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CHRISTIAN KERN

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Ich habe es zwei Mal probiert, aber richtig gut fand ich es nie, das Schwanger-Sein. Ich hatte fürchterliche Stimmungsschwankungen, nach kürzester Zeit Sodbrennen, und den berühmten Glow habe ich beim Blick in den Spiegel auch nie gefunden. Ein Kind zu kriegen, hatte ich mir definitiv besser vorgestellt. Schließlich wird einem überall vermittelt, dass die Schwangerschaft „die schönste Zeit im Leben einer Frau ist“. Vielleicht empfinden es manche tatsächlich als schön, ständig Kommentare zur Größe des Bauches zu bekommen, mehrmals am Tag gefragt zu werden, wann das Baby denn kommt und ob es ein Bub oder ein Mädchen wird. Mich hat das meistens genervt. Ich frage Menschen, die zugenommen haben, ja auch nicht, ob da ein Sixpack Bier oder eine Schwarzwälder Kirschtorte drin ist. Für schwangere Frauen gilt aber offenbar ein anderer Maßstab, wenn es um die Überschreitung persönlicher Grenzen geht. Oder ist es allgemein üblich, dass Kolleg*innen einem ungefragt den Bauch küssen und Fremde beim Wandern einfach so – „Oh, wie schön! Darf ich mal?“ – draufgreifen? Als Schwangere wird man plötzlich zu einer Art Allgemeingut und nicht mehr als Frau, sondern vor allem als schwanger gesehen. Besonders im beruflichen Kontext empfand ich das als äußerst unangenehm. Und so war ich bei meiner letzten offiziellen Begegnung mit Christian Kern im Jahr 2016 fast froh, dass er nicht meine Schwangerschaft, sondern mein Outfit thematisiert hat.

Der heute 54-Jährige war damals noch Bundeskanzler und sprach bei einer Podiumsdiskussion mit führenden Europapolitikern über die Zukunft der Europäischen Union. Ich war zu dem Zeitpunkt hochschwanger und führte als Moderatorin etwas atemlos durch das Gespräch. Denn das Baby im Bauch boxte an dem Tag besonders stark gegen mein Zwerchfell, und das lange Sitzen machte mir zu schaffen. Als wir fertig waren, schüttelte Kern mir die Hand und meinte: „Cooles Outfit.“ Ich trug ein graues Shirt, eine dunkelblaue Stoffhose, blau-weinrot karierte Socken und dazu weinrote Schnürschuhe. Ich weiß es noch so genau, weil mich die Aussage einerseits gefreut, andererseits aber auch irritiert hat. Hätte er das auch zu mir gesagt, wenn ich ein Mann gewesen wäre? Hätte er in dem Fall nicht vielmehr meine fachlichen Qualitäten beurteilt? War das ein klassischer Fall von: Frauen werden ständig auf ihr Äußeres reduziert? Oder können sich Frauen und Männer nicht auch einfach über Mode unterhalten, ohne dass gleich irgendeine Form von Sexismus dahintersteckt? „Jetzt darf man Frauen nicht einmal mehr ein Kompliment machen“, werden einige vielleicht sagen. Natürlich darf man das. Sehr gerne sogar. Aber ebenso darf man sich bewusst machen, dass Frauen und Männer, vor allem in beruflichen Kontexten, mit unterschiedlichem Maß gemessen werden. Dass Männer vorrangig nach ihrer Kompetenz und Frauen nach ihrem Äußeren beurteilt werden. Das darf man durchaus hinterfragen und darüber diskutieren. Und genau deshalb habe ich Christian Kern, vier Jahre nach unserem Zusammentreffen im Haus der Europäischen Union, zu einem „Frauenfragen“-Gespräch eingeladen.

Wir sitzen also wieder nebeneinander und ich habe, natürlich absichtlich, fast das Gleiche an wie damals. Während sich Kerns Labradorhündin Samy unter den Tisch verkriecht, frage ich ihn, ob ihm mein Outfit immer noch gefällt. „Auf jeden Fall. Das ist sehr gelungen. Aber das war damals gar nicht so gemeint, wie es jetzt vielleicht bei dir rüberkommt“, erklärt der ehemalige Bundeskanzler. „Das war wirklich ein sachliches, interessiertes Kompliment bzw. mehr eine Einschätzung. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, das zu einem Mann zu sagen. Nur ist bei Männern oft das Bewusstsein für Mode nicht so vorhanden.“

Das Bewusstsein für Mode ist bei Christian Kern, der 2018 aus der Politik ausgeschieden ist und heute wieder in der Privatwirtschaft arbeitet, auf jeden Fall vorhanden. Bei unserem Treffen trägt er ein legeres Business-Outfit: Bluejeans, weißes Hemd und khakifarbenes Sakko, und auch sonst ist er stets gut gekleidet. Während seiner Zeit in der Politik fiel er optisch durch seine engen, gut sitzenden Anzüge auf, die ihm die Bezeichnung „Slim-Fit-Kanzler“ einbrachten. Die satirische Onlinezeitung „Die Tagespresse“ widmete Kerns körperbetontem Kleidungsstil sogar einen ganzen Artikel. „Das war knapp! Bundeskanzler Christian Kern musste heute Früh von einem Notarzt aus einem zu engen Designer-Anzug geschnitten werden“, war da etwa zu lesen.3 Kein österreichischer Politiker wurde je so auf sein Äußeres reduziert wie Kern. Altkanzler Wolfgang Schüssel fiel zwar auch mit seinen bunten Mascherln auf, doch der Einheitsbrei aus dunklen Anzügen und Krawatten war damals in den Medien nie wirklich Thema. Erst seit einigen Jahren werden Anzüge, Uhren und Socken von Politikern kommentiert und bewertet. Christian Kern hat sicher seinen Teil dazu beigetragen. „Ich muss gestehen, ein bisschen habe ich es schon nervig gefunden. Denn nur weil du nicht bei jedem Schweinsbraten am Wegesrand schwach wirst, heißt das ja noch lange nicht, dass du nur noch darauf zurückgeführt werden musst“, sagt der gebürtige Wiener, als ich ihn frage, wie er den Fokus auf sein Äußeres empfunden hat.

Für Frauen ist das, was Kern in seiner knapp zweijährigen Polit-Karriere widerfahren ist, Alltag. Während sich Politiker vor allem gegen ihre Konkurrenten durchsetzen müssen, sind Politikerinnen zusätzlich noch mit abwertenden Zuschreibungen und Objektivierungen konfrontiert – im Parlament genauso wie auf Social Media und in klassischen Medien. So wurde zum Beispiel die Europaabgeordnete der Neos Claudia Gamon als „Miss Neos“4 und „Schöne Claudia“ bezeichnet, die erste österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner wurde abfällig „Chanel-Pupperl“5genannt, und als Brigitte Bierlein 2019 Übergangskanzlerin wurde, dauerte es keine 24 Stunden, bis Zeitungen ihre Kleidungswahl kommentierten. „Das ist wahrscheinlich wirklich so ein Geschlechterstereotyp“, meint Kern dazu. „Wenn mir meine Ehefrau ein Kompliment macht, bin ich glücklich darüber, aber sonst tue ich mir schwer, damit umzugehen. Als Mann bist du es einfach nicht so gewohnt, in dieser Kategorie gemessen zu werden.“ Gut, als Mann ist man vieles nicht so gewohnt. Zum Beispiel auch nicht, dass man aufgrund seines guten Aussehens im Berufsleben als weniger kompetent wahrgenommen wird. Kern hat das in seiner bisherigen Karriere jedenfalls noch nicht erlebt, wie er sagt – weder in der Politik noch in der Wirtschaft, wo er zuerst im Vorstand der Verbund AG6 und danach als Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahnen tätig war. „Ich denke aber, es ist im Gegenteil schon hilfreich, gut auszusehen. Attraktive Menschen werden, so unfair das ist, a prima vista als sympathischer wahrgenommen“, meint er. Bereits 1972 prägten amerikanische Wissenschaftler den Satz „What is beautiful is good“, der bis heute zu gelten scheint. Auch aktuellere Studien belegen, dass schönen Menschen positive Charaktereigenschaften zugeschrieben werden. Allerdings trifft das nicht auf alle Lebensbereiche und auch nicht auf beide Geschlechter gleichermaßen zu. Erst kürzlich hat mir mein Mann, der in der IT-Branche tätig ist, einen Erfahrungsbericht geliefert, der das bestätigt. Seine Kollegin, eine große, schlanke, blonde und sehr kompetente Technikerin, hat, wie er sagt, immer wieder Probleme, von den größtenteils männlichen Kunden ernst genommen zu werden. Blöde und anzügliche Bemerkungen stünden regelmäßig auf der Tagesordnung. Das Vorurteil, eine Frau könne nicht gleichzeitig schön und intelligent sein, geistert also noch immer durch diverse Großraumbüros, auch in der prinzipiell aufgeschlossenen und, was Geschlechtergerechtigkeit betrifft, recht fortschrittlichen IT-Welt.

„Also, bei mir ist das sicherlich nicht so“, sagt Kern, fast so, als hätte ich ihm mit meiner Anekdote etwas unterstellen wollen. „Ich mache mir bei meinen Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen keine Gedanken darüber, ob sie gut ausschauen oder nicht.“ Mag sein. Die Mehrheit der Personalchef*innen tut das jedoch schon, vor allem, wenn es um die Besetzung von Spitzenpositionen geht. Das haben Wissenschaftler der Yale University bereits Ende der 1970er-Jahre nachgewiesen, und auch eine Studie aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass Schönheit für Geschäftsfrauen eher ein Nachteil ist.7 Offenbar liegt das daran, dass Führungspositionen eher mit „männlichen“ Eigenschaften assoziiert werden und attraktive, also besonders weibliche Frauen, für diese Jobs deshalb unpassender erscheinen. Die Konsequenz? Frauen, die Karriere machen wollen, sollten sich so unattraktiv und maskulin wie möglich geben, meinen die Wissenschaftler. Auch wenn diese Empfehlung auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist sie meiner Meinung nach viel zu kurz gedacht. Denn warum müssen sich Frauen an die Gegebenheiten eines männlich dominierten Wirtschaftssystems anpassen? Warum denken wir nicht stattdessen darüber nach, wie wir die Vorurteile, Codes und Verhaltensvorschriften, die in der Geschäftswelt vorherrschen, aufbrechen und verändern könnten? Ich bin mir sicher, dass auch Männer davon profitieren würden. „Ein gutes Mittel gegen all diese Ungerechtigkeiten sind Quoten“, meint Kern. „Aber neben Frauenquoten in allen Lebensbereichen wäre es genauso wichtig, ein anderes Männerbild zu entwickeln. Denn oft hängt es von den Chefs ab, ob sie Frauen fördern oder nicht, und das sind zu einem Großteil einfach noch Männer.“ Plötzlich ist ein lautes Gähnen zu hören, und ich bin irritiert, weil ich fast vergessen habe, dass Kerns Hund ja auch noch im Raum ist. Demonstratives Gähnen deute ich immer als Hinweis für Langeweile, und so frage ich mich, während Samy aufsteht und sich genüsslich streckt, ob unser Gespräch bisher vielleicht etwas fad war. Als ob ein Labrador das beurteilen könnte! „Hast du Samy, die ja ein Weibchen ist, eigentlich bewusst zu einem Gespräch über ‚Frauenfragen‘ mitgebracht?“, will ich von Kern wissen, um die ernsthafte Stimmung ein bisschen aufzulockern. „Nein, sie ist meine ständige Begleiterin. Sie ist unglaublich anhänglich, was ich großartig finde. Ich nehme sie auch immer mit ins Büro, wo sie dann zu meinen Füßen liegt.“ Nach einer kurzen Pause fügt er noch hinzu: „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir jemand zu Füßen liegt.“ Höflich beantwortet Kern jede Frage, schweift dabei jedoch nie aus und sagt stets nur so viel, wie notwendig erscheint. In dem Buch „Christian Kern: Ein politisches Porträt“8 wird der Ex-Kanzler als „fleißig, belesen und gescheit“ beschrieben. Außerdem als „distanziert und kontrolliert“, und diesen Eindruck habe ich bisher auch von ihm.


„Inwiefern hast du dich denn in die Familienarbeit eingebracht?“, will ich von Kern wissen und mache damit das große Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere auf. Zu lange über das Aussehen zu reden, ist ja wirklich langweilig. Als er Vorstandsvorsitzender der ÖBB wurde, war seine Tochter aus zweiter Ehe gerade mal drei Jahre alt. „In diesen Managementberufen muss man zwar am Wochenende auch immer arbeiten, Unterlagen lesen und da und dort einen Termin absolvieren, aber im Wesentlichen habe ich schon versucht, mir diese Tage freizuhalten. Unter der Woche ist das aber oft schwierig gewesen und vieles ist an meiner Frau hängen geblieben“, erzählt der 54-Jährige, der seit 2009 mit der Unternehmerin Eveline Steinberger-Kern verheiratet ist. Die beiden haben sich beim Verbundkonzern kennengelernt, wo Steinberger-Kern knapp zehn Jahre beschäftigt war. „Ich bin in der Holding in den Vorstand gekommen und sie war damals Geschäftsführerin im Vertrieb. Da gab es dann natürlich eine Vereinbarkeitsthematik, und deshalb haben wir uns dazu entschieden, dass sie geht und etwas anderes macht. Im Nachhinein glaube ich, dass es für ihren weiteren Weg gut war, aber das hat man natürlich nicht wissen können.“ Ich runzle die Stirn. Im Nachhinein kann man sich wirklich alles schönreden. Weil Kern meine kritischen Gedanken möglicherweise spürt, fügt er erklärend hinzu: „Eveline ist etwas jünger als ich, und wenn man will, war ich in meinem Karriereverlauf durch die Lebensjahre schon etwas weiter. Deshalb war es in dem Fall recht klassisch, dass sie verzichtet hat. Als ich jedoch aus der Politik ausgeschieden bin, war es genau umgekehrt. Da sind wir gemeinsam zu der Entscheidung gekommen, dass jetzt genug ist. Vermutlich wäre ich ohne den Klartext meiner Frau noch länger in der Politik geblieben.“ Gleichberechtigung wird in der Familie Steinberger-Kern offenbar sehr großgeschrieben, und so ist es nicht nur dem Ex-Kanzler möglich, Karriere zu machen, sondern auch seiner Frau. Zwei Jahre nach der Geburt der gemeinsamen Tochter machte sie sich in der Energiebranche selbständig. 2014 gründete Eveline Steinberger-Kern ein Unternehmen in Israel und ist neben Managementtätigkeiten dort derzeit auch noch Mitglied im Aufsichtsrat zweier großer Konzerne.

Wenn Kern über seine Frau spricht, schwingt in seinen Worten viel Respekt und eine Beziehung auf Augenhöhe mit. „Ich habe eine selbstbewusste, erfolgreiche, kluge Frau und bin selber selbstbewusst genug, um das als großes Glück zu sehen.“ Und deshalb war es für ihn nur logisch, nach dem Ausstieg aus der Politik auch beruflich gemeinsame Sache zu machen. „Viele glauben ja, dass du, wenn du Bundeskanzler oder Politiker bist, nur Vorteile hast. Für meine Frau war mein Politiker-Dasein aber mit Sicherheit ein beruflicher Nachteil, weil viele Dinge aufgrund von Vereinbarkeitsproblemen nicht gegangen sind. Sie hat in dieser Situation auch manchmal den Kürzeren gezogen, aber das mit Langmut und größter Liebe und Solidarität.“ Ein schöner Satz, den ich gerne genau so einmal aus dem Mund einer Frau hören würde: „Mein Mann hat beruflich auch manchmal den Kürzeren gezogen, aber das mit Langmut und größter Liebe und Solidarität.“ Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Obwohl wir im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen sind, wird das Verzichten auf eine Karriere immer noch eher Frauen zugeordnet, genauso wie die Eigenschaften Langmut, Demut oder Sanftmut, die allesamt weibliche Artikel haben. Wörter wie Hochmut, Übermut und Wagemut hingegen, die nach Energie und Schaffenskraft klingen und den nach außen gerichteten Mut beschreiben, sind männlich.9 Ist Mut jetzt also per se männlich? Diese Frage beschäftigt Sprachexpert*innen genauso wie Macher*innen von Talkshows im Fernsehen10 und lässt sich mit Sicherheit nicht in ein, zwei Sätzen beantworten. Vielleicht lässt sie sich auch gar nicht beantworten, da Mut doch generell sehr subjektiv ist.

Für mich jedenfalls war Mutter zu werden eine der mutigsten Entscheidungen in meinem Leben. Denn nichts zuvor hat sich so sehr nach einem Sprung ins kalte Wasser angefühlt, nichts war so sehr an positive Erwartungen gekoppelt und nichts hat mich so heftig aus der Bahn geworfen. Während ich zwischen einem stundenlang durchschreienden Baby, nie enden wollenden Wäschebergen und der Hoffnung, mich selbst dabei nicht zu verlieren, oft verzweifelt bin, habe ich mir immer wieder vorgestellt, wie es wohl sein muss, alleinerziehend zu sein. Vor jedem Menschen in dieser Situation habe ich den allergrößten Respekt, und trotzdem ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich vor alleinerziehenden Frauen mehr Respekt habe als vor Männern. Denn bei allem Bestreben, eine moderne Feministin zu sein, traue ich ihnen diese Aufgabe insgeheim nicht zu 100 Prozent zu. Habe ich das jetzt wirklich geschrieben? Ja, und zwar, weil ich mir vorgenommen habe, in diesem Buch so offen wie möglich zu sein, mich mit meinen eigenen tief sitzenden Geschlechterklischees und Vorurteilen zu konfrontieren und sie zu hinterfragen. Denn nur so ist es möglich, sie zu verändern. Und nachdem Christian Kern, als er mit 22 Jahren zum ersten Mal Vater wurde, eine Zeit lang alleinerziehend war, habe ich jetzt die perfekte Gelegenheit dazu. „Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du plötzlich Solo-Papa warst?“, will ich wissen. Das ist ja schon eher ungewöhnlich. Denn immer noch sind laut Statistik Austria nur 11,7 Prozent11 der Alleinerziehenden Männer, und vor rund 30 Jahren waren es sogar noch weniger. „Mit meiner ersten Frau war das lange so eine Hop-On-Hop-Off-Sache. Als wir uns zum ersten Mal getrennt haben, wollte sie das Leben durchaus mehr genießen, ich meine das nicht böse. Das ist halt so eine Entscheidung. Aber für mich war immer klar, dass ich mich da nicht aus der Verantwortung stehlen kann. Ich werde jedenfalls nie vergessen, wie es war, wenn mein Sohn in der Früh in mein Bett gekommen ist, auf allen Vieren über meinen Brustkorb gekrabbelt und dann seufzend wieder neben mir eingeschlafen ist. So lange das her ist, fast 30 Jahre mittlerweile, das wirst du im Positiven nicht mehr los“, erinnert sich Kern. Ich höre ihm aufmerksam zu und frage mich, ob ich auch einmal so verklärt über diese erste Zeit mit Baby sprechen werde oder ob Kern und ich, was das Gefühl über ein Leben mit Kindern betrifft, einfach aus anderem Holz geschnitzt sind. Ich tippe eher auf Zweiteres. „Ich bin so ein Kinderfreund“, sagt Kern. „Ich habe auch mein Studium, bevor mein Ältester geboren wurde, als Babysitter finanziert. Wenn du mir ein Baby hinhältst, bin ich hin und weg.“ Das kann ich von mir definitiv nicht behaupten. Ich liebe zwar den Geruch von Babys und ihre zerknautschten Gesichter, ich liebe ihre unbändige Neugier auf die Welt und ihre Kuscheligkeit, aber es gibt mindestens genauso viele Aspekte, die ich an Babys nicht mag. Schon gar nicht an fremden.


Ich erzähle Kern, dass es bei uns im Kindergarten einen alleinerziehenden Vater gibt, und dass der immer sehr viel Verständnis für seine Situation erfährt. „Wie war das denn bei dir?“, will ich wissen. „Genauso. Bis zum Abwinken wirst du als alleinerziehender Mann bewundert und giltst als Sensation“, meint der 54-Jährige. „Da haben es Frauen wirklich schwerer, das ist überhaupt keine Frage.“ Und dann spricht er mit Begeisterung vom Roman „About a boy“12, in dem sich ein Mann als Alleinerziehender ausgibt, um an attraktive Single-Mütter ranzukommen. „Das ist eine großartige Geschichte, an die ich mich manchmal erinnert gefühlt habe. Also nicht wegen dem Aufreißen, aber wie du da bei Frauen im Mittelpunkt stehst und auch ganz anders gesehen wirst. Das ist völlig unangemessen und fast skurril.“ Negative Reaktionen hat Kern als alleinerziehender Vater jedenfalls nie erlebt. Eigentlich seltsam, denn genauso oft wie Solo-Väter beklatscht werden, erleben sie Ablehnung und Skepsis – siehe meine eigenen Vorurteile. Wissenschaftlich abgesicherte Informationen zu alleinerziehenden Vätern gibt es noch relativ wenige. Erfahrungsberichte zeigen jedoch, dass sie es ähnlich schwer haben wie Frauen, nur eben auf anderer Ebene. Während Alleinerzieherinnen nämlich vor allem finanzielle Sorgen quälen und sie ihren Beruf rechtfertigen müssen, um nicht als Rabenmütter zu gelten, kämpfen Männer mit dem Fehlen eines klaren Rollenbildes. Sie werden oft nicht ernst genommen, müssen sich mehr erklären und tun sich schwerer, Gleichgesinnte zu finden.13 Eine neuere Untersuchung besagt außerdem, dass alleinerziehende Väter eine dreimal höhere Sterberate als Single-Mütter oder Frauen und Männer haben, die in Beziehungen leben. Dass sie weniger Obst und Gemüse essen und mehr Alkohol trinken, also einen ungesünderen Lebensstil pflegen.14 Ich wage zu behaupten, dass das vielleicht damit zu tun hat, dass Männer aufgrund der klassischen Rollenzuschreibungen im Patriarchat nicht lernen, sich gut um sich selbst zu kümmern. Ein Mann, der regelmäßig zum Arzt geht, seine Emotionen zulässt und ernst nimmt und nicht immer bis zur maximalen Belastungsgrenze arbeitet, gilt ja vielerorts immer noch als Weichei. Also: Smash the patriarchy! Männer hätten auch etwas davon.


Kerns Hund, der mir gegenüber bisher brav die Corona-Abstandsregeln eingehalten hat, kommt plötzlich ein bisschen näher und schnuppert an meinen Schuhen. Dabei wedelt er eifrig mit dem Schwanz, was bei Hunden ja so eine Art Begrüßung darstellt. Vielleicht ist es aber auch als Verabschiedung gemeint, denke ich und schaue auf die Uhr, die anzeigt, dass wir schon über eine Stunde hier sitzen und über klassische Frauenthemen sprechen. Die Zeit ist jedenfalls wie im Flug vergangen. Zum Abschluss möchte ich noch kurz über Kerns Rolle als Vater sprechen, in der er ja besonders aufzugehen scheint. Mit insgesamt vier Kindern15 kann der bekennende Kinderfreund darin auch einen großen Erfahrungsschatz vorweisen. „Hattest du in Bezug auf dein Vatersein eigentlich ein Vorbild?“, will ich wissen. „Nein. In so etwas wächst du rein, so etwas entwickelt sich. Bei mir im Elternhaus war das unglaublich liebevoll, wobei es da eine ganz klassische Geschlechter-Rollentrennung gab. Meine Mutter hat sich um mich und meine Schwester gekümmert, unglaublich viel Zeit investiert und auf vieles verzichtet. Aber mein Vater war auch voller Liebe. Das war wahrscheinlich das, was mich in meinem Vatersein am meisten geprägt hat.“ „Und wie würdest du dich als Vater beschreiben?“, frage ich weiter, und erstmals zögert Kern ein bisschen bei der Antwort. „Ich glaube, ich bin … Jetzt wirst du wahrscheinlich lachen und meine Tochter wird vielleicht aufjaulen, aber, ich glaube, ich bin wirklich ein cooler Vater, mit dem man tolle Dinge machen kann.“ Interessant, dass ihm das Adjektiv cool zu seinem Vatersein als Erstes einfällt, finde ich, und überlege, ob ich ihm im Anschluss an unser Gespräch anonym eines dieser peinlichen T-Shirts mit Aufschriften wie „So sieht ein echt cooler Papa aus“ schicken soll. „Ist es dir als Vater denn besonders wichtig, cool zu sein?“, frage ich nach. „Nein, das habe ich natürlich scherzhaft gemeint“, rudert Kern zurück und fügt lachend hinzu: „Wenn jemand ernsthaft von sich behauptet, er ist cool, dann ist er vermutlich ein Idiot.“

Cool ist wahrscheinlich der letzte Begriff, der mir einfallen würde, wenn ich über meine Rolle als Mutter nachdenke. Und das tue ich sehr oft. Lange Zeit war mein Muttersein vom Adjektiv „perfekt“ geprägt bzw. von dem ungesunden Wunsch danach. Jetzt habe ich mein Bestreben zumindest auf „gut“ gedownsized: Ein schneller Toast zum Frühstück statt frisch gekochtem Porridge und eine Runde Fernsehen statt pädagogisch wertvoller Basteleien. Meine Kinder, die ohnehin viel genügsamer sind als ich, finden das jedenfalls gut, und mein Leben ist so auch weniger anstrengend. Was ich aber immer noch recht schwierig finde, ist, die Balance zu finden, um genügend Zeit und Energie für meine Kinder und meinen Beruf zu haben. Das schlechte Gewissen ist allgegenwärtig. Auch Kern meint: „Die Frage, ob man ein guter Vater war und sich genug gekümmert hat, ist in Wahrheit nicht angenehm zu beantworten. Ich habe die Fähigkeit, das Glas so gut wie immer halbvoll zu sehen. Aber wenn du ein bisschen reflektierst, lebst du ja schon im Bewusstsein deiner eigenen Schwächen, und wer breitet diese schon gerne in der Öffentlichkeit aus.“ Vielleicht wäre aber genau das notwendig: dass wir alle ein bisschen mehr über unsere Schwächen und Ängste sprechen. Darüber, dass wir Fehler machen und nicht vollkommen sind. Darüber, dass wir oft mit uns selbst hadern und immer wieder auch scheitern. Egal wie erfolgreich wir nach außen scheinen. Passend dazu legt mir Kern zum Abschied noch ein Zitat von Winston Churchill auf den Tisch: „Erfolg ist nicht endgültig, Misserfolg ist nicht fatal. Was zählt, ist der Mut, weiterzumachen.“

In Bezug auf mein eigenes Elternsein stimmen mich diese großen Worte sehr versöhnlich, und ich werde definitiv noch ein bisschen darüber nachdenken. Übrigens genauso wie über Kerns Angebot, mir in Zukunft als Kinderbetreuer zur Verfügung zu stehen. „Wenn du mal einen Babysitter brauchst, ruf mich an, ich bin da sehr kreativ“, sagt er mit einem Augenzwinkern, das ich bewusst übersehe. Denn was liegt, das pickt! Und so werde ich heute nicht nur mit einer guten Unterhaltung und interessanten Erkenntnissen beschenkt, sondern mit der Gewissheit, in Zukunft wohl auch kein Betreuungsproblem mehr zu haben. Einzig die Frage bleibt offen, ob ich mir Christian Kern als Babysitter überhaupt leisten kann.

Frauenfragen – Männer antworten

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