in Rom aufhält, beinhaltete der Brief des Saturninus auch traurige Mitteilungen, wie diejenige von der Krankheit des Iulius Valens (2)111 sowie vom Tod des Iulius Avitus (3).112 Ähnlich wie in Epist. 5,16Plinius der JüngereEpist. 5.16 handelt es sich auch bei Avitus um eine mors immatura, die den jungen Mann als Quästor während der Rückreise aus der Provinz ereilte (3: decessit, dum ex quaestura redit, decessit in nave, procul a fratre amantissimo, procul a matre, a sororibus).113 Diese kurze Narration vom Tod des Avitus ist stilistisch ausgefeilt durch die Anapher von decessit sowie procul und der Präposition ab, was dem Satz einiges an Pathos verleiht. Während die junge Tochter des Fundanus zuhause starb und noch während ihrer schweren Krankheit dem Vater und der Schwester Trost spendete und sie ermutigte (5,16,3‒5), ist das Schiff fernab von Heimat und Familie der Schauplatz für den Tod des Iulius Avitus.114 Aus welcher Provinz er zurückkehrte, verrät uns Plinius nicht – wie in vielen anderen Briefen interessiert sich Plinius weniger für die räumlichen Aspekte als vielmehr für die Charaktereigenschaften der dargestellten Personen: So erfahren wir einiges über die vielversprechenden Anlagen des jungen Mannes, dessen Vorzüge – zu denen die Liebe zur Literatur zählte – durch den Tod zusammen mit ihm dahingerafft wurden (4‒5). Besonders tragisch ist es für Plinius, dass all die Talente des Avitus sine fructu posteritatis (5) dahingegangen sind, er also offenbar trotz seiner literarischen Studien nichts Schriftliches hinterlassen hatte.115 Das Ende des BriefesPlinius der JüngereEpist. 5.21 und zugleich des fünften Buches ist deutlich markiert, wenn sich uns Plinius als jemand präsentiert, der seine Trauer und seine Tränen zu zügeln versucht (6): finem epistulae faciam, ut facere possim etiam lacrimis, quas epistula expressit.116 Mit dem Ende des Briefes soll auch das Ende der Tränen einhergehen, wobei man das Verb expressit hier in doppeltem Sinn verstehen kann: Einerseits hat der Brief dem Verfasser die Tränen117 abgerungen, andererseits macht der Brief durch Worte und Ausdruck die Tränen für den Adressaten anschaulich bzw. bildet sie sozusagen sprachlich nach.118 Im Kontrast zur Geschwätzigkeit des vorhergehenden Briefes 5,20Plinius der JüngereEpist. 5.20 steht somit in Epist. 5,21 die Vorstellung, dass durch sprachliche Mittel das für den Adressaten nicht sichtbare physische Phänomen der Tränen nachgezeichnet wird.Plinius der JüngereEpist. 5.21

Im Rahmen einer linearen Lektüre des fünften Buches wurden die Strategien der Raumkonstruktion aus narratologischer Perspektive analysiert. Neben den Aufenthaltsorten der Briefpartner während der Korrespondenz wurden auch Räume als Schauplätze von Handlungen und Ereignissen sowie als Gegenstand von Beschreibungen in den Blick genommen. Zudem konstruiert Plinius in seinen Briefen Räumlichkeit auch durch die Darstellung verschiedener Objekte oder körperlicher Aspekte sowie visueller und akustischer Phänomene. Es hat sich dabei herausgestellt, dass seine Angaben zumeist sehr selektiv sind, was sogar auf die Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 zutrifft, die alles andere als das Ziel einer vollständigen Beschreibung des Anwesens verfolgt. Sowohl in Hinblick auf den Ort, an dem sich die Briefpartner während der Kommunikation jeweils befinden, als auch auf die Schauplätze von Handlungen und Ereignissen, über die Plinius berichtet, muss der Leser oft selbst die räumlichen Details ergänzen, während Plinius nur kurze Hinweise gibt. Nach der Betrachtung der Raumkonstruktion soll sich das nächste Kapitel mit den Personen befassen, die uns im Briefkorpus begegnen und sozusagen das epistolare Figurenarsenal bilden.

Epistolare Narrationen

Подняться наверх