Читать книгу #3 MondZauber: VERBANNUNG - Mari März - Страница 9
ОглавлениеDie vier Elemente
»Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich ... keine Streichhölzer brauche.« Miriam stand vor einem Haufen feinsäuberlich aufgeschichteter Holzscheite, um die Zweige und Tannengrün drapiert waren. Sie hob die Hände, verharrte dann aber in der Bewegung. »Kommt, Mädels, lasst es uns gemeinsam entfachen!« Sie drehte sich um und winkte ihre Schwester Miranda und auch Lyra zu sich. »Wir sind die Hexen der Feuerdynastie. Komm, meine Tochter, zeig uns, was du gelernt hast!«
Nur zögerlich trat Lyra an die Seite ihrer Mutter. Sie mochte die neue Miriam Hertzberg, auch wenn ihr Verhalten sie verunsicherte. Zudem war sie alles andere als überzeugt davon, dass sie dieses Feuer einfach nur entfachen konnte. Erinnerungen an Irland mischten sich in ihre Gedanken, Lyra dachte mit einem miesen Gefühl im Bauch an den Geschichtenabend, als fünfzig Wölfe ihr kampfbereit gegenüberstanden, weil sie ihre magischen Fähigkeiten nicht unter Kontrolle hatte. Und dann war doch auch noch der versaute Abiball gewesen.
»Kätzchen, das hier ist keine Turnhalle, nur ein kleines Wintersonnenwendfeuer, das du abfackeln kannst.« Miranda zwinkerte ihr zu. »Also entspann dich, wir sind bei dir.«
Lyra atmete tief ein, nahm die Hand ihrer Tante und dann die ihrer Mutter. Plötzlich lag Magie in der Luft, Lyra konnte ihre Kraft deutlich spüren.
»Mach dich frei von deinen dunklen Gedanken. Das Feuer ist unser Element, wir können es nutzen und beherrschen«, sprach Lyras Mutter ihr nun ebenfalls Mut zu und führte Lyra vor das aufgestapelte Holz. Miranda stand auf der anderen Seite ihr gegenüber und grinste. »Los, Kätzchen! Ich weiß, dass du heimlich geübt hast. Also zeig uns, was du kannst.«
Woher Miranda wusste, dass Lyra in Venedig tatsächlich geübt hatte, obwohl sie es nicht sollte, war ihr schleierhaft. Mit klopfendem Herzen schaute sie zu Emily und dann zu Ian. Beide lächelten ihr aufmunternd zu und hatten offenbar keine Angst, dass sie auch noch den Garten und ihr Elternhaus abfackeln könnte. Woher nahmen sie nur diese Gewissheit – bei allem, was geschehen war?
»Dieser heiße Kerl hier ist der einzige Wolf weit und breit und kein fieses Rotkäppchen ist in Sicht«, kommentierte Miranda Lyras Zögern mit ihrer unvergleichlichen Art. »Also los, Kätzchen! Ian wird uns nicht fressen, falls du das Haus in Brand setzt. Bei deiner Mutter bin ich mir nicht so sicher, aber ...«
»Halt die Klappe, Miranda, und lass meine Tochter mal machen!«, sagte Miriam und machte zwei Schritte nach links. »Du kannst das, mein Schatz.« Ihr ängstlicher Blick zum Haus entging Lyra nicht, trotzdem schöpfte sie Mut und hob beide Arme. Ja, sie hatte geübt und war stolz, dass sie dieses Feuer entfachen durfte. Glücklich schaute sie noch einmal in die Runde, konzentrierte sich auf die Hexe in ihr, fühlte die Kraft der Magie und ließ dann lächelnd eine Schar leuchtender Schmetterlinge im Dunkel der Nacht tanzen, die sich mit einem Ruck ihrer ausgestreckten Finger in kleine Flammen verwandelten, die nun auf das Holz niederfielen. Lyra schloss die Augen und hob schwungvoll beide Hände gen Himmel. Im selben Moment setzten die ersten Flammen das Holz in Brand. Tannengrün knisterte und Wärme breitete sich aus.
Immer noch lächelnd öffnete Lyra die Augen und verbeugte sich theatralisch wie ein Zauberer auf der Bühne, als ihre Mutter, ihre Tante, Emily und sogar Ian Beifall klatschten.
»Das ist meine Tochter!«, rief Miriam und griff nach Lyras Hand sowie der ihrer Schwester. Die drei Frauen liefen im Kreis um das Feuer und sangen die uralten Lieder ihrer Ahnen. Emily und Ian waren nicht länger stille Beobachter, Miranda gab ihnen einen Wink, sich in den Reigen einzufügen. Beide traten an Lyras Seite und fassten ihre Hände. Emilys Finger waren weich und unschuldig, Ians hingegen stark und warm. Glück durchströmte ihr Herz, verdrängte die düsteren Gedanken an die Zukunft, an die Ungewissheit und all das, was sie erwartete. Lyra genoss die Nähe dieser vier Wesen, die so unterschiedlich und doch ihr Liebstes waren.
* * *
»Ian, wie feiert ihr in Irland eigentlich die Wintersonnenwende?«, fragte Miriam später, als sie am Feuer saßen und Glühwein tranken.
»Mit viel Whiskey«, brummte Ian und lachte. »Bei uns heißt es Yule, früher sagten wir auch Dubluachair. Wir verbrennen Zweige unseres heiligen Apfelbaums, die Kinder basteln Corn Maiden, also Strohpuppen, aus den letzten Garben der Herbsternte.«
»Aber die Feuer zur Wintersonnenwende sind kein typisch keltischer Brauch, oder?«, fragte Miriam und verwandelte nun ihrerseits die in der Nacht tanzende Glut zu orangefarbenen Schmetterlingen.
»Das ist richtig«, antwortete Ian auf Miriams Frage. »Der Kalender von Coligny sieht keine Tradition wie diese vor, dafür aber so einige sehr schöne Feste zur Wintersonnenwende. Beispielsweise Mapanos, das ist die Huldigung des gleichnamigen keltischen Gottes der Jagd und der Jugend. Er steht auch für die Fruchtbarkeit und das Licht.«
»Das ist wirklich interessant«, kommentierte Lyras Mutter. »Miranda hat mir von eurem heiligen Apfelbaum erzählt. Auch hier ist es Tradition, Fruchthölzer zu verbrennen, um für eine reichliche Ernte im kommenden Jahr zu sorgen.«
»Deine Tochter hat sich unter unserem Apfelbaum das erste Mal verwandelt«, fügte Ian hinzu. »Sie ist die schönste Katze, die ich je gesehen habe.«
»Die einzige Katze!«, purzelten die Worte aus Lyras Mund. Sie spürte die Warmherzigkeit ihrer Mutter gegenüber Ian und hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte; geschweige denn mit seinem wirklich süßen Kompliment.
»Warum gehört Venedig eigentlich zum Reich der Luft, wenn es dort doch jede Menge Wasser gibt?«, plapperte sie los, um ihre Verlegenheit zu überspielen.
»Vieles ist nicht so, wie es scheint, doch manches ist, was es ist. Der Norden ist das Reich des Wassers, der Süden das der Luft. Nimm das einfach mal so hin, Kätzchen!«, sagte Miranda, die gerade mit einem Tablett frisch gefüllter Tassen aus dem Haus kam, in denen der Glühwein dampfte. »Im Westen ist das Reich der Erde und wir hier im Osten leben nun mal im Reich des Feuers. Vier Elemente, denen nicht nur die jeweiligen Hexen dienen.«
Ian nickte. »Irland ist ebenfalls von jeder Menge Wasser umgeben und doch fühlen wir uns der Erde verbunden, schätzen aber das Feuer ebenso als eines der vier Elemente.«
»Sie bilden die Basis, die Essenzen für alles Sein«, fügte Miriam hinzu, die Lyra ein weiteres Mal an sich drückte. »Und diese Vier-Elemente-Lehre ist letztlich auch der Ursprung der Wissenschaft. Erde, Wasser, Luft und Feuer sind die Grundprinzipien, die festen, flüssigen, gasförmigen und glühendverzehrenden Elemente.«
»Genau, Schwester. Die einen nennen es Wissenschaft, die anderen Magie. Lasst uns darauf trinken!« Miranda reichte jedem eine frisch gefüllte Tasse und grinste in die Runde. »Ich bin so glücklich, dass keine Geheimnisse mehr zwischen uns stehen. Auf die Wahrheit!«
»Auf die Wahrheit!«, stimmte Ian ein und bedachte Lyra mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte.
»Auf die Wahrheit!«, rief nun auch Miriam und drückte Lyra einen mütterlichen Kuss auf die Wange. »Keine Lügen mehr!«
Laut klirrten die Glühweintassen aneinander und Lyra genoss die Friedfertigkeit des Augenblicks, die Liebe und Eintracht ihres Zusammenseins. Allerdings wurde ihr auch schmerzlich bewusst, dass sie mit Ian Tacheles reden musste. Ihr klopfendes Herz hoffte immer noch, dass er nicht schwul war.
»Leute, ich muss jetzt los«, sagte Emily, als die fünf wenig später zurück ins Haus gingen. Das Feuer war heruntergebrannt und auf dem Küchentresen warteten immer noch jede Menge von Miriams Köstlichkeiten. »Meiner Mutter geht es nicht so gut und Ben hat bald Feierabend«, fügte Emily hinzu. Sie wirkte plötzlich nicht mehr so ausgelassen, was Lyra durchaus nachvollziehen konnte, sie aber auch traurig machte. Ihre Freundin hatte viel durchgestanden in den vergangenen Wochen. Erst der Tod ihres Vaters, die psychische Instabilität ihrer Mutter und dann ihr kleiner Bruder, der im Drogenkonsum Trost zu finden glaubte. Ben war zum Glück an ihrer Seite.
Miriam nahm Emily ihre Glühweintasse ab, die sie in die Spülmaschine stellte. »Ich werde morgen nach deiner Mutter sehen. Bestell ihr liebe Grüße.« Emily nickte und griff nach ihrer Jacke. »Wir sehen uns morgen. Schönen Abend allerseits und danke fürs Essen.«
Traurigkeit umfing Lyra, als sie Emily zur Tür begleitete. »Wie geht es dir?«, fragte sie ihre Freundin. Emily lehnte sich an ihre Schulter. Sie wirkte müde, was in Anbetracht der Umstände wenig verwunderlich war.
Aber dann blitzte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Ehrlich gesagt, fühle ich mich seit Wochen mal wieder richtig gut.« Emily legte einen Arm um Lyras Taille, was ihr gar nicht so leicht fiel. »Sag mal, bist du schon wieder gewachsen? Wir waren mal gleich groß, jetzt muss ich mich ordentlich strecken, um dich zu umarmen.«
»Es hat sich viel verändert, oder?«, sagte Lyra nachdenklich, als sie gemeinsam zur Haustür liefen. »Weißt du noch, wie wir stundenlang in meinem Zimmer hockten, Eis aßen und die Welt hassten?«
»Aber hallo!« Auf Emilys Gesicht bildete sich ein wissendes Lächeln. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Aber apropos, was ist eigentlich aus deinem Zimmer geworden?«
Eine gute Frage, der Lyra auf den Grund gehen wollte. Sie gab Emily einen Kuss auf die Wange und sah ihrer Freundin nach, wie sie durch den Schnee stapfte. Lyra blieb solange vor der Tür stehen, bis ihre Katzenohren hörten, dass sich Emily fünfhundert Meter die Straße hinunter die Schuhe abklopfte und ins Haus trat.