Читать книгу Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner - Страница 11

3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik

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Als ‚neuere‘ und zugleich grundlegende Untersuchung parodistischer Verfahrensweisen kann Roses Monographie (1993) gelten, da Rose in ihrer diachronen Betrachtungsweise, die Texte und Konzepte von der Antike bis zur Gegenwart umfasst, die spezifische, historische Verankerung antiker Texte berücksichtigt.1 Die von ihr vorgeschlagene Begriffsbestimmung sei aber ergänzend mit den Parodiedefinitionen von Verweyen/Witting und Stocker abgeglichen, wobei ich vorab auf die grundsätzliche Übereinstimmung der Forscher hinweisen möchte.

Rose definiert Parodie allgemeingültig als „the comic refunctioning of preformed linguistic or artistic material“2, was sich auch mit den Ausführungen bei Verweyen/Witting deckt. Ihnen zufolge werden „charakteristische Merkmale eines Stils übernommen […], [damit] die jeweils gewählte(n) Vorlage(n) durch Komisierungsstrategien wie Unterfüllung und/oder Überfüllung herab[gesetzt werden]“3. Der Aspekt der Komik findet in Aussagen zeitgenössischer antiker Kritiker oder Scholiasten Bestätigung, da diese darauf hindeuten, dass parodistischen Texten grundsätzlich komische Effekte zugesprochen wurden und dass ‚schärfere‘ Formen des Humors wie „ridicule or mockery“ nur als Zusatzcharakteristika spezifischer Einzeltexte wahrgenommen worden seien.4 Der zweite Aspekt, die Umwandlung bestehenden sprachlichen Materials, beschreibt das Verhältnis des parodierenden Textes zu seinem Ausgangs- bzw. Zieltext, der quasi per definitionem Teil der Parodie und eng mit dieser verbunden ist.5 Dabei entstehe eine „comic incongruity“ zwischen Parodie und Original, wobei ein grundsätzlich ambivalentes Verhältnis zur Vorlage – Wertschätzung/Achtung des Ausgangstextes und gleichzeitig parodierende Erneuerung – zu erkennen sei, das je individuell von Kritik, von Sympathie oder kreativer Erweiterung geprägt sein könne.6 Wichtig ist Rose zufolge – worin ich ihr auch zustimme –, dass die Herabsetzung des parodierten Textes keineswegs als Prämisse für die Bezeichnung eines Textes als Parodie zu gelten habe. Damit verweist Rose auf moderne Reduktionen des Begriffs, denen zufolge Parodie in negativer Manier ein Typus des Burlesken sei, der destruktiven Charakter habe und mit Spott angereichert sei7 – also auf Verkürzungen, die in der Mehrdeutigkeit der Präposition παρά begründet liegen. Denn je nachdem, ob man παρά mit „nach dem Vorbild von“ oder „wider, im Gegensatz zu“ übersetzt, verschiebt sich die Bedeutung des terminus technicus, wie Verweyen/Witting betonen.8

Als Beispiel für die Verengung des Begriffs auf ein polemisches Verhältnis zwischen Parodie und Ausgangstext nennt Rose vor allem Michael Bachtin in dessen Fortführung von Ansätzen russischer Formalisten, die aufgrund ihrer Prominenz in (post-)moderner Rede über Parodie hier zumindest kurz zu berücksichtigen sind:9 Erachte Viktor Šklovskij die Parodie in einer „formalistischen Reduktion“ zunächst als „Verfremdungseffekt für das Aufdecken“10 künstlerischer Verfahrensweisen,11 trenne Jurij Tynjanov, radikaler als sein Vorgänger, das Element der Komik ganz vom Wesen der Parodie.12 Darüber hinaus bestimme er als „the very essence of parody […] its dual planes“, also die Ambiguität, die darin besteht, dass die Parodie den Zieltext schätzen und ihn gleichzeitig parodieren könne.13 Michail Bachtin wiederum beschreibt einen formalistischen und einen karnevalistischen Parodiebegriff, wobei er für ersteren komische Elemente nicht einmal erwähnt und hinter dem zweistimmigen Sprechen, wie man es in Stilisierung und Parodie finde,14 eine feindselige Haltung dem parodierten Text gegenüber sieht;15 zweiteren reduziert er, trotz der Berücksichtigung von Komik, auf das Burleske und Groteske.16 Neben der Fokussierung auf den Aspekt der Feindseligkeit und Destruktivität dem „target“-Text gegenüber – als Abbild der weitestgehend negativen modernen Perspektive auf die Parodie – ist im Hinblick auf Bachtin und die Formalisten, wie Rose treffend herausarbeitet, vor allem problematisch, dass sie den Status des parodierten Textes, der ja wegen der oben genannten Doppelstruktur der Parodie erhalten bleibt und notwendigerweise Teil der Parodie wird, nicht hinreichend berücksichtigten.17 Eben diese Einbeziehung des Ursprungstextes in die Parodie und die Frage nach dem spezifischen ‚Tonfall‘, der den Umgang mit dem Prätext charakterisiert, sind aber die Kriterien, die bei der bewussten Anspielung Ovids auf seinen literarischen Vorgänger mit im Zentrum stehen.

In diesem Punkt zeigt sich also die Verbindung parodie- und intertextualitätstheoretischer Diskurse:

Die literarische Parodie kann als ‚intertextuell‘ beschrieben werden; sie ist jedoch mehr als Intertextualität, weil sie die Nachahmung anderer Texte dazu benutzt, aus einer älteren zitierten oder nachgeahmten Vorlage und ihren veralteten Traditionen einen neuen – von dem nachgeahmten Werk differenzierten – Text durch die komische Umfunktionierung des alten Werkes zu schaffen.18

Parodie sei, so Rose weiter, wegen der „komische[n] Umfunktionierung“ vorgegebenen Textmaterials, als eine ‚Spezialform‘ der Intertextualität zu betrachten.19 Entsprechend definiert auch Stocker Parodie „im engen Sinn [als] eine spezifische literarische Schreibweise, die im wesentlichen durch zwei Merkmale gekennzeichnet ist: Sie ist (a) intertextuell auf eine Vorlage bezogen und (b) komisch.“20

Die Erkenntnis zum Zusammenhang zwischen Parodie und Komik einerseits und dialogischen Intertextualitätsphänomenen andererseits kann wiederum auf antike Überlegungen rückbezogen werden. Quintilian äußert sich im sechsten und im neunten Buch seiner institutio oratoria zur Parodie und führt zwei Begriffsbestimmungen und Einsatzmöglichkeiten von Parodie an: erstens im Kontext seiner Abhandlung zu Komik, Witz (urbanitas), welcher durch Umdichtung bzw. Umwandlung eines bekannten Verses entsteht, und Lachen in der Rede (inst. 6, 3); zweitens unter den Stilfiguren im Rahmen der elocutio (inst. 9, 2). Dabei wird das Phänomen der Parodie einmal umschrieben mit: seu ficti notis uersibus similes quae παρῳδία dicitur (inst. 6, 3, 97).21 Hier geht es also um den den Bezug auf vorgegebenes Wortmaterial. In inst. 9, 2 schreibt Quintilian zudem:

incipit esse quodam modo παρῳδή, quod nomen ductum a canticis ad aliorum similitudinem modulatis abusiue etiam in uersificationis ac sermonum imitatione seruatur (inst. 9, 2, 35).

Der Terminus wird also aus seiner ursprünglich engeren Anwendung auf das Epos, wie ihn Aristoteles für die Homerparodien des Hegemon oder Nikochares22 gebrauchte, und als Begriff für Rhapsoden in den Bereich der Prosa übertragen.23 Auch wenn der antike Rhetoriker nicht von ‚Intertextualität‘ spricht, beschreibt er dieses Phänomen doch im Wesentlichen. Die Themen Prosopopöie und fiktiver Dialog stellen dabei den Rahmen dar, in dem Quintilian die letztgenannte Äußerung zur Parodie tätigt.24 Und der Dialog eines Textes mit einem anderen und die Umfunktionierung bereits existierenden textuellen Materials, die Verbindung beider quintilianischer Parodieaspekte, kann schließlich mit dem modernen Begriff der Literaturkritik gleichgesetzt werden.

Das Ziel dieses Methodenkapitels ist die Etablierung eines für die Textarbeit ‚antike-kompatiblen‘ Arbeitsbegriffs von Intertextualität und Parodie. Die Verbindung zwischen beiden Phänomenen hervorzuheben und auch den Aspekt der Komik, der im antiken Verständnis des Begriffes fußt, zu exponieren, ist deshalb ein zentrales Anliegen. Ich denke, dass man bei der Analyse parodistischer Effekte die Suche nach einem gewissen intentionalen, absichtsvollen Moment, das beim Verfassen vorhanden war, nicht vermeiden kann.25 Den Aspekt der Autorintention für Intertextualitätsstudien zu nutzen, ist aber, wie Hinds und Edmunds demonstriert haben, äußerst problematisch. Ich beabsichtige auch nicht, einen forschungsgeschichtlichen Rückschritt zu machen und einer letztlich unerfüllbaren Suche nach der Absicht des Verfassers das Wort zu reden. Auch ich nehme in dieser Arbeit die Rolle des Lesers ein, der bei der Lektüre versucht, intertextuelle Referenzen wahrzunehmen, und diese beim Lektüreakt möglicherweise erst konstituiert. Das von Edmunds relativierte Problem der analytischen Beliebigkeit erachte ich jedoch als nicht unwichtig. Ich denke, dass eine die Grundkonzeption der antiken Remedia adäquat würdigende Analyse auch beachten sollte, welche Referenzen auf literarische Vorgänger durchaus bewusst von der ovidischen Dichter-Persona (Edmunds Kategorie „poet as persona“26 scheint mir hier am besten zu passen) im Text angelegt wurden und welche Entdeckungen vom antiken Leser erwartet und entschlüsselt werden konnten; eine Berücksichtigung der zeitgenössischen Produktions- und Rezeptionssituation sollte man nicht gänzlich übergehen. Damit beachte ich Pfisters Kommunikativitätsaspekt, den ich auch in Contes Definition des ‚reader-addressee‘, der als antizipierter Leser Teil des Textes ist, gespiegelt sehe.27 Dass nicht alles, was möglicherweise ‚intendiert‘ war, entdeckt wird und dass aber auch Erkenntnisse, die erst im modernen Rezeptionsakt gewonnen werden und deren Entstehung nicht beabsichtigt ist, vom Text unterstützt und im Leser bei der Rezeption aktiviert werden, sind dabei natürliche Konsequenzen und gleichermaßen mögliche Fälle von Intertextualität.

Das Intertextualitätskonzept, das ich aus der bestehenden Forschung gewinne, lässt sich folgendermaßen konturieren: So erachte ich die wörtlichen, paraphrasierten oder kontextuellen und konzeptuellen Referenzen auf Einzeltexte und auch auf Systeme (etwa Gattungen, Untergattungen, bestimmte Topoi etc.), die aufgrund von metapoetischen Reflexionen, Zitaten, ‚Pointiertheit‘ o. ä. markiert sind und so legitim als intertextuelle Referenz interpretiert werden können, als grundlegend für intertextuelle Bezugnahmen. Dabei ist aber auch die Wahrnehmung durch den Leser entscheidend.

Wenngleich ich somit keinen eigenen Intertextualitätsbegriff entwickle, leiste ich mit dem von mir entwickelten Modell einen eigenen Beitrag zur Analyse intertextueller Bezüge: Die ‚Pyramidenstruktur der Intertextualität‘ repräsentiert ausgehend von einem fokussierten Text die systematische intertextuelle Bezugnahme auf mehrere Texte und Gattungen. Dabei handelt es sich um ein Visualisierungsmodell, dessen Vorteil darin liegt, dass es eine funktional perspektivierte hierarchische Struktur bei der Intertextualitätsanalyse veranschaulicht. Grundsätzlich hat es zudem das Potenzial, nicht nur für die Untersuchung der Remedia amoris, sondern auch für andere Intertextualitätsstudien eingesetzt zu werden.

Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris

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