Читать книгу #2 MondZauber: VERSUCHUNG - Mari März - Страница 10

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Das Ritual

Die Beanna ging voraus zum Ufer des unterirdischen Sees. Lyra wusste genau, was sie tun musste, und doch kam sie sich vor wie in einem Traum, in dem sie die Matheklausur vergeigte.

Eine Hand legte sich sanft auf ihre Schulter. Moira stand neben ihr und zwinkerte Lyra aufmunternd zu. Als die kleine Wölfin ihre Hand in die ihre legte, spürte Lyra die Kraft des Mädchens, welche nun langsam in sie überging.

Feuer!, schlich ihr ein Gedanke in den Kopf. Was hatte ihre Mutter gesagt? Das Feuer gibt dir Kraft.

Also schaute Lyra in die Flammen und schloss dann für einen Moment die Augen. Zu Moiras Kraft gesellte sich jetzt etwas weitaus Größeres. Pure Energie schien in Lyra zu strömen. Sie atmete tief den würzigen Duft des Feuers ein und machte sich bereit für das Ritual und die Aufnahme in die magische Welt.

Warm breitete sich Zuversicht in ihr aus. Ja, jetzt war sie bereit. Sie öffnete die Augen und nickte Moira zu, die immer noch ihre Hand hielt. Dann folgten sie der Druidin, die am Fuße des Sees auf sie wartete.

Mit erhobenen Armen sang die Alte ein uraltes Lied. Lyra hörte eine Harfe, obwohl sie nirgendwo ein solches Instrument erkennen konnte. Das Wasser zu ihren Füßen schimmerte grün und spiegelte sich im grandiosen Gewölbe der Höhle. Eine magische Anziehungskraft ging von dem See aus – der Quelle, wo die Tore zur Anderswelt zu finden waren. Lyra wusste, dass es nur sehr wenigen vergönnt war, lebend hinabzutauchen und vor allem lebend wieder herauszukommen. Die Iren glaubten wie viele Kelten an verschiedene Reiche, die jenseits der menschlichen Welt lagen. So auch an die Túatha Dé Dannan, das Volk der Danu. Obwohl sie keine Menschen waren, hatten auch die Gestaltwandler nur dann Zutritt, wenn jemand vom Volk der Danu ihnen ebendiesen gewährte. Umso größer war Lyras Angst, dass sie es wieder versauen würde. Doch nun, als sie nach und nach ihre weltlichen Kleider ablegte und dem Gesang der Druidin lauschte, fürchtete sie sich nicht mehr davor, zu versagen. Das hier war keine Abiturprüfung, wenngleich sie die Details des Rituals genauso einstudiert hatte. Zumindest für die Theorie würde sie eine glatte Eins bekommen.

Als Erstes würde sie alles Irdische ablegen müssen, um äußerlich rein in die Quelle zu tauchen. Das Wasser würde sie reinwaschen. Für einen Augenblick dachte sie an Jenny und die völlig absurde Idee, dass Weihwasser ihr etwas antun könnte. Als Lyra auf ein Zeichen der Druidin in das Wasser des Sees stieg, kam ihr der christliche Glaube mit seinen Götzenbildern und Artefakten seltsam kindlich vor. In keiner Kirche hatte sie jemals diese Form der Spiritualität gespürt. Zugegeben, die Beanna hatte mit ihren weißen Augäpfeln, den zahlreichen Tätowierungen auf der hellen furchigen Haut und dem langen grauen Haar sehr wenig mit Pastor Meier zu tun, der in Lyras Heimatort jeden Sonntag den Gottesdienst abhielt.

»Bist du bereit, deinen Körper reinzuwaschen?«

Lyra nickte. War sie es? War sie wirklich bereit, ihr gesamtes Leben hinter sich zu lassen? Dies hier war nicht irgendein Selbstfindungskurs für gestresste Workaholics, sondern ihr Leben.

Als das Wasser ihre Knie erreichte, ließ sie sich endlich fallen. Ihre Vergangenheit zog vor ihrem inneren Auge vorbei wie ein Film. Fühlte sich so der Tod an? Vielleicht war das hier so etwas Ähnliches. Sterben, um in einem neuen Leben wiedergeboren zu werden.

Etwas riss an ihren Haaren, dann tauchte Lyra unter. Das Wasser der Quelle umströmte ihren Körper, es war kühl und doch angenehm. Friedlich irgendwie. Sie bekam keine Luft, aber diese Tatsache machte ihr keine Angst. Fühlte sich so ein Embryo im Mutterleib?

Um sie herum war endloses Grün. Eine wunderbar friedliche grüne Stille. Lyra hörte nicht mal mehr ihren Herzschlag oder ein Rauschen in ihren Ohren. Nein, da war nichts. Es war so wunderbar still, als wäre die Zeit stehengeblieben. Sie schloss die Augen und genoss den Moment. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, von denen kleine Luftbläschen perlten.

Und dann schlug die Stimmung plötzlich um. Irgendetwas hatte sich verändert. Das Wasser war auf einmal eiskalt, ihre Lunge gierte nach Sauerstoff. Was störte den Frieden?

Ruckartig öffnete sie die Augen. War da nicht gerade …? In der tiefen Weite des Sees lauerte etwas Dunkles. Schwarze Schatten zuckten durch das Grün des Wassers. Ängstlich drückte sie sich zurück an die Oberfläche und tauchte prustend auf. Seltsamerweise reichte ihr das Wasser wieder nur bis zu den Knien. Die Beanna stand hinter ihr. »Hast du sie gesehen?«

Lyra nickte wieder und schaute die Druidin fragend an. Diese nahm einen Mistelzweig von einem kleinen Tisch neben sich und strich damit über Lyras nassen Körper. »Das sind die Wächter. Sie bewachen die Grenze zwischen den Welten. Du hast noch viel zu lernen, Mädchen. Nutze die Zeit, die du bei uns bist, und gehe sorgsam mit deinem Wissen um.«

Erstaunt sah Lyra in die weißen Augen der Druidin. Sie zitterte, als der Mistelzweig ein weiteres Mal über ihren Körper wanderte. Endlose Minuten verstrichen, in denen die Druidin die Waschung vollzog und dabei in der uralten Sprache der Geister murmelte. Dann endlich legte sie den Mistelzweig beiseite und stattdessen ihre kühle Hand auf Lyras Stirn. »Dein Körper ist nun bereit. Jetzt reinige deinen Geist! Nichts wird mehr sein, wie es war. Alles wird sein, wie vorherbestimmt.«

Ein weiteres Mal schloss Lyra die Augen. Mit Moira hatte sie diese spezielle Technik geübt, ihren Geist freizumachen von allen Gedanken, Sorgen, Ängsten. Deshalb atmete sie nun tief ein und spülte Stück für Stück den geistigen Ballast aus ihrem Kopf. Mit jedem Atemzug sog sie Energie in sich auf und ließ ihre Gedanken ziehen. Schon bald stellte sich das Gefühl von Freiheit ein, als würde sie schweben in einem luftleeren Raum. Ihr Geist breitete sich über die körperlichen Grenzen aus. Lyra sah sich selbst aus der Vogelperspektive. Und obwohl sie von dort sehr gut erkennen konnte, dass die Beanna direkt neben ihr stand, nahm sie gleichzeitig den Gesang der Druidin wie aus der Ferne wahr. Die Alte legte ihr wieder die Hand auf die Stirn und führte Lyra auf diese Weise Stück für Stück ins Diesseits zurück.

Dann löste sich ihre Hand von Lyras Stirn.

»Jetzt bist du bereit für die Verwandlung.«

Die Druidin trat ein Stück zurück und winkte Moira herbei, die sich bisher ehrfürchtig im Hintergrund gehalten hatte. Die kleine Wölfin stellte sich jetzt neben Lyra. Aufregung war in ihren Augen zu sehen, auch wenn sie sich bemühte, ganz ruhig zu sein. Die Beanna hingegen war verschwunden, nur ihre Stimme hallte durch die Höhle: »Nun ist es an dir, unserer Hybridin ihre wahre Gestalt zu offenbaren.«

#2 MondZauber: VERSUCHUNG

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