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Die Druidin

Entschlossen nickte sie Moira zu, auf deren Gesicht ein triumphales Lächeln erschien. Sie drehte an dem gusseisernen Knauf und schob das schwere Holzportal auf. Lyra kannte die Intarsien der reichverzierten Tür auswendig. Efeu bedeckte die Hälfte des Eingangs zu dieser naturbelassenen Höhle, die wahrscheinlich schon vor Tausenden von Jahren den Gestaltwandlern als Tempel und mehreren Generationen von Druiden als Arbeitsstätte diente. Lyra war erstaunt gewesen, als sie erfuhr, dass hier tatsächlich eine Frau für die Spiritualität, die Gesundheit und das Bewahren des alten Glaubens zuständig war. Irland schien eben doch anders zu sein als der Rest der Welt. Trotz der massiven Einflüsse der katholischen Kirche wurde hier das Weibliche verehrt und neben der christlichen Religion in den Alltag einbezogen. Was in weiten Teilen der Welt für absurd erklärt wurde, war hier völlig normal.

Das laute Knarren der Tür riss Lyra aus ihren Gedanken. Jetzt wurde es also ernst.

In den Fels gehauene Stufen führten hinab in die Höhle. Sie hatte einen modrigen Geruch erwartet, stattdessen strömte ihr der salzige Duft des Meeres entgegen. Und noch etwas anderes kitzelte in ihrer Nase. Sie roch Feuer und das würzige Aroma dampfender Kräuter.

»Komm!«, flüsterte Moira, die eine lodernde Fackel aus einer Halterung nahm. Gemeinsam stiegen die beiden Mädchen mehrere Stufen hinab, bis sie in eine riesige Grotte gelangten.

Lyra war immer der Meinung gewesen, dass sie genügend Fantasie besäße, aber was sie hier sah, überstieg ihren kreativen Geist. Ein unterirdischer See glitzerte im Schein des Feuers, das am Fuße der Treppe in einem eigens dafür gehauenen riesigen Steinkreis flackerte. Im Dunkel dahinter konnte sie eine weitere Tür erkennen. Moira hatte ihr erzählt, dass dort die Druidin des Clans wohnte, die Beanna genannt wurde, was so viel wie Krähe bedeutete. Es hieß, dass sie über einhundertfünfzig Jahre alt sei und ihre Haut so weiß wäre wie Schnee, der sich in diesem Teil Irlands genauso selten zeigte wie der Papst.

Lyra beobachtete Moira, die jetzt in der alten irischen Sprache flüsterte und dabei etwas ins Feuer warf. Natürlich wusste Lyra, was ihre neue Freundin da tat. Die Gestaltwandler hatten ihre ganz eigene Religion, zu der es gehörte, die Druidin des Clans zu verehren und sich dankbar zu zeigen. Da Lyra noch nicht vollends in die Gemeinschaft aufgenommen war und darüber hinaus längst nicht alles wusste, hielt sie sich zurück und betrachtete indes die kunstfertigen Wandmalereien. Ian hatte ihr bereits einige Ornamente in einem alten Buch gezeigt, die sie nun auf der Felswand wiedererkannte. So viel Neues hatte sie erfahren, dass sie bisweilen das Gefühl hatte, ihr Kopf würde platzen. Doch Ian war ein geduldiger Lehrer und lächelte sein hübsches Lächeln, wenn Lyra wieder einmal irritiert darüber war, wie freundlich sie alle behandelten. Sie gehörte doch gar nicht zum Clan, nicht in diese Welt. Sie hatte im Grunde von nichts eine Ahnung und doch schenkte man ihr das Gefühl, als wäre sie eine von ihnen. Für Lyra war das vollkommen neu. Bisher war sie der selbsternannte Outlaw, eine Außenseiterin, die niemand leiden konnte. Und auf einmal sollte sie zu dieser Gemeinschaft gehören?

»Sei gegrüßt, Lyra! Willkommen in meinem Sídhe!«

Wie durch ein Wunder verstand Lyra jedes Wort, was die Beanna sprach. In einer ihr fremden Sprache antwortete sie nun, als hätte sie es schon tausend Mal getan: »Sei gegrüßt, Nathair! Es ist mir eine Ehre, dass du die Zeit für mich findest und mich bei meiner Verwandlung begleitest.« Wie ihr Ian und Moira es gezeigt hatten, verbeugte sich Lyra und verharrte in dieser Position. Die Druidin kam ihr entgegen und hob Lyras Gesicht in den Schein des Feuers. »Du hast die Augen deines Vaters. Ich danke den Göttern, dass du endlich den Weg zu uns gefunden hast. Schon lange vor deiner Geburt bist du mir im Traum erschienen. Jetzt soll sich die Prophezeiung also erfüllen.«

Lyra starrte mit klopfendem Herzen in die weißen Augen der Druidin. Niemand hatte ihr gesagt, dass die Beanna blind war. Alle sprachen von der Seherin, wie hätte sie da auf die Idee kommen sollen …?

Die Berührung der alten Frau fühlte sich trotz der Hitze des Feuers kühl an. Kühl und trocken, was zu dem Wesen passte, in das sich die Druidin verwandeln konnte. Beanna war keine Wölfin, sondern eine Krähe und stammte vom Volk der Danu. Nur diesen äußerst seltenen Gestaltwandlern war es bestimmt, sich als Druiden ausbilden zu lassen und als ebensolche tätig zu sein. Denn nur sie verfügten über weit mehr magische Fähigkeiten als der Rest ihrer Art. Sanft wie eine Feder strich die Beanna nun über Lyras Gesicht und fragte: »Bist du bereit?«

Lyra nickte und überlegte im selben Moment, ob ein solches Nicken gegenüber einer Blinden unhöflich sei. Doch die Druidin sah nicht mit ihren Augen, sondern mit ihrem Geist.

»Dann lass uns keine weitere Zeit verschwenden. Große Herausforderungen liegen vor uns. Es ist auch für mich das erste Mal.«

Lyra verstand nicht, erhielt aber prompt eine Antwort. »Du bist die erste Hybridin. Nicht einmal ich weiß, welche Fähigkeiten in dir stecken. Deine Angst ist also begründet, zumal es in der Geschichte dieses Clans noch nie vorgekommen ist, dass sich ein Gestaltwandler an seinem achtzehnten Geburtstag nicht verwandelt hat. Aber die Gewissheit ist stärker als die Furcht. Außerdem brauchen wir dich, so sagt es die Prophezeiung. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, und dann folge mir zum See.«

Lyras Herz schlug laut in ihrer Brust. Die Ungewissheit war das eine. Das, was die Alte sagte, machte ihr jedoch weitaus mehr Angst. Welche Prophezeiung? Niemand hatte bisher davon gesprochen. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen und schaute die steinerne Treppe hinauf. Ab liebsten würde sie jetzt einfach fortlaufen. Doch wohin? Das Schicksal schien genau diesen Weg für sie vorherbestimmt zu haben. Sonst wäre sie wohl nicht hier. Also hieß es jetzt: Augen zu und durch!

#2 MondZauber: VERSUCHUNG

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