Читать книгу #2 MondZauber: VERSUCHUNG - Mari März - Страница 11
ОглавлениеVerwandlung
Lyra sah eine Krähe, die über den See flog. In der Ferne meinte sie, etwas aus dem Wasser steigen zu sehen. Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken. Die Kälte war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie nackt war.
»Du frierst, Lyra. Komm, zieh das hier über und dann lass uns diesen Ort verlassen.« Moira reichte ihr ein langes weißes Hemd, das Lyra dankbar überstreifte.
»Das war alles? Und jetzt setzen wir uns ins Mondlicht und machen aus mir eine richtige Wölfin?«
Moira hatte ihr Lächeln wiedergefunden. Grinsend zwinkerte sie Lyra zu. »Los jetzt! Das hier war unheimlich genug.«
Ohne ein weiteres Wort zog sie Lyra hinter sich her, die steinernen Stufen hinauf und öffnete die schwere Eichentür. Das klare Licht des Mondes empfing sie. Lyra atmete erleichtert auf, als sich das Portal hinter ihr schloss. Sie spürte die behagliche Wärme der Sommernacht auf ihrer Haut. Moira war vorgelaufen und stand nun erwartungsvoll unter dem großen Apfelbaum. Lyra gesellte sich zu ihr. Den schlimmsten Teil des Rituals hatte sie wohl hinter sich, hoffte sie zumindest. Jetzt musste sich ihr blöder Körper nur noch in einen Wolf verwandeln. Das konnte doch nicht so schwer sein, verdammt noch mal!
Auch darüber hatte Lyra mit Ian und Moira mehrfach gesprochen. Immer wieder hatten die beiden ihr erläutert, wie es sich anfühlte, wenn die Verwandlung vollzogen wurde. Trotzdem erklärte Moira ihr jetzt noch einmal, was sie tun sollte.
»Auch wenn wir alles schon durchgekaut haben, hier noch mal die Kurzanleitung: Nutze die Atemtechnik, befreie deinen Geist und dann stell dir dein Krafttier vor. Also einen Wolf. Das ist echt easy. Los jetzt!«
Das mit dem Atmen hatte Lyra in der Höhle gerade eben schon richtig gut hinbekommen. Deshalb konzentrierte sie sich jetzt darauf, tief einzuatmen und die Luft kontrolliert aus ihrem Körper strömen zu lassen. Nach und nach fühlte sie sich leichter. Und wieder stieg ihr Geist aus seinem menschlichen Gefäß und kreiste nun zwischen den Zweigen des Apfelbaums. Wie schön die Welt von hier oben war. Doch Lyra wusste, dass sie nicht endlos ihren Körper verlassen durfte. Deshalb konzentrierte sie sich nunmehr auf das Abbild eines Wolfes, wie sie es sich in den letzten Tagen unzählige Male vorgestellt hatte.
Nichts!
Ihr Körper lag im Schatten des Baumes. Immer noch menschlich. Kein einziges Wolfshaar hatte sich gebildet.
Schöne Scheiße!
Lyra sah von oben, wie Moira sie anstupste. Dann beugte sich die kleine Wölfin über sie und rief: »Komm zurück, Lyra! Das wird irgendwie nichts. Fuck!«
Kaum hatte Lyra ihren Körper erreicht, stieg die altbekannte Wut in ihr auf. »Verdammt! Wie blöd muss man eigentlich sein?«
* * *
»Wie schön du doch fluchen kannst. Und ich dachte, die Beanna hätte deinen Geist gereinigt?«
Miranda?! Lyra schaute sich um und glaubte für einen Moment, sie hätte Halluzinationen. Doch dann sah sie ihre Tante in voller Größe, wie sie gerade einen rosafarbenen Kaugummi um ihren Finger wickelte. Grinsend schob sich Miranda das süße Etwas zurück in den Mund und stakste auf Lyra zu. »Dieser Boden hier ist nichts für meine High Heels. Ich bin und bleibe ein Mädchen aus der Stadt.«
Lyra konnte es kaum fassen. »Was machst du hier? Und wie geht es Mama?«
Miranda schlenderte auf sie zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »›Hallo, Miranda! Schön, dich zu sehen.‹ Das wäre so ungefähr die Begrüßung, die ich erwartet habe. Na ja, schlechter Zeitpunkt für Ego-Theater. Und auch ein schlechter Zeitpunkt für das langweilige Geplänkel von zu Hause. Deiner Mutter geht es so weit gut, genau wie Emily. Das muss vorerst reichen. Ich denke, wir haben hier eine härtere Nuss zu knacken. Wo ist dein Amulett?«
Das Amulett? Lyra hatte keine Ahnung, wo sie den Anhänger mit dem hellen Stein auf der einen Seite und der Sonne auf der anderen gelassen hatte. Und sie konnte sich auch nicht erklären, warum das jetzt wichtig sein sollte. Im Augenwinkel sah sie, wie Moira ihre Tante aufmerksam musterte. Auch Miranda entging dies natürlich nicht, deshalb wendete sie sich jetzt an die kleine Wölfin: »Hallo, Moira! Wie ich sehe, hat meine Nichte nach wie vor Schwierigkeiten bei der Verwandlung. Was meinst du, woran es liegt?«
Moira zuckte resigniert die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Die Beanna war sehr zuversichtlich, dass es heute klappen würde. Also ... ähm ... soweit man nachvollziehen kann, was die Druidin meint.« Noch einmal zuckte sie ratlos die Schultern und schaute Miranda fragend an. Diese setzte ein verschmitztes Grinsen auf und konstatierte: »Tja, dann muss wohl eine Hexe ran und die vermaledeite Situation lösen. Ich habe auch schon eine Idee. Wo, sagtest du, ist dein Amulett?«
Miranda schaute zu Lyra, die ein imaginäres Fragezeichen über dem Kopf trug.
»Keine Ahnung, ist das wichtig?«
»Natürlich ist das wichtig, Schätzchen. Ich hatte Ian gebeten, dir das Amulett zu geben und dir zu sagen, dass du es immer tragen sollst. Nun, wo ist es?«
Lyra zog ratlos die Augenbrauen nach oben. Der energische Blick ihrer Tante ruhte auf ihr, während sie sich zu erinnern versuchte, wo die Kette abgeblieben war. Auf dem Abiball hatte Lyra sie noch getragen und dann?
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich habe ich sie bei Ian im Haus gelassen, als ich mich nach dem Abiball in Windeseile umziehen und nach Irland fliehen musste.«
Miranda sagte nichts, runzelte nur die Stirn, ging zurück zum Apfelbaum und setzte sich in seinen Schatten. Beide Mädchen sahen sie an und warteten ungeduldig auf das, was die Hexe nun hoffentlich preisgeben würde.
Miranda biss genüsslich in einen Apfel, den sie sich im Vorbeigehen gepflückt hatte, und schaute in den Wipfel des Baumes. »Toll! So etwas gibt es wahrscheinlich nur hier bei euch. Mitten im Juli wachsen die saftigsten Äpfel und neue Blüten treiben auch. Das sollte kein Biologe sehen, der würde sofort mit einem Team pickliger Labor-Nerds kommen, die das gute alte Stück hier sezieren.«
Noch einmal biss sie in den Apfel und machte es sich am Stamm des Baumes bequem. »Aber nun zu deinem Problem, Schätzchen. Die Druidin hat die Reinigung vollzogen?«
Beide Mädchen nickten unisono. Miranda tat es ihnen gleich. »Okay. Dann hast du deinen Geist befreit und dir einen Wolf vorgestellt?«
Wieder nickten die Mädchen zustimmend.
»Interessant. Und passiert ist – wie man sieht – nichts. Richtig?«
Ohne ein weiteres Nicken der Mädchen abzuwarten, sprach die Hexe weiter: »Ja, dann ist doch alles klar. Lyra, was soll ich sagen? Du bist kein Wolf. Fertig!«
Moira schaute verblüfft zu Lyra, dann zu Miranda und wieder zurück. »Was soll das heißen, Lyra ist kein Wolf? Was soll sie denn dann sein? Schließlich trägt sie das Blut eines Gestaltwandlers in sich. Und die Tochter eines Wolfes wird eine Wölfin, so war es schon immer.«
Grinsend nagte Miranda an ihrem Apfel. »Und weil das schon immer so war, muss es auch zukünftig so sein, ja? Was hat die Beanna gesagt, wird sich Lyra in einen Wolf verwandeln?«
Jetzt war es Lyra, die fragend in die Runde schaute. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht. »Nein. Sie sagte, meine wahre Gestalt würde sich nun offenbaren. Aber …«
»Aha! Dann vertrau mal deiner Tante. Als du dich an deinem Geburtstag nicht verwandelt hast, kam mir so ein Gedanke, der sich jetzt bestätigen könnte. Deshalb bin ich hier. Dein Amulett würde die Sache wahrscheinlich einfacher machen, aber es müsste auch so gehen.«
Sichtlich daran interessiert, die Spannung auf ihren Höhepunkt zu treiben, lutschte sich Miranda in aller Ruhe den süßen Saft des Apfels von den Fingern und warf den Kriebsch in die Höhe. Kurz darauf flatterte ein gelber Schmetterling aus dem Wipfel des Baumes und verschwand in der Nacht.
»Okay, dann mal Tacheles. Du bist zur Hälfte Hexe und zur anderen Gestaltwandler. So weit, so gut. Aber du kannst dich nicht in einen Wolf verwandeln. Also ist es wohl naheliegend, dass du die Gestalt eines anderen Wertieres annehmen kannst. Die Auswahl ist da ja recht übersichtlich. Wer logisch denkt und sich nicht blindlings auf das fokussiert, was schon immer so war …« Bei den letzten Worten musterte sie Moira, die ein kleines bisschen in sich zusammenschrumpfte. »Also, wenn wir das Althergebrachte mal außen vorlassen und unserer Fantasie oder auch Logik eine Chance geben, dann kommen wir zwangsläufig zu dem Schluss, dass Lyra sich höchstwahrscheinlich in eine Katze verwandelt.«
Miranda stützte die Hände auf die Knie und grinste triumphierend in die fassungslosen Gesichter der Mädchen. Moira starrte still auf die Hexe, die es sichtlich genoss, eine Klugscheißerin zu sein. In Lyras Hirn ratterte es hingegen. Je mehr sie über Mirandas Idee nachdachte, desto logischer schien ihr diese. Na klar! Hexen konnten sich in Katzen verwandeln, und Hexen mit dem Blut eines Gestaltwandlers möglicherweise in große Katzen. Aufgeregt schaute sie in den Himmel. Der Mond würde nicht ewig sein volles Antlitz zur Verfügung stellen und damit die optimalen Bedingungen schaffen. Sie musste handeln, und zwar jetzt.
Ihre Tante wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, doch Lyra machte eine abweisende Geste und murmelte: »Halte mal für einen Augenblick die Klappe, Tantchen! Ich weiß jetzt, was ich machen muss.« Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, sammelte sie ihre Gedanken und vollzog nunmehr das dritte Mal in dieser Nacht die einstudierte Atemtechnik. Sie schloss die Augen und atmete ruhig und tief. Dabei entging ihr das grinsende Gesicht ihrer Tante und Moiras neugierige Blicke.
Als ihr Geist ein weiteres Mal über dem Apfelbaum schwebte, stellte sie sich ein anderes Tier vor. Und … sauste in ihren Körper zurück. Ein unglaubliches Gefühl empfing sie dort. Hitze durchströmte jede Kapillare. Knochen knackten. Aus ihrer Haut wuchs Fell. Ihre Eckzähne wurden spitz. Dann war alles vorbei. Ein lautes Fauchen durchbrach die Stille. Lyra sah ihre Tante, die aufgesprungen war. Moira hatte sich beide Hände vor den Mund gepresst und starrte sie entsetzt an. Ihre Gedanken kamen nur mühsam in Schwung, als würde sie wieder unter dem Einfluss von Diazepam oder einer anderen pharmazeutischen Droge stehen. Aber ihre Sinne waren hellwach. Gelbe Augen leuchteten in der Dunkelheit. Als würde der Mond wissen, dass sein Job für heute erledigt war, verschanzte er sich hinter einer dicken Wolke.